Seiten

Samstag, 21. Oktober 2023

Uwe Greßmann


Ich habe schon in dem Post zum 3. Oktober erwähnt, dass ich auf den Berliner Dichter Uwe Greßmann durch meinen Onkel Karl gekommen bin. Darauf möchte ich noch einmal eingehen. Greßmann hatte den Krieg noch als Kind erlebt, Karl als junger Soldat. Wie viele sind mit völlig zerfledderten Büchern aus dem Krieg zurückgekommen? Büchern, die ihnen etwas bedeutet haben. Mein Onkel Karl hat mir erzählt, dass er beim Offizierslehrgang in Holland ein wunderhübsches Meisje kennengelernt hatte. Verliebt wie er war, wusste er aber doch, dass es hier im Krieg keine Hoffnung für diese Liebe gab. Andere seiner Kameraden hatten nicht dieselbe Zurückhaltung. Zu der Zeit schenkte ihm ein Freund, der abreisen musste, weil er den Lehrgang nicht bestanden hatte, ein Buch mit Hölderlins Gedichten. Es hat ihm, auf einer geistigen Ebene, über die letzten Kriegsjahren und die schweren Kriegsverletzungen hinweggeholfen. Als er seine Famlie in Berlin in einer völlig zerschlissenen und zerrissenen Uniform erreichte, hatte er den Hölderlin Band immer noch bei sich in der Uniformtasche. 

Er hatte kurz nach dem Krieg eine Zusage als Steinmetz bei der Dombauhütte Köln, aber er konnte die Stelle nicht antreten. Er bekam keine Zuzugsgenehmigung. So studierte er in Berlin Bildhauerei: Wird einer Bildhauer, weil er besonders geeignet ist, oder weil ihn seine Jugend gewöhnt hat, auf Vorkommnisse des Daseins in bestimmter Weise zu reagieren? Erzieht die Arbeit an der Skulptur im Umgang mit der Welt? Er wird auch zeichnen und malen und schreiben. Auch Gedichte:

das grüne schilfhalmdickicht
in den wind gestellt
beschränkt den blick

gelassen neigen
die schäfte
vor dem übersteigen
der schwestern sich


Zu meinen Geburtstagen bekam ich von ihm eine Grafik oder ein Gedicht, geschrieben mit seiner schönen Handschrift, die schon ein kleines Kunstwerk war. Karl schrieb nicht nur Gedichte, er kannte auch Dichter. Den früh verstorbenen Uwe Greßmann hat er gekannt. Nach dessen Tod wird man ihn bitten, dem Dichter die Totenmaske abzunehmen. Was er getan hat, das steht in allen Berichten über Greßmanns Leben. Da wird auch die Größe der Maske angegeben. Und dass der Gips an manchen Stellen vergilbt ist. Der arme Greßmann hatte kein langes Leben gehabt:

Am Bett hielt
Mich jahrelang Krankheit
Gefesselt. Ich habe mir meine
Gedanken gemacht und
Geschaut in das Auge der Fremde.
Ich habe das Lager
Der Krankheit verlassen
Und habe auch damit
Die Lehrzeit beendet.
Ich werde von nun an
Bemüht sein, als reger
Geselle Erfahrung
Zu sammeln und möchte
Als Meister die Früchte
Des Lebens genießen
Die Achtung der Menschen
Und Einsicht in Fülle


Greßmanns hatte eine Kindheit in Waisenhäusern und bei Pflegeeltern, seine Mutter kümmerte sich nicht um ihn. Den Vater sah ich nie, die Mutter etwa drei Wochen; sonst lebte ich unter Fremden. Er hat über seine Eltern geschrieben:

Meine Mutter war
eine Rose.
Von Dornen hatte
Ich eine Wiege;
Und: verwelkte.
Mein Vater kam nicht,
Sie zu besuchen,
Als sie gebar.
Wo blieb er denn?

Volksschule, eine Lehre als Elektroinstallateur, dann kam die Tuberkulose, Gelegenheitsjobs. Eine Stellung in der Poststelle des HO-Gaststättenbetriebs Berlin. Was ihn am Leben hält, ist Lesen und Schreiben. Nicht nur Gedichte, er übersetzt auch aus dem Russischen und dem Ungarischen. Bücher sind jetzt sein Leben: Und kehre gerne ein ins Antiquariat; Und ich sehe zu euch zurück, Die ihr in den Jahrhunderten steht. Denn ich werde euch singen und mich, die kommende Zeit. Und was er schreibt, das erstaunt seine Umwelt: Er war sehr krank. Ich fand, daß er unheimlich schöne Gedichte geschrieben hatte ... Wenn er was von sich gelesen hat, hat keiner was gesagt, wir waren vor Ehrfurcht erstarrt, die Jungen und die Alten, hat Bettina Wegner gesagt. Sie hatte Greßmann im Lyrikclub Pankow kennengelernt. 

Über den Club hat der Dichter Peter Will geschrieben: Es war Nacht. Irgendwann Anfang 1969. Wir kamen aus dem Lyrikclub Pankow, Vinetastraße, wo, wie jede Woche, junge Leute ihre neuesten Gedichte vortrugen. Unter den Zuhörern Uwe Greßmann, der kerzengerade auf seinem Stuhl saß, die anderen überragend, aufmerksam zuhörte und gelegentlich kritische Anmerkungen machte, die den Texten gut taten. Wir kamen also aus dem Klub und gingen zur Straßenbahnhaltestelle Berliner Straße. Wir redeten eine Weile, wahrscheinlich über Kunst, Gedichte. Der Frühlingsbote lud mich ein, ihn in seinem Zimmerchen zu besuchen und an einem vereinbarten Tag seine Zeichnungen zu betrachten. Ich hatte diesen Wunsch geäußert. Die Straßenbahn kam. Er liebte die Straßenbahn, wenn er aus der Ferne hörte, wie sie um die Kurve fuhr. Aber jetzt war keine Kurve weit und breit zur Stelle. Die Straßenbahn konnte ihre Kunst nicht hören lassen 'In den Kurven spielen Straßenbahnen Geige'. Es war das letzte Mal, dass ich Uwe Greßmann sah. Zu Greßmanns Beeerdigung war seine Mutter, zu der er nur noch brieflichen Kontakt hatte, zum Erstaunen seiner Freunde erschienen.

Greßmann ist ein Dichter, der über das Weltall und die Ewigkeit schreibt, aber auch über einfache, kleine Dinge. Über seine Zahnbürste, über die Seife, über das Handtuch, über das Geräusch der Straßenbahn in der Kurve. Das Gedicht Ständchen mit der musizierenden Straßenbahn zitiere ich mal eben:

In den Kurven spielen 
Straßenbahnen Geige. 
Ach, so mancher denkt da 
Seiner Freundin oder 
Träumt von kommenden Dingen. 
Aber die meisten klagen 
Und nennen es ohrenbetäubenden Lärm, 
Oder gehen achtlos daran vorüber.
Ganz einfach, weil sie wie so oft
Die Feier im Alltag nicht sehen .
Der wer die Seitenstraße langgeht , kann ja,
Sucht er die Eintrittskarte
In der Manteltasche, auch
Das Konzert der Fahrzeuge da schon hören,
Falls er keine Zeirt mehr hat,
Die musische Stätte direkt aufzusuchen.

1966  erscheint sein erster Gedichtband Der Vogel Frühling: Gedichte beim Mitteldeutschen Verlag, mit Zeichnungen von Horst Hussel. Ein Jahr später gibt es eine zweite Auflage, das war ein Erfolg, den er noch erleben dufte. Sein zweiter Gedichtband Das Sonnenauto wird postum erscheinen. Aus dem Nachlaß wird man noch den Band Sagenhafte Geschöpfe zusammenstellen. Aus dem ersten Band zitiere ich einmal das Gedicht An den Vogel Frühling:

Daunen dringen aus dir.
Davon kommen die Blumen und Gräser.

