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Freitag, 24. Mai 2024

Original? Kopie?

Dieses schöne Familienbild einer Dame mit zwei Söhnen aus dem Jahre 1844 ist 2009 im Auktionshaus Lempertz für knapp 10.000 Euro verkauft worden. Ist es unbedingt wert. Aber wenn wir jetzt noch den Namen des Malers dazu sagen, hätte man vielleicht mehr erwartet. Denn es gibt Bilder von diesem Maler, die Millionen wert sind. Mehrere Millionen. Für ein Bild von ihm, das gerade bei Christie's verkauft wurde, wurden 45 Millionen Dollar bezahlt. Es war auf 12 bis 15 Millionen geschätzt. Es muss ein besonderes Bild gewesen sein. Wenn ich jetzt den Namen des Malers verraten würde, wüssten Sie sofort, von welchem Bild ich rede.

Der Maler heißt Emanuel Leutze, er wurde am 24. Mai 1816 in Schwäbisch Gmünd geboren, ist als kleiner Junge mit seinen Eltern in die USA gekommen, ist aber mit fünfundzwanzig Jahren zurückgekommen nach Düsseldorf. Das damals ein Zentrum der deutschen Malerei war. Sein berühmtestes Bild hat er hier gemalt. Das hat den Titel Washington Crossing the Delaware, es hat hier natürlich schon einen Post. Der Maler Emanuel Gottlieb Leutze hat hier natürlich auch schon einen Post, und er wird in 22 weiteren Posts erwähnt. Das 1850 gemalte Bild wäre bei einem Atelierbrand beinahe verbrannt, Leutze restauriert es. 

Er hatte das Bild versichert, jetzt gehört es der Kölner Brandversicherung Colonia, die stellt es in Köln im Gürzenich aus. Die Brandversicherung holt sich über die Eintrittspreise ein wenig Geld zurück. Von Köln wandert das Bild nach Berlin, auch dort muss man Geld bezahlen, um das Bild zu sehen. 1863 kauft die Kunsthalle Bremen das Bild für 900 Goldtaler. Dort wird es 1942 bei einem britischen Bombenangriff zerstört. Alles dazu können Sie auf der sehr guten Seite WK Geschichte, der Bremer Zeitung Weser-Kurier lesen. Der Historiker David Hackett Fischer schreibt: It became part of the permanent collection of the Bremen Art Museum. There it stayed until September 5, 1942, when it was destroyed in a bombing raid by the British Royal Air Force, in what some have seen as a final act of retribution for the American Revolution. Ein kleiner Racheakt der Engländer dafür, dass sie den Revolutionskrieg verloren haben? Das ist ein kleiner perverser Gedanke. David Hackett Fisher hat mit seinem Buch Washington's Crossing das ultimative Buch über das wichtige Ereignis der amerikanischen Geschichte geschrieben. Und zu Recht dafür den Pulitzer Preis bekommen. Sie können hier die ersten Seiten lesen, besonders das erste Kapitel The Painting.

Leutze wird von dem französischen Kunsthändler Adolphe Goupil dazu gedrängt, eine zweite Fassung des Bildes anzufertigen. Dafür richtet Leutze ein neues Atelier ein und malt das Bild mit der Hilfe seiner amerikanischen Malerfreunde Worthington WhittredgeEastman Johnson und Albert Bierstadt in der Größe von 3,78 m  × 6,47 m. Der berühmte Düsseldorfer Landschaftsmaler Andreas Achenbach malt auch noch an dem Bild mit. Kaum ist es fertig, wird es nach Amerika verschifft. Vom September 1851 bis Januar 1852 werden es 50.000 Amerikaner in New York bestaunen. Henry James war acht Jahre alt, als er das Bild sah. Er wird später schreiben: no impression was half so momentous as that of the epoch-making masterpiece of Mr. Leutze, which showed us Washington crossing the Delaware, in a wondrous flare of projected gaslight and with the effect of a revelation. Noch mehr Bewunderer wird das Bild haben, wenn es ab April 1852 in der Rotunde des Kapitols hängt. 1897 gelangt es in das Metropolitan Museum, wo es bis heute hängt.
 
