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Dienstag, 27. Dezember 2016

Vierzig Jahre


In seiner Weihnachtskarte schrieb mir der Kunsthistoriker Joachim Kruse, dass es jetzt schon vierzig Jahre her sei, dass wir diese Ausstellung Illustrationen zu Melvilles "Moby-Dick" gemacht hätten. Vierzig Jahre, es ist nicht zu glauben. Die Sonderausstellung des Landesmuseums im Schloss Gottorf vom 18.6. bis zum 19.9.1976 war eine Ausstellung des Landes Schleswig-Holstein für die Feiern des Bicentennials der Vereinigten Staaten. Heute sind die Vereinigten Staaten vierzig Jahre älter. Und wie haben sie sich verändert.

Damals war Gerald Ford noch Präsident und Jimmy Carter wurde als neuer Präsident gewählt, honorige Leute, keine Heiopeis. Ein Mann wie Donald Trump wäre 1976 nicht vorstellbar gewesen. Während des letzten Wahlkampfs haben viele Journalisten Melvilles Werke bemüht. Für manche, wie die NZZ, war er der Schwindler aus The Confidence Man, für andere war Trump der geisteskranke Kapitän Ahab aus Moby-Dick. Der, wie wir aus dem Roman wissen, mit dem Wal untergeht. Wir werden sehen, wie diese Geschichte endet.

Dr Joachim Kruse, dessen Schlattenschammes ich 1976 war, war Direktor in Schleswig, kurz danach ist er der Direktor der Kunstsammlungen der Veste Coburg geworden. Er lebt heute noch dort; wir beide, die wir damals durch die Arbeit an der Ausstellung verbunden waren, schicken uns immer noch Weihnachtskarten und Briefe. Ich habe ihm vor Jahren auch einen Teil meiner Bremensien geschickt, die er als Free Jazz in Prosa bezeichnete. Das war sehr witzig, er hatte sowieso viel Humor.

Als ich einen Cartoon aus dem amerikanischen Playboy anschleppte, der einen Seemann auf dem Bett neben einer sehr voluminösen weißblassen Nutte zeigte, die zu ihm sagt: And stop calling me Moby Dick, sagte Kruse nur: Den nehmen wir. Der Cartoon wanderte in den Katalog. Wir waren die ersten, die auch Cartoons der Melvilleschen Bilderwelt zeigten, später hat ein amerikanischer Professor, dem ich unseren Katalog geschickt hatte, ein ganzes Buch über Moby-Dick in der Popular Culture geschrieben. Und auch Andrew Delbanco geht in seinem sehr guten Melville Buch mit einem Kapitel darauf ein.

Es gab damals noch keine Computer, kein Internet, wo man einen Volltext von Moby-Dick finden konnte. Wann immer Kruse ein Zitat suchte, musste ich Moby-Dick wieder und wieder lesen. Wahrscheinlich habe ich mir deshalb den Namen des ersten Kapitels als Internetadresse meines Blogs genommen. Denn dieses loomings heißt etwas, was man ganz fern am Horizont sieht, es ist eine Augentäuschung, bei der man Dinge sieht, die man eigentlich nicht sehen kann. Der Muret Sanders bietet uns als Übersetzung Kimmung an, damit kann man leben. Wenn man heute loomings bei Google eingibt, dann landet man schnell bei mir, dafür hat mein Blog gesorgt. Ich glaube, es würde Herman Melville, den ich immer wieder in diesen Blog geschrieben habe, freuen.

Auch wenn es keinen Computer und keine Mobiltelephone gab, hatten wir einen vorzüglichen Draht in die USA. Wir gaben am Vormittag unsere getippten Wünsche in der Staatskanzlei ab, am Nachmittag waren die schon bei einem Stab in Washington, der sie an amerikanische Museen weitergab. Wir hätten aus Boston John Singleton Copleys Watson and the Shark bekommen können, das ich für einen Aufsatz im Katalog brauchte. Aber da hatte ich Angst und begnügte mich mit einer hervorragenden klischierfähigen Photographie, die das Museum of Fine Art uns schickte.

Was man in Deutschland und England vor vierzig Jahren auf die Beine stellen konnte, das konnte man in Amerika nicht. Und im Amerika des Donald Trump wird die Kultur und die amerikanische Kulturgeschichte wohl überhaupt keine Rolle spielen. Es gab in den USA keine Ausstellung, die mit der Düsseldorfer Ausstellung The Hudson and the Rhine hätte konkurrieren können. Amerikas Museen, die die Arbeit an den deutschen Ausstellungen wegen tausenderlei Anfragen zu spüren bekamen, hätten den Deutschen jetzt alles ausgeliehen. Unbürokratisch und unkonventionell. Weil sie gemerkt hatten, dass die eigene Nation, die sich eigentlich selbst feiern sollte, überhaupt kein Konzept für gute Ausstellungen hatte. Das Sonderheft von Superman salutes the Bicentennial im ersten Absatz zeigt ungefähr das Niveau der amerikanischen Feiern.

