Der Maler Fritz Overbeck wurde am 15. September 1869 geboren. Er gehörte bei uns beinahe zur Familie, weil mein Großvater, als er als junger Lehrer nach Bremen gekommen war, sich mit ihm angefreundet hatte. Die Freundschaft währte nicht sehr lange, denn kaum war Overbeck mit seiner Familie von Worpswede nach Vegesack gezogen, da war er auch schon tot. Gehirnschlag mit 39 Jahren. Was hätte noch aus ihm werden können? Hätte er sich aus dem einengenden Bildrepertoire von Moor, Birken, Kühen, Hamme und Wümme und dem plakativen zweidimensionalen Stil der Worpsweder Maler befreien können?
Immerhin hatte er den ersten Schritt dazu gemacht, und die Villa auf einem kleinen Hügel namens Bröcken an der Ortsgrenze von Vegesack gekauft (das da ganz oben ist ein Blick in seinen Garten im Jahre 1908). Ich bin nicht sentimental, hat er gesagt, als man ihn fragte, ob er diesen Abschied von Worpswede nicht bereue. Das Haus ist heute noch in Familienbesitz, man kümmert sich wieder um den Besitz. Das war nicht immer so, das Haus war vor einem halben Jahrhundert sehr heruntergekommen, und in einem Glashaus verrotteten hunderte von Skizzen und Studien von Fritz Overbeck und seiner Ehefrau Hermine Overbeck-Rothe. Aber ihre Enkelin Gertrud Overbeck hat mit Hilfe von Verwandten vor zwanzig Jahren ein Overbeck Museum in einem über dreihundert Jahre alten Packhaus in Vegesack begründet. Dafür hat sie verdientermaßen in diesem Jahr vom Bremer Bürgermeister Jens Böhrnsen das Bundesverdienstkreuz bekommen. Im nächsten Jahr wird auch Fritz Overbecks Ehefrau Hermine durch eine Retrospektive gewürdigt werden, die unter dem Titel Deine Frau, Dein Freund, Dein Kollege, Dein Alles (ein Originalzitat von ihr) vom 29.5.2011 bis zum 25.9.2011 laufen wird. Dazu wird es einen Katalog und ein kulturelles Beiprogramm zur Rolle der Künstlerinnen um 1900 geben.
Es hat auch in den letzten zwanzig Jahren in dem sonnenlichtdurchfluteten Packhaus nicht nur wechselnde Ausstellungen gegeben, man beschäftigt inzwischen auch richtige Kunsthistoriker. Und das Werk, der Nachlass und sogar die Studien sind inzwischen katalogmäßig erfasst. Mein Klassenkamerad Bernd Wurthmann, der jahrelang in der Schule neben mir saß, ist Berufsphotograph geworden und ist jetzt eine Art Hausphotograph der privaten Stiftung. Er hat auch alles photographisch dokumentiert. Das Elend im Glashaus der Bröckener Villa in den fünfziger Jahren (als sich auch niemand für die Worpsweder interessierte), ist der systematisierten Ordnung gewichen.
Das ist natürlich zu begrüßen, aber noch wichtiger finde ich, dass man von Anfang an auch das Werk der Ehefrau von Fritz Overbeck herausgestellt hat. Die hatte sich gegen ihre Eltern durchgesetzt, weil sie Malerin werden wollte, das ist ja jetzt das Aufkommen der Malweiber, wie sie etwas herablassend genannt wurden. Sie hat zuerst in Hannover bei Paul Koken (dem Sohn des Landschaftsmalers Edmund Koken) gelernt und durfte dann 1892 endlich in die Damenakademie des Künstlerinnenvereins eintreten. In München ist sie eine Schülerin von Tina Blau gewesen, und von der hat sie sicher mehr gelernt als von dem konventionellen, langweiligen Paul Koken. Das Bild da oben ist von Tina Blau, ich habe es dahin gestellt, weil man Bilder dieser Malerin nicht so häufig sieht. Hermine Rothe hat auch schon früh angefangen, Landschaften zu photographieren.
