Sonntag, 21. November 2010

White Christmas


The sun is shining, the grass is green,
The orange and palm trees sway.
I've never seen such a day,
But it's December the 24th
And I'm longing to be up north.

I'm dreaming of a white Christmas,
Just like the ones I used to know,
Where the treetops glisten
And children listen
To hear sleigh bells in the snow.

I'm dreaming of a white Christmas,
With every Christmas card I write,
May your days be merry and bright,
And may all your Christmases be white.

I'm dreaming of a white Christmas,
Just like the ones I used to know,
Where the treetops glisten
And children listen
To hear sleigh bells in the snow.

I'm dreaming of a white Christmas,
With every Christmas card I write,
May your days be merry and bright,
And may all your Christmases be white.


Kennen wir alle, Bing Crosby. Heute vor 68 Jahren hat er damit Platz Eins der US Charts erreicht und blieb da für die nächsten zehn Wochen. In wenigen Wochen können wir es überall hören, und dann können wir es bald nicht mehr hören. Irving Berlin (links), der keine Noten lesen und schreiben konnte, hat den Song geschrieben. Hat zu seiner Sekretärin gesagt: Grab your pen and take down this song. I just wrote the best song I've ever written — heck, I just wrote the best song that anybody's ever written! Er hat viel Geld damit verdient, spendet jetzt aber im Zweiten Weltkrieg auch Millionen für die Hilfswerke für Soldaten. Deshalb hat ihn Churchill als er 1944 in London ist, zum Mittagessen eingeladen. Churchills Frau hatte ihrem Mann gesagt, dass Irving Berlin in London sei und ihn gefragt, ob er ihm nicht dafür danken wolle, für all das, was er für die patriotische Sache getan habe. Sie hatte dabei an einen kurzen Empfang und ein einfaches Händeschütteln gedacht. Churchill hat zu ihrer Überraschung sofort ja zu dem Plan gesagt und darauf bestanden, dass der Mann zum Mittagessen eingeladen werden müsse.

Die Sache wäre es nicht weiter wert, hier erzählt zu werden, wenn es hier jetzt nicht eine wunderbar schräge Komplikation aus der Kategorie Guess, who's coming to dinner gäbe. Winston Churchill weiß nicht, wer Irving Berlin ist, er hat nie von White Christmas und anderen Irving Berlin Songs gehört. Winston Churchill glaubt, seine Gattin hätte Isaiah Berlin gemeint. Den hat er zwar noch nie gesehen, aber den kennt er. Er liest jede Woche die Berichte, die Isaiah Berlin aus der amerikanischen Botschaft in Washington schickt. Offiziell schickt die zwar der Botschafter. Das ist Lord Halifax, der war schon einmal Vizekönig von Indien, und so benimmt er sich auch in Washington. Die Amerikaner können ihn nicht ausstehen, Churchill auch nicht, deshalb hat er ihn nach Washington abgeschoben. Halifax stand für die Appeasement Politik (und in den Roman The Remains of the Day von Kazuo Ishiguro ist er auch hineingewandert). Der streng religiöse und furchtbar langweilige Halifax ist auch kein Mann der Feder. Deshalb überlässt er das Schreiben der Berichte gerne diesem Fellow des All Souls College, den ihm das Informationsministerium geschickt hat. Zu dem hat er gleich Vertrauen, er selbst war ja auch in Oxford. Da weiß er schon, was All Souls ist (er selbst war da einmal kurze Zeit Fellow, obgleich das schwer zu glauben ist). Ein College ohne Studenten, wenn man hier Fellow ist, dann ist man in der Hierarchie der Geistesgrößen von Oxford ganz oben angekommen.

Wer schreibt Halifax jetzt die Berichte? fragt Churchill den Außenminister Anthony Eden. Der muss erst nachfragen. Wenn man wie Eden englischer Außenminister ist, dann weiß man, wer sein Schneider in der Savile Row ist, aber nicht, wer our man in Washington ist. In Antwort des Außenministeriums heißt dann: Mr. Berlin, baltisch-jüdischer Abstammung, von Beruf Philosoph. Und Anthony Eden (Eton und Oxford) lässt in der folgenden Korrespondenz durchblicken, dass dieser Mr. Berlin keiner von uns ist. Ein Jude aus Riga, kein englischer Großgrundbesitzer mit jahrhundertealten Stammbaum. Wenn Anthony Eden, einer der elegantesten Herren der Zeit, nur wüsste, was Lord Bertrand Russell über seinen Dandyismus denkt: Not a gentleman; dresses too well.

