Es hat in diesem Blog in den letzten Jahren eine Vielzahl von subjektiven Firmenportraits gegeben, von den Firmen ➱Baldessarini, ➱Caruso, ➱Brioni, ➱Regent, ➱Windsor und ➱Zegna. Aber es gab noch nichts über Kiton. Gut, die Firma wird erwähnt, wie zum Beispiel in dem Post ➱Etikettenschwindel, weil da das Kiton Jackett des Helden von Christian Krachts Roman Faserland erwähnt wird. Das sich in der nächsten Auflage in ein Jackett von Davies & Son verwandelte. Wollte die Firma in Neapel diese Werbung nicht? Ich erhielt vor kurzem eine Mail, in der ein Leser fragte, ob jetzt nicht endlich auch einmal ein Post über Kiton fällig sei. Warum nicht?
Die Firma Kiton wurde 1956 von Ciro Paone und Antonio Carola unter dem Namen CIPA (gebildet aus den Anfangsbuchstaben des Namens von Ciro Paone) gegründet, die Firma ist also jünger als Brioni und ein wenig älter als Caruso. Auf dem Markt ist man mit Jacketts und Anzügen aber erst seit 1968, da war Caruso schon über den Betrieb mit zwei Angestellten hinaus. Der Firmenname Kiton leitet sich vom griechischen Chiton (χίτων) ab, einem hemdartigen Untergewand. Da drüber trug man (Mann) das Himation, das die Römer Pallium nannten. Ich weiß nicht, was die Götter auf dem Olymp tragen (sicherlich keine Olymp Hemden), aber auf dem Olymp der Schneiderkunst ist die Firma von Ciro Paone, die nicht wie Brioni zu einem Konzern gehört, schon lange. Das einzige, was man beklagen kann, ist, dass ihre Produkte sauteuer sind. Nicht nur Götter können Kiton tragen, inzwischen hat man mit Kiton Donna auch eine Linie für Göttinnen.
Obgleich die Firma Kiton aus Neapel kommt, will man auch in Mailand präsent sein und hat sich gerade einen Palazzo gekauft. Der zuvor Gianfranco Ferré gehört hatte, aber die Firma ist inzwischen pleite, jetzt ist der Palazzo Ferré der Palazzo Kiton geworden. Es ist kein wirklich schönes Gebäude. Gab es nicht noch irgendwo eine leerstehende ➱Palladio Villa? Das hätte mehr Stil gehabt. Der Kaufpreis hat wahrscheinlich unterhalb der ursprünglich geforderten 28 Millionen Euro gelegen. Für die Summe hätte man wahrscheinlich auch den Olymp bekommen, ➱Griechenland ist im Augenblick billig zu haben.
Aber man hat viel Platz: viertausend Quadratmeter. Da kann man alles mögliche ausstellen. Kunst, wie diese. Wenn es denn Kunst ist.
Kunst zu sammeln gilt in der Konfektion als chic, der Besitzer der Sör Läden hat eine riesige Sammlung alter Holländer. Ciro Paono hätte in seinem neuen Palazzo auch gerne die ganze Garderobe des von ihm bewunderten Duke of Windsor ausgestellt, aber leider hat ihm sein Konkurrent Joe Barrato von Brioni bei der Auktion von Sotheby's in Windsor den größten Teil weggeschnappt.
Aber diesen ➱Morning Coat von Scholte, den hat er bekommen. Die Hosen sind von Forster & Son. Der Duke of Windsor mochte Scholtes Hosen nicht: I never had a pair of trousers made by Scholte. I disliked his cut of them; they were made, as English trousers usually are, to be worn with braces high above the waist. So, preferring as I did to wear a belt rather than braces with trousers, in the American style, I invariably had them made by another tailor. Einen Kilt und ein Abendkleid von Wallis hat Paone auch bekommen. Er sollte nicht traurig sein, dass er nicht alles gekriegt hat. Jetzt hat Brioni den Ärger mit den Motten.