Das Bild, dass Malerin vor der Staffelei heißt, könnte von einem der Skagen Maler sein, die sind sich damals alle sehr ähnlich. Die schöne Stimmung des Bildes von Fritz Overbeck täuscht ein wenig, bei Hermine ist gerade Tuberkulose diagnostiziert worden. Wahrscheinlich hat sie sich bei ihrer Freundin Helene Modersohn angesteckt, der ersten Frau von Otto Modersohn. Für sie folgen jetzt Jahre von Sanatoriumsaufenthalten, die Kinder Fritz Theodor und Gerta werden zu ihrer Schwester nach Itzehoe ausgelagert. Und als sie im Juni 1909 geheilt aus Davos nach Vegesack zurückkehrt und die Familie glücklich wieder vereint ist, da stirbt plötzlich ihr Mann. Sie hat dann nicht mehr so viel gemalt. Sie hat Ausstellungen der Bilder ihres Mannes organisiert und als die Inflation das Familienvermögen fraß (Overbeck kam als Sohn eines Direktors des Norddeutschen Lloyds aus großbürgerlichen Verhältnissen), hat sie angefangen, seine Bilder zu verkaufen. Es waren genügend da.
Sie hat in München im Glaspalast bei der Ausstellun von 1896 Overbecks Bild Abend im Moor gesehen, es gab da noch vier andere von ihm, aber von diesem war sie so hingerissen, dass sie spontan beschloss, bei ihm weiter zu lernen. Sie hat ihre Freundin Marie Bock mit nach Worpswede genommen. Im Herbst 1896 war sie mit ihrem Lehrer verlobt, ein Jahr später wurde geheiratet.
Fritz Overbeck hat in Düsseldorf studiert, das war zum Ende des 19. Jahrhunderts für einen Landschaftsmaler ja beinahe de rigueur, seit sich die Landschaftsklasse von den nazarenisch romatischen Vorstellungen der Akademiegründer emanzipiert hatte. Ich vermute einmal, dass von seinen Lehrern Eugène Dücker (von dem ich oben ein Bild habe, ein Selbstporträt beim Malen an der Ostsee) derjenige gewesen ist, der ihn am meisten beeinflusst hat. Obgleich Otto Modersohn gehässige Dinge über den gesagt hat, aber wenn Schüler an einer Akademie nicht ihre Lehrer kritisieren würden, wäre die Welt der Maler nicht mehr in Ordnung. Overbeck ist ein solider Maler, aber er ist kein Revolutionär. Er ist auch meiner Meinung nach kein so guter Maler wie Thomas Herbst (auch mal ein Schüler von Dücker), der Freund Liebermanns, der so bezaubernd Kühe malen konnte. Günter Busch, der Direktor der Bremer Kunsthalle, hat anlässlich einer Ausstellung der Worpsweder im Jahre 1980 gesagt, dass ihre Werke in eine Zeit, da in Frankreich und dann auch schon in Deutschland und Skandinavien die ersten großen Entscheidungen für die ganz neue Kunst, die Kunst der eigentlichen Moderne, fallen. Es wäre ungerecht, die Worpsweder unter dem Schlagwort regionale Heimatkunst zu rubrizieren. Aber sie gehen einen Sonderweg, der nicht unbedingt der Weg der internationalen Moderne ist. In dem Augenblick, in dem sich Overbeck von Worpswede löst und nach Vegesack zieht, verändert sich auch peu à peu seine Palette. Die Bilder werden heller, impressionistischer, expressionistischer. Wäre er nicht 1909 plötzlich gestorben, hätte er große Chancen gehabt, im Ersten Weltkrieg zu sterben wie der Worpsweder Maler Hans am Ende, mit dessen Bildern Overbeck viel gemeinsam hat. Und man wagt auch nicht sich vorzustellen, was zum Beispiel aus Albert Weisgerber geworden wäre, wenn er nicht 1915 in Flandern gefallen wäre.
Es gibt seit 2009 einen Katalog von der Museumsleiterin Friedrike Daugelat Fritz Overbeck 1869-1909: Ich bin nicht sentimental, der sein Werk umfassend darstellt. Damit krönt Frau Dr. Daugelat auch ihre Verdienste um das Overbeck Museum, da sie zum 1. Januar als Kulturreferentin zum Kreis Storman wechselt. 1971 hatte es schon einmal ein substantielles Buch über Overbeck von Renate Damsch-Wiehager gegeben, das aber leider vergriffen ist (es gibt noch zwei Exemplare beim ZVAB, das Buch ist aber vielleicht über den Shop des Overbeck Museums noch lieferbar). Die Autorin hatte über Richard Oelze (auch lange in Worpswede) promoviert und hat jetzt etwas geschafft, von dem tausend blonde Kunsthistorikerinnen träumen, sie ist Leiterin der Kunstsammlung von Daimler-Benz. Im Jahre 2010 ist unter der tatkräftigen Mitarbeit meines Mitschülers Bernd Wurthmann ein Werkverzeichnis der Ölstudien auf Karton erschienen. Das komplementiert den schon 2008 erschienenen Band des Werkverzeichnisses der Ölgemälde auf Leinwand.
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