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Dienstag, 3. August 2010

Flohmarkt


Alles in Deutschland hat sich in Prosa und Versen verschlimmert, Ach, und hinter uns liegt weit schon die goldene Zeit! Ja, lieber Friedrich Schiller, und nicht nur das: es geht überall bergab. Mit den Manieren (das macht uns die Regierung seit Monaten vor), mit der Kultur (da wollen wir jetzt nicht drüber reden), mit der Eleganz (so dunkle Blues Brothers Brillen gibt es gar nicht, dass sie das Schreckliche ausblenden können, was man an den heißen Tagen sehen musste). Und ich könnte diese Jeremiade jetzt beliebig fortsetzen. Sie wahrscheinlich auch. Aber das wirklich Beklagenswerte ist der Verfall der Flohmärkte. Was gab es da vor zehn, vor zwanzig Jahren noch zu finden! Und was ist heute? Umdeklarierter Hausmüll. Und dann fünfzig Stände mit Handyschalen, dieser Markt scheint fest in türkischer Hand zu sein. Ist für mich weniger interessant, da ich gar kein Mobiltelephon besitze.

So etwas bekommt man natürlich auf jedem Flohmarkt, vielleicht nicht in dieser Qualität. Diese Prolex ist nicht echt, obgleich sie schon ziemlich echt aussieht. Aber man kann mit einem Blick sehen (durch die Einkerbungen im weichen Material), dass sie kein echtes Stahlgehäuse hat. Und auch die verschraubte Krone sieht bei der Genfer Firma etwas besser aus. Ein Zifferblatt ist leicht gefälscht, und da kann man auch Fälschung und Original nicht auseinanderhalten, aber das Stahlgehäuse ist ja einwandfrei das Beste an einer Rolex. Sie sollen ja neuerdings auch bessere Bänder haben, seit sie die Firma Gay Frères gekauft haben, die die besten Metallbänder in der Schweiz machten.

Das hier wird man wohl kaum auf einem Flohmarkt finden: Eckernförder Fayence, 18. Jahrhundert, Zuckerstreuer mit floraler Scharffeuermalerei in Kobalt. Aber man darf die Hoffnung nicht aufgeben, irgendjemand findet immer wieder einen Rembrandt für zehn Euro auf dem Flohmarkt oder eine goldene Omega Constellation de Luxe für einen Hunni. Ich nie. Obgleich ich auf dem Flohmarkt schon schöne Dinge gefunden habe.

Ich musste natürlich am Sonntag zum Flohmarkt (und auf dem Photo da oben bin ich bestimmt irgendwo in der Menge), weil die vielen Händler, die mich kennen, sonst glauben, die Welt wäre aus den Fugen. Wenn man sich seit Jahrzehnten auf Flohmärkten und bei Hinterhofhökern herumtreibt und bekannt ist wie ein bunter Hund, hat man natürlich nicht mehr die Chance, sich ganz dumm und unschuldig zu stellen. Was ja manchmal bei Herunterhandeln von Vorteil sein kann. Ich habe aber für alle Fälle ein Pokerface und ein Gesicht für absolutes Desinteresse im schauspielerischen Repertoire. Spätestens seit Erving Goffmanns Wir alle spielen Theater weiß nun jeder, dass wir verschiedene Rollenrepertoires besitzen. Obgleich ich - wo ich das gerade hingeschrieben habe - schon meine Zweifel an dem Satz bekomme. Professionelle Flohmarkthändler haben wie alle Verkäufer bestimmt eine große Repertoirebreite, aber wenn ich an unsere Politiker denke, die jetzt glücklicherweise in den Ferien sind, haben die noch andre Rollen drauf, als die eine, die sie immer wieder spielen? 

Gute Flohmarkthändler sind wie Aal-Dieter auf dem Hamburger Fischmarkt. Der ist natürlich rhetorisch besser als unser angeblicher Vizekanzler, dessen angemasster Titel in unserem Grundgesetz gar nicht vorgesehen ist. Jeder Kabarettist ist zur Zeit jedem Politiker überlegen, vielleicht sollte man mal an einen Rollentausch denken. Man könnte auch die ganze Regierung durch Flohmarkthändler ersetzen, dummes Zeug mit großer Überzeugung vortragen können die auch. Und viele von ihnen verfügen sogar über wirkliche Expertenkenntnisse von Silber, Porzellan, Büchern und was immer sie verkaufen. Bei Politikern ist man ja nicht so sicher, ob sie von irgendetwas wirklich was verstehen, die meisten hatten ja nie einen wirklichen Beruf. Dieser blöde Scherz mit der Reihenfolge Kreissaal, Hörsaal, Plenarsaal hat schon etwas Wahres an sich. Politiker ähneln eher den Händlern, die auf dem Flohmarkt Überraschungseier verkaufen, dafür braucht man auch keine besonderen Kenntnisse. Aber so wie sich Politiker inzwischen alle in ihren grauenhaften Einheitsanzügen ähneln (in England kann man Premierminster und Stellvertreter optisch nicht mehr auseinanderhalten), so gibt es diese richtigen Typen, die man früher auf dem Markt sah, auch nicht mehr. Also Lederjacke, eine Matte bis auf die Schultern, Goldkettchen, sprießende Nasenhaare passend zur Brustbehaarung und eine goldene Rolex am Arm, mit Präsidentenband in Gold. Beim Pokern gewonnen.

