Seiten

Sonntag, 11. Oktober 2020

Wilhelm Olbers


Auch wenn ich nicht mehr in Bremen wohne, ist mir doch ein gewisser Bremer Lokalpatriotismus zu eigen, was man in vielen Posts dieses Blogs merken kann. Und aus diesem Grund muss heute mal eben auf den Geburtstag von Dr Heinrich Wilhelm Olbers im Jahre 1758 hingewiesen werden. Olbers ist hier schon mehrfach erwähnt worden, zum Beispiel in dem Post Zeiss, der eigentlich über Wilhelm (später Sir William) Herschel geht:

In einem kleinen Kaff bei Bremen namens Lilienthal sitzt damals ein Oberamtmann namens Hieronymus Schroeter, der hatte in Hannover den Vater der Herschels kennengelernt und ist jetzt auch von den Teleskopen und der Astronomie angesteckt. Mit Hilfe von Herschel wird er auch Teleskope bauen und wird Lilienthal bekannt machen. Zumal da noch der Bremer Arzt und Astronom Dr Heinrich Wilhelm Olbers dazukommt. Und so wird dieses kleine Dorf im Teufelsmoor, wo weit und breit nix los ist, zum Zentrum der Astronomie. Wenn Sie es nicht glauben und zufälligerweise noch einen Zehnmarkschein haben sollten: da ist Lilienthal als Vermessungspunkt drauf. Arno Schmidt, der ja ein kleines mathematisches Genie war und den Dr Olbers immer wieder in seinem Werk erwähnt, wollte einen Roman namens Lilienthal 1801 oder Die Astronomen schreiben, in dem Schroeter der Held sein sollte. Die Arno Schmidt Gesellschaft hat die fragmentarischen Notizen zu dem Roman einmal herausgegeben, aber ich weiß nicht, ob man dafür einen Hunni riskieren sollte.

Den Lilienthal Roman, gegen den Zettels Traum nur eine bloße Handübung sein sollte, hatte Arno Schmidt schon in den fünfziger Jahren im Kopf, wenn er 1954 Zwei kleine Planeten – ein großer Schüler schreibt: 'Dieses Lilienthal ist einer der interessantesten Orte! Zwar die Umgebung – es liegt eine Meile nordöstlich von Bremen, in Richtung der großen Moore – kann wohl nur dem Auge des Kanalbauers reizvoll erscheinen; im Herbst und Winter soll das Land voller Nebel und Rauch sein, und einen wahrhaft finnischen Anblick darbieten. … Herr Harding, der die Güte hatte, mir die Instrumente, zweifellos die größten auf dem Kontinente befindlichen, zu zeigen, bedauerte ebenfalls die Ungunst des Himmels. Umso erstaunlicher sind die Resultate seines Fleißes, von denen er uns einige äußerst schätzbare Blätter eines großen Sternatlas vorwies.' – So beginnt, im Juni 1801, der preußische Obrist Massenbach die Schilderung eines Besuches im Zentrum der bremischen Astronomenschule. Die Sternwarte war die Gründung des dortigen Amtmannes, Schröter, der vor allem topographischen Studien über Planetenoberflächen oblag; folgenreicher jedoch als seine eigenen Arbeiten, war die erste wissenschaftliche Ausbildung von zwei Größeren, Harding und Bessel, die der Vierte im Bunde, der eigentliche geistige Leiter des Instituts, der bremische Arzt Olbers, herangeführt hatte.

Was der Oberst Massenbach über Lilienthal sagt, hat sich Arno Schmidt selbst ausgedacht, und auch den Besuch Massenbachs (über den Schmidt ja sein Massenbach: Eine historische Revue schreibt) in Lilienthal ist Fiktion. Der bremische Arzt Olbers allerdings nicht. Der wurde in Arbergen, einem kleinen Kaff bei Bremen als Sohn eines Pastors geboren. Er besucht die Domschule in Bremen und dann das Gymnasium Illustre. Das heißt heute Altes Gymnasium, Peter Zadek hat da seinen Film Ich bin ein Elefant, Madame gedreht. Und wir haben unsere hervorragenden Kunstlehrerin, die schon in dem Post Kunsterziehung erwähnt wird, an diese Schule verloren. Wilhelm Olbers studiert in Göttingen Medizin, aber er hört auch die Vorlesungen von Lichtenberg über die Gesetze der Stembewegungen am Himmel.

Denn das interesssiert ihn, seit er als Zehnjähriger in Bremen den großen Kometen von 1769 gesehen hat, der heute C/1769 P1 (Messier) heißt (alle Aufzeichnungen von Charles Messier finden sie hier). Seinen nächsten Kometen beobachtet der angehende junge Arzt zehn Jahre später aus dem Krankenzimmer eines Patienten. Planeten und Kometen werden von nun an sein Leben bestimmen. Er wird berühmt werden, korrespondiert mit Lichtenberg, Humboldt und Gauß und fördert den jungen Bessel, indem er ihm eine Stelle bei Schroeter in Lilienthal verschafft. Als Bremen von den Franzosen besetzt ist, wird Olbers Bremens Vertreter im Corps législatif. Und Napoleon lädt ihn zur Taufe seines Sohns ein. Er wird noch zweimal nach Paris reisen, seine vierte Reise war für den November 1813 zur Eröffnung der neuen Legislaturperiode geplant, aber die Reise findet nicht statt, Napoleon hat gerade die Völkerschlacht von Leipzig verloren.

Durch die Empfehlung von Olbers wechselt Friedrich Wilhelm Bessel von Lilienthal nach Königsberg, wo er eine Professur an der Universität erhält. Damit verbunden ist auch der Plan der Errichtung einer Sternwarte. Bessel lässt die zuerst in einer alten Windmühle bauen. Das Geld, das der König versprochen hat, kommt eher zögerlich, der Krieg frisst viel Geld. Als Napoleon auf seinem Rußlandfeldzug 1812 nach Königsberg kommt, besichtigt er die im Bau befindliche Sternwarte und wundert sich darüber, dass der preußische König für so etwas Geld übrig hat. Er wusste nicht, dass Bessel gerade über seine Sternwarte geschrieben hat: Es kann sonderbar scheinen, dass in den jetzigen Zeiten so viel an eine Sternwarte verwandt wird; allein die Zeiten, wo das Militair alles wegnahm, sind vorbei, und so wird denn das lebhafte Interesse an wissenschaftlichen Sachen erklärlicher. Unsere Regierung ist in dieser Hinsicht allen anderen ein Muster. 

Es war Wilhelm Olbers ganz lieb, dass er im November 1813 nicht nach Paris musste, denn gerade hatten die Franzosen die Bremer Gesellschaft Museum geschlossen. Und am 21. April 1813 hatten französische Truppen den ganzen Ort Lilienthal niedergebrannt, auch das Haus des Leiters der Sternwarte Johann Hieronymus Schroeter, seine ganzen Unterlagen verbrennen. Damit ging für Olbers ein kleiner Traum zuende, dass nämlich aus der wissenschaftlichen Gesellschaft und mit Leuten wie Treviranus und Albrecht Roth eine Bremer Universität hätte werden können. Die Schliessung der Gesellschaft Museum ist das letzte, das die Franzosen anrichten können, es geht mit Napoleon zuende. Bremen wird von dem Oberst Tettenborn und seinen russischen Kosaken befreit. Und Olbers, der inzwischen seine Arztpraxis geschlossen hat, hat endlich Zeit, sich wieder der astronomischen Forschung zu widmen. Er entdeckt einen Kometen nach dem anderen, unter anderem 13P/Olbers, der 2024 wiederkehren wird. Zehn Jahre nach dem Tod von Olbers wird man in den Wallanlagen in Bremen dieses Denkmal für ihn aufstellen, es ist vor zehn Jahren für 55.000 Euro aufwendig restauriert worden.

Wäre Arno Schmidt hier glücklich geworden? Das im Hintergrund ist die Kirche von St Jürgen, hier hätte sein Arbeitsplatz sein können. Am 22. Oktober 1957 schrieb Schmidt von Darmstadt aus (die Stadt hasste er) an den Pastor Hermann Schulz: Ich wiederhole noch einmal, daß mir eine Wohnung in St Jürgen, zumindest für die nächsten Jahre hinaus, durchaus ideal erscheint; zumal mein nächstes Buch, mit dem Titel 'Lilienthal 1801', in der dortigen Landschaft lokalisiert sein wird. Ich wäre bereit, eine monatliche Miete von 80 DM, im Jahre also 960 DM, zu zahlen; und zwar für die nächsten 3 Jahre im voraus. Küche, Klo und so weiter würde ich allenfalls auf meine Kosten instand setzen lassen.

Doch Pastor Schulze entscheidet sich für einen anderen Bewerber, die Gemeindeversammlung von St Jürgen war gegen Schmidt. Wenn man Atheist ist, hat man selbst in einem abgelegenen Moordorf keine Chancen. Schade, es war so still dort, schreibt er an seinen Freund Alfred AnderschGenau die Landschaft, die ich für 'Lilienthal' brauche. Wenn ich nicht bald nach Norddeutschland gelange, entsteht das Buch nie. Harald Kühn vom Heimatmuseum in Lilienthal hat zu der Geschichte gesagt: Hätten wir etwas sensibler diese ganze Sache damals betrachtet, dann wäre er ins Küsterhaus gezogen, er hätte einen fantastischen Roman geschrieben, und Lilienthal hätte heute auf diesem Gebiet Weltgeltung gehabt, in der Weltliteratur zumindestens


Noch mehr über Observatorien, Sterne und Zeitmessung finden Sie hier: EurekaAdam Elsheimer, Zeiss, Observatorium, Abschiedsgeschenk, Dampfschiffahrt, Zeitmessung, Sommerzeit, Sir Christopher Wren, 18th century: Georgian Era, Alberto Santos-Dumont, Astronomie

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen