Samstag, 24. Oktober 2015

Schuhe aus Portugal


Ich habe vor Jahren bei ➱Kelly's Christian Geffers kennengelernt. Er hat eine ➱Agentur für Modemarken. Wir redeten aber nicht über Herrenmode, sondern über Uhren. Er hatte eine schöne Zenith Rainbow am Arm, und machte leicht gehässige Bemerkungen über ➱Rolex. Das gefiel mir. Damals war in den Rolex Chronographen ja noch das berühmte Zenith El Primero Werk drin, weil Rolex kein eigenes Chronographenwerk hatte. Heute haben sie eins. Hat aber lange gedauert, bis sie das zustande bekommen haben. Ich habe Christian Geffers später noch mehrfach getroffen, da redeten wir dann auch schon mal über Mode. Und er hatte einen Geheimtip für mich: Schuhe von Mack James.

Damals vertrat er noch diese Marke, das tut er heute nicht mehr. Wahrscheinlich hat das etwas mit der ein klein wenig katastrophalen Vertriebsstruktur der Firma zu tun. Die Internetseite Parisian Gentleman lobte ➱2009 die Marke über den grünen Klee: Parisian Gentleman’s recommendations: Aubercy, Berluti, Carlos Santos [die Dachfirma von Mack James], Corthay, Gaziano & Girling, John Lobb. Da befindet man sich in der besten Gesellschaft.

Aber vor wenigen Monaten musste dieselbe ➱Quelle sagen: Being among the first to support Carlos a few years ago, we anticipated nothing short of a glorious future for his company, given the quality of his work and the notable aesthetics of his shoes. However, weak strategy and questionable marketing decisions have challenged the company’s development, leaving us to wonder if Carlos Santos will one day reach his full commercial potential. Carlos Santos’ shoes are excellent, but distribution logistics are caught up in an artistic blur that has resulted in sheer disorganization.

Als mir Christian Geffers den Namen Mack James nannte, hatte ich noch nie von dieser Firma gehört. Aber ich machte mich peu à peu schlau. Und erfuhr, dass sich hinter dem englischen Namen eine portugiesische Firma verbarg, die Carlos Santos heißt. Nun können sie in Portugal (und Spanien) ja auch Schuhe machen, und Portugal hatte immer gute Verbindungen nach England. Auf jeden Fall, seit Wellington das Land vor Napoleon bewahrt hat. Weshalb man ihn dort auch zum Duke of VitóriaMarquis of Torres Vedras und Count of Vimeiro gemacht hat.

Und da ich gerade bei Portugal und Wellington bin: kaufen Sie sich nie die DVD von Lines of Wellington (Sturm über Portugal) mit John Malkovich als etwas bescheuertem Wellington. Raúl Ruiz hatte diesen Film geplant, hat ihn aber nicht gedreht, weil er vorher starb. Der Regisseur, der eine der besten Proust Verfilmungen (lesen Sie ➱hier mehr) gedreht hat, kann dieses Machwerk nicht gemeint haben. Wenn Sie Wellington noch komischer haben wollen als bei Malkovich, müssen Sie mal eben ➱Prince Blackadder anklicken (dies ist eine Folge von Blackadder, in der ➱Blackadder und der Prince of Wales die Rollen getauscht haben).

Der Herzog von Wellington hat in Portugal keine portugiesischen Schuhe getragen, er vertraute auf das, was ihm sein Schuster ➱George Hoby aus London lieferte. Aber die neue Form der Stiefel (die eines Tages seinen Namen tragen), die hat sich Wellington in Portugal ausgedacht. Beinahe wäre er gar nicht bis Portugal gekommen, sein Schiff Surveillante droht zu sinken. Sein aide-de-camp Colin Campbell kommt zu ihm in die Kabine und sagt ihm, Kapitän  Collier bäte ihn, er möge seine Stiefel anziehen und an Deck kommen. Wellington lässt dem Kapitän ausrichten, er dächte gar nicht daran. Wenn das Schiff unterginge, sei er ohne Stiefel besser dran. Und schläft weiter. Die Surveillante ging nicht unter.

Die Verbindungen zwischen Portugal und England sind natürlich älter als der napoleonische Krieg. In den Portugal hineingezogen wurde, weil man die Kontinentalsperre verweigerte. Da musste Napoleon schon seinen Truppen sagen: Soldiers, I need you. The presence of the hideous leopard contaminates the country of Spain and Portugal. The leopard will flee in terror at your approach. Der Leopard Wellington (hier seine Büste in Porto), der auf einem französischen Schiff kam, das die Royal Navy erobert hatte, flieht nicht. Er befreit Portugal.

