Dienstag, 13. Oktober 2015

Joachim Murat


Am heutigen Tag sind zwei Männer gestorben, die in ihrem Leben beide einmal Herzog von Berg waren. Vor hundertneunzig Jahren starb der König Maximilian von Bayern, und vor zweihundert Jahren starb Joachim Murat. Der auch einmal König war. Hier präsentiert er sich in der Uniform der bergischen Kavallerie, von ➱François Gérard um 1808 gemalt. Den politisch anpassungsfähigen Maler, der in dieser Zeit viele Berühmtheiten portraitierte, hatte Napoleon zum Baron gemacht. Den Sohn des Kneipenwirts Pierre Murat-Jordy hat Napoleon zum König von Neapel gemacht. Aber erst einmal zum Großherzog von Berg. Das gibt dem eitlen Murat die Gelegenheit, sich diese neue Phantasieuniform schneidern zu lassen.

Die letzte Uniform hatte ihm der Maler Jacques-Louis David entworfen, da war Murat gerade Großadmiral von Frankreich geworden. Wenn er König von Neapel wird, muss natürlich eine neue Uniform her. Und die muss auch wieder gemalt werden. Hier von dem Darmstädter Hofmaler Johann Heinrich Schmidt. Der hatte zehn Jahre in Rom gelebt (wo er Goethe traf), hatte eine Italienerin geheiratet und war vor den französischen Truppen nach Neapel geflohen. Jetzt sind die Franzosen in Neapel und Schmidt bleibt nichts anderes übrig, als den neuen König zu malen. Er würde ja lieber seine hübschen Landschaften malen, die die englischen ➱Touristen so gerne kaufen, aber die englischen Touristen kommen leider nicht mehr. Da bleibt einem nur dieser Murat.

Im Großherzogtum Berg gibt es vielleicht nicht so gute Schneider wie in Neapel (die italienischen Schneider von Murat werden schon in dem Post ➱Raffaele Caruso erwähnt), aber wenn man Großherzog von Berg ist, dann kommt man schon mal auf eine Sammeltasse. Murat schafft es nicht nur auf die Sammeltasse und auf die Münzen des Großherzogtums, er schafft es auch in die deutsche Literatur: Als ich erwachte, schien die Sonne wieder wie gewöhnlich durch das Fenster, auf der Straße ging die Trommel, und als ich in unsre Wohnstube trat und meinem Vater, der im weißen Pudermantel saß, einen guten Morgen bot, hörte ich, wie der leichtfüßige Friseur ihm während des Frisierens haarklein erzählte: daß heute auf dem Rathause dem neuen Großherzog Joachim gehuldigt werde, und daß dieser von der besten Familie sei, und die Schwester des Kaisers Napoleon zur Frau bekommen, und auch wirklich viel Anstand besitze, und sein schönes schwarzes Haar in Locken trage, und nächstens seinen Einzug halten und sicher allen Frauenzimmern gefallen müsse. 

Unterdessen ging das Getrommel, draußen auf der Straße, immer fort, und ich trat vor die Haustür und besah die einmarschierenden französischen Truppen, das freudige Volk des Ruhmes, das singend und klingend die Welt durchzog, die heiter- ernsten Grenadiergesichter, die Bärenmützen, die dreifarbigen Kokarden, die blinkenden Bajonette, die Voltigeurs voll Lustigkeit und Point d'honneur, und den allmächtig großen, silbergestickten Tambour-Major, der seinen Stock mit dem vergoldeten Knopf bis an die erste Etage werfen konnte und seine Augen sogar bis zur zweiten Etage – wo ebenfalls schöne Mädchen am Fenster saßen. Ich freute mich, daß wir Einquartierung bekämen – meine Mutter freute sich nicht – und ich eilte nach dem Marktplatz. Da sah es jetzt ganz anders aus, es war, als ob die Welt neu angestrichen worden, ein neues Wappen hing am Rathause, das Eisengeländer an dessen Balkon war mit gestickten Sammetdecken überhängt, französische Grenadiere standen Schildwache, die alten Herren Ratsherren hatten neue Gesichter angezogen und trugen ihre Sonntagsröcke, und sahen sich an auf französisch und sprachen bon jour; aus allen Fenstern guckten Damen, neugierige Bürgersleute und blanke Soldaten füllten den Platz, und ich nebst andern Knaben, wir kletterten auf das große Kurfürstenpferd und schauten davon herab auf das bunte Marktgewimmel.

