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Mittwoch, 28. April 2021

Kohlenpott

Die amerikanische Schauspielerin Ann-Margret wird heute achtzig, ich erwähne das nur, um zu zeigen, das ich weiß, wer sie ist. Denn vor zehn Jahren hat sie mit Ann-Margret hier schon einen Geburtstagspost bekommen. In dem auch das Photo zu sehen ist, wo sie ohne Höschen in Vietnam auftritt. Ich brauche für den Post, der Kohlenpott heißt, aber heute ein ganz anderes Geburtstagskind. Nämlich den Franzosen Yves Klein, der hat auch schon einen Post. Der Künstler, den man auch Yves le monochrome nannte, ist berühmt geworden, weil er (immer elegant im dunklen Anzug) nackte Frauen blau bemalt hat. Das Ultramarinblau hatte er sich als International Klein Blue (IKB) patentieren lassen. Ich weiß nicht, ob sie sich in Gelsenkirchen heute noch an ihn erinnern. Sollten sie aber, denn Spuren seiner Arbeit sind hier immer noch zu sehen. 

Denn 1958, da hat er das Gelsenkirchener Musiktheater blau ausgemalt. War zuerst ein Gelsenkirchener Skandal, ist aber heute vielleicht der schönste Platz von Gelsenkirchen. 1958 war auch das Jahr, in dem Schalke 04 zum letzten Mal deutscher Meister wurde. Vielleicht hätten sie in diesem Jahr statt ihrer königsblauen Trikots mal Trikots in dem ultramarinblauen Yves Klein Blau tragen sollen, dann wären sie vielleicht nicht abgestiegen.  

Der Fußballclub Gelsenkirchen-Schalke 04 e. V gehört zu den Gründungsmigliedern der Bundesliga, abgestiegen sind sie aber schon mehrere Male. Sie hatten immer wieder ihre Helden. Der Flankengott aus dem Kohlenpott Rüdiger Abramczik ist gerade fünfundsechzig geworden. Einen Flankengott hatten sie schon mal bei Schalke, das war Stan Libuda, der schon in dem Post über Erwin Kostedde erwähnt wird. 1904 hieß der Verein noch Westfalia Schalke und spielte in rot und gelb, die blauen Vereinsfarben haben sie erst seit 1913. 

Es gibt Yves Klein in Gelsenkirchen. Es gibt Kultur im Kohlenpott, also außer dem Absingen von Glück auf, der Steiger kommt; abgesehen von Jürgen von Manger, Schimanski, Herbert Grönemeyer und Rudolf Schock. Und der Krupp StiftungKultur durch Wandel, Wandel durch Kultur lautet das Motto der Ruhr. 2010, die das Ruhrgebiet als Kulturhauptstadt Europas präsentierte. Wir müssen einmal ein wenig in der Zeit zurück gehen. Im Jahr 1931 gab der Journalist Georg Schwarz mit seinem Buch Kohlenpott: Ein Buch von der Ruhr die erste umfassende Bestandsaufnahme der Region. Es ist, wenn man so will, eine klassenkämpferische Reportage über die Arbeits- und Lebensbedingungen im Ruhrgebiet in den dreißiger Jahren. Das Buch war bei Büchergilde Gutenberg erschienen, deren Mitarbeiter der Autor war. Es ist 1961 wieder aufgelegt worden. Für eine Erstausgabe muss man heute schon hundertfünfzig Euro auf den Tisch legen, aber Sie können das Buch hier kostenfrei lesen. Allerdings ohne die Photographien, die dem Original beigegeben waren.

Georg Schwarz hat in seinem Buch auch ein Kapitel, das Das Ruhrproletariat dichtet heißt, er läßt kein Thema aus, das ist verdienstvoll. Er hebt hier besonders den Arbeiterdichter Erich Grisar hervor, der sich später auch als Photograph einen Namen machte. Ich nehme mir heute von ihm zwei Gedichte. Das erste heißt Großstadtmädchen und es findet sich in einem Gedichtband, der Gedichte vom Kampf mit Not und Tod heißt und 1926 erschien:

Nach Herrenart das Haar geschnitten,
À la garçonne den Nacken ausrasiert,
Ein Lachen auf gefärbten Lippen,
Wie es der Gleichmut nur gebiert;

So wirst du sie in Warenhäusern
Seh’n Tag für Tag mit bleichem Angesicht,
Wo sie an grauen Ladentischen
Am kargen Unterhalt erfüllen ihre Pflicht.

Und ist nur selten unter ihnen
Eine, die, wenn der Läden Tor sich schließt,
Der Sonne letzte gold’ne Strahlen
Drauß’ irgendwo in Wald und Feld genießt.

Die andern all’ gar bald verschwinden
In Kaffeehäusern, um in Tabakrauch
Des Tages Mühen zu vergessen
Und, die sie stets betrog, die Jugend auch.

Und später dann, wenn der Laternen
Fahlgelbes Licht die Finsternis durchdringt,
Siehst du sie geh’n mit irgend einem,
Der sie um süßen Lohn nach Hause bringt.

In gleichem Tun entschwindet ihnen
So Tag um Tag ein Stück vom Jugendland,
Bis sie, an Leib und Seele krankend,
Das Schicksal in das Joch der Ehe spannt.

Ich habe noch ein zweites Gedicht, Platzanweiserinnen im Kino, 1931 in dem Band Bruder, die Sirenen schrein erschienen. Das habe ich ausgewählt, weil ich dann noch einen kleinen Ausschnitt von Edward Hoppers Platzanweiserin in einem New Yorker Kino zeigen kann. Wenn Sie dann noch mehr von Erich Grisar lesen wollen, dann kann ich Ihnen auch das hier anbieten: die Nyland Stiftung hat 2012 das ganze Erich Grisar Lesebuch ins Netz gestellt.

Platzanweiserinnen im Kino

Mit kleinen Lampen, die wie Sterne
aufflammen, tasten sie sich durch den Raum
und führen jene, die nach einem Traum,
nach wilder Jagd und fremder Ferne,

nach großem Schicksal sich verzehren,
zu ihrem Platz und lassen sie allein,
indessen sie das flinke Bein
schon wenden, um zurückzukehren

zur Tür, von wo den nächsten sie geleiten
durch diesen Raum, der ihnen wie ein Bergwerk ist,
so dumpf und dunkel, daß man schnell vergißt,
daß Herzen sind, die von den Zärtlichkeiten

der weißen Wand gepackt, wie Purpur glühen.
Für sie ist das nur eine Wand,
mit totem Leinen überspannt;
mag auch der Lotos auf der Leinwand blühen

und fernster Himmel ihren Händen
ganz nahe sein, sie wünschen nur,
daß sie von ihrer Jugend eine Spur
und über sich den echten Himmel fänden.




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