Seit Portugal und England 1386 im Schloss Windsor den Vertrag von Windsor schlossen, gibt es eine Allianz (Aliança Luso-Britânica) zwischen den Ländern. Es ist die älteste politische Allianz der Welt, eine Allianz, die nie gebrochen wurde. Und auf diese Allianz konnte sich Portugal (das auch mal eine Engländerin als Königin hatte, hier neben ihrem Gatten João I) verlassen, als Napoleon vor der Tür stand und das Königshaus nach Brasilien floh. Und im ➱Falkland Krieg hat Portugal natürlich die Azoren als Basis zur Verfügung gestellt, damit die Limeys ihre Flugzeuge auftanken konnten.

Wirtschaftliche Beziehungen gibt es (außer den Touristen) heute immer noch, England zählt für die Portugiesen zu den wichtigsten Exportländern. Die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen Portugal und England begannen im großen Stil, als John Methuen im Jahre 1703 einen Vertrag aushandelte, der den Namen Methuen Treaty hat. Oder etwas salopper Port Wine Treaty, denn seit dieser Zeit gehört der süße Wein aus dem Douro Tal zu den Lieblingsgetränken der Engländer. Schöne Schuhe konnten die Portugiesen auch damals schon machen, diese Schuhe vom Ende des 18. Jahrhunderts kann man heute Museu Nacional do Traje in Lissabon bewundern.

Heute boomt die portugiesische Schuhindustrie. Es sind hauptsächlich Damen- und Freizeitschuhe, die aus Portugal kommen. Im Bereich der klassischen Herrenschuhe hat man den Spaniern, die eine Marke wie Carmina haben, nicht so viel entgegenzusetzen. Aber man bemüht sich. Innovative Firmen werden jährlich mit dem portugiesischen Innovations Award ausgezeichnet, und man achtet auf ökologisch nachhaltige Herstellung. Viele Unternehmen tragen das Biocalce Label, das vom Portugiesischen Technologischen Zentrum für Schuhe vergeben wird.

Die Schuhindustrie in Portugal hat sich gewandelt, diese beiden Bilder stammen aus einer Kampagne, die es seit 2009 gibt. Und da kann man lesen Portuguese Shoes Designed for the Future oder The sexiest industry in Europe. Früher waren, so sagt man, die Schuhe meist Auftragsarbeiten internationaler Schuhhersteller. Die portugiesische Schuhindustrie war von kleinen und mittelständischen Unternehmen geprägt. Das hat sich inzwischen geändert, portugiesische Schuhmarken haben sich am internationalen Markt etabliert. Das kann man auf einer Internetseite lesen.

Die Sache mit den Auftragsarbeiten ist wahrscheinlich wahr, selbst berühmte englische Firmen sollen schon Lohnarbeiten nach Portugal vergeben haben. Ist sicher besser, als die Schuhe in Indien fertigen zu lassen, was ➱Grenson zum Teil tut. Man will in Portugal aber heute weg von dem Billiglohnland und dem Billigheimer Image: In the ‘90s, Portugal was the ‘China of Europe, with very low prices, lower quality and mass production, mainly targeting European markets, sagt José Neves, der aus der Schuhbranche kommt und einen Online Handel namens Farfetch betreibt.

Und er sieht gute Chancen für die portugiesische Industrie (die gerade mit 160 Millionen Euro für die Verbesserung der Strukturen aufrüstet, wenn die EU mitspielt): Portugal is an excellent source, especially for footwear, for three reasons. One, it has very similar craftsmanship to Italy and France with significantly lower labour costs. Two, the industry is composed of small-scale factories with very low minimums, which attract higher-end designers and top-tier ranges. And three, it is easy, cheap, super-quick, normally three days for the import of raw materials such as hides, heels, outsoles, trims, metal components, etcetera from Italy, France and the UK, as well as decent local component supply.

Die seit 1942 bestehende Fabrik von Carlos Santos ist in São João da Madeira zu Hause, einem kleinen Ort im Norden des Landes. Der Ort mit seinen 22.000 Einwohnern besitzt zahlreiche Industriedenkmäler wie die denkmalgeschützte ehemalige Nähmaschinenfabrik Fábrica Oliva (die heute ein Kunstzentrum ist) und die ehemalige Hutfabrik Empresa Industrial de Chapelaria (heute ein Hutmuseum). Ich erwähne die Hutindustrie, weil der Vater von Carlos Santos als Hutmacher begonnen hat, bevor er zur Schuhmacherei wechselte.

