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Sonntag, 21. November 2021

Kurt Denzer ✝

Es war ein schöner Sommertag, wir alle standen in dem Saal der Alten Muthesisschule und warteten auf das Geburtstagskind. Die Vorbereitungen für das kleine Fest waren sehr geheim gewesen, er durfte nichts davon wissen. Ich trug meinen hellen Sommeranzug, den ich mir im Winterschlussverkauf gekauft hatte, als es draußen schneite. Er war sehr preiswert gewesen, italienische Sommeranzüge sind hier oben nicht so das Ding. Als Kurt, den man von Filmarbeiten im Norden des Landes unter einem Vorwand weggelockt hatte, in den Saal kam, war er wirklich überrascht. Beinahe alle, die seine Arbeit in den letzten Jahren begleitet hatten, waren da. Vertreter der Landesregierung lasen einen Brief des Ministerpräsidenten vor, da hätten sie eigentlich auch ein Bundesverdienstkreuz mitbringen können, die Verdienstmedaille hatte er ja schon. Es sollten eigentlich keine Reden gehalten werden, aber es wurden doch kleine Reden gehalten. Die schönste Rede hielt ein Landwirt aus Delve, wo Kurt den Film über den Reetdachbau Dack ut Delv gedreht hatte. Der Landwirt besaß großes komödiantisches Talent, hinzu kam, dass er das Ganze auf Plattdeutsch vortrug. Das war der siebzigste Geburtstag von Kurt Denzer, er hat mir später eine DVD mit Photos geschickt, aber die hätte ich nicht gebraucht, ich habe keinen Moment von dem Tag vergessen. Die plattdeutsche Rede auch nicht.

Dem Staatssekretär, der 1986 so viel an Kurt Denzers Film Die Welt der Wikinger zu bemängeln hatte, hatte es nicht gefallen, dass kein Deutscher, sondern ein Däne Haithabu entdeckt hat: Und so wurde ich von der Regierung Barschel aufgefordert, im Film deutlich werden zu lassen, dass die versunkene Wikinger-Siedlung von einem schleswig-holsteinischen Schulmeister wiederentdeckt wurde. Mein Einwand, der erste Hinweis auf Haithabu stamme von dem Dänen Sophus Müller, wurde mit der Anordnung quittiert, 'da reicht ein Anruf von uns, das war so…'. Hatte der Staatssekretär bei diesen Gedanken den Lehrer Conrad Engelhardt im Kopf, der im 19. Jahrhundert das Nydam Boot (heute im Schleswiger Landesmuseum in Gottorf) ausgegraben hatte? Man weiß es nicht, aber es ist doch eher unwahrscheinlich, dass die Bildung eines Politikers aus dem Kabinett Barschel bis zu Conrad Engelhardt reicht. Die Bildung der schleswig-holsteinischen Kultusminister reichte ja nie sehr weit. Conrad Engelhardt war zwar Lehrer an einem deutschen Gymnasium, aber im übrigen war er Däne wie Sophus Müller.

Kurt Denzer tat, wie ihm geheißen. Er fand, wir sollten besser sagen, er erfand, einen schleswig-holsteinischen Landschullehrer namens Harm Harmsen und präsentierte ihn der Regierung. Nicht ohne dezent darauf hinzuweisen, dass dieser Harmsen selbst dem berühmten Herbert Jankuhn entgangen war. Dr Denzers damaliger Brief an die Landesregierung war ein Meisterwerk der Satire. Als er bei der Geburtstagfeier von Hartmut Kunkel, einem Kollegen aus Kurts Zeit an der Holstenschule in Neumünster, vorgelesen wurde, erheiterte er den ganzen Saal. Kurts Film über die Wikinger erhielt übrigens 1986 beim Festival International du Film d'Art et d'Archéologie in Brüssel den ersten Preis und bekam in Paris beim Festival du Film Archéologique den Spezialpreis der Jury.

