Joachim Kühn ist in diesem Jahr fünfundsiebzig geworden, er ist einer der wenigen deutschen Jazzer mit Weltgeltung. In Perugia ist er in diesem Jahr zum ersten Mal aufgetreten. Man hat ihn da gerne gesehen. Im Gegensatz zu seinem Kollegen Keith Jarrett, der vor Jahren das Publikum dort wüst beschimpft hat: I don't speak Italian, you said, "but get someone who speaks English to tell you—turn those f***ing cameras off now... I reserve the right to walk off stage at any time if I see anyone taking pictures, and that goes for Jack and Gary too. If you see anyone with a camera, you have the right to take it off them... somebody tell those a**holes to put away their f***ing cameras... I see that red light there, and that means you, you, you... Er wurde erst einmal nicht mehr eingeladen, und Daniel Biro schrieb ihm einen offenen Brief. Das hier auf dem Photo ist natürlich Joachim Kühn, von Keith Jarrett gibt es heute kein Photo. Über Joachim Kühn und seinen Bruder habe ich hier einen schönen Film.
Ist Jarrett wirklich so gut, dass er sich dieses Benehmen erlauben kann? Der Auftritt in Perugia war ja nicht das einzige Mal, dass er aus der Rolle fiel. Ich habe hier einen schönen Post aus dem Blog der Zeit, der Wie ich Keith Jarretts Feind wurde heißt. Pianisten wie Glenn Gould und Arturo Benedetti Michelangeli galten als exzentrisch, aber haben sie jemals ihr Publikum angepöbelt? Wenn ich die beiden im Zusammenhang mit Jarrett nenne, dann tue ich das, weil Keith Jarrett sich auch an das klassische Programm herangemacht hat. Er hat Mozart gespielt, aber das sind CDs, die man wirklich nicht braucht. Das können alle anderen Pianisten besser, selbst Glenn Gould, der Mozart nicht besonders mochte.
Es wird häufig gesagt, dass Jazzmusiker ihr Instrument technisch besser beherrschen als normale Berufsmusiker in einem Orchester. Der amerikanische Schriftsteller Ralph Ellison, der viel über Jazz geschrieben hat, hat dazu gesagt: These jazzmen, many of them now world-famous, lived for and with music intensely. Their driving motivation was neither money nor fame, but the will to achieve the most eloquent expression of idea-emotions through the technical mastery of their instruments (which, incidentally, some of them wore as a priest wears the cross) and the give and take, the subtle rhythmical shaping and blending of idea, tone... Allein, diese technical mastery of their instruments bezieht sich auf ihre eigene Musik, ihre Improvisationen, nicht darauf, dass sie die Noten einer fremden Komposistion spielen. Der Satz Schuster, bleib bei deinen Leisten hat schon etwas für sich.
Es gibt Ausnahmen, Mozarts Werke für Klarinette von Benny Goodman wären ein Beispiel, auch wenn das Klarinettenkonzert bei ihm ein klein wenig jazzig klingt. Keith Jarrett ist nicht Benny Goodman (der übrigens sehr viel klassische Musik aufgenommen hat), er ist Keith Jarrett. Und in den Augen seiner Fans ist er ein Genie. Ende der achtziger Jahre hat sich Jarrett auf Bach gestürzt, 1987 erschien bei ECM das Wohltempierte Klavier (I), 1989 kamen die Goldberg Variationen und 1990 das zweite Buch vom Wohltempierten Klavier. Und gerade hat die Firma ECM (die ich schon in dem Post Candy Dulfer erwähnt habe) etwas beinahe Vergessenes aus dem Archiv geholt, nämlich einen Live Mitschnitt eines Konzerts aus dem Jahre 1987, bei dem ihr Hauspianist das Wohltemperierte Klavier spielt.
Er spielt es ohne die Verzierungen, und die Darbietung ist technisch nicht besonders gut aufgenommen. Die Decca hat so etwas schon in den 50er Jahren besser gekonnt. Man muss den Lautstärkeregler des Verstärkers schon ein wenig nach oben schieben, um den Meister zu hören. Ich nehme an, dass vor 32 Jahren einige Hörer bei dem Konzert eingeschlafen sind, ich fürchtete beim Anhören, dass Keith Jarrett einschläft. Ich habe mir die beiden CDs jetzt dreimal angehört und frage mich, warum ich sie gekauft habe. Diese Frau hier ist schuld, das weiß ich. Das ist Charlotte Oelschlegel, die bei NDR Kultur neo immer wieder den Spagat zwischen Klassik und Moderne versucht. Die hat letztens kurz vor Mitternacht ein Stück aus der Live Aufnahme im Programm gehabt, und in der Dunkelheit der Nacht und kurz vorm Einschlafen klang das toll. Ich beschloss, Keith Jarrett noch einmal eine Chance zu geben.
Er hat sie gehabt. Und verspielt. Nach dreimaligem Hören habe ich Rosalyn Tureck aufgelegt. Ich hatte die Lautstärke noch nicht wieder eingeregelt und war richtig erschrocken, wie dynamisch und wunderbar Bach klingen kann, das hatte nichts mehr von der wohltemperierten Jarrettschen Fahrstuhlmusik an sich. Und wenn man Johann Sebastian Bach, der ja eigentlich immer Jazz geschrieben hat, einmal richtig groovy haben will, dann kann man immer noch Jacques Loussier auflegen. Eine Internetquelle wie Jazz Echo findet Jarrett toll, aber als ich das las, hatte ich das Gefühl, dass der Artikel von der ECM Werbeabteilung geschrieben war. Und Martin Hoffmeister vom MDR verstieg sich zu dem Satz: Jarretts Bach ist ausschliesslich der eminenten Faktur, der Pureness der Werke verpflichtet. Das klingt ein bisschen so wie Jil Sanders: Man muß Sinn haben für das effortless, das magic meines Stils. Der Satz wäre bestimmt auch für Jarrett gut.
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