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Samstag, 8. Dezember 2018

amour fou


Keine Sorge, es wird hier heute um Literatur gehen. Nicht um die hübschen kleinen stupsnäsigen Frauen, mit denen ich meinen Blog manchmal bevölkere. Aber bevor ich zu dem Buch komme, das ich vorstellen möchte, muss ich doch einmal kurz eine Frau aus der Vergangenheit holen. Sie hat hier heute keinen Namen, sie ist nur sehr sexy. Lasziv. Allein, wie sie die Gauloises anleckte, bevor sie sie anzündete. Wir hatten mal was miteinander, aber das war vorbei. Jetzt erzählte sie mir im Kleinen Olymp im Schnoor von ihren letzten Lovern, eine Geschichte, die mit dem Satz endete: Jetzt ficke ich mich durch ganz Bremen. Das sind Sätze, da sagt man am besten gar nichts. Man vergisst sie allerdings auch nicht.

Zwanzig Jahre später begegnete ich der Frau wieder. Da hieß sie allerdings Eliada Jeanne Carla Guinetti und war eine Romanfigur in Gerd-Peter Eigners Roman Brandig, einem Roman, der in Bremen und im Teufelsmoor beginnt (deshalb gibt es auch einen Worpsweder auf dem Cover der Erstausgabe). Der aber wohl kaum ein richtiger Bremen Roman genannt werden kann, wie es die Romane von Friedo Lampe oder Lorenzens Alles andere als ein Held sind. Wend Kässens betitelte seine Rezension in der Zeit mit Grelle Bilder aus Sex, Crime und Kitsch: Exzesse mit Eliada. Besser kann man diesen ärgerlichen wie vergnüglichen Roman nicht beschreiben. Wend Kässens sieht in dem Roman eine Beziehung zu Thomas Manns Doktor Faustus, die ich nicht sehe. Ich sehe da eher eine Beziehung zu der Welt von Louis-Ferdinand Céline.

Die deutschen Rezensenten waren damals von dem Roman, der heute so gut wie vergessen ist, begeistert: Im allgemeinen schließen sich mittlerweile erzählende - Geschichten erzählende - und anspruchsvolle Literatur aus, - eine solche also, die Denken einfordert. Und es darf, nein: muß zu den seltenen Glücksfällen gerechnet werden, wenn es zu einer zumal offenen Vereinigung beider Ansätze kommt. Der Glücksfall besteht vor allem darin, daß Gerd-Peter Eigners 1985 bei Hanser erschienener Roman "Brandig" nicht nur geschrieben, sondern auch verlegt wurde: Denn als der Autor 1984 aus dem Text in Klagenfurt vortrug, fand er wenig Beachtung. Das muß nicht wunder nehmen, da Kritiker alles mögen, nur keine Intensität, die ihnen auf die Fingerknöchel schlägt... (Hessischer Rundfunk). Wer Gerd-Peter Eigners Roman 'Brandig', der in diesem Herbst bei Hanser erschienen ist, nicht lesen will, muß sich von mir auf den Kopf zusagen lassen, daß er eine der wesentlichsten Neuerscheinungen des Jahres 1985 verpaßt und verpassen will, also nichts von Literatur versteht.(Medien Informations Dienst FFM). Wie in seinem Roman 'Golli' (1978), behaupte ich, verfolgt Eigner mit seinen Protagonisten ein Prinzip; eben dem Verfall eines Ichs durch Chaos und Sinnlichkeit durch ein immer wieder das Ich suchendes Bewußtsein standzuhalten. (Die Presse, Wien). Ein literarisch sehr anspruchsvolles Verfahren ist das, mit dem Eigner spannende, gute Beschreibungen seines Reißerthemas 'Geschlecht und Gewalt' gelingen.. (Süddeutsche Zeitung). Mit emphatischen und mäandernden, oft an Thomas Bernhard erinnernden Sätzen, evoziert er grelle Bilder aus Sex, Crime und Kitsch ... So ist 'Brandig' ein so ärgerliches wie vergnügliches, ein so vorder- wie tiefgründiges, auf jeden Fall ein lesenswertes Buch. (Die Zeit)

Ich habe die Rezensionen so ausführlich wiedergegeben, weil die informativen Seiten zu Eigner aus dem Netz leider verschwunden sind. Das ist bedauernswert, hoffentlich verschwindet der Autor nicht auch. Ich habe vor dreißig Jahren, als ich die Rowohlt Paperbackausgabe kaufte, keine Rezensionen gelesen. Ich las den Roman und sagte Wow, genau so, wie ich nach der Lektüre von Harry Crews A Feast of Snakes Wow gesagt hatte. Die Lektüre des Romans hatte einen seltsamen Déjà-vu, Nebeneffekt, weil ich immer, wenn Eliada Jeanne Carla Guinetti auftauchte, an die Frau denken musste, die Jetzt ficke ich mich durch ganz Bremen gesagt hatte. Und diese femme fatale taucht in dem Roman häufig auf: 128 Seiten des 455-seitigen Buches verdienen besondere Erwähnung: eine der dichtesten/verdichtetsten Liebesgeschichten der deutschen Nachkriegsliteratur; und „Liebe" wird hier in radikal romantischem Sinn ernst genommen, schreibt Alban Nikolai Herbst.

