Ich habe vorgestern über Nacht drei neue Leser gewonnen, die ich natürlich herzlich begrüßen möchte. Ich weiß jetzt nicht, ob die von Fritz Wunderlich oder von Glenn Gould angelockt wurden. Aber ich muss heute doch noch einmal über Mozarts Klaviersonaten schreiben, das liegt mir irgendwie auf der Seele. Als ich vor Tagen meinem Leser Giorgione zu antworten versuchte (es ging um Goulds und Guldas Mozartsonaten), habe ich alle CDs mit Klaviermusik von Wolfgang Amadeus Mozart aus dem Regal gezerrt. Das war ein Fehler, weil ich jetzt vor dem Zurückstellen überlege, ob ich sie irgendwie systematisieren soll. Zum Beispiel, die ungeliebten Aufnahmen (Michel Dalberto, nett, aber blass) ganz nach unten. Im Augenblick sind Gesamtaufnahmen in Pappschächtelchen ganz unten, weil die durch diesen Schuber besser vor dem lästigen Staub geschützt sind. Es handelt sich insgesamt ungefähr um einen Meter und fünfzig Zentimeter, das kann man noch überblicken. Und natürlich ist auch noch Mozart auf CDs drauf, die an ganz anderer Stelle stehen. Also Sviatoslav Richter hat sein eigenes Regal, Kempff und Backhaus auch. Und natürlich steht Arturo Benedetti Michelangeli separat (ebenso wie Glenn Gould), der würde eh niemanden neben sich dulden. Es ist ein ganz eigenes Ablagesystem, wenn ich ehrlich bin, eher eine über die Jahre gewachsene Unordnung.
Ich habe zu den Klaviersonaten von Mozart ein ganz besonderes Verhältnis, und ich höre sie auch vielleicht häufiger als andere Menschen. Denn ich habe nach einem vor Jahrzehnten erlittenen Unfall mit einer Verletzung der Halswirbelsäule einen Tinnitus. So etwas kann man auf die verschiedenste Art und Weise erwerben, Verletzungen der Halswirbelsäule sind aber eine schöne Voraussetzung dafür. Nun ist das keine Krankheit, die einen Statusgewinn verspricht, drüber reden hilft auch nix. Es ist auch etwas, was man am besten nicht beachtet. Und hier kommt nun Wolfgang Amadeus Mozart ins Spiel. Mozart ist gut gegen Tinnitus, vielleicht nicht für jeden, aber auf jeden Fall für mich. Und so kann ich stundenlang Mozart hören, und therapeutisch das Angenehme mit dem Nützlichen verbinden.
Ende der fünfziger Jahre erschien bei Rowohlt ein dreibändiges Werk, das Ewiger Vorrat klassischer Musik auf Langspielplatten hieß, der Autor Christoph Ecke besprach auch damals in der Zeit sehr kenntnisreich Neuerscheinungen von Langspielplatten. Zu unser aller Glück ist dieser ewige Vorrat ein immer größeres Füllhorn geworden. An Stelle der Langspielplatte ist die Compact Disc getreten (und diejenigen, die noch Platten haben, können heute viel bessere Plattenspieler kaufen, als man sich die um 1960 vorstellen konnte), und alle Plattenfirmen haben daran gearbeitet, das Rauschen und Knacken auf alten Aufnahmen wegzubekommen. Außer natürlich dem Singen von Glenn Gould, das bleibt immer.