Aber was ist das für ein Bild, das 2022 bei Christie's für 45 Millionen Dollar verkauft wurde? Es gibt da eine dritte Version, die viel kleiner ist als das Bremer Original und die Version des Metropolitan Museums. Sehr viel kleiner. Und das Bild ist auch nicht von Leutze, es ist ein Werk von Eastman Johnson. Der Schüler und Mitarbeiter Leutzes hatte 1851 eine kleine (101.6 cm mal 172.7 cm) Version angefertigt, die der Kunsthändler Adolphe Goupil gerne als Vorlage für die Anfertigung von Stichen und Drucken haben wollte. Das Bild tauchte 1973 zum ersten Mal im Kunsthandel auf, als es bei Sotheby Parke-Bernet für 260,000 Dollar an einen anonymen Sammler verkauft wurde. Das war damals die höchste Summe, die für ein amerikanisches Gemälde bezahlt worden war. Der anonyme Sammler stellte es dem Weißen Haus als Leihgabe zur Verfügung. Dort hat es von 1979 bis 2014 die Räume geziert. 1973 war es als ein Bild von Eastman Johnson, after Emanuel Leutze verkauft worden, bei der Auktion von Christie's war es jetzt ein Leutze. 

Das Auktionshaus sagte dazu: Christie’s consulted the recognized scholars in this field and their assessment is that Leutze created this painting with help from a studio assistant, just as Leutze did on the Metropolitan Museum version. The painting at Christie’s is signed by Leutze, was exhibited and sold under his name during his lifetime, and is correctly characterized as such. Der Name Eastman Johnson taucht hier überhaupt nicht auf. Das ist kunsthistorisch ein unseriöses Vertretergeschwätz. Aber bei dem Auktionshaus weiß man natürlich, dass man einen Leutze, der mal im Weißen Haus hing, für Millionen verkaufen kann. Einen Eastman Johnson nicht. Alles über die Entstehung des Bildes von Eastman Johnson können Sie auf dieser hervorragendenSeite lesen.

So präsentiert sich Leutzes Bild heute im American Wing des Metropolitan Museums. Es hing nicht immer da. Nach dem Zweiten Weltkrieg wollte man moderne Kunst sehen, keine Historienschinken aus dem 19. Jahrhundert. 1950 lieh man das Bild Washington Crossing the Delaware an das Dallas Art Museum aus, 1952 wanderte es zum Washington Crossing State Park. Die hätten das Bild gerne behalten und waren in jahrelangen Verhandlungen mit dem Met Museum. Als die das Bild 1970 zurückgeben mussten, ließen sie eine→Kopie anfertigen. Die kann man da, wo Washington den Delaware überquerte, heute noch sehen. Das Bild, das Leutze und seine Freunde in einer Gemeinschaftsarbeit gemalt hatten, hatte beinahe hundert Jahre einen anderen, schlichteren Rahmen. Erst im Jahr 2007 fand man Photos von Mathew Brady aus dem Jahr 1864, die das Bild im Originalrahmen zeigten. Die Firma Eli Wilner & Company schuf nach dieser Vorlage den neuen Prunkrahmen. Ich habe dazu hier auch noch ein einstündiges Video. 2007 hatte man das Bild auch vier Jahre von der Wand genommen, um es Quadratzentimeter für Quadratzentimeter zu restaurieren. Sie können alles dazu in dem Buch Washington Crossing the Delaware: Restoring an American Masterpiece bei Google Books lesen.

Der goldene Adler, der das Gemälde krönt, ist beinahe vier Meter breit. Unter seinen Krallen kann man lesen: First in war, first in peace, first in the hearts of his countrymen. Das hatte Henry Lee, der Vater von Robert E. Lee in seiner Grabrede auf Washington gesagt. Das kleine Bild von Eastman Johnson hat keinen Prunkrahmen, der würde das Bild zerstören. Der Käufer, der 45 Millionen Dollar für das Bild bezahlt hat, bleibt im übrigen anonym. Genauso anonym, wie der letzte Besitzer des Bildes, der es zur Auktion bringen ließ.

Anonym bleibt auch der Besitzer dieses Bildes. Leutze hatte es 1850 angefangen, aber nicht zu Ende gemalt. Das Bild war hier schon einmal in dem Post Emanuel Leutze zu sehen. Irgendwie ist es ja auch ein schönes Bild, konzentriert sich auf das Wesentliche, das reicht doch. Alles andere können wir uns vorstellen. Und die Wirklichkeit war Weihnachten 1776 sowieso anders. In allen Details ist Leutzes Bild eine Fälschung der historischen Wirklichkeit. Aber das ist bei den meisten Historienbildern des 19. Jahrhunderts so. Ich zitiere gerne noch einmal den Satz, der in dem Post Emanuel Leutze steht: Eine der Maximen von Leutzes Historienbildern (wahrscheinlich der Historienmalerei überhaupt) scheint diese 'willing suspension of disbelief ' zu sein, von der Coleridge gesprochen hat.

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