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Montag, 11. April 2022

When the music's over, turn out the light

Vor zehn Jahren gab es hier den Post Tote Hasen, weil an dem Tag dreißig Jahre zuvor die Band Tote Hosen ihren ersten Auftritt in Bremen hatte. Angekündigt als Tote Hasen. Der Post erreichte erstaunliche Zahlen, was ich erst später merkte. Der Grund dafür war, dass Trini Trimpop den Post auf Facebook empfohlen hatte. Das stand Jahre später in dem Post ohne Dich. Vor fünf Jahren wurde die Band hier wieder in dem Post Straßensperrung erwähnt. Dies hier ist ein HiLo Blog, high und low. Die Popular Culture spielt hier immer wieder eine Rolle, ich habe meinen Leslie Fiedler gelesen. Ich nehme mir heute ein Gedicht, das etwas mit diesem Thema zu tun hat. Es ist von Rolf Dieter Brinkmann, einem Dichter, der auch immer wieder in diesem Blog vorkommt. Vor zwei Jahren habe ich sein Alleinsein ist kein Gedicht, das keinen Titel hat hier vorgestellt, ich hatte mir gedacht, das liest niemand. Aber es ist viele tausend Mal angeklickt worden.

Das Gedicht heute (leider nicht vollständig) heißt Vage Luft, es wurde zuerst 1972 in dem Band Satzbau: Poesie und Prosa aus Nordrhein-Westfalen (herausgegeben von Hans Peter Keller) veröffentlicht. Einzelne Sätze fanden sich schon ein Jahr zuvor in Brinkmanns posthum herausgegebenen Tagebuch Erkundungen für die Präzisierung des Gefühls für einen Aufstand. Es ist ein Gedicht aus der Zeit eines Umbruchs im Denken des Dichters, er wendet sich von der Pop Literatur ab: die ganze Rebellion mit Pop, Untergrund, den Leuten dort, den Linken usw. usw. und damit den verschiedenen Versuchen und Verhaltensweisen ist für mich vorbei. Und auch seine Übersetzungen neueren amerikanischer Lyrik verwirft er: Die USA-Dinger hätte ich gar nicht machen dürfen. Das schreibt er, als er in Rom in der Villa Massimo ist und sich neu erfindet. 

Er hatte in seiner Pop-Phase das wahrgemacht, wovon Leslie Fiedler in Cross the Border – Close the Gap gesprochen hatte: Out of the world of Jazz and Rock, of newspaper headlines and political cartoons, of old movies immortalized on T.V. and idiot talk shows carried on car radios, new anti-Gods and anti-Heroes arrive, endless wave after wave of them. […] In the heads of our new writers they live a secondary life, begin to realize their immortality: not only Jean Harlow and Marylin Monroe and Humphrey Bogart, Charlie Parker and Louis Armstrong and Lennie Bruce, Geronimo and Billy the Kid, the Lone Ranger and Fu Manchu and the Bride of Frankenstein, but Hitler and Stalin, John F. Kennedy and Lee Oswald and Jack Ruby as well; for the press mythologizes certain public figures, the actors of Pop History, even before they are dead – making a doomed President one with Superman in the Supermarket of Pop Culture, as Norman Mailer perceived so accurately and reported so movingly in an essay on John F. Kennedy.

Nach seinem Gedichtband Gras 1970 hatte Brinkmann gesagt, dass er keine Gedichte mehr schreiben würde, aber dann schrieb er doch wieder: Westwärts 1&2. Ein subjektives Buch, ohne Rücksicht auf die herrschenden literarischen Konventionen und es kann ebenso gut als ein zusammenhängendes Prosabuch, Gedichtbuch wie Essaybuch gelesen werden. Der Rowohlt Verlag hatte Brinkmann gezwungen, dreiundzwanzig Langgedichte und ein 89 Seiten langes illustriertes Unkontrollierten Nachwort zu meinen Gedichten wegzulassen. Die vollständige Ausgabe erschien zum dreißigsten Todestag des Dichters 2005:

Die Geschichtenerzähler machen weiter, die Autoindustrie macht weiter, die Arbeiter machen weiter, die Regierungen machen weiter, die Rock’n’Roll-Sänger machen weiter, die Preise machen weiter, das Papier macht weiter, die Tiere und Bäume machen weiter, Tag und Nacht macht weiter, der Mond geht auf, die Sonne geht auf, die Augen gehen auf, Türen gehen auf, der Mund geht auf, man spricht, man macht Zeichen … Die Gedichte, die ich hier zusammengestellt habe, sind zwischen 1970 und 1974 geschrieben worden, zu den verschiedensten Anlässen, an den verschiedensten Orten, ob sie gut sind? fragst Du. Es sind Gedichte. Auch alle Fragen machen weiter, wie alle Antworten weitermachen. Der Raum macht weiter. Ich mache die Augen auf und sehe auf ein weißes Stück Papier. Das Buch erschien bei Rowohlt wenige Tag nach Brinkmanns Tod in London.

Er war nach England gereist, um am Cambridge Poetry Festival teilzunehmen: Gerade habe ich nach England geschrieben wegen eines Cambridge International Poetry Festivals im nächsten Jahr, im April, wozu man mich eingeladen hat und wohin ich fahren werde und meine neuen Gedichte vortrage, eine hübsche Vorstellung für mich, meine Gedichte woanders vorzulesen als hier, schreibt er 1974 an einen Freund. Es gibt einen Mitschnitt von seinem Auftritt in Cambridge. Er hat ein Vorausexemplar von Westwärts 1&2 und liest daraus Sommer (eine freie Übesetzung von John Ashberrys Summer) und Rolltreppen im August. Michael Hamburger hatte ihn dem Publikum vorstellt. Brinkmann spricht schnell und gehetzt, es ist kein gutes Englisch: My name is Rolf Dieter Brinkmann. I'm coming from Cologne. Cologne is a dark, industrial city. There is very little poetry in it, every day. And that perhaps makes my poetry very simple, the beautiful simplicity is a dream. This dream can't happen. [...] I think that poems are not much necessary today, as one believes. Because there are so much easier and lovelier things to do, every day. For example, I've never been fucked with a poem. And when the poem ends, what's happening then? Really, what's happening then, when the poem ends? It's just like as in a ruling rock'n'roll song, by Jim Morrison, who said: When the music's over, turn out the light.

Den ersten deutschen Pop-Autoren hat man ihn genannt. Er wollte nicht mehr schreiben, er hat sich mit all seinen Freunden verkracht, seine Frau Maleen will sich scheiden lassen. Aber jetzt schreibt er doch wieder. Die ganze Popscheiße hat er hinter sich gelassen. Also mit einem Gedicht wie diesem:

In der Tageszeitung steht die Nachricht
vom Tod des Sängers Jim Morrison, USA, der
in einer Badewanne in Paris gestorben ist

und dem ich gern zugehört habe, Otis
Redding schon lange tot, Jimi Hendrix
an der eigenen Kotze erstickt und Brian

Jones schwimmt kühl und ohne Gefühl
im Planschbecken seines Landhauses. Das
ist das elektronische Zeitalter. Der

Schmerz wird auf sechzehn Spuren
verzerrt, die Schizophrenie ist eine
Sache des Gehörs. Was mich betrifft
nicht.

Ich stecke mir Ohropax ins Ohr, um die
Gegenwart des 20. Jahrhunderts ertragen
zu können. Das nennt man die persönliche
Flucht.

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