Donnerstag, 24. März 2011

Martin Walser


Ich muss gestehen, ich mag ihn. Er ist so herrlich unangepasst. Legt sich ständig mit den Fuzzies vom Feuilleton an, statt ihnen wie Harold Pinter zu sagen, dass Literaturkritiker wie einbeinige Weitspringer sind. Die es aber immer wieder versuchen. Dass er jemanden wie Reich-Ranicki in einen Roman hineingeschrieben hat, fand ich sehr albern, auch wenn er noch so sehr unter dessen Angriffen gelitten hat, wie man in seinen Tagebüchern nachlesen kann. Warum diesen Mann aufwerten? Ich habe Reich-Ranicki ja an ➱dieser Stelle schon vor einem Jahr beleidigt, und ich stehe dazu. Selbst  wenn mir das manche Leser persönlich sehr übelgenommen haben. You can't win them all. Dass Walser letztens ➱Ernst Jünger (von Basti Schweinsteiger ganz zu schweigen) gut fand, hat mich überrascht. Na ja, er ist eben unberechenbar. Niemals everybody's darling, niemals politically correct. Was der Engländer Jeremy Clarkson für die Welt der Autos ist, ist Dr. Walser für die Welt der Literatur. Und sie haben eben richtig gelesen, Martin Walser hat einen Doktortitel. Er hat sicherlich auch seine Doktorarbeit über Franz Kafka selbst geschrieben, die er bei der Hölderlin Koryphäe Friedrich Beißner 1951 einreichte. Dem hat er auch 1970 seinen Aufsatz Hölderlin zu entsprechen gewidmet.

Als ich, um meine Mutter nicht zu enttäuschen, eine Dissertation schreiben sollte, blieb mir nichts anderes übrig, als über den Autor zu schreiben, der mich während meiner Studentenjahre gehindert hatte, andere Autoren wirklich zu lesen: Franz Kafka. Aber als ich über ihn schreiben wollte, stellte sich heraus, daß ich ihn nicht verstanden hatte. Mit diesem charmanten Geständnis beginnt der sehr lesenswerte kleine Band Des Lesers Selbstverständnis: Ein Bericht und eine Behauptung. Der macht jedem Leser Mut, man kann auch ohne Kafka durchs Leben kommen. Ich hatte einmal eine schwere Kafka Phase, aber ich habe sie schnell überwunden. Sie hat mich nicht gehindert, andere Autoren wirklich zu lesen. Nachdem ich in Hamburg Walter H. Sokels Vorlesung über Kafka, Musil und Broch gehört hatte, habe ich meine schöne Vorlesungsmitschrift sorgfältig weggelegt, das war's. Ich habe später noch Klaus Wagenbach über Kafka gelesen, aber wenn ich eine Top Ten Liste der Literatur aufstellen sollte, Kafka wäre da nicht drauf. Aber so einfach wie ich hat Walser den unseligen Einfluss von Kafka nicht abschütteln können, noch sein erstes Werk Ein Flugzeug über dem Haus und andere Geschichten erinnerte alle Rezensenten an Kafka. Ein Kafka Schüler kämpft sich frei, schrieb Hans Egon Holthusen. Glücklicherweise für mich als Leser hat Walser dann aber irgendwann den Einfluss Kafkas abgestreift.

Martin Walser hat heute Geburtstag, und dies soll natürlich ein Geburtstagsgruss und eine kleine Laudatio werden. Deshalb habe ich einen Blick ins Bücherregal geworfen, wo Martin friedlich und einträchtig neben Robert Walser steht. Er hat ja auch über seinen Namensvetter geschrieben und zum hundertsten Geburtstag von ➱Robert Walser in Zürich eine Rede mit dem Titel Der Unerbittlichkeitsstil gehalten. Das weiß ich, weil ich die Schallplatte habe, die ©Suhrkamp 1978 herausgebracht hat. Die Rede (auch in dem Band Liebeserklärungen abgedruckt) provozierte offensichtlich keinen Skandal. Manche seiner Reden schon. Man überlegt es sich heute zweimal, ob man ihn einlädt, pflegeleicht ist er ja nicht. Ich habe zentimetermäßig mehr Bücher von Martin Walser als von Robert Walser, was wohl daran liegt, dass Martin Walser mehr geschrieben hat. Beängstigend viel. Aber ich muss natürlich auch sagen, wo ich eben den Zollstock aus der Hand gelegt habe, dass man Robert Walser nicht nach Zentimetern messen kann. Martin wahrscheinlich auch nicht.