Als ich im Kindesalter Mozarts Sonaten spielte, tat ich das ganz unbefangen und mit großer Freude (nur in den langsamen Sätzen war die Freude nicht so groß!). Ich konnte durch sie auf dem Klavier alles ausdrücken, was mich bewegte: Fröhlichkeit, Übermut, Zorn, Trauer - ich fand es in Mozarts Werken aufs Natürlichste und Unmittelbarste in Musik gefaßt. Mit zunehmenden Alter und sich erweiterndem Repertoire erkannte ich, daß nicht nur meine kleine Welt, sondern das ganze Spektrum menschlicher Empfindungen sich in Mozarts Musik wiederfindet. Mit einem Minimum an "Worten" wird alles gesagt. Und dies ist und bleibt der Reiz und die Herausforderung für mich, mit allen technischen und klanglichen Möglichkeiten, die mir zur Verfügung stehen, diesen wirklich aufs Wesentliche beschränkten Notentext umzusetzen. So begleiten mich diese Sonaten durch mein ganzes musikalisches Leben - und ich bin froh und dankbar, daß es sie gibt
Das steht als Werbetext zu einer Gesamteinspielung der Mozartsonaten von einer Frau namens Gitti Pirner, von der ich leider bisher noch nie gehört habe (und ich habe in der Klavierstunde die langsamen Sätze von Mozarts Sonaten immer geliebt). Aber es gibt diese Gesamtausgabe tatsächlich bei einem Label namens Farao Classics und sie kostet über vierzig Euro. Soll man das riskieren? Für ein paar Euro mehr bekommt man den ganzen Gilbert Schuchter, meiner Meinung nach das Beste überhaupt, was man zur Zeit kaufen kann. Die Gesamtausgabe von ➱Klara Würtz bei Brilliant Classics kostet nur 15,99 und damit macht man niemals einen Fehler. Hier auf ➱YouTube können Sie unter dem Titel Klara Würtz Zongora (was Ungarisch für Piano ist) alles über Klara Würtz erfahren, allein das scharfe Kleid auf 1/8 ist schon das Reinklicken wert.
Leider scheint Carmen Piazzinis Mozart vom Markt verschwunden zu sein, die es früher auch im Billigpreissegment gab, und die gar nicht schlecht war. Solche Sachen warf Zweitausendundeins ja immer mal auf den Markt. Es gibt aber von ihr noch eine wirklich hervorragende Gesamtaufnahme der Haydn Klaviersonaten (von denen ja viele origineller sind als die Mozartsonaten). Die erste Einspielung von Maria Joao Pires 1974, die viel wärmer und schöner als die zweite bei der Deutschen Grammophon ist, scheint bei Brilliant Classics auch schon wieder aus dem Programm genommen zu sein, kostete vor wenigen Jahren nur 9,99 Euro.
Preislich scheint sich die Industrie jetzt bei Gesamtaufnahmen auf eine Grenze von dreißig Euro geeinigt zu haben: Barenboim 27,99, Eschenbach 28,99, Uchida 28,99, Schiff 28,99. Eschenbach und Uchida stehen auch als Empfehlungen im Penguin Guide to Compact Discs, aber werden nicht von mir empfohlen. Ich habe vor 45 Jahren viel Geld bezahlt, um Christoph Eschenbach zu hören, der von der Deutschen Grammophon als deutscher Glenn Gould angepriesen wurde. Er spielte einen netten Mozart, war sicherlich oberhalb von Justus Frantz, aber nix im Vergleich mit Glenn Gould. Auch Joachim Kaiser war damals (Süddeutsche Zeitung 22.5.1967) nicht gerade begeistert. Mitsuko Uchida ist sicherlich technisch brillant, aber ich mag's trotzdem nicht. Zuviel Technik, zuwenig Emotion. Hilft auch nicht gegen Tinnitus, bad vibrations. Gegen Daniel Barenboim und Andras Schiff werde ich kein böses Wort sagen, die kann man unbesorgt kaufen.