Es gibt seit einiger Zeit - vor allem für den amerikanischen Markt - mit CIPA 1960 (ein Wortspiel zum englischen cheaper) eine etwas günstigere Linie, aber günstig ist ein relativer Begriff. Vierstellig ist es immer. Das ist ziemlich teuer, wenn man bedenkt, dass man da als erstes dieses furchtbare rote Etikett herausschnibbeln muss. Man kann CIPA 1960 kaum eine Zweitlinie nennen. Es hat nichts damit zu, was zum Beispiel Chester Barrie (ein Jammer, was aus denen geworden ist) als Zweitlinie Chester auf den Markt wirft.
Er isst mittags in der Werkskantine, das hat er immer gemacht. Seine Angestellten sind seine Familie. Mit zwanzig Schneidern hat er 1956 angefangen, heute sind es bestimmt vierhundertfünfzig. Es ist eine riesige Fabrik geworden, die -zigtausend Anzüge im Jahr produziert. Inzwischen hat man Geschäfte in allen Teilen der Welt, hat einen flagship store in New York (und in den Bal Harbour Shops in Florida zwischen Hermès und Louis Vuitton). Auch in Moskau, wo diese neue Geldelite (bei der man nicht so recht weiß, wie sie an ihr Geld gekommen ist) ganz scharf auf Kiton Anzüge ist. Beim Tanz um das goldene Kalb kann man sich seine Tanzpartner nicht aussuchen.
Der Hauch der großen weiten Welt der Reichen und Schönen hinterläßt einen gewissen haut goût. Wie das grauenhafte ➱After Shave, das Kiton auf den Markt brachte. Kann man bei Rossmann kaufen. Ansonsten gibt es aber nichts von Kiton bei Rossmann. Ob Kiton nun auch Jeans machen musste, das weiß ich auch nicht. Aber sie haben lustige rot emaillierte Knöpfe, und Antonio De Matteis, der Neffe von Ciro Paone, ist überzeugt, dass der Mann so etwas braucht: We didn’t make jeans because we thought they were the next wave. We offer them as a service to our clients. The Kiton consumer is a connoisseur, a gentleman, someone who wears a suit during the week but loves to throw on a beautiful cashmere sports coat with a pair of jeans on the weekend. Die Dinger kosten in den USA 870 $, sind hierzulande aber billiger.
Jemand aus der Textilbranche hat mir zugeflüstert, dass die Jeans eh von Jacob Cohen hergestellt würden, das beruhigt mich sehr. Denn mit den Jeans komme ich bestens zu Recht. Der Stoff der Kiton Jeans kommt (wie bei Jacob Cohen) aus Japan. Wahrscheinlich gewebt auf den über hundert Jahre alten Webstühlen, die die Japaner von den Amerikanern gekauft hatten: Kiton’s denim is made in Japan, which it calls the world’s best. It’s produced from organic cotton on antique, labor-intensive looms. Ich halte von diesem ganzen Luxusjeans Rummel überhaupt nichts. Als es letztens mal richtig warm war, habe ich meine Brioni Jeans getragen, die aus ganz dünnem Denim Stoff ist. Die hat mich 8,27 € bei ebay gekostet, für den Preis ist das Teil O.K. Ich kann ja nichts dafür, dass der Verkäufer die als Briori statt Brioni Jeans eingestellt hatte.
Ermenegildo Zegna bietet unter seinem Namen auch Schuhe an. Tony DiNozzo in der Serie Navy CSI schwärmt davon, wahrscheinlich ist er der einzige. Es muss ja nicht sein, dass eine Firma die Anzüge schneidert, auch noch Schuhe verkauft. Aber wie die Firma Kiton versichert: It was then a short step which led Kiton to enhance its offer and provide its clients a complete range of products. Indeed, this aim inspired the creation of the shoe, knitwear, eyewear and womenswear lines. Als Bernhard Roetzel 2003 Ciro Paone fragte: Will there be a Kiton shoe one day? antwortete der: Guess how old the shoes are that I’m wearing? They are 25 years old. That is how I would want the Kiton shoe to be. It would be necessary to buy a shoe factory. Presently I don’t plan to do that. Inzwischen gibt es sie. Die Schuhe werden angeblich von Berluti in Paris gemacht, auf jeden Fall sehen sie so aus.
