Donnerstag, 22. Oktober 2015

Kingsley Amis


Das Gedicht hat keinen Titel, deshalb wird es häufig als Untitled zitiert. Man hat es erst nach dem Tod des Autors Sir Kingsley Amis (der heute vor zwanzig Jahren starb) gefunden. Es ist ein Gedicht, das ein wenig nach Philip Larkin klingt. Was nicht so verwunderlich ist: Larkin war sein bester Freund.

Things tell less and less:
The news impersonal
And from afar; no book
Worth wrenching off the shelf.
Liquor brings dizziness
And food discomfort; all
Music sounds thin and tired,
And what picture could earn a look?
The self drowses in the self
Beyond hope of a visitor.
Desire and those desired
Fade, and no matter:
Memories in decay
Annihilate the day.
There once was an answer:
Up at the stroke of seven,
A turn round the garden
(Breathing deep and slow),
Then work, never mind what,
How small, provided that
It serves another's good
But once is long ago
And, tell me, how could
Such an answer be less than wrong,
Be right all along?
Vain echoes, desist.


Fangen wir mal eben mit der schmutzigen Seite an. Das ist Kingsley Amis, wie man ihn nicht unbedingt kennt. I Fat Englishman – I fuck anything hat seine Gattin Hilary dem schlafenden Kingsley Amis auf den Rücken geschrieben. Sie kannte ihn. Er war als Ehebrecher notorisch, noch notorischer als ➱Säufer (Now and then I become conscious of having the reputation of being one of the great drinkers, if not one of the great drunks, of our time). Im Alter war er rechtsradikal. Und homophob, xenophob, phob gegen alles. In seiner Jugend war er in der Kommunistischen Partei. So it goes.

Sein Freund Philip Larkin teilt viele seiner Ansichten. Das ist leider die nicht so schöne Seite von Philip Larkin. Wenn Sie mehr zu dieser Freundschaft zweier Literaturgrößen wissen wollen, kann ich die Lektüre von Richard Bradfords Buch The Odd Couple - The Curious Friendship between Kingsley Amis and Philip Larkin empfehlen. Die Personen auf diesem Photo sind (von links) Anthony Powell, Kingsley Amis, Philip Larkin und Hilary Amis. Anthony Powell (der ➱hier einen langen Post hat) passt eigentlich nicht in diese Gruppe, aber Amis hat den Autor von A Dance to the Music of Time geschätzt. Und hat in seinen Memoirs auch ein ganzes Kapitel für ihn. Amis' Memoirs sagen sehr wenig über ihn selbst, mehr über andere. Manche Kapitel sind ein giftiges Abrechnen mit alten Feinden, manche sind Lobhudeleien für neue Freunde. Wie ➱Mrs Thatcher (she has replaced the Queen as my dream girl).

Man kann Amis schwer einordnen. Sein komplexes Werk - mehr als zwanzig Romane (zwei davon Detektivromane), sechs Lyrikbände, Essays, Kurzgeschichten und Skripts für die BBC und das Fernsehen - lässt das kaum zu. Ihm selbst gefiel es nicht, mit Etiketten beklebt zu werden. In dem Vortrag Socialism and the intellectuals (➱hier im Volltext) sagte er 1957: how shall I describe myself? As an elderly young intellectual, perhaps, with connections in the educational and literary worlds and with left-wing sympathies.

Er wollte nicht als Angry Young Man gehandelt werden (der deutsche Wikipedia Artikel stellt ihn beinahe als Zentralfigur dar - der englische nicht), und wenn man es genau betrachtet, hat sein Roman Lucky Jim auch sehr wenig mit ➱John Braines Room at the Top zu tun. Lucky Jim ist der Roman, der ihn berühmt gemacht hat, und es ist nach über sechzig Jahren immer noch ein schöner Roman. Satirisch und komisch. His humor is much more thoroughly moral than either Shaw's or Waugh's, and in his early books it was a very different kind of morality— essentially concerned with the difficulties of sexual life and with emotional and intellectual sincerity, hat Martin Burgess Green geschrieben.