Ich sollte Malcolm Bilson und Ronald Brautigam nicht auslassen, die ein Fortepiano spielen (ist dann auch gleich teurer, da müssen wahrscheinlich die Kosten für das Instrument wieder reinkommen). Aber wenn ich schon mal dabei bin, muss ich natürlich beklagen, dass es Tuija Hakkila ganz vorzüglichen Mozart nicht mehr gibt. Hallo, Finlandia Records! Könnt ihr das nicht mal wieder auflegen? Die Finnin spielte die Sonaten auf einem Fortepiano, das Philip Belt in New Haven 1977 nach Mozarts Konzertinstrument (von Anton Walter) gebaut hat. So etwas kann man noch kaufen, ist aber teuer. Malcolm Bilson hat auch so eins (und ich vermute mal, dass Tuija Hakkila seins benutzt hat, weil sie bei ihm studiert hat). Bilson hat über die Entstehung seines Instruments einmal in einer Musikzeitschrift geschrieben:
In 1973 the American fortepiano builder Philip Belt was in Salzburg. Belt had hoped to build a fortepiano based on Mozart's Walter, but at that time virtually no one was allowed to examine the instrument Belt's then wife was with him; she spoke some German and managed to distract the guard while he took measurements of the case and some eight photographs. Based on these he built a fortepiano for me. Now, no one would claim—least of all Belt himself—that this instrument was 'an exact copy of Mozart's piano'. Important to the story, however, is the fact that each time information on the Mozart Walter became available, Belt would take my piano into his shop and rework it. It is hard to imagine that Mozart's Walter underwent changes more 'extensive' than did my Belt instrument; Belt completely reworked the action with new parts, new balance points, etc. The bridge was changed, and not only was the instrument releathered but a new type of leatherbuildup was installed, etc Yet the soul (if I may use the word) of the instrument never changed—that had been built into the box at the beginning. One could almost go so far as to say that virtually all the alterations described by Latcham and those made to my Belt piano are more like changes to the bow rather than the violin I remain thoroughly baffled at the notion that, on the basis of the changes to Mozart's piano, either early or late, that instrument 'cannot properly serve as a source for understanding Mozart's performance practice'. To carry this line of thinking ad absurdum: would anyone dream of playing Rachmaninoff on a Steinway built in 1980? There remains the question of the knee-levers. Mozart's piano clearly had originally only been fitted with hand-levers tor lifting the dampers; when might the knee-lever addition have been made? I asked Philip Belt, who had copied this on my own instrument hand-levers worked through added knee-levers), how long he would need to make the alteration. He said, 'About two hours or so; actually, I could do it right in your living-room if you don't mind a bit of dust on the floor.' I am simply confounded that anyone could consider it probable that Mozart used this instrument (for which he had a 'besondere Vorliebe') for the rest of his life without knee-levers, and that Constanze had them then put on after his death. As mentioned above, in 1810 such an instrument would have been far too conservative to be of use musically, so why 'improve' it at that time at all? What might such changes have done to its value as an artifact of the great man?
Inzwischen scheint jeder das Klavier von Anton Walter nachzubauen. Der Franzose Patrick Cohen spielt auf einem Instrument, das ihm Christopher Clarke gebaut hat, obgleich es auch Mozartsonaten von ihm auf einem Originalinstrument von Anton Walter aus dem Jahre 1790 gibt, an dem so gut wie nichts verändert wurde. Näher kann man an den Klang von Mozarts Lieblingsinstruments wohl nicht herankommen. Bei den Nachbauten war der Engländer Derek Adlam lange Jahre gut im Geschäft (Melvyn Tan hat ein Fortepiano von ihm). Und auch Robert A. Brown baut mit Erfolg Anton Walter Klaviere nach. Es braucht natürlich nicht der Nachbau eines Originalinstruments zu sein, ein gutes Klavier tut es auch. Und da hängt bei unser aller Beurteilung des Spiels einer Mozartsonate auch viel von dem Klavier und der Aufnahmetechnik ab. Und unserer eigenen Fähigkeit zu hören. Die bei mir trotz dieses Tinnitusgeräusches erstaunlicherweise kein bisschen eingeschränkt ist. Und natürlich haben wir Prädispositionen, gegen die wir nicht ankönnen. Wenn man zum Beispiel von Teenies umgeben ist, die immer auf grauenhaften Klavieren (Bauweise Berliner Hinterhof um 1900) alla turca herumhacken, dann wird man die Sonate KV 331 nicht mögen. Und dann braucht man die auch nicht zu hören. Und wozu braucht man überhaupt eine Gesamtaufnahme von Mozarts Klaviersonaten?
Denn in vielen Fällen kann man ja gut mit den Aufnahmen seiner Lieblingspianisten glücklich werden, auch wenn die nicht alle Sonaten und Fantasien spielen. Also wie zum Beispiel Mikhail Pletnev 1984 das Adagio von KV 570 (auf Melodiya) gespielt hat, das ist schon göttlich. So wird es immer sein, man wird bei jedem etwas entdecken, was besser oder schöner ist als bei anderen. Ob man nun Gilels nimmt oder Gerhard Oppitz, der sich auf Novalis mal alles rausgepickt hatte, was in Moll und schwermütig war (aber nicht so grauenhaft pathetisch wie Valery Afanassiev, der auf Denon ein ähnliches Programm spielt). Und man wird sehen, dass es häufig die kleinen Label sind - und nicht die Sonys und EMIs dieser Welt - die die wirklich interessanten Aufnahmen bieten. So zum Beispiel Tacet (Gerrit Zitterbart), Oehms (Michael Endres), Tudor (Gilbert Schuchter), Novalis (Gerhard Oppitz), Glossa (Patrick Cohen), Dabringhaus und Grimm (Christian Zacharias), Naxos (Jenö Jando), Artephon (Annerose Schmidt).
Und vielleicht sollten wir einmal einen Blick nach Amerika werfen. Es gibt einige Mozart Sonaten von Mieczysław Horszowski, die 1988 aufgenommen wurden (Elektra/Nonesuch). Da ist er 96 Jahre alt, aber davon ist seinem Mozart nichts anzumerken. Gut, wir haben nicht diese high key Brillanz von Uchida oder Pires, aber diese Wärme und Souveränität, die sind schon erstaunlich. Zwei seiner Schüler, Richard Goode und Murray Peraiha, spielen auch einen sehr, sehr guten Mozart. Man braucht also nicht aus Wien oder Salzburg zu kommen, wie Ingrid Haebler und Gilbert Schuchter, um Mozart zu spielen zu können, New York geht auch.
Und natürlich konnten Generationen von Pianisten einer anderen Generation auch Mozart spielen, bevor Glenn Gould das ein bisschen aufgemischt hat. Da würde die Liste jetzt lang, aber man sollte natürlich Clara Haskil, Dinu Lipatti, Vladimir Horowitz, Wilhelm Kempff und Geza Anda nennen. Und und und. Mozart und kein Ende. Die verdienstvolle Edition von Philips Great Pianists of the 20th Century hat da ja viel zu Tage gefördert. Man kann sich natürlich auch die Noten kaufen und es selbst spielen. Dann merkt man erst, wie schwer das angeblich Leichte ist. Natürlich kann man Bücher lesen, damit man weiß, was man über Mozartsonaten denken soll. Wenn man Joachim Kaiser liest, ist man für Diskussionen auf Parties über Pianisten bestens gerüstet. Aber so gebildet er ist, manchmal geht er mir ganz schön auf den Keks. Wenn ich mich nun unter die Musikkritiker mische, ist mir nicht ganz wohl dabei. Diese Spezies Mensch hat immer etwas Besserwisserisches an sich, und ich möchte nicht sein wie Joachim Kaiser, der einflussreichste deutsche Musikkritiker, beantwortet in seiner Video-Kolumne Fragen der Leser. Kann man sich bei YouTube ansehen, Kaisers Klassik Kunde. Wenn man überhaupt Bücher zu Mozart braucht, dann sollte auf jeden Fall Alfred Einstein lesen, was man hier bei Zeno tun könnte. Und auch Wolfgang Hildesheimers Mozart Buch von 1977 hat eigentlich nichts von seiner Bedeutung verloren.
Früher stellten im Sommer (als es noch Sommer gab) Plattenläden diese Kisten mit den Sonderangeboten nach draussen, und man konnte stundenlang Platten durchsortieren, während aus dem Laden Musik nach draussen klang. Wenn man etwas nicht kannte und es billig war, nahm man es mit und hörte es. Wenn es einem dann nicht gefiel, verkaufte man es in einem anderen Laden oder verschenkte die Platte. Manchmal bedeutete die erste Platte ja auch schon das Ende einer Karriere. Was mag aus Ken Ara geworden sein, der mit einer Mozart Platte bei der Deutschen Grammophon debütierte? Eine bösartige Besprechung im englischen Gramophone und das war's. Was aus Wolfgang Wagenhäuser geworden ist, kann man hier sehen: best possible technique for best interpretation! Ist das jetzt peinlich oder schon wieder komisch? Als Plattengrabbler muss man viele Frösche küssen, bevor man einen Prinzen (oder eine Prinzessin) findet. Aber dieses trial and error Verfahren beschert einem natürlich eine andere Plattensammlung, als wenn man nur jene Aufnahmen kauft, die mit einem riesigen Werbeaufwand vermarktet werden. Es gibt keinen Königsweg zur besten Aufnahme von Mozarts Sonaten. Da kann man kiloweise Mozartkugeln futtern, das hilft nichts. Man muss hören und hören.
Was würde Mozart dazu sagen? Sähe er heute aus wie Tom Hulce in dem Film von Milos Forman? Würde er seine Sonaten ganz anders gespielt wissen wollen? Würde er sie spielen wie Glenn Gould? Maria Joao Pires hat einmal in einem Interview gesagt, dass gesetzt den Fall, sie könnte mit Mozart sprechen, sie sich nicht viel zu sagen hätten. Ich fand das ein klein wenig snobistisch von ihr. Wenn ich Mozart träfe, ich würde ihn fragen, ob die Geschichte wirklich wahr ist, dass er William Beckford damals in England Klavierunterricht gegeben hat. Und ob er mir mal eben, bittschön, das Adagio aus der B-Dur Sonate vorspielen könnte. Diese Sonate, die Alfred Einstein eins der seligsten Werke Mozarts, die »Kleine Sonate« in B-dur K. Nr. 570 vom Februar 1789, vielleicht der ausgeglichenste Typus, das Ideal seiner Klaviersonate genannt hat. Ich hätte auch die Noten parat, falls er vergessen haben sollte, wie die geht.
Leider scheint Carmen Piazzinis Mozart vom Markt verschwunden zu sein, die es früher auch im Billigpreissegment gab, und die gar nicht schlecht war. Solche Sachen warf Zweitausendundeins ja immer mal auf den Markt. Es gibt aber von ihr noch eine wirklich hervorragende Gesamtaufnahme der Haydn Klaviersonaten (von denen ja viele origineller sind als die Mozartsonaten). Die erste Einspielung von Maria Joao Pires 1974, die viel wärmer und schöner als die zweite bei der Deutschen Grammophon ist, scheint bei Brilliant Classics auch schon wieder aus dem Programm genommen zu sein, kostete vor wenigen Jahren nur 9,99 Euro.
Preislich scheint sich die Industrie jetzt bei Gesamtaufnahmen auf eine Grenze von dreißig Euro geeinigt zu haben: Barenboim 27,99, Eschenbach 28,99, Uchida 28,99, Schiff 28,99. Eschenbach und Uchida stehen auch als Empfehlungen im Penguin Guide to Compact Discs, aber werden nicht von mir empfohlen. Ich habe vor 45 Jahren viel Geld bezahlt, um Christoph Eschenbach zu hören, der von der Deutschen Grammophon als deutscher Glenn Gould angepriesen wurde. Er spielte einen netten Mozart, war sicherlich oberhalb von Justus Frantz, aber nix im Vergleich mit Glenn Gould. Auch Joachim Kaiser war damals (Süddeutsche Zeitung 22.5.1967) nicht gerade begeistert. Mitsuko Uchida ist sicherlich technisch brillant, aber ich mag's trotzdem nicht. Zuviel Technik, zuwenig Emotion. Hilft auch nicht gegen Tinnitus, bad vibrations. Gegen Daniel Barenboim und Andras Schiff werde ich kein böses Wort sagen, die kann man unbesorgt kaufen.
Ich sollte Malcolm Bilson und Ronald Brautigam nicht auslassen, die ein Fortepiano spielen (ist dann auch gleich teurer, da müssen wahrscheinlich die Kosten für das Instrument wieder reinkommen). Aber wenn ich schon mal dabei bin, muss ich natürlich beklagen, dass es Tuija Hakkila ganz vorzüglichen Mozart nicht mehr gibt. Hallo, Finlandia Records! Könnt ihr das nicht mal wieder auflegen? Die Finnin spielte die Sonaten auf einem Fortepiano, das Philip Belt in New Haven 1977 nach Mozarts Konzertinstrument (von Anton Walter) gebaut hat. So etwas kann man noch kaufen, ist aber teuer. Malcolm Bilson hat auch so eins (und ich vermute mal, dass Tuija Hakkila seins benutzt hat, weil sie bei ihm studiert hat). Bilson hat über die Entstehung seines Instruments einmal in einer Musikzeitschrift geschrieben:
In 1973 the American fortepiano builder Philip Belt was in Salzburg. Belt had hoped to build a fortepiano based on Mozart's Walter, but at that time virtually no one was allowed to examine the instrument Belt's then wife was with him; she spoke some German and managed to distract the guard while he took measurements of the case and some eight photographs. Based on these he built a fortepiano for me. Now, no one would claim—least of all Belt himself—that this instrument was 'an exact copy of Mozart's piano'. Important to the story, however, is the fact that each time information on the Mozart Walter became available, Belt would take my piano into his shop and rework it. It is hard to imagine that Mozart's Walter underwent changes more 'extensive' than did my Belt instrument; Belt completely reworked the action with new parts, new balance points, etc. The bridge was changed, and not only was the instrument releathered but a new type of leatherbuildup was installed, etc Yet the soul (if I may use the word) of the instrument never changed—that had been built into the box at the beginning. One could almost go so far as to say that virtually all the alterations described by Latcham and those made to my Belt piano are more like changes to the bow rather than the violin I remain thoroughly baffled at the notion that, on the basis of the changes to Mozart's piano, either early or late, that instrument 'cannot properly serve as a source for understanding Mozart's performance practice'. To carry this line of thinking ad absurdum: would anyone dream of playing Rachmaninoff on a Steinway built in 1980? There remains the question of the knee-levers. Mozart's piano clearly had originally only been fitted with hand-levers tor lifting the dampers; when might the knee-lever addition have been made? I asked Philip Belt, who had copied this on my own instrument hand-levers worked through added knee-levers), how long he would need to make the alteration. He said, 'About two hours or so; actually, I could do it right in your living-room if you don't mind a bit of dust on the floor.' I am simply confounded that anyone could consider it probable that Mozart used this instrument (for which he had a 'besondere Vorliebe') for the rest of his life without knee-levers, and that Constanze had them then put on after his death. As mentioned above, in 1810 such an instrument would have been far too conservative to be of use musically, so why 'improve' it at that time at all? What might such changes have done to its value as an artifact of the great man?
Inzwischen scheint jeder das Klavier von Anton Walter nachzubauen. Der Franzose Patrick Cohen spielt auf einem Instrument, das ihm Christopher Clarke gebaut hat, obgleich es auch Mozartsonaten von ihm auf einem Originalinstrument von Anton Walter aus dem Jahre 1790 gibt, an dem so gut wie nichts verändert wurde. Näher kann man an den Klang von Mozarts Lieblingsinstruments wohl nicht herankommen. Bei den Nachbauten war der Engländer Derek Adlam lange Jahre gut im Geschäft (Melvyn Tan hat ein Fortepiano von ihm). Und auch Robert A. Brown baut mit Erfolg Anton Walter Klaviere nach. Es braucht natürlich nicht der Nachbau eines Originalinstruments zu sein, ein gutes Klavier tut es auch. Und da hängt bei unser aller Beurteilung des Spiels einer Mozartsonate auch viel von dem Klavier und der Aufnahmetechnik ab. Und unserer eigenen Fähigkeit zu hören. Die bei mir trotz dieses Tinnitusgeräusches erstaunlicherweise kein bisschen eingeschränkt ist. Und natürlich haben wir Prädispositionen, gegen die wir nicht ankönnen. Wenn man zum Beispiel von Teenies umgeben ist, die immer auf grauenhaften Klavieren (Bauweise Berliner Hinterhof um 1900) alla turca herumhacken, dann wird man die Sonate KV 331 nicht mögen. Und dann braucht man die auch nicht zu hören. Und wozu braucht man überhaupt eine Gesamtaufnahme von Mozarts Klaviersonaten?
Denn in vielen Fällen kann man ja gut mit den Aufnahmen seiner Lieblingspianisten glücklich werden, auch wenn die nicht alle Sonaten und Fantasien spielen. Also wie zum Beispiel Mikhail Pletnev 1984 das Adagio von KV 570 (auf Melodiya) gespielt hat, das ist schon göttlich. So wird es immer sein, man wird bei jedem etwas entdecken, was besser oder schöner ist als bei anderen. Ob man nun Gilels nimmt oder Gerhard Oppitz, der sich auf Novalis mal alles rausgepickt hatte, was in Moll und schwermütig war (aber nicht so grauenhaft pathetisch wie Valery Afanassiev, der auf Denon ein ähnliches Programm spielt). Und man wird sehen, dass es häufig die kleinen Label sind - und nicht die Sonys und EMIs dieser Welt - die die wirklich interessanten Aufnahmen bieten. So zum Beispiel Tacet (Gerrit Zitterbart), Oehms (Michael Endres), Tudor (Gilbert Schuchter), Novalis (Gerhard Oppitz), Glossa (Patrick Cohen), Dabringhaus und Grimm (Christian Zacharias), Naxos (Jenö Jando), Artephon (Annerose Schmidt).
