Samstag, 1. Oktober 2011

Griechen-Müller


Heute vor 184 Jahren starb Wilhelm Müller, den man auch den Griechen-Müller nannte, weil er sich so sehr für die Griechen und ihren Freiheitskampf einsetzte. Heute möchte ja niemand mehr Griechen-Müller genannt werden; Griechenland und Griechen, einstmals ein Ideal, sind schon beinahe zu Schimpfworten geworden. Aber andererseits steht uns gerade ein neues Publikumsspektakel mit der Eröffnung des Pergamon-Rundbildes von Yadegar Asisis bevor. Da sagen wir denn kein böses Wort gegen die Griechen, weil das Kultur ist. Edle Einfalt, stille Grösse und so etwas. Ich weiß nicht, ob das neue Gesamtkunstwerk von Yadegar Asisis wirklich bewunderswert ist. Oder ob das nicht ein weiterer Schritt in der Disneyisierung unserer Kultur ist. Als ich vor fünfzig Jahren zum ersten Mal den Pergamon Altar sah, reichte es mir, ihn zu bestaunen und oben auf den Stufen zu sitzen. Da brauchte niemand ein 360 Grad Rundumbild.

Wilhelm Müller stand mit vollem Herzen hinter dieser Bewegung des Philhellenismus. Lord Byron auch. Und erst der bayrische König! Ändert den Namen seines Königreichs von Baiern in Bayern, mit dem griechischen Ypsilon. Da spricht man in Bayern schon von dem neuen Hellas. Und gibt viel Geld für die neo-griechische Architektur aus. Und nicht nur in München, auch in Berlin gibt man viel Geld aus, damit alles klassisch griechisch aussieht. Weil es nämlich geheime Verbindungen aus Urzeiten zwischen Preußen und Griechenland gibt, deshalb wird die griechische Neoklassik in Preußen so schnell heimisch. Hat ein Kunsthistoriker mal geschrieben. Und der Kunsthistoriker Josef Strzygowski wies 1941 wissenschaftlich nach, dass es die Germanen waren, die in der Eiszeit den hohen Norden verließen, um in Hellas Blütezustände herbeizuführen. Das musste doch mal gesagt werden. Hat sich aber als Lehrmeinung nicht durchgesetzt.

Als ich las "Wilhelm Müller ✝1. Oktober 1827", dachte ich mir, ich schreib' über Wilhelm Müller. Über Die Winterreise und die Schöne Müllerin und die Griechenlandsehnsucht der Deutschen. Also die nach der klassischen Bildung, nicht die nach dem Ouzo. Und dann fiel mir plötzlich ein, dass ich das vor einem Jahr schon getan habe. Lesen Sie es doch noch einmal ➱hier. Wenn ich so weitermache, schreibe ich noch so viel wie Ulrich Holbein. Aber aus aktuellem Anlass, Griechenlandhilfe, European Financial Stability Facility und solcher Dinge, möchte ich nicht ohne ein Gedicht von Wilhelm Müller schließen. Es heißt Hellas und die Welt, und die zweite Zeile Ohne dich, Hellas, was wäre die Welt? sollte uns zu denken geben.

Hellas und die Welt

Ohne die Freiheit, was wärest du, Hellas?
Ohne dich, Hellas, was wäre die Welt?

Kommt, ihr Völker aller Zonen,
Seht die Brüste,
Die euch säugten
Mit der reinen Milch der Weisheit! –
Sollen Barbaren sie zerfleischen?
Seht die Augen,
Die euch erleuchteten
Mit dem himmlischen Strahle der Schönheit! –
Sollen sie Barbaren blenden?

Seht die Flamme,
Die euch wärmte
Durch und durch im tiefen Busen,
Daß ihr fühltet,
Wer ihr seid,
Was ihr wollt,
Was ihr sollt,
Eurer Menschheit hohen Adel,
Eure Freiheit! –
Sollen Barbaren sie ersticken?
Kommt, ihr Völker aller Zonen,
Kommt und helfet frei sie machen,
Die euch alle frei gemacht!

Ohne die Freiheit, was wärest du, Hellas?
Ohne dich, Hellas, was wäre die Welt?

Und schon ein Jahrzehnt vorher (Preußen ist gerade besiegt) schreibt ein anderer Deutscher: Die Griechen sind uns nicht bloss ein nützlich historisch zu kennendes Volk, sondern ein Ideal. Ihre Vorzüge über uns sind von der Art, dass gerade ihre Unerreichbarkeit es für uns zweckmässig macht, ihre Werke nachzubilden, und wohlthätig, in unser durch unsre dumpfe und engherzige Lage gepresstes Gemüth ihre freie und schöne zurückzurufen.
   Sie setzen uns in jeder Rücksicht in unsre eigenthümliche, verlorene (wenn man verlieren kann, was man nie hatte, aber wozu man von Natur berechtigt war) Freiheit wieder ein, indem sie augenblicklich den Druck der Zeit aufheben und durch Begeisterung die Kraft stärken, die in uns gemacht ist, ihn selbstthätig zu überwinden.
   Sie sind für uns, was ihre Götter für sie waren; Fleisch von unserm Fleisch und Bein von unserm Bein; alles Unglück und alle Unebenheiten des Lebens; aber ein Sinn, der alles in Spiel verwandelt, und doch nur die Härten des Irrdischen wegwischt, aber den Ernst der Idee bewahrt.
 Er belässt es nicht bei seinen Klagen, Wilhelm von Humboldt erfindet das deutsche Gymansion.


Die Bilder zeigen Thomas Coles Destruction, Delacroix' La Grèce sur les ruines de Missolonghi und Peter von Hess' Ankunft König Ottos in Griechenland.

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