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Dienstag, 16. August 2016

wholecut


Er hat nicht einmal einen deutschen Namen, der wholecut Schuh, aber er ist seit einigen Jahren modisch le dernier cri. Sogar bei der Firma Tyrwhitt, deren Angebot an Schuhen zurückgegangen ist, ist in den letzten Jahren immer mindestens ein wholecut im Programm gewesen. Der wahrscheinlich von der Firma Barker (oder vielleicht ➱Grenson?) gemacht wurde. Ein wholecut ist eine Variante des Schuhs, den wir Oxford nennen. Er ist aus einem einzigen Stück Leder gemacht und hat neben der Schaftkantennaht lediglich hinten eine sichtbare Fersennaht. Als der Oxford in der Mitte des 19. Jahrhunderts in der englischen Herrenmode auftauchte, hatte er noch den Namen Oxonian. Ein Oxford ist ein förmlicher, kein sportlicher Schuh, geeignet für Menschen mit einem schmalen Fuß und einem nicht zu hohen Spann. Das letzte sollten Sie bedenken, wenn Sie mit dem Kauf eines wholecut liebäugeln sollten.

Diesen hier habe ich ohne nachzudenken gekauft. Ungetragen und sehr, sehr preiswert. Da tippt man schon mal die Sofort kaufen Taste an. Allerdings ist der Hersteller ein kleines Rätsel. Der Schuh heißt Windsor, die machen aber nun mal keine Schuhe. Früher kamen die Schuhe von Ludwig Reiter, dann wollte man die Verdienstspanne vergrößern und ging zu Prime Shoes. Einer Firma, bei der auch niemand weiß, wer dahinter steckt. Neuerdings scheint Windsor wieder bei Ludwig Reiter gelandet zu sein. Wenn der Schuh ankommt, werde ich ihn genau untersuchen.

Natürlich hätte ich im ersten Absatz statt le dernier cri auch der letzte Schrei sagen können, aber ich möchte einmal eben einen Blick auf die Franzosen werfen, die immer schon wunderbare wholecuts im Angebot hatten. Würde man diesen Schuh von Aubercy wirklich dem norddeutschen Schmuddelwetter oder der Hundescheiße auf den Straßen aussetzen wollen? Beim Anblick solcher Kunstwerke habe ich das Gefühl, dass man sie nicht tragen, sondern sie zu Hause auf eine kleine Marmorsäule stellen sollte. Wenn Sie noch mehr über französische Herrenschuhe lesen wollen, dann klicken Sie hier.

If you look up the word elegant in Dictionary.com the first definition that it gives is:“Tastefully fine or luxurious in dress, style, design, etc.” To me, the whole-cut dress shoe sums this definition up to a ‘T.’ The fact that it has no stitching (apart from the heel) leaves it completely refined and flawless. Obviously not every whole-cut ever made has fit this description but when they have been made properly, with a beautiful last shape, they are second-to-none on the stunning scale!! Das kann man in einem Blog lesen, der The Shoe Snob Blog heißt.

Ich bin mir bei diesen ganzen Mode Foren und Blogs nicht so sicher, in wieweit sie nicht nur als Blog getarnte Werbung der Modeindustrie sind. Der Blog Gazzettino von Michael Jondral (übrigens ein hervorragender Blog) macht keinen Hehl daraus, aber viele dieser sogenannten Foren scheinen nur Tarnorganisationen der Modeindustrie zu sein. Der Autor des lobhudelnden Textes über die Eleganz des wholecut Schuhs macht eine eine gewisse Einschränkung bezüglich der Eleganz der Variante des Oxfords: Obviously not every whole-cut ever made has fit this description. 

In einem Mode Forum wird immer zuerst eine Frage gestellt, die aber meistens eine Scheinfrage ist. Wie zum Beispiel: Has any of you experience of a wholecut style shoe? I have pasted a Tricker's Harrow model to show an example. Do the inevitable creases after a few wears ruin the smooth and shiny look to an unwearable level? Needless to say that someone would use trees and polish, but even so creases appear where the toe bends. Any pictures of your own pair? Und schon ist Werbung für ➱Tricker's gemacht und der Stein der Diskussion ins Rollen gebracht.

Meinem alten wholecut von Stefanobi sieht man kaum noch an, dass er ein wholecut ist. Es hat ihm aber gut getan, dass, als ich ihn vom Besohlen beim Schuster Höfer abholte, Frau Dworak sagte, dass ein Qualitätsschuh auch nach Jahren noch nach einem Qualitätsschuh aussieht. Dieser Edward Green Schuh in dunkel-oliv (ja, das ist ein klein wenig pervers) ist natürlich der Höhepunkt der Eleganz. Wenn man so etwas mag. Zu solchen Schuhen sollte man wahrscheinlich lila Samtjacketts tragen.

Eigentlich ist die Sache ganz einfach: wholecut Schuhe sehen nur elegant aus, wenn sie nagelneu sind und von einem berufsmäßigen Photographen wunderbar ins Licht gesetzt wurden. Und mit dem Photoshop System so behandelt wurden, dass sie eine Farbe bekommen, die Sie zu Hause mit Schuhcreme niemals hinkriegen. Wenn sie älter sind, bekommen wholecuts Falten, die sich nicht wie bei einem Kappenschuh oder einem Derby (im Englischen auch Blucher genannt) verteilen können. Dann sehen sie so aus wie dieser Schuh. Oder schlimmer. Ich habe dieses Photo aus einem unfreiwillig komischen Blog, wo sich jemand mit all seinen Klamotten und Schuhen (und Uhren) ins Bild gesetzt hat, um der Welt zu zeigen, was wahre Eleganz ist.

Der wholecut Schuh ist nicht unbedingt neu, es gibt ihn schon im Mittelalter. Bei den Ausgrabungen von Billingsgate hat man schöne Exemplare aus dem 12. Jahrhundert gefunden. Diese Schuhe sind einige Jahrhunderte jünger. Man kann so etwas in England kaufen, es gibt da offensichtlich einen Markt für solche Dinge. Wahrscheinlich trägt man so etwas, wenn man mit einem Krug Met in der Hand in Stonehenge auf die Mondfinsternis wartet, um mit den Wölfen zu heulen.

Seinen ersten großen Auftritt hat der wholecut in den dreißiger Jahren. So schreibt zum Beispiel ➱The Producer im Jahre 1936: A striking shoe fashion, new this season, is the whole-cut Oxford shoe, of black glace, with a Littleway square heel and five eyelets, bringing the vamp well over the foot. Dieses Modell hier ist aus dem Jahre 1934, ein Lackschuh für ➱Dinner Jacket und ➱Frack. Ich bitte Sie, die seidenen Schnürbänder und die wunderbare Schleife zu beachten. Und ähnlich sieht auch Debrett's die Verwendung für den wholecut, wenn von der Ausstattung für den Frack die Rede ist: white bow tie (usually marcella), white evening waistcoat (again usually marcella), black 'whole-cut' patent shoes with black ribbon laces, and black silk socks. Man kann in solchen Schuhen wahrscheinlich in Bayreuth in der Oper sitzen und sich diesen neuen Parzifal angucken, aber kann man auch mit ihnen tanzen? Ich habe da meine Bedenken.

Die meisten englischen Qualitätsfirmen (sogar die etwas langweiligen Tricker's) haben einen wholecut im Programm. Hier ein Modell von ➱Alfred Sargent, das wie mein alter Stefanobi aussieht und mit dem Schuh von Aubercy im zweiten Absatz wenig Verwandtschaft hat. Sehr wenig.

Allerdings kann Alfred Sargent auch sehr, sehr elegante wholecuts machen, wenn wir uns mal eben dies Modell anschauen (es findet sich schon in dem Post ➱Wedding Night). Es ist eine seltsame Sache mit den ➱Engländern: sie können es genau so gut wie die Franzosen, Portugiesen, Italiener oder Spanier, aber sie machen es ungern. Pferdelederschuhe sind wie wholecuts auch so eine Sache, die die englischen Hersteller nicht unbedingt mögen.

Die werden in großem Stil auf einer anderen Insel hergestellt: Mallorca. Die Firma Carmina wirbt damit, der größte Hersteller von Cordovan Schuhen in Europa zu sein. Dieser hier kostet 690€. Neben der Firma Carmina von José Albaladejo gibt es auf Mallorca noch die Firma Meermin, die etwas preisgünstiger ist (und dass Herr ➱Kuckelkorn sich in Mallorca seine Schuhe machen lässt, sollte nicht unerwähnt bleiben). Die Spanier sind (wenn man an Marken wie Lotusse und andere denkt) im Bereich des preiswerten Qualitätschuhs zu einer Großmacht in Europa geworden. Auch der deutsche Internethändler Shoepassion, der für 239 Euro einen wholecut anbietet, bezieht seine Schuhe aus Spanien. Von der Firma Cordwainer, man kann eine Besprechung der Qualität der Shoepassion von jemandem, der sich Paul Prüfer nennt, hier lesen. Aber das Ganze ist wahrscheinlich auch nur gekaufte Werbung.

Wenn die Engländer nach einem möglichen Brexit (über den ja keine Volksabstimmung sondern das Parlament entscheidet) den Zugang zum europäischen Binnenmarkt verlieren, wird die englische Schuhindustrie es schwer haben. Weil die Spanier und ➱Portugiesen all das können, was die Engländer können. Zumal es ja nicht unbekannt ist, dass englische Luxusfirmen auch schon einmal Lohnarbeit nach Portugal und Spanien vergeben haben. Und der Carmina wholecut aus dem Absatz oben sieht auch viel besser aus als dieses biedere Modell von Tricker's.

Sie werden das schon gemerkt haben, dass ich nicht unbedingt ein Fan des wholecut Schuhs bin, eigentlich braucht man ihn nicht wirklich. Vor allem, wenn er nach kurzer Zeit so aussieht wie dieser Schuh von ➱Oliver Sweeney. Ich habe mir vor Jahren einen wholecut bei Tyrwhitt gekauft, der geradezu absurd im Preis gefallen war. Das tun die Artikel bei Tyrwhitt ja immer, allerdings nicht so stark wie dieser Schuh. Ich schaute einmal routinemäßig in das Forum Ask Andy about Clothes hinein, fand dort den Satz and the wholecut in particular develops more creases than an elephant und wusste, dass ich den Schuh kaufen konnte. In diesen Foren wird nur gelogen. Mein dunkelbrauner Tyrwhitt wholecut sieht nach sechs Jahren immer noch hervorragend aus.

Ich habe mir etwas Hübsches für den Schluss aufbewahrt. Das ist kein fullbrogue, das ist ein wholecut mit aufgestepptem Muster. In einer wunderbaren Farbe. Ich konnte bei diesem Modell dem Kauf nicht widerstehen. Weil der Schuh mich an die Kurzgeschichte The story of Cedric erinnerte. Ich habe das ➱hier schon einmal zitiert, aber ich zitiere es gerne noch einmal:

Das schönste Beispiel für Schuhetikette findet sich bei dem unübertroffenen Meister des englischen Humors ➱P.G. Wodehouse. In der Kurzgeschichte The story of Cedric trifft der eleganteste Mann Londons (sprich: der Welt) eines Morgens im Hyde Park die junge Lady Chloe und seinen Freund Claude. Der ist auf dem Weg zu einer Hochzeit, elegant gekleidet im ➱Morning Coat. Allerdings die Schuhe! Lady Chloe bekommt beinahe einen Herzinfarkt. Gelbe Schuhe. The foot-joy! The banana specials! The yellow perils! Der junge Claude sagt naiv: Don't you like them? I thought they were rather natty. Just what the rig-out needed, in my opinion, a touch of colour. It seemed to me to help the composition. Mit einem Augenaufschlag, dem kein Mann widerstehen kann (ich weiß nicht, wo Frauen das lernen, aber es funktioniert ja immer) bittet Lady Chloe unseren Cedric, mit seinem jungen Freund die Schuhe zu tauschen. Als die beiden fort sind, merkt der eleganteste Mann Londons, dass er jetzt ein kleines Problem hat. Er steht in einem eleganten Morning Coat mit gelben Schuhen (!) im Hyde Park. Über den weiteren Gang der Geschichte sei hier nichts verraten, man kann es in der Sammlung Mr Mulliner Speaking aus dem Jahre 1929 nachlesen. Die Heiligen Crispin und Crispinian mögen verhüten, dass wir je in eine solche Lage kommen.

Ein gelber Schuh zum Cutaway ist natürlich immer noch besser, als wenn der Bräutigam zur Hochzeit so erscheinen würde wie auf diesem Cartoon von ➱Ronald Searle:














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