Und vielleicht sollten wir einmal einen Blick nach Amerika werfen. Es gibt einige Mozart Sonaten von Mieczysław Horszowski, die 1988 aufgenommen wurden (Elektra/Nonesuch). Da ist er 96 Jahre alt, aber davon ist seinem Mozart nichts anzumerken. Gut, wir haben nicht diese high key Brillanz von Uchida oder Pires, aber diese Wärme und Souveränität, die sind schon erstaunlich. Zwei seiner Schüler, Richard Goode und Murray Peraiha, spielen auch einen sehr, sehr guten Mozart. Man braucht also nicht aus Wien oder Salzburg zu kommen, wie Ingrid Haebler und Gilbert Schuchter, um Mozart zu spielen zu können, New York geht auch.
Und natürlich konnten Generationen von Pianisten einer anderen Generation auch Mozart spielen, bevor Glenn Gould das ein bisschen aufgemischt hat. Da würde die Liste jetzt lang, aber man sollte natürlich Clara Haskil, Dinu Lipatti, Vladimir Horowitz, Wilhelm Kempff und Geza Anda nennen. Und und und. Mozart und kein Ende. Die verdienstvolle Edition von Philips Great Pianists of the 20th Century hat da ja viel zu Tage gefördert. Man kann sich natürlich auch die Noten kaufen und es selbst spielen. Dann merkt man erst, wie schwer das angeblich Leichte ist. Natürlich kann man Bücher lesen, damit man weiß, was man über Mozartsonaten denken soll. Wenn man Joachim Kaiser liest, ist man für Diskussionen auf Parties über Pianisten bestens gerüstet. Aber so gebildet er ist, manchmal geht er mir ganz schön auf den Keks. Wenn ich mich nun unter die Musikkritiker mische, ist mir nicht ganz wohl dabei. Diese Spezies Mensch hat immer etwas Besserwisserisches an sich, und ich möchte nicht sein wie Joachim Kaiser, der einflussreichste deutsche Musikkritiker, beantwortet in seiner Video-Kolumne Fragen der Leser. Kann man sich bei YouTube ansehen, Kaisers Klassik Kunde. Wenn man überhaupt Bücher zu Mozart braucht, dann sollte auf jeden Fall Alfred Einstein lesen, was man hier bei Zeno tun könnte. Und auch Wolfgang Hildesheimers Mozart Buch von 1977 hat eigentlich nichts von seiner Bedeutung verloren.
Was würde Mozart dazu sagen? Sähe er heute aus wie Tom Hulce in dem Film von Milos Forman? Würde er seine Sonaten ganz anders gespielt wissen wollen? Würde er sie spielen wie Glenn Gould? Maria Joao Pires hat einmal in einem Interview gesagt, dass gesetzt den Fall, sie könnte mit Mozart sprechen, sie sich nicht viel zu sagen hätten. Ich fand das ein klein wenig snobistisch von ihr. Wenn ich Mozart träfe, ich würde ihn fragen, ob die Geschichte wirklich wahr ist, dass er William Beckford damals in England Klavierunterricht gegeben hat. Und ob er mir mal eben, bittschön, das Adagio aus der B-Dur Sonate vorspielen könnte. Diese Sonate, die Alfred Einstein eins der seligsten Werke Mozarts, die »Kleine Sonate« in B-dur K. Nr. 570 vom Februar 1789, vielleicht der ausgeglichenste Typus, das Ideal seiner Klaviersonate genannt hat. Ich hätte auch die Noten parat, falls er vergessen haben sollte, wie die geht.
Ist vielleicht snobistisch von ihr,dennoch, eine der schönsten Aufnahmen kommt von ihr, der Pires.
AntwortenLöschenChristian Zacharias sollte auch nicht vergessen werden,oder?
Von Maria Joao Pires mag ich die ganz frühen Aufnahmen viel lieber als die späteren bei der Deutschen Grammophon.
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