Mein Weg führt mich in diesem Winter nach Amerika zurück. In Deutschland blühen meine Rosen doch mal nicht, schreibt Emanuel Leutze in einem Brief an seinen Freund, den Kommerzienrat Julius Erhard. In seinem Geburtsort Schwäbisch-Gmünd wird man 2016 zu Leutzes zweihundertstem Geburtstag eine kleine Leutze Ausstellung veranstalten. Das One-Hit-Wonder in der Malerei hat die FAZ ihren Bericht über die Ausstellung betitelt. Der eine Hit des Malers, der heute vor 150 Jahren starb, ist natürlich das Bild Washington Crossing the Delaware. Das hier schon mit ↝Trenton, Weihnachten 1777 und ↝Washington crossing the Delaware zwei Posts hat. Leutze hatte vor fünf Jahren auch schon einen, den stelle ich heute hier noch einmal hin.
Leutzes Bilder sind weniger für ihre künstlerische Qualität als für ihr patriotisches Pathos bekannt. Die beiden genannten Werke zählen fest zur nationalen Ikonographie der USA und wurden entsprechend oft karikiert. So steht es im Wikipedia Artikel für Emanuel Leutze. Es gibt bessere Maler in Deutschland und in Amerika in dieser Zeit. Aber wie viele Maler haben Bilder gemalt, an die sich eine ganze Nation noch ein Jahrhundert später erinnert? Dies Bild hier ist nicht ganz fertig geworden, Washington scheint hier in einer Eiswüste zu stehen. Aber wir erkennen trotz des unvollendeten Zustands, dass das Bild (heute im Privatbesitz) einmal eine Kopie von Washington Crossing the Delaware werden sollte.
Bis eines Tages, und da zitiere ich mal die Wikipedia zur Beantwortung der Frage How daft can you get?: as recently as 2002, American grade school administrators stepped in to alter textbook reproductions of the painting because Washington's watch fob was painted too close to his crotch for their comfort, possibly resembling male genitalia. Ja, wenn amerikanische Eltern und Schulbehörden empört sind, das ist immer schön. Man dachte, die Blamage der geistigen Hinterwäldler hätte mit dem Affenprozess aufgehört, aber man lernt nie aus.
Die zweite Geschichte, an die ich immer denken muss, hat etwas mit dem etwas makabren Witz zu tun, dass nachdem das Bild von Leutze in der Kunsthalle in Bremen verbrannte (hier ein Schwarzweißphoto der Originalversion), jemand das Bonmot aufbrachte, dass dies die Rache der Engländer für die amerikanische Revolution sei. Dazu zitiere ich einmal ↝David Hackett Fischer: Just after it was completed, a fire broke out in the artist’s studio, and the canvas was damaged in a curious way. The effect of smoke and flame was to mask the central figures of Washington and Monroe in a white haze, while the other men in the boat remained sharp and clear. The ruined painting became the property of an insurance company, which put it on public display. Even in its damaged state it won a gold medal in Berlin and was much celebrated in Europe. It became part of the permanent collection of the Bremen Art Museum. There it stayed until September 5, 1942, when it was destroyed in a bombing raid by the British Royal Air Force, in what some have seen as a final act of retribution for the American Revolution.
Leutze hat sein patriotisches Bild, das wohl als Kommentar auf die deutsche 1848er Revolution gelesen werden kann, in Deutschland gemalt. Viele tausende von deutschen Betrachtern haben die Botschaft des Bildes, dass man auch in verzweifelter Lage einen Sieg erringen kann, wenige Jahre nach 1848 durchaus verstanden. Dass man bei Leutze in seinen Bildern immer wieder Symbole der Freiheit findet, hat Barbara Groseclose (die 1973 eine Dissertation über Leutze schrieb und 1975 die erste große Leutze Ausstellung organisierte) herausgestellt.
Es ist sicher kein Zufall, dass die amerikanische Flagge (die natürlich damals ganz anders aussah als Leutzes Flagge) im Bildmittelpunkt ist, auf vielen patriotischen Bildern der 1848er Revolution ist sie als einigendes Element auch im Zentrum des Bildes. Im Revolutionsjahr 1848, als Leutze zum Vorsitzenden der Düsseldorfer Malervereinigung Malkasten gewählt wurde, sagte er: Ganz Deutschland ist vereinigt und frei... wir möchten alle zusammengehören und auf die Fahne von Mutter Deutschland schwören. Wenn auch die Flagge Washingtons nicht so ganz stimmt, manches ist korrekt an diesem Bild. Leutzes Freund Worthington Whittredge steht ihm in einer Kopie von George Washingtons Uniform Modell. Und alle auf dem Bild Dargestellten sind übrigens Amerikaner gewesen, die Leutze in Düsseldorf Modell saßen.
