Vor dreißig Jahren stritt man sich in Berlin (Ost) und Berlin (West), um die Deutungshoheit über den preußischen Baumeister Karl Friedrich Schinkel. Der hatte gerade seinen zweihundertsten Geburtstag, und so gab es eine Ausstellung in Berlin (Ost) und eine in Berlin (West). Der Osten Berlins besaß mehr Gebäude von Schinkel und tausende von Zeichnungen, der Westen besaß die Gemälde. Genau genommen waren es im Westen zwei Ausstellungen, denn die große Preußen Ausstellung von 1981 hatte gerade begonnen.
Den Begleitkatalog Preußen: Versuch einer Bilanz offerierte Rowohlt in fünf Taschenbuchbänden im Schuber. Es gibt ihn heute immer noch (bei Amazon Marketplace ab 90 Cent), und es lohnt sich immer noch, ihn zu kaufen. Die Preußen Ausstellung habe ich damals gesehen, den Schinkel habe ich mir gespart. Aber er holte mich später wieder ein. In Eutin, of all places. Da hatte man im Rathaus im oberen Stockwerk (das mit den kleinen Fenstern) aus Berlin aus irgendeinem Grund, den ich nie herauskriegen konnte, sozusagen the best of Schinkel geliehen bekommen und ein selbstgemaltes Schild neben dem Eingang plaziert.
Die ganze Präsentation war rührend unprofessionell. Man hatte das alles geliefert bekommen, es irgendwie eingeräumt und an die Wände gehängt worden. Aber die neoklassizistischen Räume des Rathauses passten natürlich zu den Gemälden. Und ließen auch die geringe Deckenhöhe vergessen. Die Bilder, an denen man in der Berliner Nationalgalerie achtlos vorbeigegangen wäre (wenn man sich nicht gerade für Schinkels Gemälde interessierte), bekamen hier einen ganz anderen Stellenwert. Romantik pur auf kleinstem Raum. Das Felsentor war da, ebenso das Bild des Traumschlosses Orianda und die Entwürfe für das Schloss Ottos von Griechenland auf der Akropolis.
Und dann hing da noch das Spreeufer bei Stralau an der Wand, das ebenso wie das Felsentor wie ein echter Caspar David Friedrich aussah. Klitzeklein, aber groß in der Wirkung. Dazu gab es noch allerlei Bilder von gotischen Domen in der Abenddämmerung, kurzum Schinkel satt. Schinkel ist als Maler Autodidakt gewesen. Natürlich hat er auf seinen Italienreisen viele Bilder gesehen und im heimatlichen Berlin gab es auch noch genügend Schüler des damals einflussreichen Jakob Philipp Hackert (Goethe schrieb ja bekanntlich seinen Nachruf), wie zum Beispiel Peter Ludwig Lütke, der Lehrer für Landschaftsmalerei an der Berliner Akademie war. Schinkel hat diese Phase seines Lebens, in der er hemmungslos der Romantik verfallen war, später als einen Irrweg bezeichnet. In einem Gespräch mit Goethe (auf der Rückreise von der zweiten Italienreise 1825) fiel das Wort von der Gefährlichkeit der Landschaftsmalerei. Und noch später hat er die verlorene Zeit bedauert, die er mit dem Malen seiner Gemälde verbracht hat. Eine Zeit, die man besser hätte verwenden können.
Ich war aber an diesem schönen Sommernachmittag in dem etwas müffelnden Obergeschoss des Eutiner Rathauses dankbar für die Schinkelschen Jugendsünden. Zumal es auch noch Entwürfe von seinen Bühnenbildern zu sehen gab, wie diesen hier für Mozarts Zauberflöte. Und das alles, diesen ganzen Nachmittag mit der deutschen Romantik, verdanke ich nur dem rührend selbstgemalten Schild auf dem Bürgersteig, das ich im Vorbeigehen gesehen hatte, auf dem nichts als Karl Friedrich Schinkel stand. Das Rathaus ist natürlich nicht von Schinkel, als es 1791 fertig war, war Schinkel erst zehn Jahre alt. Es gibt auch keinerlei Verbindungen zwischen Schinkel und Eutin.
Außer dass Heinz Ohff da geboren wurde, der mit Karl Friedrich Schinkel oder Die Schönheit in Preußen ein wirklich schönes Buch über Preußens berühmtesten Architekten geschrieben hat. Es ist zwar nicht mehr im Handel, aber es ist antiquarisch leicht zu finden. Heinz Ohff ist ein erstaunlicher Autor, seine Bücher - sei es über Theodor Fontane, über William Turner, den Fürsten Pückler, die Königin Luise oder Friedrich Schinkel - sind immer ein Lesevergnügen. Karl Friedrich Schinkel wurde heute vor 230 Jahren in Neuruppin geboren. Seit 1998 hat der Ort nach einem der berühmtesten Neuruppiner den Beinamen Fontanestadt. Dem Ehrenbürger Adolf Hitler hat man 2004 die Ehrenbürgerwürde aberkannt. Schinkels Gesamtentwurf für die Hauptstadt Berlin ist peu à peu vernichtet worden. Wilhelm II. waren Schinkels Bauten und Pläne nicht großartig genug. Adolf Hitler auch nicht, deshalb wurde Albert Speer der Baumeister eines neuen Berlin. Es ist eine Fußnote der Geschichte, dass Speers Großvater Berthold Speer bei Schinkel gelernt hat.
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