Freitag, 18. März 2011

Tettenborn


Heute vor 198 Jahren hat der Oberst Karl-Friedrich von Tettenborn mit seinen russischen Kosaken Hamburg von den Franzosen befreit. Nicht für lange, denn kurz danach war der Marschall Davoût wieder da. Zuerst war der Baron Tettenborn in Bergedorf eingetroffen. Dort erklärte er den Abgesandten der Stadt, dass er Hamburg nicht als eine eroberte feindliche Stadt betrachten wolle, sie aber als Freund der Hamburger nicht eher betreten würde, als bis die alte Regierung hergestellt wäre. Deshalb schickt er die ersten Abgesandten auch wieder nach Hause, weil sie zwar Hamburger, aber rein formell noch französische Mandatsträger sind. Das ist eine symbolische Geste, auf solche Dinge legt man in diesen Tagen viel Wert. Die Hamburger erhalten mit ihrem wieder eingesetzten alten Senat auch formell ihre alten Stadtrechte zurück, die sie unter den Franzosen verloren hatten.

Am 18. März 1813 hielt er dann seinen feierlichen Einzug in die Hansestadt. Die Hamburger haben an Tettenborn etwas zwiespältige Erinnerungen: Er betrachtete Hamburg als einen günstigen Standort, um sich selbst zu bereichern und einen ausschweifenden Lebenswandel zu führen. Um eine ernsthafte Verteidigung der Stadt bemühte er sich weniger als um das Eintreiben eines ‚Ehrengeschenks‘ von 5000 Friedrich d’or und seine Ernennung zum Ehrenbürger. Aber dann hat er sich beim Nahen von Davoût ganz stikum nach Boizenburg davongemacht, ohne in einer Kapitulation oder einer Übergabe eine Bewahrung von Rechten für die Hamburger herauszuhandeln. Dafür sind ihm die Hamburger lange böse gewesen (Sie können ➱hier mehr über diese Episode der hamburgischen Geschichte lesen). Aber wenn wir ehrlich sind: Tettenborn ist gar nicht in der Position um zu verhandeln. Er hat mal gerade 1.500 Mann, der Marschall Davoût hat ein ganzes Armeekorps. 1.115 Offiziere und 43.535 Mann.

Wenn den Hamburgern Tettenborn mit seinen Kosaken als eine Plage erschien, dann war der Marschall Davoût, Herzog von Auerstädt und Prinz von Eckmühl, eine wirkliche Pest. Sie werden ihn den Robespierre von Hamburg und Marschall de Wut nennen. Er legt der Stadt zur Strafe für ihren Abfall von Frankreich eine Geldbuße von 48 Millionen Franc auf. Die er auch mit erbarmungsloser Strenge eintreibt. Das trifft die Hamburger Pfeffersäcke hart. Er plündert auch alle Banken, vertreibt mehr als 20.000 Menschen aus der Stadt und brennt ganze Stadtteile nieder.

Tettenborn, noch vor seinem Abzug aus Hamburg vom Zaren zum General befördert, bewegt sich mit seinen Truppen (440 Mann Kavallerie von den ➱Lützowschen Jägern, 330 Mann Infanterie und 800 Kosaken) nach Bremen. Ehrenbürger von Hamburg zu sein reicht ihm offensichtlich nicht, auch die Bremer werden ihn zum Ehrenbürger machen. Die Franzosen, die in diesem Fall zumeist Schweizer sind, mit ihrem Oberst Tuillier wollen zwar Bremen verteidigen, aber als Tuillier am 14. Oktober von einem Scharfschützen aus Lützows Korps tödlich getroffen wird, bricht ihr Widerstand zusammen. Am nächsten Tag zieht Tettenborn mit einem Triumphzug unter Glockengeläut in Bremen ein. Der Marktplatz, der sonst nur voll ist, wenn Werder Bremen deutscher Fußballmeister wird, ist jetzt voller Kosaken. Tettenborn macht dem französischen Präfekten, dem Grafen Philipp Karl von Arlberg, der im Eelkingschen Haus am Domshof residiert, noch einen Höflichkeitsbesuch. Dann steigt Arlberg in seine Kutsche und reist ab. Man ist damals sehr höflich zueinander (Davoût mal ausgenommen), man weiß nicht, wer in der nächsten Woche der Sieger ist.

Tettenborn bleibt nur einige Tage, dann sind die Franzosen wieder da. Diesmal ist es der Brigadegeneral Louis François Dupont d'Aubevoye, der Comte de Lauberdière. Der war als junger Mann mit seinem Onkel, dem Comte de Rochambeau schon in Amerika als Verbündeter Washingtons. Seinem Waffenbruder Lafayette wird er noch bis zu dessen Tod 1834 brieflich verbunden bleiben. Lauberdière denkt sich jetzt bestimmt auch, dass es ehrenhafter für einen französischen Edelmann war, den englischen General Cornwallis in Yorktown zu besiegen als kleine Kaffs wie Nienburg, Winsen und Lüneburg in der norddeutschen Tiefebene zu erobern. Und Bremen ist mit seinen 30.000 Einwohnern ja auch nichts Großartiges. Er richtet sich da auch nicht häuslich ein, überall schwirren noch Kosaken und Lützows Schwarze Jäger herum. Und dann kommt die Nachricht von Napoleons Niederlage in Leipzig. Obgleich er beinahe genau so viele Soldaten hat wie Tettenborn, will er es in Bremen nicht drauf ankommen lassen. Theoretisch unterstehen ihm noch mehr Soldaten, 3.000 hommes de la Garde nationale en théorie et non levés, wie es in einem Truppenplan des 13. Korps heißt, aber die sind nur auf dem Papier da. Lauberdière gehört zur Reserve, die hat nicht die volle Truppenstärke. Als die Bremer am Morgen des 27. Oktober aufwachen, ist er schon wieder weg, ist ganz still und leise in der Nacht abgehauen. Man hat ihn in Frankreich und in Amerika nicht ganz vergessen, im Jahre 1938 (101 Jahre nach seinem Tod) gibt es im Schloss Auberdière eine Feier für ihn. Anwesend ist auch der amerikanische Botschafter Douglas MacArthur (ein Neffe des Generals MacArthur). Das gehört sich auch so, denn schließlich war Lauberdière ein Mitglied der Society of the Cincinnati, der auch Washington angehört hat.

Und die Kosacken sind sofort wieder in Bremen, kaum dass Lauberdière aus der Stadt heraus ist. Und diesmal gibt es richtige Siegesfeiern. Tettenborn wird Ehrenbürger, und der Roland bekommt einen Blumenkranz aufgesetzt. Das macht man die nächsten fünfzig Jahre noch an jedem 5. November so. Tettenborn möchte die Bremer dazu begeistern, ein eigenes Korps zum Kampf gegen Napoleon aufzustellen. Doch so richtig begeistert sind die Bremer nicht. Ein Roman wie ➱Fontanes Vor dem Sturm hätte niemals in Bremen spielen können. Wenn irgendjemand in Deutschland unter Napoleon bisher nicht wirklich gelitten hat, dann sind das die Bremer, die von der Kontinentalsperre nur profitiert haben. Dem Kaiser in Paris scheint aber die die Unzuverlässigkeit seiner bremischen Untertanen nicht unbekannt gewesen sein, sagte er doch einmal: Ma bonne ville de Bremen est la plus mal intentionné de tout mon empire.

Es gibt nur zwei Männer in Bremen, die von patriotischem Ehrgeiz erfüllt sind. Der eine ist Heinrich Böse, genannt Hauptmann Böse, ein Zuckerfabrikant, der einen großen Teil seines Vermögens für den Kampf gegen Napoleon opfert. Seine 80 Mann starke Truppe in den feschen grünen Jägeruniformen wird zwar 1814 über den Rhein gelangen, aber glücklicherweise in keine Kampfhandlungen verwickelt mehr werden. Böse ist todunglücklich, dass er Bernadotte unterstellt ist, der in Leipzig so feige gekniffen hat, er wäre lieber bei Blücher. Sicher patriotisch und heldenhaft gedacht, aber die Überlebenschancen sind bei dem zögerlichen Bernadotte natürlich größer. Hermann Allmers hat mit seinem Buch Hauptmann Böse: Ein deutsches Zeit-und Sittenbild für das deutsche Volk dem Heinrich Böse 1882 ein literarisches Denkmal gesetzt.

Der zweite Bremer, der sich durch eine patriotische militärische Gesinnung hervortut, ist der Freiherr Max von Eelking. Der ist ganz dankbar für das Angebot Tettenborns, eine Ulanentruppe zu befehligen. Er ist ein unsteter, streitsüchtiger Mann, hat gerade das Familienvermögen durch Spekulationen verloren und sein Schloss mit Frau und Kind verlassen. Solche windigen Gesellen sind beim Militär natürlich gut aufgehoben. Seinen Sohn Max, der zwei Tage nach Tettenborns erstem Einmarsch in Bremen geboren wird, wird er erst zwölf Jahre später zum ersten Mal sehen. Dieser Max von Eelking wird noch General und ein bedeutender Militärschriftsteller werden, aber er wird sein ganzes Leben lang ein unglücklicher Mensch sein. Wenn auch der erste Frankreichfeldzug der Bremer in der belgischen Etappe endet, als Napoleon von Elba zurückkommt, kann sich Max von Eelking mit seiner Eskadron Ulanen endlich auszeichnen. In der Schlacht von Ligny wird er mit dem Eisernen Kreuz ausgezeichnet. Danach wird er Kommandeur der Bremer Bürgerwehr, um deren Organisation er sich große Verdienste erwarb, wie die Bremischen Biographien des neunzehnten Jahrhunderts vermelden. Das ist dann auch sein Höhepunkt der Bedeutungslosigkeit.

Der Freiherr Karl-Friedrich von Tettenborn zieht sich auf seine Güter im Badischen zurück, wird badischer Minister und dann badischer Gesandter in Wien. Er wäre eigentlich ein ziemlich bedeutungsloser General geblieben, hätte sein ehemaliger Adjutant, der Hauptmann in russischen Diensten Karl August Varnhagen von Ense, ihn nicht in seiner Geschichte der Kriegszüge des Generals von Tettenborn zu einem militärischen Genius stilisiert.

Im Mai 1814, ein Jahr nachdem er gekommen war, muss der Marschall Davoût auf Befehl der Bourbonen Hamburg räumen. Er muss sich auf seine Güter zurückziehen, man will ein Gerichtsverfahren gegen ihn eröffnen. Die Anklagepunkte sind die Beraubung der Hamburger Bank, das Niederbrennen von ganzen Stadtteilen und - das ist besonders köstlich - dass er durch seine Strenge und Härte den Ruf Frankreichs beschädigt habe. Es wird nicht zu dem Verfahren kommen, denn Napoleon ist inzwischen wieder da und macht ihn zu seinem Kriegsminister. Nach Waterloo wird er als Oberkommandierender der restlichen französischen Armee eine Amnestie der Armee heraushandeln und sich dann auf seine Güter zurückziehen. Ludwig XVIII. macht ihn noch zum Pair von Frankreich, aber Davoût tritt nie wieder in Öffentlichkeit auf und wird den Hof Paris nie wieder besuchen.

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