Er wollte mit siebzig aufhören, aber er hörte nie auf. Damals hat Helmut Schulzeck ihn interviewt, das Interview steht im Internet. Wenn man das liest, dann kennt man den Filmemacher Denzer schon ganz gut. Ich habe vor elf Jahren hier den Post Kurt Denzer: Cinearchea geschrieben, er wird auch in dem Post Satyrspiel erwähnt. Und in dem Post Haithabu kommt er natürlich vor, denn Haithabu ohne Kurt Denzer geht gar nicht. Der Haithabu Post hatte ihm gut gefallen, er schickte mir gleich seinen neuesten Film zu dem Thema vorbei. Ich schreibe heute über ihn, weil er gerade im Alter von zweiundachtzig Jahren gestorben ist. Vor zwei Monaten hatten wir noch miteinander telephoniert, er fragte mich etwas zögernd, ob ich etwas gegen einen Besuch einzuwenden hätte. Ich sagte ihm, Corona hin oder her, er solle einfach vorbeikommen. Dazu ist es nun leider nicht mehr gekommen.

Film war sein Leben, Oberhausen war für ihn nicht nur ein Name auf der Landkarte. Schon als siebzehnjähriger Schüler gewann er mit einem Kurzfilm den ersten Preis beim Lippischen Amateur Filmclub Wettbewerb. Er sollte für seine Filme noch zahlreiche Preise bekommen. Er hat Latein, Germanistik und Kunstgeschichte studiert, hat aber seine Dissertation über Film geschrieben: Untersuchungen zur Filmdramaturgie des Dritten Reichs. Wenn Sie den Titel anklicken, können Sie die ganze Arbeit lesen, weil die UB Kiel die Dissertation ins Netz gestellt hat. Zu seinem Doktorvater Karl Otto Conrady hatte Kurt bis zu dessen Tod ein sehr gutes Verhältnis, kein anderer Professor der Uni hätte eine solche Dissertation 1970 angenommen als Conrady, der einmal SPD Abgeordneter im Landtag war. Bei Conrady hatte Reimer Bull seine Doktorarbeit über Arno Schmidt geschrieben, auch das war damals eine kleine Sensation, in einer Zeit, an der die Uni eher von der akademischen Tristesse der Langweiligkeit beherrscht war. Aber Kurt musste immer etwas Neues wagen. Und diese Dissertation war etwas Gewagtes, die Philosophische Fakultät hatte wegen des politischen Themas Angst gehabt und einen dritten Gutachter bestellt.

Wir standen nebeneinander in der Kunsthalle, als Björn Engholm die Eröffnungsrede zu der Günter Grass Ausstellung hielt. Barschel hätte das nicht gekonnt, flüsterte mir Kurt zu. Das war sicher richtig, aber egal ob SPD oder CDU an der Macht war, Kurt hatte mit dem Kultusministerium zu kämpfen. Engholms Rede über die Zeichnungen von Günter Grass (der in einem weißen Leinanzug gekommen war und ein wenig aussah wie Mark Twain) war so etwas wie ein Signal für einen kulturellen Neuanfang im Lande. Engholm konnte nicht nur schön über Kunst reden, unter seiner Regierung gab es etwas, das unter Stoltenberg und Barschel unmöglich gewesen war: eine Förderung der Filmarbeit im Lande, dafür sorgte die Kultusministerin Marianne Tidick, die Kurt sehr schätzte. Nicht nur weil es Geld gab.