Federn grünen an dir.
Davon kommt der Wald.

Grüne Lampen leuchten in deinem Gefieder.
Davon bist du so jung.

Mit Perlen hat dich dein Bruder behaucht, der Morgen.
Davon bist du so reich.

Uralter, du kommst aus dem Reich der mächtigen Sonne.
Darum kommen Menschen und Tiere, und: Erde,
Dich zu empfangen.

Da du sie eine Weile besuchst,
Sind sie erlöst und dürfen das weiße Gefängnis verlassen,
In das sie der Winter gesperrt hat.
Und davon kommen die Sänger,
Die dich besingen.

Frühling, du lieblicher.
Du richtest den Kopf hoch.
Davon ist der Himmel so blau.

Und es wärmt uns alle dein gelbes Auge.
Und du siehst uns an.
Und darum leben wir.

Wenn man den Dichter Uwe Greßmann kennenlernen will - und das lohnt sich unbedingt - dann sollte man mit dem Band Lebenskünstler. Gedichte, Faust, Lebenszeugnisse, Erinnerungen an Gressmann / Uwe Gressmann (Leipzig: Reclam, 1982) beginnen. Auf dem Buchrücken findet sich ein Text von Stephan Hermlin: Als ich seine ersten Verse las und vorlas, hatte mich Uwe Greßmann in Verlegenheit gebracht. Man empfindet Verlegenheit vor jemand, den man nicht einer Richtung, einer Tradition zuordnen kann und dessen eigenständige Begabung man gleichzeit stark empfindet. Ich gehöre nicht zu den Etikettenklebern, aber es ist mir schon ganz recht, wie anderen auch, wenn ich mich in jemand ein wenig auskenne, wenn ich sagen kann, 'das hier hat er von dem da' und 'dieses geht auf jenes zurück'. Nichts derartiges ließ sich von Greßmanns Gedichten sagen. Sie waren einfach da, merkwürdig, schrullig, manchmal komisch, ein bißchen unheimlich. Dabei waren es nicht etwa verstiegene Produkte, sie waren ohne Ambition, sie waren hiesig, heutig, plebejisch, Gedichte aus Berlin oder aus Berlins Umgebung. Mit einigen dieser Gedichte kann ich nichts anfangen, viele gefallen mir, manche sind wundervoll. 

Hermlin hat sicherlich damit recht, dass man Greßmanns Lyrik mit keinem Etikett versehen kann, Greßmann ist in der Literatur der DDR eine Ausnahmeerscheinung. Aber ich glaube, dass es doch etwas gibt, das sich durch sein Werk zieht. Und das steht in den Gedichten, die mein Onkel Karl 1945 in seiner Uniformjacke nach Berlin zurückbrachte. In vielen Gedichten von Greßmann ist ein klein wenig Hölderlin. Und wenn man Hölderlin und seine Sprache im Kopf hat und Greßmann noch einmal liest, dann findet man immer wieder Verse, die ein klein bisschen nach Hölderlin klingen. Nicht nur in seiner Naturlyrik.

Und das Gedicht An den Raum, das Stephan Hermlin sicher auch wundervoll gefunden hat, zitiere ich hier einmal zum Schluss:

Ein Himmel ist der Waldweg,
Darauf die Sterne kreisen −
So nahe sind sie −
Auch abseits im All,
Zwischen den Gräsern
Und unter den Büschen.

Winde sind Füße;
Und manchmal hältst du sie still,
Um keinen Stern zu zertreten.
Manche erlöschen davon.
Hinter dir leuchten sie auf,
Da du vorbei bist.
Wie Geäst knackt unter dir Donner,
Du streckst eines Blitzes Arm aus
Und greifst einen Glühwurm
Und legst ihn auf den Wolkenteller deiner Hand.
Davon wird es dort hell und tagt.

Und so bestimmst du die Tage,
Die Wetter, den Wuchs einer Erde,
Die da in dir auch irgendwo sein muß.
Und sei’s an den Sohlen des Weltalls.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen