Samstag, 26. Februar 2011

Fernandel


Heute vor vierzig Jahren ist der französische Schauspieler und Sänger gestorben. Der Komiker mit dem Pferdegesicht, wie ihn die deutsche Presse vor fünfzig Jahren nannte. Er hat eine Vielzahl von Rollen in Filmen gespielt, aber für alle Welt ist und bleibt er Don Camillo. Diese schönen Schwarzweißfilme nach den Romanen von Giovannino Guareschi. Der hatte Fernandel für die Rolle selbst ausgesucht. Der italienische Autor hat lange Zeit in der Nähe meiner Heimatstadt Bremen verbracht. Allerdings nicht freiwillig. Man hatte ihn als Kriegsgefangenen in Sandbostel eingesperrt. Sandbostel ist vierzig Kilometer von Bremen weg, im Kreis Rotenburg (Wümme). Da ist eine Gegend, wo sich Fuchs und Hase gute Nacht sagen. Wahrscheinlich haben die Nazis sich den Ort deshalb für ihr Stalag X-B ausgesucht. Es hat auch lange gedauert, bis der Ort sich seiner Vergangenheit gestellt hat. Den Verein, der die schreckliche Geschichte aufarbeiten will, gibt es erst seit wenigen Jahren.

Der englische General Brian Horrocks, der 1945 mit seinem XXX Corps Bremen erobert, wird in Bremen zum ersten Mal einen Eindruck davon bekommen, welche Auswirkungen die Bombenangriffe der Allierten hatten. Sein Mitleid hält sich allerdings in Grenzen, weil er drei Tage später bei der Befreiung des Kriegsgefangenenlagers Sandbostel auf KZ-ähnliche Verhältnisse trifft. Die englische Armee befreit beinahe 50.000 halbverhungerte Gefangene. Sir Brian Horrocks, der im Ersten Weltkrieg Kriegsgefangener der Deutschen und der Russen war, wird in seiner Autobiographie A Full Life über dieses Erlebnis schreiben. Er wird den General der Infanterie Siegfried Rasp, der in den letzten Kriegsmonaten das Korps Ems kommandiert hat, bei der Kapitulation eiskalt behandeln. Der hat natürlich von all dem nichts gewusst, was da in der Nähe von Bremen passiert. Je höher die Besoldungsgruppe und die Verantwortung, desto weniger wissen die Beteiligten angeblich. Rasp wandert für drei Jahre in ein englisches Lager bei Münster, da kann er das Lagerleben kennenlernen. Horrocks wird alle Anwohner von Sandbostel und Umgebung zu Krankenpflege- und Aufräumarbeiten dienstverpflichten. Eigentlich wollte er Sandbostel und Umgebung niederbrennen. Vielleicht hätte er es tun sollen.

Und hier ist nun Guareschi gewesen. Sand und Heide, Moor und Einöde. Vielleicht hat er da seine Idee zu Don Camillo und Peppone gehabt. Seine Kinder Carlotta und Alberto Guareschi haben vor Jahren auf Einladung der Stiftung Lager Sandbostel den Ort besucht. Guareschi ist nicht der einzige Prominente, der das Lager überlebt. Louis Althusser, der französische Philosoph, der im Wahn seine Frau umgebracht hat, war auch hier. Das Lager hatte ihn aus der Bahn geworfen und schwerste psychische Schädigungen hinterlassen.

Da ist noch ein anderer Schriftsteller, der das Lager offenbar ohne jeden Schaden an Leib und Seele überlebt. Und das ist Léo Malet. Der als echter Surrealist in seiner sehr lesenswerten Autobiographie La vache enragée (dt. Stoff für viele Leben) seine achtzehn Monate in Sandbostel als eine sehr, sehr komische Zeit schildert. Für die er den Deutschen gar nicht wirklich böse sein konnte. Léo Malet wird uns diese wunderbaren Nestor Burma Romane bescheren. Die fängt er ziemlich zeitgleich mit Guareschis Don Camillo Erzählungen an zu schreiben. Wahrscheinlich ist schreiben jetzt das Beste, um Sandbostel loszuwerden.

Eigentlich ist der Zivilist Léo Malet durch Zufall nach Sandbostel geraten. Zuerst hatte ihn die französische Polizei wegen eines angeblich surrealistisch-leninistischen Komplotts festgenommen, aber nach kurzer Zeit aus dem Gefängnis entlassen. Beim Versuch, nach Paris zu kommen gerät er in eine deutsche Militärstreife. Ich trug einen hellen Einreiher, den ich mir von einem der besten Schneider in Paris hatte maßschneidern lassen. Er hatte nicht allzu arg unter seinem Aufenthalt im Gefängnis von Rennes gelitten. An den Füßen trug ich wunderschöne Wildlederschuhe in Herbstblattfarbe, eine unglaubliche Farbe, die ich später nie wieder fand. Jacques Prévert hatte sie mir geschenkt, als er eines Tages seine Garderobe sortierte. Herbstblattfarben! Jacques Prévert. Dieser Anzug und Préverts Schuhe landeten mit mir im Stalag. Dort nahm man sie mir ab... Das Ausrufezeichen hinter Herbstblattfarben! hat er wahrscheinlich deshalb gesetzt, weil ihn die Schuhe an Préverts berühmtestes Chanson Les feuilles mortes erinnerte:

Les feuilles mortes se ramassent à la pelle
Tu vois je n'ai pas oublié
Les feuilles mortes se ramassent à la pelle
Les souvenirs et les regrets aussi
Et le vent du nord les emporte
Dans la nuit froide de l'oublie
Tu vois je n'ai pas oublié
La chanson que tu me chantais


Wenn ich jetzt noch sagen könnte, dass Fernandel Préverts Les Feuilles Mortes gesungen hätte, dann hätte ich natürlich einen ganz tollen Schluss. Geht aber nicht, hat er nie gesungen. Aber Fernandel hat in Filmen gespielt, für die Prévert das Drehbuch geschrieben hat. Und in Marc Allégrets Film L'hôtel du libre échange (1934) summt er ein Chanson von Prévert. Aber eine Fernandel CD brauchen Sie sich nicht zu kaufen (ich habe eine), an Georges Brassens oder Yves Montand kommt er nicht ran. Witzig ist er, wie man ➱hier sehen kann, aber er ist kein großer Sänger. Aber immerhin hat er den Mut aufgebracht, 1939 ➱Francine zu singen. Da kann er ja eigentlich von Glück sagen, dass  er nicht in Sandbostel gelandet ist.

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