So viel zu den Nettigkeiten, mit denen sich die englische upper-class untereinander bekämpft. Mit seinem Scharfsinn und seiner Intelligenz steckt der Philosoph Isaiah Berlin sicherlich die ganze Churchill Regierung in die Tasche. Die können in Washington auch froh sein, dass sie diesen Oxford Professor aus dem von Duff Cooper geschaffenen Informationsministeriums bekommen haben. Isaiah Berlin wird nach dem Krieg mit dem Gedanken spielen, als Presseattaché zu Duff Cooper in die Pariser Botschaft zu wechseln, bleibt dann aber doch in Oxford. Duff Cooper ist ein noch größerer Dandy als Anthony Eden, aber er kann sich das leisten, er hat mehr im Kopf als der, er ist nebenbei ein nicht unbedeutender Schriftsteller. Seine Talleyrand Biographie ist auch heute noch ein Lesevergnügen (die netten Bücher, die seine Gattin Lady Diana Cooper schreibt, lassen wir heute mal unerwähnt, aber ich glaube die beiden tauchen irgendwann noch einmal in diesem Blog auf).

Habe ich nun die Beteiligten, beziehungsweise Nicht-Beteiligten vorgestellt? Winston Churchill brauche ich wohl nicht vorzustellen. Die Szene des folgenden Dramoletts ist ein Esszimmer (der Garden Room) in Number Ten. Gäste sind der Feldmarschall Sir Alan Brooke (der Chief of the Imperial General Staff, er sitzt auf dem Photo (das leider aus dem Internet berschwunden ist) zwischen Churchill und Eden), die Herzogin von Buccleugh und, und, und. Und natürlich Irving Berlin, den Churchill für den Professor Isaiah Berlin hält. Ich wundere mich bis heute, dass Tom Stoppard daraus kein Theaterstück gemacht hat. So was nettes Kleines in der Art von Dirty Linen und New-Found-Land.

Wer der Gast ist, der einen breiten Bronx Dialekt spricht, wissen nur Clementine Churchill und Jock Colville, der Privatsekretär des Premierministers. Alle anderen halten ihn für einen Beamten aus einem der vielen Ministerien. Churchill versucht ständig, den stillen Gast in die Unterhaltung einzubeziehen. Er möchte alles mögliche über die Verhältnisse in Amerika wissen. Als er ihn fragt, wann der Krieg nach seiner Einschätzung enden würde, antwortet sein Gast: Herr Premierminister, das werde ich meinen Kindern und Enkeln erzählen, dass Winston Churchill mir diese Frage gestellt hat. Churchill ist völlig verwirrt, wechselt das Thema und fragt, was das Wichtigste sei, dass Berlin jemals geschrieben hat. Er erhält als Antwort: White Christmas. Jetzt weiß Winston Churchill überhaupt nicht mehr, was los ist. Er raunzt seinen Privatsekretär an: Hören Sie auf, mich immer unter dem Tisch zu treten.

Irving Berlin verlässt Number Ten im Zustand leichter Verwirrung. Churchill wird nach dem Essen von Jock Colville über die Verwechslung aufgeklärt und amüsiert sich königlich. Erzählt die Geschichte eine halbe Stunde später dem War Cabinet. Irgendwann gelangt sie von Whitehall in die Presse und macht Isaiah Berlin berühmt. 1949 haben sich Isaiah Berlin und Churchill dann zum ersten Mal getroffen. Churchill hat sich vor dem Philosophen verbeugt und gesagt, dass er ja bestimmt den Schnitzer kenne, der ihm damals unterlaufen sei. Berlin hatte im gleichen Jahr einen Essay geschrieben, der viel zum Mythos Winston Churchill beigetragen hat. Too good to be true, hatte Churchill dazu gesagt, aber es hat ihm doch gefallen.

Isaiah Berlin zu lesen, lohnt sich heute immer noch. Ich würde empfehlen, da wir ja ein Tolstoi Jubiläum haben, mit dem brillanten hundertseitigen Essay Der Igel und der Fuchs anzufangen. Der ist in dem Band Russische Denker enthalten, ist aber auch als Einzelpublikation in der Bibliothek Suhrkamp erhältlich. Es gibt über Berlin eine gute Biographie von Michael Ignatieff: Isaiah Berlin - A Life. Die deutsche Übersetzung davon sollte man lieber nicht benutzen, sie ist grauenhaft und voller Fehler.

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