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Mittwoch, 7. August 2019

Gunfighter Nation


Man weiß nicht genau, wer dieser Brian Bilston ist, die Irish Times hat ihn The Poet Laureate of Twitter genannt. Er hat gerade einen Roman geschrieben, der sehr lustig ist. Sein Gedicht America is a Gun, das 2016 bei Twitter erschien, ist nicht unbedingt lustig.

England is a cup of tea.
France, a wheel of ripened brie.
Greece, a short, squat olive tree.
America is a gun.

Brazil is football on the sand.
Argentina, Maradona's hand.
Germany, an oompah band.
America is a gun.

Holland is a wooden shoe.
Hungary, a goulash stew.
Australia, a kangaroo.
America is a gun.

Japan is a thermal spring.
Scotland is a highland fling.
Oh, better to be anything
than America as a gun.


Nach Gewaltverbrechen in den USA hat das Gedicht im Internet immer wieder Konjunktur. Wie jetzt im Augenblick. Und Dayton (Ohio) und El Paso (Texas) führen gerade die Liste der mass shootings an. Ich stelle aus diesem Anlass noch einmal den größten Teil des Posts Schnellfeuergewehre aus dem Jahre 2011 ein, er hat in den Jahren nichts von seiner Aktualität verloren.

Wenn George Washington mit seinen Männern in der Nacht vom 25. auf den 26. Dezember 1776 über den Delaware kommt (und dann die ganze Nacht hindurch nach Trenton marschiert), macht er sich keinerlei Gedanken über das Grundrecht der Amerikaner auf Waffenbesitz. Der Zusatzartikel der Verfassung, der den Amerikanern angeblich dieses Recht zugesteht, ist noch lange nicht geschrieben. Noch gilt hier in den Kolonien englisches Recht, noch sind die waffentragenden Milizionäre Rebellen. Washingtons Mutter hatte den ganzen Revolutionskrieg über Angst, die Engländer könnten ihren Sohn an einem Baum aufknüpfen. Hätten sie tun können, wenn sie ihn gefangen hätten. Noch ist es das Recht des englischen Königs, nach dem die Truppen handeln.

Für Thomas Jefferson war in seinem Entwurf für eine Verfassung von Virginia 1776 das Recht auf Waffenbesitz ein Recht, das den Bürger gegen die Tyrannei (und damit meinte er den englischen König) schützte: No free man shall ever be debarred the use of arms. The strongest reason for the people to retain the right to keep and bear arms is, as a last resort, to protect themselves against tyranny in government. In seiner ersten Jahresbotschaft als Präsident der Vereinigten Staaten sagte George Washington: A free people ought not only to be armed, but disciplined; to which end a uniform and well-digested plan is requisite; and their safety and interest require that they should promote such manufactories as tend to render them independent of others for essential, particularly military, supplies... Dieses Zitat findet sich hundertfach auf den Seiten der amerikanischen Waffenfreaks. Jeder klittert sich seine Geschichte zusammen, wie sie ihm passt. Wenn man sich dreißig, vierzig dieser Seiten angeschaut hat, weiß man, wes Geistes Kind die Befürworter des Waffenbesitzes sind. Die auch auf den beigefügten Photos meistens irgendwelche fetten Säcke sind, die keine vier Wochen Ausbildung bei einer Kampftruppeneinheit des Militärs überstehen würden.

Die Gadsden Flag ist übrigens zur Zeit bei Waffenfreaks und Tea Party Anhängern wieder populär. Sie ist ein weiterer Teil der Geschichtsklitterung, für die sich Amerikas reaktionäre Rechte im Arsenal der Geschichte der amerikanischen Revolution bedient. Dank Google ist ja heute jeder ein kleiner Forscher, und so ist es verhältnismäßig einfach, bei den Gründungsvätern Argumente für den Waffenbesitz zu finden. Wie Jeffersons Brief an Henry Carr: A strong body makes the mind strong. As to the species of exercise, I advise the gun. While this gives a moderate exercise to the body, it gives boldness, enterprise, and independence to the mind. Games played with the ball, and others of that nature, are too violent for the body, and stamp no character on the mind. Let your gun therefore be the constant companion of your walks. Never think of taking a book with you. Die aus dem Zusammenhang gerissene Stelle steht natürlich auch schon bei Facebook.

