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Mittwoch, 11. August 2021

Don Giovanni in Salzburg


Das hier sind Zerlina und Don Giovanni. Gleich wird er Là ci darem la mano, Là mi dirai di sì, Vedi, non è lontano, Partiam, ben mio, da qui singen. Vom Schnürboden hat man schon eine Kutsche heruntergelassen. Dabei braucht man die doch eigentlich nicht, denn es ist ja nicht lontano. Man könnte ja auch das Luxuscoupé nehmen, das vorhin noch auf die Bühne krachte, aber das ist jetzt weg. Was das rote Seil soll, das an ein Bühnenbäumchen gebunden ist, weiß ich nicht. Wahrscheinlich hat das was mit irgendwelchen BDSM Fesselspielchen zu tun. 

Hinter der auf dem Boden sitzenden Zerlina liegt eine nackte junge Frau, die sich lasziv räkelt (auf diesem Photo kann man das noch besser sehen). Wir fragen uns, ob das dieselbe nackte junge Frau ist, die am Anfang der Oper von links nach rechts über die Bühne gerannt ist. Gleich nachdem die Ziege von links nach rechts über die Bühne gelaufen ist. Also, bevor das Luxusauto auf die Bühne gefallen ist. Es fällt viel auf die Bühne, Basketbälle, ein Rollstuhl, ein Klavier. Der italienische Regisseur Romeo Castellucci mutet dem Zuschauer einiges zu.

Man kann das nicht so genau erkennen, was das für ein Auto ist, das da aus dreißig Metern auf die Bühne kam. Vor der Bühne ist ein hauchdünner Gazevorhang, der alles etwas milchig und unscharf aussehen lässt. Ist natürlich auch gut gegen Coronaviren (für Zuschauer herrscht Maskenpflicht). Ich fragte einen Freund, der normalerweise in einem Spielfilm sofort jedes auftauchende Automobil identifizieren kann, aber der wusste es nicht. Tippte aber auf einen Bentley. Auf den Bentley Continental R hatte ich auch getippt, also schrieb ich Keith eine E-Mail, weil ich weiß, dass der mehrere Bentleys hat. Es könne ein Continental sein, antwortete er, er hätte leider keinen, aber er hätte einen Azure, der sei so ähnlich gebaut. Schön, dass wir das mal geklärt haben.

Nicht nur Zerlina hat ein nacktes Double, auch Donna Elvira bekommt eine nackte Frau zur Seite gestellt. Und dann muss sich Zerlina, gespielt von Anna Lucia Richter (die hier schon einen Post hat) auch noch ausziehen. Naja, Strumpfhose und BH darf sie anbehalten, wenn sie Vedrai carino singt. Sie strahlt dabei so viel Erotik aus wie eine ELBEO Nylonstrumpf Reklame aus den fünziger Jahren. Und dann füllt sich die Bühne mit mehr oder weniger nackten Frauen, einhundertfünzig Salzburgerinnen. Warum nicht tausendunddrei, fragt man sich. Wenn man ein bisschen bei den österreichischen Nudistenvereinen herumtelephoniert hätte, dann hätte man de mille e tre, von denen Leporello singt, bestimmt auf die Bühne bekommen. Die ist mit einer Tiefe von fünfundzwanzig Metern groß genug.

Einer der Höhepunkte der vierstündigen Materialschlacht von zweifelhaften Gags, ist der Auftritt von Don Ottovio (Michael Spyres), wenn er Dalla sua pace singt. In seltsamer Verkleidung, als norwegischer Polarforscher, mit einem Pudel an der Leine. Muss ich noch den überdimensionalen Photokopierer erwähnen, den Leporello braucht, um die Registerarie zu singen? Oder die kleine Ratte, die irgendwann auf die Bühne scheißt? Sie brauchen jetzt die Wiener Tierschutzbund nicht anzurufen, es ist eine handzahme Ratte, und sie hat eine Tierpflegerin hinter der Bühne. Die Ziege auch.

Das hier sind Donna Anna (in schwarz) und Donna Elvira. Das Rad der Kutsche, die zuvor noch über Zerlina und Giovanni schwebte, ist abgefallen, man hat es an die Wand gerollt. Weshalb auf dem Bild einer Dame von Petrus Christus eine schwarze Figur herumklettert, das weiß ich nicht. Vielleicht weiß Romeo Castellucci das. Vielleicht aber auch nicht. Jürgen Kesting schrieb in der FAZ: Ein Nachwort, aus Irritation, aus Verzweiflung, aus Zorn: Nach einem ästhetischen Terroranschlag wie dem mit dem Holzhammer inszenierten Salzburger 'Don Giovanni' ist es nicht leicht, die Gedanken zu ordnen oder zu sortieren. Ich habe die Aufführung, bei der die Einfälle und Pointen wie von Kartätschen abgeschossen wurden, in ihrem Verlauf zunehmend als Belästigung empfunden. Habe den Zwang, ein Dauer-Quiz von Bildern enträtseln oder mich über den faulen Zauber szenischer Kalauer amüsieren zu müssen, als Anmaßung verstanden. Mehr braucht man dazu kaum zu sagen. Was Castellucci anrichtet, ist nichts als die Mickymausisierung der Opernwelt.

Hier zertrümmert Don Giovanni mit einem Baseballschläger gerade eine auf dem Boden liegende Frauenfigur, das ist sicherlich auch irgendwie symbolisch. Irgendwie. Kommt auch nicht drauf an. Es hat lange gedauert, aber nun, langsam beginnt sie endlich, die öffentliche Entzauberung von Teodor Currentzis, schrieb Axel Brüggemann im Klassik Magazin Crescendo, und viele Kritiker stimmten ihm zu. Thomas Prochazka, der sogar die Namen der Tierpflegerinnen der Ziege und der Ratte kennt, schrieb in Der MerkerDiese Don Giovanni-Produktion ist nicht kontroversiell. Sondern einfach schlecht. 

Viel Lärm um nichts. Es ist vielleicht die teuerste Produktion von Mozarts Oper Don Giovanni, die es je gegeben hat. Aber Geld spielt in Salzburg keine Rolle. Die besten Karten kosten über sechshundert Euro und die Präsidentin der Salzburger Festspiele, Helga Rabl-Stadler, die jetzt nach sechundzwanzig Jahren aufhört, bekam 220.000 Euro im Jahr. Opern haben offenbar nichts mehr mit Musik zu tun, das sind Geldverbrennungsmaschinen. Thomas Prochazka fand die ganze Produktion degoutant: In der Armseligkeit seiner Bedürfnisse applaudierte ein Publikum Leistungen, die nicht einmal entfernt an die Hausmannskost des Wiener Staatsopern-Repertoires des letzten Dezenniums heranreichten. Es sei. — Doch daß kritische Beobachter solches ohne unmiß­verständ­liche Widerworte hinnahmen?

Die kleine Ziege muss ich auf diesem Bühnenbild der gewollt klassischen Architektur noch eben mal zeigen. Als Joseph Losey seinen Film Don Giovanni drehte, vertraute er auf die Wirkung der Villen von Palladio, ein bisschen Klassik möchte Romeo Castellucci auch haben. Bevor die Ouvertüre beginnt, sehen wir, dass dies einmal ein Kirchenraum war. Bauarbeiter nehmen ein Kruzifix von der Wand, das ein wenig nach Giotto aussieht und räumen den Kirchenraum für das monumentale Einheitsbühnenbild ratzekahl. Der Platz wird jetzt gebraucht, damit es Autos, Rollstühle und Basketbälle aus dem Schnürboden regnen kann.

Sie können die vierstündige Aufführung hier sehen. Wenn Sie wollen. Weil Sie die Ziege, die Ratte, die nackten Mädchen und das Auto sehen wollen. Ob es sich musikalisch lohnt, weiß ich nicht. Don Ottavio ist gut, Don Giovanni eher schwach. Man hat zwar viel Geld für die Dekoration ausgegeben, aber die großen Namen der Opernwelt, die hat man in Salzburg nicht auf der Bühne. Ich habe für Sie noch eine ganz andere Inszenierung, ist nur knapp drei Stunden lang, hier wird nichts gedehnt und zerfieselt. Man wünschte sich, es wäre länger. Es ist der Don Giovanni aus Aix-en-Provence aus dem Jahre 2017. Italienisch gesungen, französische Untertitel.

Kein Currentzis, kein Castellucci, keine großen Namen. Keine Ratten, keine Ziegen. Aber eine unglaubliche Spielfreude und Dynamik. Sie können an den Photos schon sehen, dass das Ganze ein klein wenig schräg ist, wahrscheinlich können das nur Franzosen. Mit deser frz. Flottigkeit, von der die Malerin Ida Gerhardi redete.

Meinen ersten Don Giovanni habe ich in Bremen gesehen, ist mehr als ein halbes Jahrhundert her. Damals fiel Leporello am Anfang der Oper von einer Leiter. Ich fand das einen ziemlich blöden Einfall. Ich wusste noch nicht, was das Regietheater für mich noch in petto haben würde.

1 Kommentar:

  1. Bei dem Wagen, der auf die Bühne fällt kann ich helfen. Es handelt sich leider nicht um einen Bentley (Brooklands), sondern vermutlich um einen Audi A4 (Audifelgen), der allerdings durch ein Bodykit verkleidet wurde. Man erkennt das in der Nahaufname sehr schön, weil der Lack extrem grobkörnig ist. Da das Auto beim Fall absolut keinen Schaden nimmt, und man im vorderen Radkasten von einer Seite zur anderen schauen kann, handelt es sich eher um eine leere Hülle als um ein richtiges Auto.

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