Der Rechtsanwalt Brandig, der alle Ängste und Sehnsüchte, alle Wut, allen Widerstand und Widerspruch seiner Generation mit sich herumschleppt, ist auf der Flucht, zugrunde gerichtet von seiner amour fou. In der Zeitschrift Drehpunkt fragte der Rezensent 1985: Wieviel Radikalität oder Anpassung kann einer leben, ohne sich zugrunde zu richten? Keines der Bilder, die sich der Leser von Brandig macht, ist richtig. Doch fortwährend entstehen neue Bilder und zwingen den Leser in ihren Bann und in den Sog dieser Frage. Und in der Frankfurter Rundschau finden wir in dem Jahr Sätze, die geradezu vor dem Roman warnen: Der Leser wird an Grenzerfahrungen teilhaben, die sein Leben verändern können, wenn er die erzählerisch enthaltene Dialektik einer leidenschaftlichen Liebe und den schleichenden Wahnsinn auf sich selber und sein Leben überträgt.

Gerd-Peter Eigners ersten Gedichtband nahm sein Verlag (DVA) 1979 aus dem Programm, weil der Autor der Zensur nicht nachgeben wollte. Die Gedichte erschienen unter dem Titel Mammut kurz vor Eigners Tod in einem kleinen Verlag mit dem Namen Palm Art Press. Aus diesem Band hätte ich zum Schluss noch das Gedicht Geliebte, um zu zeigen, dass die sexbesessenen Frauen auch in Eigners Lyrik auftauchen:

Als sie von ihrer Kindheit sprach
sprach sie von Igeln und Schwänen
vom Eis auf dem See
und vom Berg
in dem ihr Vater verschwand
auch von Himmeln

Als sie von ihrer Jugend sprach
sprach sie vom Tisch
der in ihrem Zimmer stand
und schreckliche Spuren trug
von ihrer Lust
sich an dessen Kante zu reiben

Als sie ihrem ersten Mann folgte
in den afrikanischen Busch
litt sie unter der Hitze
die sie zu bekämpfen wußte
in den Armen
des Hauspersonals

Als sie dann auf mich stieß
sprach sie von Männern
die sie bediente
wenn ich nicht da war
es machte mich rasen
besonders dafür liebte sie mich

Als sie mich verließ
kratzte ich Rinde von den Bäumen
des Parks
fraß Erde
spie Galle und Blut
und verendete nicht

Da die Gerd-Peter Eigner Seiten im Internet leider alle verschwunden sind, möchte ich habe zum Schluss doch eine kleine Stilprobe geben. Und einen Satz aus seinem Roman Brandig zitieren. Es ist ein langer Satz, der so endet wie der erste Absatz dieses Post.:

"Dass eine Frau, der ich gesagt habe, dass ich sie etwas fragen möchte, aufspringt von ihrem Stuhl, mit herzzerreißender Stimme "Nein!" schreit, mich mit weit aufgerissenen Augen anstarrt und unmittelbar darauf wie geistesabwesend hinzufügt: "Was haben Sie gesagt?" um sich mit energischem Schulterschwung abzuwenden, in die Küche zu stürzen, hinter der Küchentür zu verschwinden, mich so sitzen zu lassen, wie ich da sitze, mich warten, das Pfeifen eines Teekessels abwarten zu lassen, um mit dem Teekessel wieder hervorzutreten hinter der Tür, auf einer Küchenanrichte kochendes Wasser in eine Kanne zu schütten, den Teekessel zurückzutragen hinter die Tür, mit der von der Anrichte gehobenen Kanne in der Hand durch den Türrahmen auf mich zuzutreten, Tee durch ein zierliches Schwenksieb, in dem sich die schwarzen Blätter fangen, in eine zweite schon auf dem Tisch stehende Kanne zu schütten, die leere dann aber zurückzutragen in die Küche, wiederzukehren und vor meinen Augen mit einem Streichholz das Wachslicht in einem friesischen Stövchen aus durchbrochenem Messingblech zu entzünden, mich dabei lange eindringlich anzuschauen, das brennende Streichholz aber weiter zwischen Daumen und Zeigefinger zu halten, plötzlich dann die Hand hoch in die Luft zu reißen, das Streichholz also fallen zu lassen, um die herabsinkende Hand so im Herabsinken anzupusten, als pustete sie eine Flamme zwischen Daumen und Zeigefinger aus, und schließlich die volle Teekanne, auf die sie noch einen kleinen Deckel gesetzt hat, gedankenversunken neben das Stövchen auf den Tisch zu stellen, so dass ich, von der unerträglichen Dauer der Wahrnehmung geschwächt und schon im Glauben, alles sei so, wie ich es wahrgenommen habe, ganz außer mir und insofern in der allerbesten Ordnung der Dinge, so dass ich nahe daran bin zu weinen: das - so etwas - vergisst man nicht.

1 Kommentar:

  1. Wie gut, daß es diesen Ihren Text gibt, den ich soeben erst gefunden habe. Ein kurzer Hinweis, der Sie, hoffe ich, interessieren wird: Gerd-Peter Eigners nachgelassener ich nenne ihn einmal "Werdensroman" "Der blaue Koffer" ist. herausgegeben von Christoph Haacker und mir, soeben im Arco Verlag erschienen. Falls hier ein Link funktioniert: https://www.arco-verlag.com/buecher/titel/145-der-blaue-koffer.html
    Unbekannter weise grüßt:
    ANH
    dschungel-anderswelt . de

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