Nach seiner Zeit an der Holstenschule in Neumünster hat der Oberstudienrat Dr Kurt Denzer ein Vierteljahrhundert die Filmarbeit der Kieler Universität geleitet. Er mochte die Arbeit an der Schule, von der er jetzt Abschied nahm, um etwas ganz Neues zu beginnen: 1970 begann ich das Referendariat, und die Schule in Neumünster hat mir sehr viel Spaß gemacht. Als ich dann im nächsten Jahr, 1971, wieder nach Oberhausen kam, in einen Hasch geschwängerten Raum, man lag ja da zum Teil auf dem Boden, um die Filme zu sehen, da dachte ich, das ist nicht deine Welt. Ich dachte, der eigentliche Klassenkampf findet ja wo anders statt, nämlich in der Schule, und mir kam das da beim Festival wie Kinderkram vor. Seitdem fuhr ich dann nicht mehr nach Oberhausen. Kurt leitete nun die Filmarbeit des Studentenwerks, gründete Kommunale Kinos (wie das KoKi Kiel in der Pumpe), und die LAG Film wäre ohne ihn ärmer gewesen. Das hat Ulrich Ehlers von der Landesarbeitsgemeinsschaft Jugend und Film zu Kurts fünfundsechzigsten Geburtstag gewürdigt, die schöne Würdigung seiner Arbeit steht glücklicherweise auch im Netz. Mein Lieblingsfilm unter Kurts Dokumentarfilmen heißt Floret Academia (der musste natürlich einen lateinischen Titel haben, weil Kurt Latein studiert hat), ein Film über die Dreihundertjahrfeier der Christian Albrechts Universität. Frech, despektierlich, schnell geschnitten. Der Film eines 68ers, obgleich es das Jahr 1968 noch gar nicht gab. Man sollte den endlich mal ins Netz stellen.

Berühmt geworden ist er für die Gründung der Cinarchea und seine Wikinger Filme, die er im Auftrag des Landes für das Wikinger Museum in Haithabu gedreht hat. Jahrzehntelanger Kampf eines auteurs mit den Geldgebern von der Kultusbürokratie. Da gibt es schreiend komische Anekdoten, und ich hatte gehofft, dass er endlich mal seine Memoiren schreiben würde. Vor fünf Jahren hat er mit A propos Haithabu … noch Fragen? ein kritisches Resüme seiner Arbeit vorgelegt. Er hat den kleinen Film eine Travestie genannt, das hat nun wieder etwas mit Harm Harmsen und dem Versuch der Geschichtsklitterung durch die Landesregierung zu tun.

Es ist traurig, diesen Nachruf schreiben zu müssen, und das auch noch am Totensonntag. Aber ich weiß, dass jeder, der Kurt gekannt hat, ihn nicht vergessen wird. Seine Kollegen aus der Zeit in Neumünster schrieben gestern in ihrer Traueranzeige: Seinen Schülerinnen und Schülern war er ein Lehrer, der ihnen den Weg in eigenständiges, kritisches Denken und in eine demokratisches Lebenshaltung wies. Uns, seinen Kolleginnen und Kollegen, war er ein gradliniger, offener, herzlicher Kollege und Freund, der unsere Treffen mit seiner Intelligenz, seinen Ideen und seinem Humor bereicherte. Wir werden Kuddel sehr vermissen.

Vor Jahren hat er mal im Urlaub die Schauspielerin Eva Mattes getroffen und sich nett mit ihr unterhalten. Als sie ihn fragte, wie er sie denn in ihrer Rolle als Klara Blum in den Bodensee Tatorten fände, hat er gesagt, dass er in seinem Leben noch nie einen Tatort gesehen hätte. Und dem entschuldigend hinzugefügt, er sei Filmemacher. Sie hat herzlich gelacht.


Zu Kurt Denzers achtzigstem Geburtstag hat Franz Obermeier von der Universitätsbibliothek Kiel alles zusammengetragen, was sich über den Filmemacher und Pädagogen im Internet und in anderen Quellen findet. Die Würdigung von Ulrich Ehlers findet sich da, das Interview von Helmut Schulzeck auch. Aber auch zwei Filmkritiken, die der Student Kurt Denzer für die Studentenzeitung Die Skizze geschrieben hat. Das über hundertseitige Werk ist auf der Seite von academia als PDF online gestellt.

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