Ein Jahr nach Washingtons Jahresbotschaft - man hat inzwischen eine Unabhängigkeitserklärung und eine Verfassung - beschließt der Kongress einen dritten Zusatzartikel zur Verfassung: No Soldier shall, in time of peace be quartered in any house, without the consent of the Owner, nor in time of war, but in a manner to be prescribed by law. Dieser Artikel ist in der Diskussion um den Waffenbesitz in den USA niemals zitiert worden, obgleich er mit dem zweiten Artikel in direktem Zusammenhang steht. Dieser ➱zweite Zusatzartikel von 1791 lautet, mit etwas komplizierter Grammatik: A well regulated Militia, being necessary to the security of a free State, the right of the people to keep and bear Arms, shall not be infringed. Die Vereinigten Staaten haben damals kein stehendes Herr. Deshalb ist eine well regulated Militia... necessary to the security of a free State. Und die Angehörigen dieser Miliz müssen natürlich das Recht haben, Waffen zu tragen. Punktum. Nichts anderes steht in diesem Artikel, der eigentlich hätte obsolet sein können, in dem Augenblick, in dem Amerika ein stehendes Heer besaß.

Aber wie es mit dem Text einer Verfassung und ihren Zusatzartikeln so ist, kaum ist der Text geschrieben, schon scheint er auslegungsbedürftig zu sein. Wenn Gesetze eindeutig wären, wären Juristen arbeitslos. Der Artikel 22 (2) des Grundgesetzes heißt Die Bundesflagge ist schwarz-rot-gold. Er sagt nichts darüber, wie die Farben auf der Flagge verteilt werden sollen. Gut, das ist marginal im Vergleich mit der Auslegung, die das Second Amendment erfahren hat. Vielleicht hätte man im Kongress auch besser den ersten Entwurf für diesen Zusatzartikel verabschieden sollen: A well regulated militia, composed of the body of the people, being the best security of a free state, the right of the people to keep and bear arms shall not be infringed; but no one religiously scrupulous of bearing arms shall be compelled to render military service in person. Hieraus würde wohl keine 80-jährige ➱Oma ihr angebliches Grundrecht auf den Besitz eines Schnellfeuergewehrs ableiten wollen.

Mit den Urteilen des Supreme Court ist das in Amerika so eine Sache, obgleich der zweite Zusatzartikel den Supreme Court erstaunlicherweise nicht so häufig beschäftigt hat. Wenige Richter werden in Amerika wegen ihrer juristischen Qualifikation berufen. Das kritisierte vor hundert Jahren schon Mark Twain: I hate to hear people say this Judge will vote so and so, because he is a Democrat -- and this one so and so because he is a Republican. It is shameful. The Judges have the Constitution for their guidance; they have no right to any politics save the politics of rigid right and justice when they are sitting in judgment upon the great matters that come before them. Vielleicht ist Oliver Wendell Holmes Jr der einzige gewesen, der seinen Posten nicht der politischen Protektion verdankt hat. Wenige Richter glänzen in ihrer Amtszeit wie Earl Warren durch landmark decisions wie Brown v. Board of Education (1954), Gideon v. Wainwright (1963), Reynolds v. Sims(1964) und Miranda v. Arizona (1966). Das Miranda Urteil kennen Kojak Fans, aber natürlich ist Brown v. Board of Education eine der wichtigsten Entscheidungen des Supreme Court gewesen.

Im Falle der immer wieder umstrittenen Auslegung des Second Amendment ist es das Urteil des Supreme Court aus dem Jahre 2008, das vorläufig leider Rechtsgeschichte geschrieben hat. Alle vorhergehenden Urteile hatten, wenn auch manchmal das Second Amendment uminterpretierend, die Basis des Second Amendment -  A well regulated Militia, being necessary to the security of a free State - nicht angetastet.

Aber nun heißt es plötzlich: The Second Amendment protects an individual right to possess a firearm unconnected with service in a militia, and to use that arm for traditionally lawful purposes, such as self-defense within the home. Da müssen bei der National Rifle Association die Sektkorken nur so geknallt haben. Immerhin haben aber vier der neun Richter gegen dieses Urteil gestimmt. Wenn Richter John Paul Stevens (mit 88 Jahren der älteste der Richter) über das Urteil sagte, dass es a strained and unpersuasive reading der Verfassung darstelle, dann ist das vielleicht noch untertrieben. Als er 2008 über today’s law-changing decision sagte, dass sie bestowed a dramatic upheaval in the law, dann ist das nicht untertrieben.