Flohmarkthändler haben auch die angeborene oder erworbene Fähigkeit, den prospektiven Kunden zu belügen und ihm dabei ins Gesicht zu gucken. Wer das nicht kann, muss als Händler zu Ebay wechseln, wo Kleinkriminelle die abenteuerlichsten Geschichten erzählen, aber da brauchen Sie nicht ihrem Kunden in die Augen zu gucken. Aber es wird verkauft, und auch für teures Geld. Die Welt will betrogen sein. Die Fähigkeit von Flohmarkthändlern, ihre Gesprächspartner ungerührt zu belügen, besitzen Politiker natürlich auch.

Auf Flohmärkten ist der Weg das Ziel, das Beste ist es, sich von einem Stand zum anderen treiben zu lassen, den Gesprächen zuzuhören. Seit einigen Jahren sind wieder Händler mit guten Büchern auf dem Markt, und die Erstausgabe von Ernst Jüngers Auf den Marmorklippen für fünf Euro war ein guter Fund. Natürlich gibt es auch Händler, die Rosamunde Pilcher und das ganze Programm haben, aber für so etwas setze ich meine Sonnenbrille gar nicht erst ab. Bevor ich meine Lesebrille aufsetze, muss mir schon mein Trüffelschweininstinkt richtig laute Signale gesendet haben. Glücklicherweise habe ich diesen Instinkt. Also gestern der Band der Propyläen Kunstgeschichte über das 18. Jahrhundert für vier Euro, das war schon in Ordnung. Und dann noch ein nettes Gespräch mit Herrn Beissenhirtz. Leider habe ich vergessen, auf dem Rückweg noch einmal bei dem Hamburger Antiquar vorbeizugehen, der immer interessante Bücher hat. Aber Vergessen ist vergessen wollen, hat der Professor Curt Bondy in der Vorlesung gesagt, die ich im ersten Semester in Hamburg hörte. Bondy war ein eindrucksvoller Mann, aber weshalb er als Verfolgter des Naziregimes einen Nazi wie Peter R. Hofstätter nach Hamburg geholt hat, das verstehe ich bis heute nicht.

Und da wir gerade bei diesem Teil unserer Geschichte sind, der ganze Nazimüll ist natürlich auf Flohmärkten verboten. Soll angeblich auch offiziell von der Stadt überwacht werden. Liegt aber überall auf den Tischen herum. Nicht nur Holt Hartmann vom Himmel!, Führerbilder noch und noch. Und Bücher wie Das Antlitz des Führers mit einem Geleitwort von Baldur von Schirach, Büchergilde Gutenberg Berlin. Die wahre Büchergilde Gutenberg war da längst in die Schweiz emigriert. Was ich faszinierend finde ist, dass da niemand von der Stadt das alles beschlagnahmt und gleich Ordnungsstrafen ausspricht. Die ganze Woche lang schreiben sie jeden Falschparker auf, um an Geld zu kommen, aber hier sind sie blind, dabei könnten sie hier richtiges Geld verdienen. Könnten auf der Stelle 500 € kassieren, Verstoss gegen Paragraph 10 der Flohmarktsatzung. Das mit dem Paragraphen 10 und der Flohmarktsatzung ist jetzt kein Witz, die gibt es wirklich. Und da steht auch gleich am Anfang unter Paragraph 1 (2): Der Flohmarkt ist eine kulturelle Einrichtung und dient der Förderung der Kommunikation der Bürger/innen und Besucher/innen. Wie gut, dass ich das mal nachgeschaut habe, das ist mir in all den Jahrzehnten nicht klar gewesen, dass das hier Kultur ist. Aber ich habe auch gesehen, und das stärkt mein grosses Vertrauen, das ich in Juristen setze, dass die Flohmarktsatzung gerade von einer juristischen Arbeitsgruppe zur Durchführung der Normenprüfung im Rahmen der Dienstleistungsrichtlinie überprüft wird. Ob sie mit EU Recht kompatibel ist. Wahrscheinlich sind die Flohmärkte deshalb so heruntergekommen, weil sie jetzt alle Flohmarktsatzungen haben, deren Kompabilität mit den EU Vorgaben noch nicht überprüft ist!