Zuerst ist der Joachim ja nur ein einfacher Herzog, aber das gefiel seiner Frau Caroline (hier von Élisabeth Vigée-Lebrun gemalt) überhaupt nicht. Also sagte sie ihrem Bruder, dass der Joachim Großherzog werden müsse. Da ist es natürlich von Vorteil, wenn der Bruder Napoleon heißt. Und schwupps wird aus dem Herzogtum Berg ein Großherzogtum. Napoleon bringt seine Verwandten und Satrapen jetzt überall in Europa unter. Auch wenn er dafür die politische Landkarte verändern muss. Sein Bruder Jérôme wird gerade König des neuen Königreichs Westphalen, König Lustik nennen ihn seine Untertanen. Und sein Bruder Louis wird als Lodewijk Napoleon König des neu geschaffenen Königreichs Holland.

In Düsseldorf, der Hauptstadt des Herzogtums, ist Murat selten gewesen. Natürlich war er da beim Einzug im Jahre 1806, als ihm die bergischen Landstände huldigten. Da können wir Heinrich Heine (von dem der ➱Text da oben stammt) schon vertrauen. Der neue Großherzog hielt sich lieber im Schloss Benrath auf. Dies Bild hat er sich von dem Vater des Malers ➱Horace Vernet malen lassen. Es hängt heute im Salon Murat des Elysee Palasts. Das Bild war für Murat ein kleines Andenken an ein Fürstentum, in dem er kaum war. Ganze fünf Monate seiner zweijährigen Herrschaft hat er dort verbracht.

Seine Frau Caroline war überhaupt nicht da, die blieb lieber in Paris (wo sie Élisabeth Vigée-Lebrun mit einer Phantasielandschaft des Herzogtums gemalt hat). Die Düsseldorfer Gesellschaft war sehr enttäuscht. Aber wenn Caroline Königin von Neapel wird, dann zieht sie natürlich nach Neapel. Und lässt sich als neapolitanische Bäuerin malen. Es ist eine Zeit der Inszenierung. Die europäischen Maler müssen Napoleon ja dankbar sein, immer wenn einer seiner Verwandten und einer seiner Marschälle einen neuen Rang und einen neuen Titel bekommt, lässt der sich malen. Möglichst von dem Maler, der gerade in Mode ist. Wie Élisabeth Vigée-Lebrun (die in Paris gerade eine große Ausstellung hat) oder François Gérard. Oder von ➱Louis-Léopold Boilly.

Auch diese Dame beschäftigt eine Vielzahl von Malern für ihre Selbstinszenierung. Hier ist sie von Marie-Guillemine Benoist gemalt, mit wunderbar elongierten Gliedmaßen. Sie soll, sagen ihre Zeitgenossen, sehr hässlich gewesen sein, auf den Bildern sieht man nichts davon. Es ist Napoleons ältere Schwester Élisa Bonaparte. Machtgierig und intrigant wie ihre Schwester Caroline häuft sie Titel an (Talleyrand verlieh ihr ironisch den Titel Semiramis von Lucca) und wird zur Fürstin von Lucca, Erbprinzessin von Piombino und Großherzogin der Toskana. Italien scheint fest in der Hand der Familie Bonaparte zu sein. Napoleon ist König von Italien, sein Sohn wird noch in der Wiege zum König von Rom ernannt.

Wenn Murat König von Neapel wird, gibt er sein Herzogtum auf. Das bekommt jetzt Napoleons Neffe Napoléon Louis Bonaparte (hier von François-Josèphe Kinson gemalt). Der ist aber erst vier, da muss Napoleon das Großherzogtum selbst regieren. Beziehungsweise tut das Jacques-Claude Beugnot für ihn, einer seiner fähigsten Beamten. Ein liberaler Statthalter, der seine Aufgaben ernst nimmt. Heinrich Heine nennt ihn nur den braven Franzosen (Beugnot, der brave Franzose, der den Bewohnern des Großherzth. Berg, trotz seiner haßerregenden Stellung, so manche schöne Beweise eines edeln und großen Charakters gegeben hat...). Napoleon macht den braven Franzosen zum Grafen. Und der kleine Napoléon Louis Bonaparte ist im Jahre 1810 für ein paar Tage König von Holland.