Aber es gibt nicht nur leerstehende Fabriken in São João da Madeira, die Stadt ist auch das Zentrum der Schuhindustrie (hier ein Blick in die Fabrik von Carlos Santos), sozusagen das Northampton von Portugal. Hier lässt sich selbst ein australischer Händler wie Saba seine Qualitätsschuhe fertigen. Die Fabriken von portugiesischen Firmen wie Profession Bottier und De Gier sind allerdings nicht unter den sieben Schuhherstellern von São João da Madeira.

Ich weiß nicht, wo in Portugal die englische Firma Loake (oder der Händler Herring Shoes) einen Teil ihrer Schuhe fertigen lassen, aber ihre preisgünstigeren Schuhe kommen wohl aus Portugal. Und da ich die Firma Loake schon erwähnt habe, sollte ich auch sagen, dass sie nicht die Schuhe für Charles Tyrwhitt machen, wie hundertfach im Netz zu lesen ist. Sie liefern Tyrwhitt nur ganz wenige Modelle (haben sie in diesem Jahr öffentlich erklärt). Und auf keinen Fall die teuren Modelle, die einen McAfee Absatz haben.

Wie zum Beispiel das Wholecut Modell Arthur, den stellt wahrscheinlich die Firma Barker her. So elegant wie dieser Wholecut ist der allerdings nicht, das hier ist ein portugiesischer De Gier Schuh. Carlos Santos hat inzwischen seine Linie Mack James aufgegeben, jetzt gibt es nur noch Santos und Carlos Santos. Und dann sind da noch Schuhe für andere Firmen, wie zum Beispiel Marc Guyot in Frankreich (vielleicht produzieren sie in São João da Madeira auch die Schuhe für die französischen Marken LodingEmling und Bowen).

Ich habe mir über die Jahre drei Paar Mack James Schuhe gekauft. Bei dem bekannten Schuhhaus ebay, alle nagelneu. Haben zusammen knapp dreihundert Euro gekostet. Zwei sind hervorragend, der dritte (vom sogenannten Green Label) ist solala. Aber vielleicht wird noch was draus, man muss einem Schuh auch Zeit geben. In einem Schuhgeschäft in Deutschland habe ich die alle noch nie gesehen. In den letzten Jahren sind Carlos Santos Schuhe mal bei Manufactum und Pro Idee aufgetaucht, auch auf den Seiten von amazon.com waren sie zu sehen. Die Firma ist natürlich von ➱Urban Buchmann bemerkt und vorgestellt worden (der Artikel enthält auch einen interessanten ➱Link), und Urban Buchmann führt sie auf auf seiner ➱Liste der besten RTW Schuhe.

Qualitativ kommen sie vielleicht nicht an die spanischen Luxusmarken Carmina und Loewe heran, wobei wir die letztere gleich wieder streichen können, Loewe Schuhe werden von Stefanobi gemacht (die auch die Schuhe für ➱Berluti herstellen). Aber die Qualität von Carlos Santos/Mack James ist für den Preis schon erstaunlich. Das einzige Problem ist nur: wo kriegt man sie? Und zu welchem Preis? Hier muss der Satz vom Parisian Gentleman noch einmal wiederholt werden: distribution logistics are caught up in an artistic blur that has resulted in sheer disorganization.

Die schönen Worte Since that time their beautiful men's footwear, which features Goodyear welt construction, has taken the brand worldwide and is a growing presence in the high end men's luxury shoe market sind auch nur Marketinggeschwätz. Da gilt eher das Urteil: Incoherent strategy (if any), obscure distribution pattern, esoteric pricing. Oder His ever-changing lines and collections make little sense; what happened to the superb “Handcrafted” range, that has suddenly disappeared from the brand’s website? And what about the prices, that shuffle around, depending on which website you’re on? Sie machen schon gute Schuhe, aber was hilft es, wenn es mit dem Vertrieb nicht klappt? Hier auf dem Bild hat Carlos Santos den portugiesischen ➱Präsidenten zu Gast. Ich glaube, er verspricht ihm gerade hoch und heilig, dass das mit dem Vertrieb besser werden soll.

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