Bei der Firma fällt mir immer Christine Deviers-Joncour ein, die Geliebte des französischen Ministers Roland Dumas. Die hatte ihm Berluti Schuhe gekauft, mit der Scheckkarte des Elf Aquitaine Konzerns. Das war natürlich keine Bestechung. Dumas behauptete später Mlle Deviers-Joncour überhaupt nicht zu kennen (das ist so ähnlich wie John Profumo und ➱Christine Keeler), sie wanderten aber beide hinter Gitter. Ich glaube, wir lassen mal die Finger von Berluti und Kiton Schuhen. Uns reichen die Schuhe aus Northampton.
Die ersten Teile von Kiton hatte ich in der Hand, als ➱Kelly sich damals überlegte, ob er seinen Kunden Kiton schmackhaft machen konnte. Deutschland war ja einer der ersten Märkte, zu dem Kiton vor Jahrzehnten die Fühler ausstreckte. ➱Heinrich Zapke in Hannover und ➱Fritz Unützer in München (Kiton ist fantastisch) gehörten zu den ersten, die Kiton anboten. 1990 waren die Hälfte der Läden, die weltweit Kiton anboten, in ➱Deutschland beheimatet. Mittlerweile hat man in Düsseldorf und München eigene Läden. Aber im Designer Outlet Neumünster ist man noch nicht, das bleibt Zegna vorbehalten. Das mit Kiton in Kiel ist nichts geworden, Kellys Laden war ja mit Zegna (die zu der Zeit eine viel höhere Qualität als heute lieferten), Chester Barrie, ➱Daks und Caruso gut sortiert.
Das erste Stück, das ich von Kiton besaß, war eine Krawatte. Quietschegelb, sevenfold. Hatte mich in dem Second Hand Laden, den es leider heute nicht mehr gibt, 3,95 gekostet. D-Mark. Der Schlips wurde leider das Opfer eines explodierenden Tipp-Ex Fläschchens, aber ich habe ihn wieder so hingekriegt, dass man kaum noch etwas davon sieht. Am Computer kann einem so etwas natürlich nicht passieren, weil kaum jemand Tipp-Ex auf den Bildschirm pinselt. Aber dies ist nun noch aus den Tagen, als die Verlage ein getipptes Manuskript verlangten und keinen USB Stick. Dafür hatten die Verlage damals auch noch Lektoren, die alles lasen. Heute drucken sie ohne zu fragen alles, was auf dem USB Stick drauf ist.
Vor fünf Jahren hat Kiton für über drei Millionen Euro eine Mehrheitsbeteiligung an der Weberei Carlo Barbera gekauft, der immer elegante Luciano Barbera durfte in der Firma bleiben. Seine eigene Luciano Barbera Kollektion (die es seit 1971 gibt) blieb von dem Deal unberührt. Luciano Barberas Vater, der die Weberei in Callabiana 1949 gründete, war damals gerade neunundneunzig Jahre alt geworden. Die Stoffe von Barbera zählen mit zum Besten, was in Italien gewebt wird, zählen aber auch zu den teuersten. Was eben zu der finanziellen Schieflage der Firma führte.
Luciano Barbera hat auf seiner Internet Seite die Gründung der Firma in witziger Kürze so geschildert: In 1950, Carlo Barbera, my father, took over a fabric mill near the town of Biella. The hilly town, part of the Piedmonte region, is cold and damp but that's unfortunately why it was--and is--the home of the finest fabric mills in Italy. All the same, upon his arrival, my Dad threw out half of the looms he found on site. Rip, thump, crash! The trash-haulers of Biella groaned under the burden of his rejects. Was he mad? Remember, he was already inheriting the best machinery in Italy. No, he just wanted better. His targets were royalty: English Lords, Dukes, titans of industry, this at a time when war-ravaged Italy had a GDP roughly the size of Madagascar's.