Soviel Porzellan und Tischdecken es aus der Gründerzeit auf dem Flohmarkt gibt, manche Dinge sind einfach vom Flohmarkt verschwunden. Und damit komme ich noch einmal auf die Jeremiade vom Anfang zurück. Die dänischen Händler, die tolle (und preisgünstige) Ölbilder hatten, sind ganz weg. Wo immer sie sind, hier schon seit einem Jahr nicht mehr. Und preiswerte alte Uhren gibt es schon lange nicht mehr. Letzten Sonntag war der nette Herr Brandt aus Hameln der einzige, der einen Kasten mit Uhren hatte. Aber wir haben nur über Gott und die Welt geschnackt, in Versuchung konnte er mich mit seinen Sachen nicht richtig bringen.

Vor zwei Jahren habe ich bei ihm diese tolle alte Zenith Defy gefunden. Da war zwar leider das Glas kaputt, aber Zenith hat nach vierzig Jahren noch ein Originalglas für meinen Uhrmacher gehabt, und jetzt weicht das Ding seit zwei Jahren nicht mehr von meinem Arm. Aber auch die kleine rechteckige Wagner Select aus den dreißiger Jahren, die ich bei ihm kaufte, war ein schöner Fund. Einer der wenigen deutschen Versuche in dieser Zeit, eine wasserdichte rechteckige Uhr herzustellen. Edelstahlgehäuse, verschraubter Boden und das erstklassige Schweizer Werk mit Stoßsicherung, innen noch einmal eingekapselt, so etwas ist schon so selten wie ein Sechser im Lotto.

Wenn man in einem Antikladen kauft, bezahlt man die Ladeneinrichtung und die Sozialversicherung der Angestellten mit, deshalb geht man ja zum Flohmarkt, weil es da billiger ist. Sonst könnte man auch zu den Auktionen von Dr. Crott gehen. Und Uhren waren früher auf Flohmärkten wirklich billig. Das ist ja noch gar nicht so lange her. Ich kann solche Läden auch nicht wirklich ausstehen. Vor allem nicht, wie da mit gedämpfter Stimme vornehmtuend rumgesülzt wird. Da sind mir Aal-Dieter und seine Brüder doch lieber.

Vor zehn Jahren, und erst recht in den Jahren davor, gab es noch ein halbes Dutzend Händler auf dem Flohmarkt. Da kriegte man noch eine Uhr dazu, wenn man eine kaufte. So wie bei Aal-Dieter: Hier, Dschunge, nimm mit. Als der Euro kam, haben die Händler erst einmal alle ihre Preise eins zu eins umgerubelt und dann noch heraufgesetzt. Und danach sind sie alle verschwunden. Verticken wahrscheinlich alles bei Ebay. Da kostet dann schon eine Dugena, die es vor zehn Jahren noch für einen Fünfer gab, dann schon mal einen Hunni. Und die Leute zahlen das, das ist faszinierend. Wahrscheinlich, weil sie die Lügengeschichten neben dem Photo auf der Ebayseite glauben. Ich zitiere mal eben meinen Lieblingslügner bei Ebay aus seinem laufenden Angebot: Thiel Ruhla, Dienstuhr der Wehrmacht, nach unserem Kenntnisstand eine der allerersten Armbanduhren mit einer zentralen Sekunde. Absolut ungewöhnliches Werk wie ich es in 10 Jaren noch nie gesehen habe. Läuft und funktioniert tadellos! Die kleine Manufaktur Thiel, welche nach dem Krieg in den Ruhla Konzern aufgegangen ist, war bekannt als Lieferant von robusten und hochwertigen Dienstuhren der Wehrmacht.