Vielleicht beginnt das Genre des Universitätsromans mit diesem Roman. Die Universität kannte Amis gut, nicht nur, weil er in Oxford studiert hat. Er war dreizehn Jahre lang an der Universität Swansea und zwei Jahre in Cambridge, aber auch amerikanische Universitäten wie Princeton haben ihn gerne als Gastprofessor gehabt. Wir nehmen mal an, dass er sich dort anders benommen hat als der liebenswerte Chaot Jim Dixon, der Held des Romans Lucky Jim. Cambridge soll Amis übrigens verlassen haben, weil dort die Professoren zu wenig Wert auf Geselligkeit und Alkohol legten.

Universitätsromane sind eine typisch englische Gattung. Sie reichen von ➱Dorothy Sayers Gaudy Night über das A Staircase in Surrey Quintett von J.I.M. Stewart (denn wir besser unter seinem Pseudonym ➱Michael Innes kennen) bis zu David Lodge. Die Gattung ist bei den Engländern am besten aufgehoben. Der Campus von Schwanitz ist ein klägliches Elaborat, bei dem die ganze Struktur von ➱Tom Wolfes Bonfire of the Vanities geklaut war. Ich habe in dem Post ➱Ray Bradbury einiges zu dem Thema Universitätsroman gesagt und hebe mir das Thema mal für spätere Zeiten auf.

Amis hat sich immer für die Dinge interessiert, die außerhalb des Curriculums der Universität lagen. Zum Beispiel für die Science Fiction. Ein Genre, das ich überhaupt nicht mag, das habe ich in dem langen Post ➱Fantasy schon dargelegt. Aber ich habe sein Buch New Maps of Hell: A Survey of Science Fiction natürlich gelesen. Hat mir das Genre allerdings auch nicht näher gebracht. Was mir näher liegt, ist dieses Buch, von dem ich sogar die Erstausgabe besitze. Ist immer noch, trotz der Unmengen von Sekundärliteratur zu dem Thema, eines der besten Bücher zu dem Phänomen James Bond. Im gleichen Jahr erschien auch The Book of Bond or, Every Man His Own 007 von einem gewissen  Colonel William ("Bill") Tanner, der natürlich niemand anderer als Kingsley Amis war.

Aber das war dem Schriftsteller noch nicht genug, er musste unbedingt auch noch einen James Bond Roman schreiben. Diesmal unter dem Pseudonym Robert Markham. Ein Roman, der übrigens besser ist als manche Romane von Fleming. Das fand Anne Fleming, die Witwe von Ian Fleming, überhaupt nicht, sie schrieb in einer Rezension für den Sunday TelegraphAmis will slip Lucky Jim into Bond’s clothing, we shall have a petit-bourgeois red-brick Bond, he will resent the authority of M., then the discipline of the Secret Service, and end as Philby Bond selling his country to SPECTRE. 

Das sind natürlich Bücher, mit denen man viel Geld verdienen kann. Und Amis, der 1961 seinen Job an der Universität von Swansea aufgab, verdiente viel Geld. Er kaufte sich keinen Rolls-Royce: er konnte überhaupt nicht fahren. Autos interessierten ihn nicht. Er brauchte viel Geld für seinen Lebensstil, seine beiden Scheidungen kosteten ein Vermögen (im Alter jammerte er, dass es der größte Fehler seines Lebens gewesen sei, Hilly zu verlassen). Und dann ist da noch der Alkohol: In the month of February 1993, while still active and ambulatory, if not exactly fit, Amis spent £315 on radio taxis, £432 on the Garrick Club (not including annual subscription) and £1.038 on drink, schreibt Zachary Leader in The Life of Kingsley Amis. Es verwundert nicht, dass Amis ein Buch über das Trinken geschrieben hat. Falls ein Leser gerade verkatert sein sollte, empfehle ich daraus die Lektüre des Kapitels ➱The Hangover.

Oder einen Blick auf den verkaterten Jim Dixon in Lucky Jim zu werfen: Dixon was alive again. Consciousness was upon him before he could get out of the way; not for him the slow, gracious wandering from the halls of sleep, but a summary, forcible ejection. He lay sprawled, too wicked to move, spewed up like a broken spider crab on the tarry shingle of the morning. The light did him harm, but not as much as looking at things did; he resolved, having done it once, never to move his eyeballs again. A dusty thudding in his head made the scene before him beat like a pulse. His mouth had been used as a latrine by some small creature of the night, and then as its mausoleum. During the night, too, he’d somehow been on a cross-country run and then been expertly beaten up by secret police. He felt bad.

