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Samstag, 8. April 2023

Emsland


Frisia non cantat, hat Tacitus gesagt. Er soll wohl die Holländer gemeint haben. Vielleicht auch Ostfriesland und das Emsland. Nordfriesland auf keinen Fall. Hier oben wird gesungen und gedichtet. Das können Sie schon dem Post Frisia non cantat entnehmen. In meiner Heimatstadt Bremen gibt es auch viel Literatur, das wissen Sie, weil ich häufig über Bremer Autoren schreibe. Noch mehr als bei mir findet sich in dem gerade beim immer rührigen Wallstein Verlag erschienenen Buch Diese Stadt ist echt, und echt ist selten. Ein ganzes Buch über Bremen (und Bremerhaven) in der Literatur. Aber je weiter wir über die Weser nach Westen gehen, desto weniger haben wir an Literatur. Gut, es gibt da Klaus-Peter Wolf, der den Ostfrieslandkrimi erfunden hat, der sich millionenfach verkauft, aber ist das richtige Literatur?

In der Mitte des 19. Jahrhunderts gibt es im Emsland einen Literaturstreit, den der Leutnant Georg Adolph von Düring begonnen hatte. Der hannöversche Offizier war im Dezember 1852 von Osnabrück nach Aurich verlegt worden war, und Aurich war für ihn so etwas wie Sibirien. Zum Silvesterabend rezitierte er ein selbstgeschriebenes Spottgedicht, das sich ein wenig an Goethes Kennst Du das Land anlehnt: 

Wer kennt das Land nicht, wo der Torf die Erde.
Und arger Nebel stets den Himmel deckt?
Wer kennt das Land nicht, das bei deinem ‚Werde!‘
Der Herrgott selber erst zuletzt entdeckt?

Wer kennt das Volk nicht, das bei seinen Rindern
Selbst ochsenartig aufgewachsen ist?
Wer kennt das Volk nicht, das den kleinen Kindern
Statt Milch den Fusel in den Rachen gießt?

und das geht mit den Beleidigungen so weiter, bis es mit den Strophen endet:

Und sollte unser Herrgott jemals wagen.
Nach Friesland aus dem Himmel sich heraus.
Wahrscheinlich wär's, er würde totgeschlagen,
Doch ganz gewiss, man würfe ihn hinaus.

Des Lebens Komfort findet hier sein Ende.
Kein Luxus hat bis hierher sich erstreckt.
Hier hat noch nie naturgeformte Hände
ein üpp'ger Handschuh keck und frei bedeckt.

Ein Kamm ist Fabel; man betrachtet Seife
Als Sage einer unbekannten Welt.
Von fremden Sachen hat sich nur die Pfeife
Und nur der Schnaps zum Friesenvolk gesellt


Der Text (hier das ganze Gedicht) wird am Abend mitgeschrieben, erscheint Wochen später im Norder Stadtblatt, der Skandal ist da. Fünf Jahre später wird der Lehrer Hinrich Leerhoff unter dem Pseudonym Arminius Teut das Gedicht Ein Ostfriese an den Nichtostfriesen veröffentlichen:

Und der Himmel soll bedeckt sein (wie du sagst) mit stetem Nebel? 
Freilich wer im Kopf voll Nebel, sieht auch um sich nichts als Nebel. 
Doch wer Augen hat zu schauen, sieht auch über Frieslands Auen 
Wie in allen deutschen Landen, lieblich klar den Himmel blauen.“

Na ja, große Dichtung ist das nicht unbedingt. Unser Leutnant von Düring wird noch Karriere machen, er wird Flügeladjutant des Königs und Anführer der Welfenlegion werden. Und mit richtiger Dichtung wird er sich auch noch beschäftigen. Er wird erstaunlicherweise in den 1880er Jahren das ganze Werk von Geoffrey Chaucer ins Deutsche übersetzen. Der Major von Düring hatte eine Engländerin geheiratet, aber wo er sich die Kenntnisse des Mittelenglischen angeeignet hat, weiß niemand. Seine Übersetzung der Canterbury Tales ist 2016 wieder aufgelegt worden. Das letzte Wort in der Emsland Dichtung wird der Bauernsohn Heinrich Lüken haben, der um 1860 herum eine Emslandhymne schreibt:

Mein Emsland will ich ehren
Wo ich auch immer bin
Die Äcker sind voll Ähren
Die Wiesen sind so grün,
Und durch die grüne Au
Die Ems fließt himmelblau
Mein Emsland will ich ehren
Wo ich auch immer bin

Das geht jetzt so weiter. Den vollständigen Text finden sie hier. Die Baronin Gertrud von Brockdorff schreibt 1919 in ihrer Kieler Dissertation Die Heimathymnen der preußischen Provinzen und ihrer Landschaften: Eine literarische Charakteristik über Lükens Lied: Seiner Entstehung nach fällt es in die sechziger Jahre und muß damals bereits im Emslande allgemein verbreitet gewesen sein. Noch heute wird es dort häufig gesungen, obwohl es Gedankenarmut mit Mangel an poetischem Empfinden vereint und nach dem konventionellen Schema Landschaft, Volk und Erzeugnisse der besungenen Gegend abhandelt.

Für das Emsland gibt es noch keine Literaturgeschichte wie das schöne Buch über Bremen und Bremerhaven, aber Literatur haben sie da auch. Maria Mönch-Tegeder wurde heute vor 120 Jahren im Emsland geboren, das Centrum für Niederdeutsch der Universität Münster versichert uns, dass sie eine bedeutende regionale Dichterin war. Aber ich habe im Internet nur eins ihrer Gedichte gefunden:

Emsland, du altes Land auf neuen Wegen!
Einst säumte Ruhe den vergess´nen Pfad.
Heute eilt dir eine off´ne Zeit entgegen:
Motore furchen Äcker für die neue Saat.

Emsland, du altes Land mit neuen Türmen!
Drin sich der Bohrer in die Moore dreht.
Das Land gibt Öl und Brot, und nach den Stürmen
Auch Hof und Heimatstatt denen, die vom Krieg verweht.

Emsland, du altes Land mit neuen Maßen!
Nun formt und fördert Technik deinen Raum.
Weltlautes Leben kommt auf schnellen Straßen,
Doch laden stille Inseln noch zu Rast und Traum.

Emsland, du altes Land am neuen Ufer!
Gebändigt Wasser netzt den grünen Strand.
Im jungen Buschwerk nisten schon die Rufer
Und locken froh den Wand´rer: „Komm ins neue Land!

So richtig doll ist das auch nicht. Wenn ich es richtig sehe, steht zur Zeit Sandra Lüpkes im Mittelpunkt der emsländischen Literatur, die schreibt alles (auch ein halbes Dutzend Drehbücher für Wilsberg), aber leider keine Gedichte. Wenn Sie sie kennenlernen wollen, dann klicken Sie dies mal an.

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