Der Sohn eines nach Amerika emigrierten politisch Verfolgten war aus Philadelphia nach Deutschland zurück gekommen, um an der berühmten Düsseldorfer Akademie zu studieren, wo er sich 1841 als Historienmaler einschrieb. Nicht als Student. Er hat schon erste Erfolge in Amerika gehabt, er will nicht als Anfänger behandelt werden. Offiziell studiert er zwar bei Carl Friedrich Lessing, aber das Leben an der Akademie gefällt ihm ganz und gar nicht, und so findet sich 1841 unter seinem Namen folgender Eintrag in der Schülerliste: Quartal 1841, 26 Jahre, Historienmaler, Anlage: sehr gut, Fleiß: kommt sehr unregelmäßig, Betragen: sehr gut. Hat den Columbus, gefangen nach Spanien zurückkehrend gemalt. Ist abgegangen. München und Italien waren verlockender. Hier tritt Columbus gerade vor die Königin, die Ketten hat man ihm abgenommen, sie liegen vor ihm auf dem Boden. Historienbilder sind wie riesige Puzzles, man kann stundenlang in ihnen Neues entdecken.
Ich weiß nicht, wie es in der Wirklichkeit um seine nautischen Kenntnisse bestellt ist, aber er hat so eine unheilvolle Tendenz (schon bei dem Washington Bild), möglichst viele Personen in einem Boot unterzubringen. Bei diesem Bild des Neusser Männergesangvereins macht man sich (wie bei dem Bild von ↝Tizian auf der Lagune) schon Sorgen, dass irgendwann einer der fröhlich Feiernden in den Rhein fällt. Und wie die bacchantischen Wikinger da oben mit einer Nussschale von Boot über den Atlantik gekommen sein wollen, das weiß niemand. Eine der Maximen von Leutzes Historienbildern (wahrscheinlich der Historienmalerei überhaupt) scheint diese willing suspension of disbelief zu sein, von der Coleridge gesprochen hat.
Es ist jetzt die Zeit der überfüllten Boote in der Malerei, ob das Delacroix' ↝Dante Barke, Gericaults ↝Floß der Medusa oder Richters ↝Überfahrt am Schreckenstein sind. Und man muss natürlich sagen, dass Leutze keinesfalls der erste ist, der das Ereignis der Überquerung des Delaware im Bild festhält. Ich finde das Bild von ↝Edward Hicks (das ja nichts als eine Kopie von ↝Thomas Sully ist) in seiner Schlichtheit rührend.
Auch dieses Bild war weit davon entfernt, eine große Öffentlichkeit zu erreichen, erst 1993 hat es die ↝Doe Library in Berkeley wieder aufgehängt. Den größten Teil des Jahrhunderts davor hatte es im Keller verbracht, man hatte an der Universität von Berkeley völlig vergessen, dass man das Bild, das eine Art Komplementärbild zu Washington Crossing the Delaware sein sollte, überhaupt besaß. Man hielt die verkleinerte Kopie in Monmouth, die Leutze 1857 gemalt hatte, für das Original.
So ganz glücklich scheint man da heute immer noch nicht über das Bild zu sein. So heißt es auf einer offiziellen Universitätsseite über das Bild. The history that was lived around the East Reading Room highlights what Leutze’s 'Washington Rallying the Troops at Monmouth' left out of the real history of the Revolution. A century and a half ago, the painter was obsessed with control and command: General Washington taking over from an incompetent General Lee and keeping his men in the fight. Then, and now, this is not a tale of the Revolution that Americans grow up with. What we do know about the Battle of Monmouth is that Molly Pitcher took charge of a cannon and brought water to the soldiers. Leutze left her out in his sweep of the battlefield; the Library forces call her to mind. Nun ist die ↝Molly Pitcher Geschichte eine Sache, die sicherlich randständig ist (und deren Wahrheitsgehalt von Historikern bezweifelt wird), aber wenn das in Berkeley für die wahre Geschichte der Schlacht von Monmouth genommen wird, was soll man dazu sagen?
So bekannt Leutzes Historienbilder geworden sind: wir müssen wohl Abschied von der landläufigen Vorstellung nehmen, dass der Mann, der sich 1841 in Düsseldorf als Historienmaler einschrieb, nur Historienbilder gemalt hat. Denn von den sechsundvierzig Bildern, die er zwischen 1848 und 1863 in Düsseldorf und in Amerika malte, sind die meisten Bilder Portraits. Das ist nun ein ganz anderer Leutze, den wir hier auf dem Bild einer Dame mit zwei Söhnen (1844) sehen. Nicht groß und spektakulär, keine nationalen Emotionen heraufbeschwörend, sondern eher brave deutsche biedermeierliche Bürgerlichkeit. Aber diese Bilder Leutzes sind weniger bekannt, weil sie meistens in Privatsammlungen verblieben sind und im Inventar der Bilder im Internet nicht auftauchen.
Dies ist der amerikanische Dichter Nathaniel Hawthorne, der sich 1862 in Washington von Leutze hatte malen lassen, als der gerade damit beschäftigt war, im Capitol das große (6.1 m × 9.1 m) Westward the Course of Empire Takes Its Way zu malen. Hawthorne hat das Wandgemälde als emphatically original and American beschrieben. Mit seinem Portrait war er durchaus zufrieden. Er schrieb seinem Verleger aus Washington I stay here only while Leutze finishes a portrait which I think will be the best ever painted of the same unworthy subject. Und in einem Brief an seine Frau Sophia schreibt er selbstironisch: the world is not likely to suffer for lack of my likeness.
Viele Bilder Leutzes beruhen eher auf einer Anekdote als auf der historischen Realität. Mrs Schuyler, die ihren Weizen verbrennt, wäre solch ein Fall. John Milton, der dem Diktator Cromwell auf der Orgel vorspielt, ein anderer. Zwar hat Milton (der Sohn eines berühmten Amateurmusikers) Orgel gespielt, aber dass er sie für Cromwell gespielt hat, ist nur ein Märchen. Auf dem Bild Evening Party at Milton's (das durch den Kupferstich von Fritz Dinger in Deutschland eine große Verbreitung erhielt) sitzen Oliver Cromwell und Familie mit der Crème de la Crème seiner Militärdiktatur - Algernon Sydney, John Thurloe (dem Chef des Geheimdienstes) und dem General Henry Ireton - friedlich im Wohnzimmer von John Milton. Cromwell stocksteif und ungerührt (obwohl er angeblich die Musik liebte). Das Bild entbehrt nicht einer gewissen Pikanterie, Cromwell hatte längst die Orgeln in den Kirchen verboten, für die Hausmusik scheinen sie erlaubt zu sein. Der Dichter Milton bleibt auf seinem kleinen Schemel (der ein wenig an Glenn Goulds Klavierstuhl erinnert) im Dunkel. Wie die Kunst in der Zeit der Militärherrschaft.
Emanuel Leutze, Deutsch-Amerikaner, ist heute vor 150 Jahren gestorben. Er war ein Wanderer zwischen beiden Welten. In Düsseldorf, wo er Washington Crossing the Delaware und Washington Rallying the Troops at Monmouth malt, hofft er auf die amerikanischen Kunden. Wenn er wieder in Amerika ist, träumt er davon, dass die Düsseldorfer Akademie ihn als Professor berufen würde. Ebenso dunkel wie John Milton bleibt Leutzes Freund Worthington Whittredge auf diesem Bild. Eigentlich ein schönes Bild, wenn es nicht in diese braune Soße des 19. Jahrhunderts getaucht wäre. So frei wie ↝Frank Duveneck eine Generation später wagt Leutze noch nicht, mit der Farbe umzugehen. Ich mag Leutze nicht besonders, aber ich habe ja schon mehrfach gestanden, dass ich mit dem ganzen Kitsch der Historienbilder aufgewachsen bin. Ich konnte kaum lesen, aber die Bilder mit den vielen heroischen Menschen, die wie eingefrorene tableaux vivants darstanden, haben mich immer fasziniert.
Emanuel Leutze, Deutsch-Amerikaner, ist heute vor 150 Jahren gestorben. Er war ein Wanderer zwischen beiden Welten. In Düsseldorf, wo er Washington Crossing the Delaware und Washington Rallying the Troops at Monmouth malt, hofft er auf die amerikanischen Kunden. Wenn er wieder in Amerika ist, träumt er davon, dass die Düsseldorfer Akademie ihn als Professor berufen würde. Ebenso dunkel wie John Milton bleibt Leutzes Freund Worthington Whittredge auf diesem Bild. Eigentlich ein schönes Bild, wenn es nicht in diese braune Soße des 19. Jahrhunderts getaucht wäre. So frei wie ↝Frank Duveneck eine Generation später wagt Leutze noch nicht, mit der Farbe umzugehen. Ich mag Leutze nicht besonders, aber ich habe ja schon mehrfach gestanden, dass ich mit dem ganzen Kitsch der Historienbilder aufgewachsen bin. Ich konnte kaum lesen, aber die Bilder mit den vielen heroischen Menschen, die wie eingefrorene tableaux vivants darstanden, haben mich immer fasziniert.
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