Gunfighter Nation hat der amerikanische Historiker Richard Slotkin seine dreibändige Geschichte des amerikanischen Westens genannt, und der Titel scheint symbolisch für das Land zu sein. Richard Hofstadter hat mit seinem Aufsatz America as a Gun Culture den Begriff gun culture eingeführt. Und diese gun culture basiert auf harten Fakten und Zahlen, werfen Sie doch einmal einen Blick auf diese Statistik. Kann man diesen highway to hell verhindern? Wie will das Land die Millionen von Waffen jemals loswerden, selbst wenn die Stimmung nach den Morden von Newtown (die ja leider nur ein periodisch wiederkehrendes Ereignis sind) plötzlich umschlägt? Wer wird der Herkules sein, der den Augiasstall ausmistet? Werden wir das erleben, dass die Firmen ColtRemington ArmsSmith & Wesson und Sturm, Ruger & Co (die die meisten amerikanischen Waffen herstellen) ihre Werkstore schließen?

Amazon.com liefert keine Waffen an meine Adresse: We are not able to ship this item to your default shipping address. Aber innerhalb Amerikas verschicken sie schon. Ich wollte auch keine kaufen, ich wollte nur mal eben testen, ob es bei Amazon schon Waffen zu kaufen gibt. Ich habe keine Waffen, aber eine P38 könnte ich wahrscheinlich immer noch mit geschlossenen Augen auseinandernehmen und zusammensetzen. Ich weiß, was Waffen anrichten können, dafür bin ich lange genug Soldat gewesen. Aber das ist vorbei, ich habe mit dieser martialischen Welt nichts mehr zu tun. Ich denke aber gerne an einen Bataillonskommandeur zurück, der in seiner Pistolentasche nie eine P38, sondern immer wie Shaws Hauptmann Bluntschli in Arms and the Man nur Schokolade hatte.

Ronald Reagan wollte den Waffenbesitz abschaffen, noch bevor er von einer Handfeuerwaffe angeschossen wurde. Richard Nixon erklärte öffentlich: Guns are an abomination. Und im Gespräch mit seinen Beratern sagte er: I don’t know why any individual should have a right to have a revolver in his house. Beide Präsidenten haben es nicht geschafft, den Waffenverkauf einzudämmen, die Gegner sind zu mächtig. Die NRA, die mal ein Klub von Sportschützen und Jägern war, verändert ihr Profil unter ihrem Direktor Harlon Carter. Der hatte als Jugendlicher in den 30er Jahren einen Mexikaner ermordet, was eine schöne Qualifikation für den Posten eines Direktors der NRA ist.

Die Historikerin Jill Lepore hat einen Doktortitel von Yale und ist Professorin an der Harvard Universität. Sie ist auch Redaktionsmitglied beim New Yorker, das habe ich schon in dem letzten Melville Post erwähnt. Ihre beinahe 1.000-seitige Geschichte der USA mit dem Titel These Truths erscheint im Herbst bei CH Beck, das Buch ist unbedingt ein Kaufempfehlung. Lepore zeichnet in ihrer Geschichte Schritt für Schritt nach, wie die Lobby der Waffenindustrie Gutachten und Gutachter bezahlt, damit das Second Amendment uminterpretiert wird. 1990 sagt Warren Burger, Richter am Supreme Court: The Gun Lobby’s interpretation of the Second Amendment is one of the greatest pieces of fraud, I repeat the word fraud, on the American People by special interest groups that I have ever seen in my lifetime. The real purpose of the Second Amendment was to ensure that state armies – the militia – would be maintained for the defense of the state. The very language of the Second Amendment refutes any argument that it was intended to guarantee every citizen an unfettered right to any kind of weapon he or she desires.

Und was sagt Trump nach den Gewalttaten? In one voice, our nation must condemn racism, bigotry and white supremacy. These sinister ideologies must be defeated. Hate has no place in America. Hatred warps the mind, ravages the heart and devours the soul. Ist das jetzt eine späte Einsicht, Wahlkampf oder der Höhepunkt des Zynismus? Denn wenn einer für racism, bigotry und hate steht, dann ist das Donald Trump. Alexandra Petri, die in der Washington Post für den Humor zuständig ist, treibt mit dem Entsetzen Scherz und greift zur Satire: So, it seems clear that there must have been some serious teleprompter error that has prompted such a, frankly, shocking deviation from his usual rhetoric. How embarrassing that no one on his staff bothered to get something so crucial right.

1 Kommentar:

  1. Selten bekommt man einen solchen Kommentar zum Waffenbesitz. Hat mir sehr gefallen. Und den Tipp zum Geschichtsbuch bei CH Beck habe ich notiert.
    Vielen Dank

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