Der Kriegsgegner von 1776 brachte etwas ganz anderes zustande, nämlich die großartige Londoner Ausstellung 1776: The British Story of the American Revolution. Es gab in Amerika viel Remmidemmi und Events, doch das war alles mehr patriotisches Disneyland als eine seriöse Aufarbeitung der Geschichte. George Washington wurde nachträglich zum Sechs Sterne General ernannt, das musste sein. Ein führender amerikanischer Museumsdirektor hat Jahrzehnte später gesagt, dass die deutschen Ausstellungen zur Zweihunderjahrfeier bei den amerikanischen Museen einen Prozess des Umdenken bewirkt haben. Eines der originellsten Produkte aus Amerika war da noch das Time Magazine vom 4. Juli 1976 mit seiner Special Bicentennial Ausgabe to reconstruct with the tools of both history and journalism, and in our [Time’s] distinctive newsmagazine format, at least part of the life and soul of the events that gave birth to our nation.

Hundert Jahre vor dem Bicentennial - fünfundzwanzig Jahre nach dem Erscheinen von Moby-Dick - hat der New Yorker Zollinspektor Nummer 75 sein episches Gedicht Clarel (hier im Volltext) veröffentlicht. Es fand noch weniger Käufer als Moby-DickThough I wrote the Gospels in this century, schreibt er im Juni 1851 an seinen Freund Nathaniel Hawthorne, I shall die in the gutter. Im November kündigt er Hawthorne Moby-Dick an und schreibt: I have written a wicked book, and feel spotless as the lamb. Fünf Jahre lang, meistens in der Nacht, hat Melville an Clarel geschrieben: A "cynic," perhaps, you might call him, a rover at heart, he knew people only too well, used to say I was told, there was no such thing as gratitude, the word even was not mentioned in the bible, hat Melvilles Verwandte Charlotte Hoadley über ihn gesagt. Was ist er? Agnostiker, Atheist, Skeptiker?

Melville Reise durch das Heilige Land ist eine Suche nach Gott. Aber er findet nur Sand und Steine: Stones of Judea. We read a good deal about stones in Scriptures. Monuments & stumps of the memorials are set up of stones; men are stoned to death; the figurative seed falls in stony places; and no wonder that stones should so largely figure in the Bible. Judea is one accumulation of stones—stony mountains & stony plains; stony torrents & stony roads; stony walls & stony fields, stony houses & stony tombs; stony eyes &stony hearts. Before you and behind you are stones. Stones to the right &stones to the left. Und an anderer Stelle schreibt er: the desolation of the land [is] the result of the fatal embrace of the Deity? Hapless are the favorites of heaven. Und das Go mad I can not: I maintain The perilous outpost of the sane ist vielleicht ein autobiographischer Satz.

Melvilles Gott findet sich vielleicht in dem, was er über den kleinen Pip in Moby-Dick sagt: The sea had jeeringly kept his finite body up, but drowned the infinite of his soul. Not drowned entirely, though. Rather carried down alive to wondrous depths, where strange shapes of the unwarped primal world glided to and fro before his passive eyes; and the miser-merman, Wisdom, revealed his hoarded heaps; and among the joyous, heartless, ever-juvenile eternities, Pip saw the multitudinous, God-omnipresent, coral insects, that out of the firmament of waters heaved the colossal orbs. He saw God's foot upon the treadle of the loom, and spoke it; and therefore his shipmates called him mad. So man's insanity is heaven's sense; and wandering from all mortal reason, man comes at last to that celestial thought, which, to reason, is absurd and frantic; and weal or woe, feels then uncompromised, indifferent as his God.

Zu Clarel, das Robert Penn Warren einen Vorläufer von Eliots The Waste Land genannt hat, hätte man 1976 wohl keine Ausstellung machen können (die deutsche Ausgabe von Rainer G. Schmidt erschien erst vor zehn Jahren). Zu Moby-Dick schon. Denn es ist ein Roman zu dem Regisseure, Maler und Illustratoren immer wieder Bilder beigesteuert haben. Und Joachim Kruse verstand es, die Bilder herbeizuschaffen, ein Organisationstalent und ein Meister der Diplomatie. Quatschte am Telephon den widerstrebenden Horst Janssen herum, ein Bild nach Schleswig zu geben. Band die Meeresforscherin Petra Deimer (lesen Sie mehr in Scrimshaw) in die Ausstellung ein. Und man konnte die Songs of the Humpback Whale von der Platte hören (können Sie hier auch). Vierzig Jahre sind seit der Ausstellung Illustrationen zu Melvilles "Moby-Dick" vergangen, in die ich mich damals mit jugendlichem Elan geworfen hatte. So vergeht Jahr um Jahr und es ist mir längst klar, daß nichts bleibt, daß nichts bleibt wie es war. Vierzig Jahre, ich sehe alles noch vor mir. Mein Peugeot konnte die Strecke nach Schleswig im Schlaf. Zitate in Moby-Dick finde ich, ohne den Computer zu bemühen.