Ich habe das kleine Portrait von Kingsley Amis mit einem Gedicht begonnen, ich will mit einem Gedicht schließen, das instead of an epilogue am Ende seiner Memoirs steht. Es ist seiner Ex-Frau Hilary gewidmet, bei der er im Alter wieder landete. Die ist inzwischen Lady Kilmarnock, weil sie Alastair Boyd, den siebten Baron Kilmarnock geheiratet hatte. Aber das Haus hatte Kingsley ihr gekauft, jetzt zog er da wieder ein. Und das Ehepaar Kilmarnock besorgte ihm den Haushalt. Hier ist Amis mit Hilly und seinem Sohn Martin zu sehen.

Der ist auch Schriftsteller geworden, er hat über die letzten Lebensjahre seines Vaters das rührende Buch Experience geschrieben. Aber in dem Gedicht für Hilly wird er nicht erwähnt. Kingsley Amis hat seinen Sohn sowieso selten erwähnt: How could he be so incurious about me? fragte Martin Amis nach dem Tod seines Vaters. Vielleicht rebelliert er immer noch gegen seinen Vater. Das hat er geerbt, er ist auch gegen alles. Vor allem gegen das Königshaus: Still, I allowed myself to say impetuously when she greeted me: You knighted my father. Her only reaction was to look far away, vaguely staring at a painting on the wall. That's all. Einen Adelstitel würde er ablehnen, seine Meinung über die königliche Familie: They are philistines. Vielleicht wird er ja noch mal erwachsen.

In einem Punkt hatte Martin Amis natürlich recht, ➱Lisbeth hätte sich an seinen Vater erinnern können. Sehr wenige Schriftsteller sind von ihr geadelt worden. Viel mehr Schauspieler. Gleichzeitig mit Amis bekommt ➱Peter Ustinov seinen Titel. Und ein Mann, den man heute besser nicht mehr erwähnt: ➱Jimmy Savile. Kingsley Amis, der wahrscheinlich nicht wegen seiner literarischen Verdienste, sondern wegen seiner Nähe zu Maggie Thatcher geadelt wurde, hatte Schiss vor der Zeremonie. Er fürchtete, dass er der Königin auf die Füße treten könnte. Oder dringend zum Klo müsste, sein Arzt pumpte ihn mit Imodium voll. Als er zum Buckingham Palast kam, hatte er seine Einladung vergessen. Man ließ ihn nur hinein, weil er in der Begleitung von Mavis Nicolson kam. Die kannte das Palastpersonal aus dem Fernsehen.


Instead of an epilogue:

I.
In 1932 when I was ten
In my grandmother’s garden in Camberwell
I saw a Camberwell Beauty butterfly
Sitting on a clump of Michaelmas daisies.
I recognised it because I’d seen a picture
Showing its brownish wings with creamy edges
In a boy’s paper or on a cigarette-card
Earlier that week. And I remember thinking,
What else would you expect? Everyone knows
Camberwell Beauties come from Camberwell;
That’s why they’re called that. Yes, I was ten.

II.
In 1940 when I was eighteen
In Marlborough, going out one winter’s morning
To walk to school, I saw that every twig,
Every leaf in the vicar’s privet hedge
And every stalk and stem was covered in
A thin layer of ice as clear as glass
Because the rain had frozen as it landed.
The sun shone and the trees and shrubs shone back
Like pale flames with orange and green sparkles.
Freak weather conditions, people said,
And one was always hearing about them.

III.
In ’46 when I was twenty-four
I met someone harmless, someone defenceless,
But till then whole, unadapted within;
Awkward, gentle, healthy, straight-backed,
Who spoke to say something, laughed when amused;
If things went wrong, feared she might be at fault,
Whose eye I could have met for ever then,
Oh yes, and who was also beautiful.
Well, that was much as women were meant to be,
I thought, and set about looking further.
How can we tell, with nothing to compare?

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