Samstag, 22. Oktober 2011

Liszt Ferencz


So hat er sich selbst geschrieben, er fühlte sich immer als Ungar, auch wenn er diese Sprache kaum sprach. Deutsch ja, Französisch sowieso, er war lange genug in Paris. Ein Wunderkind, ein Genie, ein Tastenlöwe. Ein Superstar, so steht es auf jeden Fall im Titel einer Biographie von Oliver Hilmes (Liszt: Biographie eines Superstars), die rechtzeitig zum Liszt-Jahr erschienen ist. Er wurde heute vor zweihundert Jahren geboren, das muss gefeiert werden, und es wird auch überall gefeiert. Heute gibt es einen Festakt in Weimar, ein Ort, an dem es der rastlos durch Europa ziehende Liszt lange ausgehalten hat. Man spielt seine Musik heute immer noch, andere aus seiner Zeit wie seinen Konkurrenten Charles Valentin Alkan hat man völlig vergessen. Man kann seine Musik auch für eine Vielzahl von Zwecken ge- und missbrauchen, wie man an diesen Beispielen (➱No. 1 und ➱No. 2) sehen kann.

Eine ganze Zeit lag ihm zu Füßen, vor allem die Frauen. Dieser bleiche melancholische Ungar konnte sie alle haben, er hatte auch viele, Ma in Ispagna son già mille e tre, um einen Komponistenkollegen zu zitieren. Sein Leben ist eine chronique scandaleuse. Erstaunlich, dass er noch Zeit zum Komponieren und Klavierspielen findet. Im Alter kleidet er sich auch noch schwarz, da ist er aber jetzt kein Don Juan mehr sondern ein Abbé. Da wird dann kein Liebestraum mehr komponiert sondern geistliche Musik. Hier auf dem Bild ist er im Salon am Piano. Beethoven schaut ihn als Büste an, Lord Byron hängt als Bild an der Wand. Und wenn man genau hinschaut, ist da im Dunkel links auch noch eine Statue von Jeanne d'Arc. Umgeben ist er von Alexandre Dumas, George Sand, Marie d'Agoult, Hector Berlioz (oder ist es Victor Hugo?), Niccolò Paganini und Gioachino Rossini. Irgendwie fehlt nur noch sein Schwiegersohn Richard Wagner, dann wäre die kulturelle Menagerie komplett.

Sein Schwiegersohn ist ja beinahe so alt wie er selbst. Vor zweihundert Jahren wird eine ganze Komponistengeneration geboren: Mendelssohn-Bartholdy (1809), Schumann, Otto Nicolai und Chopin (1810), Liszt (1811), Flotow (1812) Wagner und Verdi (1813). Und dann sollte ich vielleicht noch zwei Herren erwähnen, die heute weniger bekannt sind, die aber zu den größten Konkurrenten von Liszt in den Pariser Salons zählen: Sigismund Thalberg und Charles Valentin Alkan. Beide auch Komponisten, aber bekannter als Klaviervirtuosen. Von Alkan habe ich eine CD mit Marc-André Hamelin, wenn man die zu Ende gehört hat, hat man - genau wie bei Liszt - das Gefühl, dass die Klavierfirma das Klavier jetzt runderneuern muss. Pianisten, die Mozart oder Bach spielen, kriegen den Flügel nicht kaputt. Liszt mit seinen Kompositionen schon, er hat Sébastien Érard sicherlich zur Verzweiflung gebracht. Aber er hat auch viel zur Verbreitung von Érards Flügel beigetragen, da er bei der Firma seit 1825 unter Vertrag war (er hat aber auch auf einem Bösendorfer gespielt und einen Bechstein besessen, den man in Weimar noch bewundern kann).

Ich wollte zum Schreiben dieses Posts Musik von Liszt auflegen, musste aber erst nachdenken, wo die Liszt CDs eigentlich sein könnten. Ich vermutete sie in einem Kasten in einer dunklen Ecke (ja, da muss mal wieder gestaubsaugt werden), wo auch Chopin ist. Sie können daraus schliessen, dass ich beide Komponisten nicht so sehr mag. Ich dachte mir, ich klaue mir zum Schluss ein paar nette Sätze über Liszt aus Stephen Frys herrlich schräger Incomplete & Utter History of Classical Music, aber das war nix. Liszt wird da nur ein halbes dutzend Mal erwähnt, meistens im Zusammenhang mit Wagner, schließlich hat er ja den Lohengrin in Weimar auf die Bühne gebracht. Da ist es dann auch passend, dass Nike Wagner, die Leiterin der Liszt-Feiern in Weimar, eine Urenkelin von Wagner und eine Ur-Urenkelin von Liszt ist. Zu meiner großen Überraschung (oder vielleicht auch nicht) musste ich feststellen, dass Stephen Fry ein großer ➱Wagner-Fan ist. Aber seit den Tagen von ➱Franz Hüffer (Francis Hueffer) ist der Schwiegersohn Liszts ja in England zu Hause.

Also, wenn Stephen Fry mir kein witziges Aperçu liefert, dann gibt es jetzt zum Schluss keine kleinen Scherze mehr. Ich hoffe nur, dass ➱Martha Argerich, die bei mir gerade Liszt spielt, meine Lautsprecher nicht kaputtmacht. Und wenn sie fertig ist, wird Liszts Transkription der Pastorale von Beethoven aufgelegt, gespielt von ➱Glenn Gould. Das finde ich wirklich genial. Wahrscheinlich wegen Glenn Gould.

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