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Samstag, 20. März 2021

Gilberte de Courgenay


Ich hätte den Post heute einfach nur Gilberte genannt, denn ich hatte über Prousts Gilberte geschrieben. Die Tochter von Charles Swann und Odette de Crécy, in die sich der kleine Marcel verliebt. Der Post war schon zu gut wie fertig, aber dann kam mir diese andere Gilberte dazwischen, diese Gilberte Montavon, die 20. März 1896 in Courgenay geboren wurde, und die jeder in der Schweiz als die Gilberte de Courgenay kennt. Weil jeder in der Schweiz das Lied La petite Gilberte de Courgenay kennt, das die Militärmusiker Robert Lustenberger und Oskar Portmann im Winter 1915/16 geschrieben haben:

Bi Prunterut im Jura, da het e Wirt es Huus. 
Da luegt es Meitschi alli Stund drymal zum Pfeister uus. 
Und fragscht du denn d'Soldate, wer echt das Meitschi sei, 
da lüpft es jedem Schwyzerbueb sys Herz und au sys Bei:
C'est la petite Gilberte, Gilberte de Courgenay. 
Elle connaît trois cent mille soldats et tous les officiers! 
C'est la petite Gilberte, Gilberte de Courgenay. 
On la connaît dans toute la Suisse et toute l'armée!

Das ist nur die erste Strophe des Liedes, den ganzen Text finden Sie hier. Die Schweiz ist im Ersten Weltkrieg zwar neutral, aber man fürchtet sich davor, dass die Franzosen einmarschieren. 700 Kilometer Grenze sind zu bewachen, die Milizsoldaten leisten Dienst für fünfhundert Tage, eine Verdienstausfallentschädigung gibt es nicht. Der Dienst ist schwer zu ertragen, mit Unterbringung und Verpflegung liegt vieles im Argen. Aber jetzt kommen die Schweizer Frauen. Wie zum Beispiel Else Spiller, die den Schweizer Verband Soldatenwohl organisiert. Die Mitarbeiterinnen in den alkoholfreien Soldatenstuben hießen Soldatenmütter, sie wurden angewiesen, dass sie wie ein Soldat treu und gewissenhaft zu Ihrer Pflicht zu stehen haben. Sie leisten gewissenhaft ihre Pflicht, aber das Recht zu wählen, das haben sie nicht. Weder Else Spiller noch eine von den vielen Soldatenmüttern.

Als der Krieg beginnt, ist Gilberte Montavon achtzehn Jahre alt, sie ist Kellnerin im Bahnhofshotel von Courgenay. Das Hotel gehört ihren Eltern, und die Schankstube ist jeden Abend voll, weil hier viele Soldaten stationiert sind. Und die Gilberte ist nett zu allen. Sie wird schnell zu einem Idol der Soldaten: Elle connaît trois cent mille soldats et tous les officiers! C'est la petite Gilberte, Gilberte de Courgenay. On la connaît dans toute la Suisse et toute l'armée!

Wenn der Krieg zuende ist, braucht man die Frau, die der Volkssänger Hanns in der Gand auf Schallplatten besingt, immer noch für die Geistige Landesverteidigung. Sie wird die Heldin eines Singspiels (vierhundert Aufführungen 1939) und eines sentimentalen Romans von Rudolph Bolo Mäglin, der 1941 als Gilberte de Courgenay verfilmt wird. Da spielt Anne-Marie Blanc die Gilberte, und die ist jetzt keine einfache Kellnerin mehr, jetzt ist sie zu einer Soldatenmutter geworden, das Ideal der Frau in der Schweizerischen Geistigen Landesverteidigung, eine patriotische Kultfigur. Ich habe hier eine kleine Szene aus dem Film, in dem die Soldaten das Lied C'est la petite Gilberte, Gilberte de Courgenay singen. Emotional, rührend (man könnte die Szene mit der Marseillaise Szene aus Casablanca vergleichen), aber es ist ein Propagandafilm (wie auch Casablanca). Nur da ist die Welt so heil. Als Gilberte Montavon 1957 in Zürich stirbt, haben die Schweizer Frauen immer noch kein Wahlrecht.

1 Kommentar:

  1. Die bezüglich Stimmrecht etwas zwiespältige Geschichte der Gilberte ist gut wiedergegeben. Noch eine kleine Ergänzung zu Hanns in der Gand (eigentlich Ladislaus Krupski- ursprünglich polnischer Vater...): Während des zweiten Weltkriegs versuchte die Armeeleitung zu verhindern, dass die (deutsch)schweizer Soldaten Nazilieder aus Radio etc. übernahmen. Man schuf ein eigenes Soldatenliederbuch, dessen Lieder unter anderen von Hanns in der Gand populär gemacht wurden. Es gab eigentliche Singstunden in den Kompanien, geleitet etwa vom legendären "Gefreiten Schreiber". Neben alten und neukomponierten deutschen Liedern wurden bewusst auch französische und italienische Lieder geübt - und gesungen. Das hatte natürlich ein Propagandagerüchlein wie ja auch der Film über die Gilberte. Aber angesichts des gewaltigen psychologischen Drucks, der damals auf den Menschen in der Schweiz lastete, war es wohl eine sinnvolle Sache.

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