Im Jahre 1810 wird das Großherzogtum Berg auch noch ein wenig größer, der Fürst von Recklinghausen (der auch weitläufig mit Napoleon verwandt ist) muss etwas von seinen Besitzungen abgeben. Seinen Titel darf er aber behalten, den führt dieser Herr hier immer noch. Das ist nämlich Leopold-Engelbert von Arenberg, dreizehnter Herzog von Arenberg, neunzehnter Herzog von Aarschot, achter Herzog von Meppen, achter Prinz von Recklinghausen. Ich nehme mal an, dass er diese Titel nicht alle benutzt. Wenn sich jemand als Herzog von Meppen oder Prinz von Recklinghausen in einem Hotel einträgt, wird er bestimmt für einen Hochstapler gehalten. Und bevor ich es vergesse: es gibt hier im Blog schon einen Post für den ➱Fürsten von Recklinghausen.

Vor unserem Gastwirtsohn war dieser Herr der Herzog von Berg. Er heißt Maximilian und hat bei seinem Regierungsantritt im Jahre 1799 so schöne Titel wie Herzog von Bayern, Pfalzgraf bei Rhein, Herzog von Jülich und Berg und  Kurfürst des Heiligen Römischen Reiches. Der in Frankreich aufgewachsene Maximilian verzichtet auf das Herzogtum Berg und bekommt dafür einen neuen Titel - das ist jetzt ein ewiges Geben und Nehmen - er wird König von Bayern. Beliebt bei seinem Volke als König Max wird er am 13. Oktober 1825 im Schloss Nymphenburg sterben.

Am 13. Oktober, aber schon zehn Jahre früher, stirbt auch der ehemalige Großherzog von Berg. In Italien standrechtlich erschossen als er versuchte, sein Königreich zurückzugewinnen. Er soll dem Peloton zugerufen haben: Soldaten, zielt auf das Herz, schont das Gesicht! Das macht dieses Bild aus einem Geschichtsbuch von 1908 deutlich. Dass die Soldaten genau zielen sollen, das hat Michel Ney seinem Erschießungskommando auch zugerufen. Es gibt zahlreiche Beschreibungen von der Hinrichtung, aber es gibt keine guten Bilder. Nichts, was man mit Jean-Léon Gérômes Bild vom ➱Marschall Ney oder Manets Bild von Maximilian in Mexiko (zu dem es ➱hier einen langen Post gibt) vergleichen könnte.

Er hat sicher eine gute Figur gemacht, denn keiner von Napoleons ➱Marschällen war so eitel wie er. Wahrscheinlich hat er schont das Gesicht! nur gesagt, weil er wieder mal gut geschminkt war. Das mit der Schminke und den gekräuselten Haaren hat er sich in Italien angewöhnt. Wie ➱Gustav von Aschenbach in Thomas Manns Tod in Venedig. Wenn Antoine-Jean Gros ihn malt, dann trägt er eine Phantasieuniform mit juwelenbesetztem Federhut. Die Schneider in Neapel schneidern ja alles, wenn der Kunde zahlt. Wahrscheinlich heute noch. Das Tigerfell auf dem Schlachtross musste offensichtlich sein. Als General ist er ein Versager, man kann ihn nicht mit einem Taktiker wie ➱Kutusow vergleichen.

Von Taktik hat Murat keine Ahnung. Er ist glücklich, wenn er auf dem Schlachtfeld herumreiten und wild den Säbel schwingen kann. Seine Kollegen sind da nicht so glücklich. Der Marschall Nicolas Davout hat ihn auf dem Rußlandfeldzug einmal angebrüllt: Vous n'êtes Roi que par la grâce de Napoléon et du sang français. Vous ne pouvez l'être que par Napoléon et en restant uni à la France. C'est une noire ingratitude qui vous aveugle! Mehr kann man zu dem Joachim Murat eigentlich nicht sagen.

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