Robert Walser hat aber definitiv den besseren Wikipedia Artikel. Der Martin Walser Artikel zeichnet sich dadurch aus, dass er so gut wie nichts über den Schriftsteller Walser sagt, aber alles über die öffentliche Person MW. Ja, wir haben schon unsere Schwierigkeiten mit einem Schriftsteller wie Walser. Statt ihn zu lesen und über sein Werk zu reden, stellen wir doch erst einmal solche Verdächtigungen in den Raum wie: DKP, Antisemit, Nazi. Wird die Rezeption eines Schriftstellers heute schon von der Bild Zeitung orchestriert? Die Literaturkritik ist hierzulande ja leider auf keinem hohen Niveau. Das Erstaunliche ist, dass Luschen wie Reich-Ranicki, Karasek und Schirrmacher bei uns für Koryphäen gehalten werden, während kaum jemand einen seriösen Literaturkritiker wie Heinz Ludwig Arnold kennt. Dr. Schirrmacher, der Walser, wie sein Vorgänger bei der FAZ Reich-Ranicki, immer wieder attackiert hat, hat wie Dr. Walser über Kafka promoviert. Allerdings hat sein Doktortitel einen etwas faden Beigeschmack. Die Dissertation war zuerst eine Magisterarbeit und wurde von Frank Schirrmacher in kürzester Zeit - also in der Zeit, in der Stendhal La Chartreuse de Parme geschrieben hat - zur Dissertation umgeschrieben. Und an einer anderen Uni eingereicht. Seriöse Universitäten würden dieses Verfahren nicht akzeptieren.

Ich mag nicht nur viele Romane von Martin Walser (und sein Theaterstück Das Sofa), ich mag auch den Literaturkritiker Martin Walser. Weil er so vernünftig ist. Und Eigenschaften hat, die man sonst eher bei anglo-amerikanischen Kritikern findet: Sachkenntnis, common sense und Humor. Seine kleine Schrift Des Lesers Selbstverständnis (auch in dem Band Zauber und Gegenzauber enthalten) kann ich uneingeschränkt zur Lektüre empfehlen. Ebenso die wunderbare Beschreibung seiner Entdeckung von Hölderlin, die Hölderlin auf dem Dachboden heißt (in dem Suhrkamp Band Erfahrungen und Leseerfahrungen). Auch die drei Seiten über Leslie Fiedler (Mythen, Milch und Mut) sind nicht zu verachten, und ich wäre dankbar gewesen, wenn ich schon vor einem halben Jahrhundert Walsers Leseerfahrungen mit Marcel Proust entdeckt hätte.

Am 24. März 1967, als er vierzig wurde, schrieb Martin Walser in sein Tagebuch: Ich habe für Zahlen so wenig Sinn, daß es mir immer noch nicht gelingt, einen Geburtstag zu begreifen. Also, dottore, in diesem Jahr wollen wir den Geburtstag mal nicht vergessen. Obgleich Walser am Ende eines Robert Walser Aufsatzes einen Satz von Robert Walser stellt, den er sicher für sich beansprucht - Niemand ist berechtigt, sich mir gegenüber so zu benehmen, als kennte er mich - möchte ich ganz kumpelig von Leser zu Autor zum Geburtstag gratulieren. Many happy returns!

2 Kommentare:

  1. "Das Erstaunliche ist, dass Luschen wie Reich-Ranicki, Karasek und Schirrmacher bei uns für Koryphäen gehalten werden."

    Hierfür ein aufrechter Dank, auch wenn ich statt "Luschen" das Wort "Dampfplauderer" verwendet hätte. Darf ich interessehalber fragen, worauf Ihre Abneigung gegen Reich-Ranicki beruht? Bei mir liegt's an seinem Faible für Wolfgang Koeppen, den ich persönlich für einen der langweiligsten Romanciers der deutschen Literatur halte...

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  2. Meine Abneigung gegen Herrn Reich-Ranicki beruht darauf, dass er nicht seriös ist und niemals seriös war. Er versteht, für einen Literaturkritiker erstaunlich, nichts von Literaturwissenschaft. Wahrscheinlich ist er sogar noch stolz darauf. Er ist ein Relikt der 5oer Jahre, als man in Deutschland jemanden wie Benno von Wiese für einen bedeutenden Professor hielt. Die griechische Philosophie hatte eine nützliche Unterscheidung zwischen den Begriffen "doxa" und "episteme". Doxa ist die subjektive Meinung, dafür braucht es nicht viel. Der Gegenbegriff ist eine von Wissen und Kenntnis begründete Meinung. RR ist über den Bereich der "doxa" nie hinausgekommen.

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