Samstag, 8. Oktober 2022

Hannes Hansen ✝


Ich war schon im Gehen, da sah ich in der Garderobe diesen schwarzen Hut. Was ist das für ein häßlicher Hut, sagte ich. Den hab' ich mir mal in Spanien gekauft, weil er ein bisschen wie ein Borsalino aussah. Ich wollte immer einen Borsalino haben, aber ich konnte mir den nie leisten. Ich sagte: Hannes, ich bin in zehn Minuten wieder da und Du hast einen Borsalino. Kostet Dich allerdings zehn Euro. Ich wohnte um die Ecke, und ich war nach zehn Minuten mit zwei Borsalinos wieder bei ihm. Ich hatte nämlich einen ganzen Stapel von Borsalinos, Vanzinas und Panizzas, die ich mal in einem Secondhand Laden billig gekauft hatte. Sehr billig. Ich offerierte Hannes einen braunen und einen schwarzen, er nahm den schwarzen. Richtig glücklich geworden ist er mit dem Hut nicht. Nach einem halben Jahr wurde ihm der Hut in einer Kneipe geklaut. Man hängt einen Borsalino niemals in einer Kneipe auf einen Haken, man behält ihn auf dem Kopf. Alain Delon hat uns das in Der eiskalte Engel vorgemacht.

Die Geschichte mit dem Borsalino war das erste, das mir einfiel, als ich in der Zeitung las, dass Hannes Hansen mit zweiundachtzig Jahren gestorben war. Ich kannte ihn länger als ein halbes Jahrhundert, wir haben zusammen studiert. Er hat sich, wie er mir einmal sagte, für sein Studium viel Zeit gelassen. Das konnte man damals noch, als die Uni noch geistig quicklebendig war und das Studium noch nicht wie bei den heutigen Bachelor- und Master-Studiengängen völlig verschult war. Hannes verschwand manchmal für längere Zeit, das waren die Zeiten, wo er Lektor in Swansea und Dublin war. Er wusste alles über Dylan Thomas und konnte Do not go gentle into that good night, Old age should burn and rave at close of day; Rage, rage against the dying of the light jederzeit aufsagen. Er wusste auch alles über das Liebesleben von Kingsley Amis, der mal Professor in Swansea gewesen war. Er kam aber immer wieder aus dem Ausland zurück und studierte dann auch noch Kunstgeschichte. So nebenbei. 

Seine Stelle als Studienrat hat er nach wenigen Jahren aufgegeben. Wer gibt eine Lebenszeitstelle freiwillig auf? Er wollte lieber Schriftsteller, Übersetzer und Journalist sein. Die Liebe zum Journalismus hatte bei ihm schon bei der Schülerzeitung Der Klecks angefangen (Sie müssten jetzt mal eben den Post Schwarzenbek lesen). Und Journalist ist er geworden. Und Schriftsteller. Und Übersetzer. Wir liefen uns ständig über den Weg, wir trafen uns bei Eschi oder bei Hans Fander. Wenn er etwas Längeres schrieb, fragte er mich, ob ich das lesen würde. Wenn er ein Buch fertig hatte, fragte er mich, ob ich Korrekturlesen würde. Ob ich es eventuell rezensieren würde? In einem anderen Leben war ich mal Rezensent. War sogar mal bei Amazon unter den Top Tausend Rezensenten. Ist schon etwas her.

Aber ich tat das alles. Hannes Verleger Dr Steve Ludwig schickte mir eh alles zu, was Hannes geschrieben hatte. Der hat ja aus seinem kleinen Verlag viel gemacht. Einmal habe ich zu einem Romanmanuskript von Hannes nichts gesagt. Ich glaube, er hat mein Schweigen wohl richtig verstanden, es war auch wirklich grottenolm schlecht. Seinen letzten Roman Jenes volle satte Gelb, eine Liebeserklärung an seinen Geburtsort Potsdam, habe ich hier im Blog gelobt. Er wollte den Roman  noch einmal umschreiben, ich sagte ihm: Hannes, lass das. Der Roman kann nicht besser werden. Ich hatte das Buch zweimal gelesen, das tue ich nicht bei jedem Buch. Als er mich fragte, ob ich sein Buch über den Rum besprechen würde, winkte ich ab. Ich habe schon so häufig über Rum und Admiral Vernon geschrieben. Ich weiß alles darüber, weil ich mal ein Feature für den NDR gemacht hatte. Aber dann habe ich Rund um Rum: Von der Karibik bis nach Flensburg - Die Geschichte eines Kultgetränks doch in den Post Flensburg hineingeschrieben. Das ist der Post, der mit dem Photo einer wenig bekleideten Frau beginnt, die aus Flensburg kommt und dann in Amerika Pornodarstellerin wird.

Hannes träumte davon, mit seinem alten Bulli noch eine große Frankreichreise zu unternehmen, aber er wusste auch, dass sein Herz schwächelte. Du hast das Frankreichbuch doch schon geschrieben, sagte ich. Ich hatte es gelesen, hatte es auch rezensiert, ich stelle die Rezension von 2011 von Auf der Suche nach Frankreich: Eine Liebeserklärung noch einmal hier hin: Ein halbes Jahrhundert Liebe zu Frankreich ist in diese Liebeserklärung von Hannes Hansen hineingewandert. Und so wie F. Scott Fitzgerald im vierten Kapitel von "The Great Gatsby" alle Parties von Gatsby zu einem einzigen rauschenden Fest zusammenfasst, fasst dieses Buch eine Vielzahl von Frankreichreisen des Autors zu einer einzigen Reise in das Herz der französischen Seele zusammen. Dieses charmant erzählte Buch ist ein Buch für Frankreichliebhaber, sie werden sich selbst und ihre eigenen Frankreicherlebnisse überall wiedererkennen. Aber es ist auch ein Buch für Leser, die noch nie in Frankreich waren, weil es Lust auf das Land jenseits des Rheins macht. Von Burgund bis zur Carmargue, vom Elsass bis Paris. Die Zeiten, in denen Frankreich unser "Erbfeind" war, sind glücklicherweise vorbei, dieses Buch trägt auch ein wenig zur Völkerverständigung bei. Man kann sich zu der Lektüre einen französischen Rotwein einschenken und eine Juliette Gréco CD (oder eine von Carla Bruni) auflegen, braucht das aber nicht unbedingt zu tun. Das Buch erzielt seine Wirkung auch ohne Rotwein und Chansons.

In seinem Wohnzimmer hing ein riesiges Bild an der Wand, gemalt von dieser jungen Frau. Es war ihre Abschlussarbeit an der Kunsthochschule, sagte er mir. Ich habe es zum Freundschaftspreis bekommen. War immer noch vierstellig, aber heute kann man ihre Bilder nicht mehr bezahlen. Da hatte er recht, Katharina Ziemke ist richtig berühmt geworden. Es ist ein seltsames Bild, Steine an einem Strand. Ist das noch Landschaftsmalerei oder schon abstrakte Kunst? Es erinnerte mich immer ein wenig an Richard Oelze, ich weiß nicht weshalb. Das Bild strahlte eine große Ruhe aus. Und blieb rätselhaft.

Er las meinen Blog und rief mich mindestens einmal die Woche an, um mit mir über irgendwelche Posts zu diskutieren. Wir waren nicht immer einer Meinung, aber ich werde nie vergessen, dass er nach der Lektüre des Posts Brigitte Kronauer beinahe ins Telephon brüllte: Danke, dass Du das geschrieben hast. Vor zehn Jahren hat Hannes Hansen mich gefragt, ob ich ihm zeigen würde, wie man einen Blog macht. Er wollte mit seinem Freund Christoph Munk, der beinahe vierzig Jahre Redakteur und Theaterkritiker bei den Kieler Nachrichten gewesen war, eventuell einen Blog machen. Christoph Munk, Ressortleiter Kultur der KN, war in den Ruhestand gehangen. Die Zeitung hatte danach das Feuilleton so gut wie aufgegeben. Was auch das Ende von Hannes Hansen journalistischer Arbeit für die Kieler Nachrichten bedeutete. Das Feuilleton war ja jahrzehntelang das Beste an dem Blatt, auch wegen Hannes. Heute lese ich die Zeitung nur noch wegen Hägar dem Schrecklichen und den Todesanzeigen. Ich hätte ihm gerne bei der Etablierung des Blogs geholfen, aber Christoph Munk hatte einen richtigen Profi zur Hand, und jetzt gibt es den Blog Hansen & Munk im Internet. Das ist der Teil, der jetzt in den Kieler Nachrichten fehlt.

