Samstag, 19. Februar 2011

Schwarzenbek


In der Kunsttopographie Schleswig-Holstein bekommt der Ort Schwarzenbek (plattdeutsch: Swattenbeek) mal gerade eine Spalte, das ehemalige Amtsgericht aus dem 18. Jahrhundert und das Amtsrichterhaus stehen unter Denkmalschutz. Das Amtsgericht diente auch noch als Gefängnis, ein Wort das es nicht mehr gibt, weil es dann eine JVA wurde. Die Gemeinde hat in den letzten Jahren versucht, die ehemalige Zweigstelle der JVA Lübeck zu verkaufen. Das Amtsrichterhaus hat ein schönes neues Dach bekommen (das allerdings nicht ganz zu dem Gebäude passt) und dient als Kulturzentrum. Sonst ist da nicht so viel los, die Anwohner schätzen die Ruhe des Ortes im Lauenburgischen. Und dass man Lübeck und Hamburg schnell erreichen kann.

Es wäre mir kaum in den Sinn gekommen, über Schwarzenbek zu schreiben, wenn Hannes Hansen mir nicht die Geschichte von Louis Armstrong in Schwarzenbek erzählt hätte. Hannes kam nämlich diese Woche vorbei, um mir sein neuestes Buch Auf der Suche nach Frankreich: Eine Liebeserklärung (Verlag Ludwig 14,90€) zu bringen. Wir kennen uns seit den Tagen, als wir gemeinsam Anglistik studierten. Er hat sich, wie er einmal sagte, für sein Studium viel Zeit gelassen. Das konnte man damals noch, als die Uni noch geistig quicklebendig war und das Studium noch nicht wie bei den heutigen Bachelor- und Master-Studiengängen verschult war. Er hat auch noch Kunstgeschichte studiert und ist Lektor in Wales und am Trinity College in Dublin gewesen. Und natürlich Oberstudienrat. Aber das hat ihn nicht so befriedigt, weil er eigentlich immer Schriftsteller war, seit er für seine Schulzeitung Der Klecks geschrieben hat. Und so ist er Übersetzer, Kulturjournalist und freier Autor geworden und kann damit nicht aufhören. Deshalb jetzt seine Liebeserklärung an das Land, in dem er in den fünfziger Jahren zum ersten Mal gewesen ist. Das haben wir neben dem Studium an den gleichen Instituten gemeinsam, mich hat mein Frankreicherlebnis in den fifties auch nachhaltig beeinflusst.

Auf der Suche nach Frankreich: Eine Liebeserklärung ist ein schönes Buch, ich war in ihm gleich zu Hause. Man kann bei Lesen eine Flasche Château Lafite aufmachen, eine Gauloise aus der blauen Packung holen, eine DVD mit einem alten französischen Film einlegen und Françoise Hardy Tous le garçons et les filles trällern lassen. Der genius loci wird einen aber auch ohne diese Hilfsmittel beim Lesen sofort überkommen. Es ist auch ein schönes Buch für Leser, die noch nie in Frankreich, dem zivilisiertesten Land der Erde waren, weil die Liebeserklärung des Autors an la douce France irgendwie ansteckend ist. Ich habe Hannes gesagt, dass ich für sein Buch Reklame machen werde, und das habe ich jetzt ja auch schamlos getan.

Als wir uns das letzte Mal trafen und über Frankreich redeten, war das Manuskript just fertig geworden und wir hatten gerade Hans Fander getroffen, der sich im hohen Alter noch mit der Welt des Computers vertraut gemacht hat und auf seiner ➱Website auch häufig wunderbare kleine Geschichten über Frankreich schreibt. Viele seiner Geschichten geben Anlass zum Nachdenken. Hans Fander kennt sich in Frankreich gut aus, nicht nur deshalb, weil er lange in der ➱Fremdenlegion war.

Aber eigentlich wollte ich ja über Louis Armstrong in Schwarzenbek schreiben. Springen wir einmal zurück in das Jahr 1955, da ist Louis Armstrong in Kiel in der Ostseehalle. Die Ostseehalle (die heute Sparkassen Arena heißt) war gerade neu, und an der Holstenstraße, der ersten Fußgängerstraße in Deutschland, wurde noch gebaut. Es hatte beim Bau der Halle (deren Basis ein stählener Flugzeughangar aus Sylt war) nicht an Kritik gefehlt, weil die Stadt damals 2,5 Millionen Mark für diese Mehrzweckhalle ausgab, während viele Kieler in der ausgebombten Stadt noch in Notunterkünften wohnten. Als sie 1952 eröffnet wurde, war sie mit einem Fassungsvermögen von 9.000 Besuchern eine der größten Hallen in Deutschland.

Heute ist die Ostseehalle beinahe nur noch für den THW da, damals zwar auch schon, aber da war der Turnverein Hassee-Winterbek noch nicht so berühmt. Natürlich diente sie auch als Ort für Parteiveranstaltungen, Konrad Adenauer, Willy Brandt, Helmut Schmidt und Helmut Kohl waren hier. Franz Josef Strauß auch, bin da leider nicht reingekommen. Aber Harry Belafonte habe ich hier gesehen. Die Ostseehalle war die größte Halle für Veranstaltungen im Norden. Und so waren sie alle hier, die Eisrevue Holiday on Ice, die Don Kosaken, Yehudi Menuhin, Wilhelm Furtwängler, Herbert von Karajan, Lennie Bernstein. Selbst der große Benjamino Gigli war 1953 hier. Und Jazzmusiker wie Lionel Hampton. Und natürlich Louis Armstrong. Und Karl-Heinrich ➱Trennt verkaufte vor der Halle Zigaretten und Zigarillos aus dem Bauchladen heraus.

Damals war Hannes Hansen fünfzehn Jahre alt, Jazzfan und Nachwuchsjournalist bei der Schülerzeitung Der Klecks. Da hatte er sich mit hochrotem Kopf nach dem Konzert zu Louis Armstrong durchgefragt, good evening gesagt und einen ordentlichen Diener gemacht. Louis Armstrong wollte sich vor Lachen ausschütten, aber er hat dem jungen Redakteur das einzige Interview an diesem Abend gewährt. Cool. Auf der Rückfahrt nach Hamburg hat Louis Armstrong in Swattenbeek Halt gemacht und in Schröders Hotel (seit 1851 im Familienbesitz) Bratkartoffeln gegessen. Bratkartoffeln und deutsches Bier liebte er. Aber dies waren die besten Bratkartoffeln, die er je gegessen hatte. Und er hat Schwarzenbek nicht vergessen. Er soll damals in der Jukebox den Treuen Husar gehört haben, den er gleich verjazzt hat. Und da er nicht so textsicher war, hat er in Swatzenbek, in Swatzenbek dazu gesungen. Glauben Sie nicht? Hören Sie doch mal ➱hier rein.

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