Es hatte schon vor dem Jahr 1976 in Schleswig Ansätze zu einer Ausstellung über den Walfang und Moby-Dick gegeben. Will Sohls Illustrationen wären sicherlich eine Ausstellung wert gewesen, aber die war aus finanziellen Gründen gescheitert. Doch für die deutsch-amerikanische Freundschaft war 1976 aus den Verfügungsmitteln des Ministerpräsidenten Geld da. Und es ging ja nicht nur um Melvilles Meisterwerk, auch genügend Künstler aus dem Land waren in der Ausstellung repräsentiert. Dieser Sturz von der Pequod ist von dem Flensburger Maler Ekkehard Thieme, ich besitze auch eine Radierung aus diesem Zyklus. War damals schwer zu bekommen, weil Thieme kaum verkaufte, aber wo ein Wille ist, da ist am Ende auch eine Thieme Radierung.

Ein Nebenprodukt der Ausstellung war, dass mir Joachim Kruse den schönen Katalog Gemessene Zeit: Uhren in der Kulturgeschichte Schleswig-Holsteins schenkte. Das war nun ein Danaergeschenk, denn von dem Augenblick an wollte ich alles über die tickenden Teufelsherzen wissen. Unser Katalog, den dieser Ahab von Rockwell Kent zierte, ist natürlich längst vergriffen, aber man kann antiquarisch wohl noch ein Exemplar - vielleicht nicht im besten Zustand - bekommen. Als ich mein letztes Belegexemplar dem amerikanischen Professor Sandy Marowitz schenken wollte, winkte der ab. Jeder Melville Forscher in Amerika besäße diesen Katalog, versicherte er mir. So haben wir doch ein wenig Furore gemacht.

In der Ausstellung gab es eine Wand voller Darstellungen des Kapitäns Ahab, alle waren anders. Aber alle waren wie dieser Ahab von Robert Shore ein wenig dämonisch. In seiner Eröffnungsrede sagte Joachim Kruse, der ebenso wie Jens Christian Jensen der SPD nahestand (sie waren damals die beiden einzigen Museumsdirektoren in dem auf allen Gebieten von der CDU beherrschten Bundesland), dass er beobachtet hätte, dass alle Besucher nur auf den Kapitän Ahab geschaut hätten. Er sei eher auf der Seite der Mannschaft. Der Ministerpräsident Stoltenberg, dem ich die Eröffnungsrede geschrieben hatte, war sichtlich verärgert. You can't win them all.

1976 war der Roman Moby-Dick 125 Jahre alt geworden, außer durch die Schleswiger Ausstellung wurde das nicht gefeiert. Dennoch gab es vor vierzig Jahren Schlagzeilen, in denen auch der Name Moby Dick vorkam. Also zum Beispiel Peter, Sue & Marc mit ihrem Song Moby Dick oder der Marvel Classics Comics #8. Der allerdings im Gegensatz zu einer Erstausgabe von Moby-Dick oder dem Schleswiger Katalog von 1976 in den letzten vierzig Jahren nicht an Wert gewonnen hat. Und dann gab es ja auch noch die Indienststellung des Rheindampfers Moby Dick der Bonner Fähr- und Fahrgastschiffahrt. Das Schiff fährt heute immer noch, obgleich es mal gerammt wurde. Allerdings von keinem Wal wie die Pequod.

Vierzig Jahre, ein halbes Leben. Herman Melville ist vierzig Jahre nach dem Erscheinen seines Romans Moby-Dick gestorben, da kannte ihn niemand mehr. Die New York Times bekam nur diese klägliche Notiz zustande: Herman Melville died yesterday at his residence, 104 East Twenty-sixth Street, this city, of heart failure, aged seventy-two. He was the author of Typee, Omoo, Mobie Dick, and other sea-faring tales, written in earlier years. He leaves a wife and two daughters, Mrs. M. B. Thomas and Miss Melville. Das Mobie Dick gefällt mir besonders. Die Zeitung besserte aber wenige Tage später mit einem halbwegs akzeptablen Nachruf nach. Schrieben dabei Moby-Dick auch richtig.


Mehr zu der Ausstellung vor vierzig Jahre in Melvilles Moby-Dick

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