Die Gebrüder Thiel in Ruhla sind keine kleine Manufaktur. Sie sind seit 1862 ein Großproduzent von billigstem Uhrenschrott, sie haben niemals die Wehrmacht mit hochwertigen Dienstuhren beliefert (aber sie haben Bombenzünder gebaut), und das Teil, wofür der Händler 180 Euro haben will, ist auch niemals eine der allerersten Armbanduhren mit einer zentralen Sekunde. Er macht das natürlich schon ganz raffiniert, in dem er nach unserem Kenntnisstand vor seine Lügen setzt. Die Uhr, die da zur Auktion steht, hat vielleicht einen Wert von zwei Euro. Das absolut ungewöhnliche Werk wie ich es in 10 Jaren noch nie gesehen habe, sieht der Händler jede Woche, es ist das Billigwerk von Thiel (ohne Steine), bauen sie in Ruhla seit den dreißiger Jahren. Jetzt, wo ich all diese Lügen bei Ebay lese, drängt sich mir die Analogie zwischen Flohmarkthändlern und Politikern doch wieder auf. Natürlich kann man bei Ebay und anderen elektronischen Auktionsplattformen auch ganz reizende Menschen treffen. Das war in der Frühzeit von Ebay noch richtig verbreitet, jetzt etwas weniger.

Beinahe alle Uhrenhändler sind weg. Barni ist auch nicht mehr da, aber der ruft mich immer an, wenn er was hat. Ich habe in den letzten Jahrzehnten einige wirklich schöne Dinge von ihm bekommen. Aber jetzt ist er vom preisgünstigen Genre ins Luxusgenre geklettert (obgleich er sich auch noch wirklich für eine interessante no-name Uhr mit einem interessanten Werk begeistern kann), die besten Dinge behält er und will sie nicht verkaufen. Wer mir wirklich fehlt, ist der Hamburger Roland Resag (Bild), den ich hier vor Jahrzehnten getroffen habe. Der hatte alles, wovon man träumte. Er kaufte damals einmal im Jahr in Amerika ein, als die Uhren da noch billig waren (sind sie heute nicht mehr), und er hatte Dinge, die ich nie wieder gesehen habe. Außer natürlich denen, die ich bei ihm gekauft habe, die kann ich mir jeden Tag angucken. Er war nie billig, aber was er hatte, war das Geld wert. Aber dann sind ihm irgendwann seine ganzen Uhren in der Hamburger Uni Mensa bei einem Uhrenmarkt geklaut worden, und so etwas kriegt man ja nie im Leben wieder. Ich habe die Uni Mensa in Hamburg in der Schlüterstraße immer noch in Erinnerung, weil da am ersten Tag meines Studentenlebens bei Langnese die Kühlmaschinen kaputt waren, und jeder Student bei der Essensausgabe von Langnese Angestellten einen riesigen Klops Speiseeis auf den Teller kriegte. Wiederholte sich leider nicht.

Manche stehen ganz früh auf, um zum Flohmarkt zu gehen. Was gibt es nicht alles für Geschichten darüber, was Leute morgens um fünf mit einer Taschenlampe bewaffnet schon auf dem Flohmarkt gefunden habe. Kann mir nicht passieren, ich gehe da immer erst nach der Mittagspause hin. Wenn die Händler schon im Geiste beim Einpacken sind, da werden die Sachen dann auch billiger. Flohmärkte haben sich in den letzten Jahrzehnten auch epidemisch vermehrt, überall gibt es sie. Es gibt schon gedruckte Broschüren, in denen alle Flohmärkte der Region gelistet sind. Aber die Vielzahl der Märkte täuscht darüber hinweg, dass das Angebot immer dürftiger wird. In der Portobello Road in London vielleicht nicht, bei uns schon. Dafür ist es bei Ebay angewachsen. Aber das ist natürlich nicht das Gleiche, man kann die Dinge nicht anfassen. Dieses haptische Erlebnis fehlt dann völlig. Und natürlich auch die face-to-face communication, dieses Wort, das sich die Wissenschaft ausgedacht hat, finde ich vollkommen bescheuert (ebenso wie zeitnah, ergebnisoffen und kultursensibel). Ich bin aber froh, dass ich es einmal unterbringen konnte.

Also, ich besuchte vorgestern eine kulturelle Einrichtung, hatte massenhaft face-to-face communication, die der Förderung der Kommunikation gedient hat.

2 Kommentare:

  1. Bei uns in Karlsruhe sind auch noch Uhrenhändler, die meisten sind Russen und auch Betrüger. Als meine Freundin einmal einen fragte, ob sie die Uhr aufmachen dürfe (sie ist Uhrmachermeisterin), hat er sie sofort weggenommen. Da sind wir dann weitergegangen.

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  2. Ob die 'Rolex' echt ist oder nicht - ist wahrscheinlich den meisten Trägern egal. Es geht wohl mehr um's Image.
    Wer etwas auf sich hält, trägt eine exklusivere Marke... Sie haben es ja selbst so schön beschrieben in Ihrer James-Bond-Geschichte.
    Aber gut, dass es Marken wie Rolex, Daimler Benz und andere gibt, sie geben dem Gentleman die Möglichkeit der Abgrenzung.

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