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Samstag, 3. April 2021

Otto Graf von Loeben


Der Dichter des Gedichts Frühlingsseufzer, das ich heute vorstelle, heißt Otto Heinrich Graf von Loeben, er schreibt als Dichter manchmal unter den Namen Isidorus oder Isidorus Orientalis. Er gehört nicht zu den ganz großen Dichtern der deutschen Romantik. Er hatte in seiner Jugend eine schwere Novalis Phase, und der junge Eichendorff soll von ihm begeistert gewesen sein. Aber vielleicht hat die Wissenschaft den Einfluss Loebens auf Eichendorff lange zu hoch eingeschätzt; die schwärmerische Freundschaft geht zuende, als der Leutnant Eichendorff aus Paris heimkehrt, in den preußischen Staatsdienst eintritt und heiratet. Loeben ist nicht eingeladen, er wird nicht einmal von dem Ereignis benachrichtigt. In seinen Gefühlen verletzt, aber noch auf die Rettung der Freundschaft hoffend, schreibt er ein Sonett mit dem Titel Epithalamium, das er an Eichendorff schickt: 

Brautfackeln seh' ich in der Jugend Händen, 
Und Kränze schlingen sich um schlanke Säulen. 
Der Dichter liebt der Freude Fest zu teilen, 
Er hilft wohl noch den sinn'gen Kranz vollenden.
 
Wem, Gäste, sprecht! wem gelten diese Spenden? 
Wem blüht die Ros', auf der die Blicke weilen? 
Wer neigt, getroffen von der Sehnsucht Pfeilen , 
Die Psycheflügel zu der Fackel Bränden?
 
Bist Du es, Freund? – wohl unterm blüh'nden Kranze 
Kenn' ich sie wieder, die geliebten Mienen, 
Der Lippen warmes Rot, der Augen Bläue. 
Sei mir gegrüßt im Himmelsrosenglanze, 
Worin umarmt Dir Myrt und Lorbeer grünen, 
Seid Eins im Einen, ihr versöhnten Zweie. 

Eichendorff bedankt sich brieflich, aber die Freundschaft ist zuende. Und schon in dem Roman Ahnung und Gegenwart wird er seinen ehemaligen Freund satirisch darstellen, wenn es über einen schwärmerischen Dichter heißt: Er las noch einen Haufen Sonette mit einer Art von priesterlicher Feierlichkeit. Keinem derselben fehlte es an irgend einem wirklich aufrichtigen kleinen Gefühlchen, an großen Ausdrücken und lieblichen Bildern. Alle hatten einen einzigen, bis ins Unendliche breit auseinandergeschlagenen Gedanken, sie bezogen sich alle auf den Beruf des Dichters und die Göttlichkeit der Poesie, aber die Poesie selber, das ursprüngliche, freie, tüchtige Leben, das uns ergreift, ehe wir darüber sprechen, kam nicht zum Vorschein vor lauter Komplimenten davor und Anstalten dazu. Friedrich kamen diese Posierer in ihrer durchaus polierten, glänzenden, wohlerzogenen Weichlichkeit wie der fade, unerquickliche Teedampf, die zierliche Teekanne mit ihrem lodernden Spiritus auf dem Tische wie der Opferaltar dieser Musen vor. Und in seiner autobiographischen Skizze Halle und Heidelberg wird Eichendorff den am 3. April 1825 gestorbenen Grafen als die erstaunlichste Karikatur der Romantik bezeichnen.

Loeben ist der einzige Graf unter den Dichtern dieser Zeit. Ist Ihnen schon mal aufgefallen, dass die beinahe alle adlig sind? Fouqué (mit dem Loeben befreundet war) war Baron, Nikolaus Lenau war ein Edler von Strehlenau. Novalis (den Loeben vergötterte) heißt in Wirklichkeit Georg Philipp Friedrich von Hardenberg; und dann haben wir da noch den Freiherrn Joseph von Eichendorff und Achim von Arnim, Adelbert von Chamisso und Karoline von Günderrode. Aber lassen wir das Thema Adel mal beiseite und schauen uns das Gedicht Frühlingsseufzer an:

Lerche jubelt, Finke schlägt,
Herz, du auch so selig wieder?
Frisch der Quell sein Blut bewegt,
Herz, du auch so selig wieder?
Alles frische Blüthen trägt,
Herz! du auch so selig wieder?


Das Gedicht ist im Mai 1818 in der Zeitschrift Wünschelruhte erschienen, wenn man sich deren Inhaltsverzeichnis betrachtet, dann weiß man, was in Deutschland so gedichtet wird, nachdem Napoleon geschlagen ist. Auch Wilhelm Müller, den Heine bewundern wird, ist mit Wanderliedern dabei. Er wird noch berühmt werden (und er hat mit Volkslieder und Griechen-Müller zwei Posts in diesem Blog). Richtig berühmt wird der Graf von Loeben nur mit einem Gedicht, das ich in den nächsten Tagen hier einstelle. 

Loeben hat neben dem Hochzeitslied für Eichendorff noch viele Sonette geschrieben (mehr als hundert), eine Gedichtform, die die Romantiker für sich neu entdecken. Einige von Loebens Sonetten haben die Nibelungen zum Thema, und das Nibelungenlied ist in der Romantik die große literarische Entdeckung. Es wird zur Zeit der napoleonischen Feldzüge zu einem nationalen Epos stilisiert:

Kein anderes Lied mag ein vaterländisches Herz so rühren und ergreifen, so ergötzen und stärken, als dieses [...], worin dem Jünglinge die Schönheit und Anmuth jugendlicher Heldengestalten, kühner, ritterlicher Scherz, Übermuth, Stolz und Trutz, männliche und minnigliche Jungfrauen in des Frühlings und des Schmuckes Pracht, holde Zucht, einfache, fromme und freundliche Sitte, zarte Scheu und Schaam, und liebliches, wonniges Minnespiel, und über alles eine unvergeßliche, ewige Liebe sich darstellen, und worin endlich ein durch dieselbe graunvoll zusammengeschlungenes Verhängniß eine andere zarte Liebe in der Blüthe zerstöhrt und alles unaufhaltsam in den Untergang reißt, aber eben in diesem Sturze die herrlichsten männlichen Tugenden offenbart: Gastlichkeit, Biederkeit, Redlichkeit, Treue und Freundschaft bis in den Tod, Menschlichkeit, Milde und Großmuth in des Kampfes Noth, Heldensinn, unerschütterlichen Standmuth, übermenschliche Tapferkeit, Kühnheit, und willige Opferung für Ehre, Pflicht und Recht; Tugenden, die in der Verschlingung mit den wilden Leidenschaften und düsteren Gewalten der Rache, des Zornes, des Grimmes, der Wuth und der grausen Todeslust nur noch glänzender und mannichfaltiger erscheinen, und uns, zwar traurend und klagend, doch auch getröstet und gestärkt zurücklaßen, uns mit Ergebung in das Unabwendliche, doch zugleich mit Muth zu Wort und That, mit Stolz und Vertrauen auf Vaterland und Volk, mit Hoffnung auf dereinstige Wiederkehr Deutscher Glorie und Weltherrlichkeit erfüllen. Das schreibt Friedrich von der Hagen in seiner Vorrede zu der Nibelungen Ausgabe von 1807. 

Mehr Deutschtum geht wirklich nicht. Aber sind die Nibelungen wirklich für das Sonett geeignet? Wenn man Loebens Siegfrieds Tod liest, kann man daran zweifeln:

Gezwerg, Gewürm erbebte diesem Recken,
Im Drachenblut Kraft sogen seine Glieder,
Den ärgsten Wurm schlugst, Siegfried! du nicht nieder, 
Ein Lindenblatt muss dich zur Erde strecken!

Die Nebelkappe nahmst du, zu verdecken
Dein treues Kämpfen für die liebsten Brüder; 
Doch sie umnebelt Undank; wirst die Hyder
Zu spät, umschlungen schon, im Wald’ entdecken!

Dein Blut, erhitzt, nach Labe ruft und schmachtet, 
Doch Hagen dürstet nach dem Heldenblute,
Da blitzt es hin, und tränkt weinende Wellen.

O Frauenworte, was ihr Unheil brachtet!
Du arm Geschlecht in deinem Uebermuthe! 
Legst deinen Hort dem Tode vor die Schwellen.

Johann Wolfgang Goethe (der ab 1782 Johann Wolfgang von Goethe ist) sieht es mit Unmut, dass sich eine jüngere Generation auf das Sonett stürzt. Im März 1800 hat ihm August Wilhelm Schlegel seine Gedichte geschickt, unter den einundneunzig Gedichten waren zweiundsechzig Sonette. Das ist jetzt zuviel: Goethe schreibt ein Sonett über das Sonett, in der er deutlich macht, dass ihm die Form zuwider ist:

Sich in erneutem Kunstgebrauch zu üben, 
Ist heil'ge Pflicht, die wir dir auferlegen: 
Du kannst dich auch, wie wir, bestimmt bewegen 
Nach Tritt und Schritt, wie es dir vorgeschrieben.
 
Denn eben die Beschränkung läßt sich lieben, 
Wenn sich die Geister gar gewaltig regen; 
Und wie sie sich denn auch gebärden mögen, 
Das Werk zuletzt ist doch vollendet blieben. 

So möcht' ich selbst in künstlichen Sonetten, 
In sprachgewandter Maßen kühnem Stolze, 
Das Beste, was Gefühl mir gäbe, reimen; 
Nur weiß ich hier mich nicht bequem zu betten, 

Ich schneide sonst so gern aus ganzem Holze, 
Und müßte nun doch auch mitunter leimen.

Das mit dem leimen ist nun richtig fies. Aber unser Graf Loeben, der Goethe verehrt, schreibt weiter Sonette. Und schreibt Goethe in ein gut geleimtes Sonett hinein:

Dem blüht kein Lorbeer, der die Liebe meidet!
Zum Schattenreiche kranzlos wird er ziehen,
Vor ihm wird Saffo und Alcäus fliehen,
Und Orfeus, der den Lethe nicht mehr neidet;

Vor ihm Petrarca, den der Lorbeer kleidet,
Torquato, dem die Welt ihr Ohr geliehen,
Ariost, gewohnt, vor Frauen hinzuknieen,
Der hohe Dante, der die Sfären scheidet.

Novalis, der mit ernster Ahndung Bliken
Erstrebt, den Bau des Lebens zu betrachten,
Bekennt, es sei der Lehrling edler Frauen.

Und Göthe lächelt, daß die Schläf' ergrauen,
Daß Abendwinde nach den Rosen trachten,
Die aus dem Lorbeer ew'ge Düfte schiken.

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