Es ist sicher praktisch, einen Hauslieferanten für die Stoffe zu haben, Kiton betont aber, dass sie auch Stoffe anderer Weber aus Italien und England verwenden. Aus England und Schottland hatten die Vorfahren von Paone, der aus einer Familie von Stoffhändlern kommt, einst ihre Stoffe bezogen. Die sind heute immer feiner und dünner geworden, und da können die wenigen Engländer in Yorkshire wohl kaum noch mit den Italienern mithalten, deren Spezialität Stoffe über Super 120 sind. Gregor von Rezzori soll einmal in einem Interview gesagt haben, dass der italienische Anzug so leicht wie ein Fazzoletto, ein Leinentaschentuch, ist. Und wie eine Kiton Angestellte sagte: Wenn Sie einen Anzug tragen, der vielleicht schön aussieht, aber sich nicht an Sie anpasst, dann ist das, als wenn wir Frauen mit einem schönen Mann im Bett liegen und es bewegt sich nichts: Dann ist es kein Kiton.
Und eine solche Leichtigkeit ist das Ideal von Ciro Paone, dann ruft er schon einmal Questo è poesia, certo! aus. Solch ein Gedicht aus hauchzarter Wolle von 11,9 Mikron Faser-Durchmesser kostet dann auch schon einmal eine fünfstellige Summe. Wenn ein Anzug so viel kostet wie ein gebrauchter Rolls Royce oder ein ➱Steinway Flügel, dann fragt man sich schon: muss das sein? Neuerdings gibt es Anzüge, bei denen die Zahl der Arbeitsstunden des Schneiders vermerkt ist. K50 bedeutet dann, dass es fünfzig Stunden dauerte, bis dieser Anzug fertig war, Bügeln einbegriffen. Diese Zahlenspielereien sind nun ein wenig albern, vierzig Stunden rechneten Schneider früher sowieso für einen Anzug. Natürlich gibt es auch einige Nähmaschinen bei Kiton, aber die alten Maschinen von Dürrkopp sehen aus, als kämen sie aus dem Industriemuseum.
Das Bügeln mit den alten, schweren Dampfbügeleisen ist sowieso das A und O der Sartoria. Knopflöcher werden von Frauen genäht, die können das besser. Sagt Cito Paone. Hundert Stiche in fünf Minuten pro Knopfloch. Die verdienen auch nicht so viel wie die Schneider. Tom Wolfe erwähnt einmal (lesen Sie ➱hier mehr) die Cypriot seamstresses who made buttonholes and can't speak any English in der Savile Row. Alles was besonders ist, ist arbeitsintensiv, da geht man schon einmal zu den niedrigeren Lohngruppen. Als ich zum ersten Mal meine schöne neue Leutnantsmütze mit dem vielen Silber auf dem Mützenschirm aufsetzte, flüsterte mir mein alter Feldwebel zu: Alles in Kinderarbeit in Pakistan geklöppelt. Die Mütze war nie mehr die selbe. Aber Kiton geht natürlich nicht nach Pakistan, das Made in Italy ist ihnen heilig. Sie bezahlen alle Arbeiter und Schneider weit über Tarif und bilden auch Schneider aus, diese Arbeitskräfte sind ihr Kapital.
Es gibt (wie bei Caruso) wenig Werbung. Es gibt keine models, die durch die Firma berühmt wurden. Es gibt auch keine Skandale. Nicht wie bei dem Hemdenmacher Borelli, der die Finanzpolizei wegen Steuerhinterziehung und Erschleichung von Subventionen im Haus hatte (und seitdem zur Firma Giampaolo gehört). Oder Francesco Smalto, der afrikanischen Diktatoren nicht nur Klamotten, sondern auch Nutten lieferte. So etwas gibt es bei Kiton nicht. Selbst bei einem K80 Anzug ist kein Callgirl im Preis inbegriffen. Irgendwie ist die Firma wohltuend langweilig. Und man kann auch wenig über sie sagen, ihre Produkte sind einfach gut. Natürlich nicht nur gut, das Motto von Kiton ist ll meglio del meglio più uno. Das Beste vom Besten, plus Eins.
Mein erstes gelbes Kiton Kaschmir ➱Sakko hat mich in einem Secondhand Laden 39,95 gekostet. D-Mark. Es war nagelneu. Als ich es einmal auf den Balkon hängte und abends wieder hereinholte, war ein Möwenschiss drauf. Kann in Ostseenähe passieren. Davon kann man aber heute nichts mehr sehen. Von dem Tipp Ex auf dem Schlips auch nicht. Vielleicht ist das der ultimative Qualitätsbeweis: Tipp Ex und Möwenschisse.
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