Hannes liebte nicht nur Frankreich, er liebte auch Spanien. Da, wo er seinen schwarzen Hut gekauft hatte. In der Reihe von Buchers Städtereisen hatte er den Text zu dem Bildband Granada geschrieben. Aber viel interessanter ist, was er über Spanien in seinem Blog schreibt, lesen Sie doch einmal die Posts Unterwegs mit Hannes Hansen. In dem Blog findet sich auch ein noch nicht veröffentlichter Kurztext aus einer geplanten Reihe Spanische Augenblicke, der Ein Toter in Malpica heißt:

Auf der Treppe zum Hafen stehen die Männer in drei Reihen und schauen aufs Wasser. Unvermittelt fällt einer um. Die Männer schreien durcheinander, schwarz gekleidete Frauen eilen herbei. Kreischend fliegen die Möwen, vollgestopft mit Fischabfällen, von den Booten auf. An den Molen holen Halbwüchsige ihre Angelleinen ein. Ihre jüngeren Geschwister, die am inneren Hafenbecken Krebse gefangen haben, machen es ihnen nach.
       Ein Arzt kommt und untersucht den Zusammengebrochenen. Bedauernd hebt er die Hände. Zwei Männer tragen den Toten hinauf in die Stadt. Eine halbe Stunde später hat ein anderer die Lücke geschlossen. Es ist wie immer: Vorne stehen die Alten, hinten warten die Jungen darauf, dass sie alt werden, in die erste Reihe rücken und sterben.


Da ist er, der Tod. Hannes ist bei der Arbeit, am Schreibtisch vor seinem Computer, gestorben. Ist es das, was man einen schönen Tod nennt? Wenn ich an den Tod denke, fällt mir immer Roger McGoughs Gedicht Let me die a youngman's death ein, aber das gehört heute nicht hierher. Hannes hat sogar aus dem Spanischen übersetzt. Das merkte ich, als mir bei Eschenburg ein kleiner Gedichtband von Claribel Alegría in die Hände fiel, er hieß Epizentren: 1973–1996 und war bei der Nonnompress in Kiel erschienen. Ich las einige Gedichte, kaufte den unscheibaren grauen Band und nahm ihn mit. Zuhause sah ich erst, dass Hannes die Gedichte übersetzt hatte. Es war das erste Mal, dass diese Schriftstellerin in deutscher Sprache erschien. Auch wenn es nur eine kleine Auflage war, aber das war schon etwas Besonderes. Ich zitiere einmal aus dem Band das Gedicht Entwicklung (Evolucíon) in seiner Übersetzung: 

Let Me Die A Youngman's DeaMein Großonkel
Descartes
sagte:
'Cogito ergo sum'
Mein nachdenklicher
Onkel Nobel
machte seine Millionen
mit Dynamit
zuckte die Achseln und stiftete den
Friedenspreis.
Mein Mann und mein Bruder
jagten sich
mit Enthusiasmus
und Nitroglyzerin
in die Luft.
Ich hinke
durch die Zeit
und mache mir Sorgen
um meinen sorglosen Enkel:
Freudestrahlend
entreißt er alten Frauen
die Handtaschen
und tauscht sie
gegen den Schrecken ein.
Er trägt ein T-Shirt
auf dem steht:
Ich deliriere
also bin ich.

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