Freitag, 7. Oktober 2011

Edgar Allan Poe


Heute vor 162 Jahren ist er in Baltimore gestorben. Er war vierzig Jahre alt. Die Umstände seines Todes bleiben rätselhaft, die Theorien nennen Mord, Selbstmord, Cholera, Tollwut und Syphilis als mögliche Ursachen. Man hatte ihn auf der Straße gefunden, in great distress, and ... in need of immediate assistance. Der größte Fehler des armen Edgar Allan Poe in seinem Leben ist es gewesen, Rufus Griswold  zum Verwalter seines literarisches Werkes zu machen. Edgar Allan Poe is dead. He died in Baltimore the day before yesterday. This announcement will startle many, but few will be grieved by it, schrieb ➱Griswold wenige Tage nach dem Tod von Poe. In dem few will be grieved by it deutet sich schon an, was nun aus Griswolds Feder kommen wird, ein Verleumdungskampagne par excellence. Ein geisteskranker Trinker, der seine 13-jährige Cousine heiratet und besoffen in der Gosse stirbt. Und was nicht alles. An allen Vorwürfen ist irgendwo etwas dran, wo viel Schmutz geworfen wird, da bleibt auch viel hängen. Rufus Griswolds Biographie wird das Bild Poes immer überschatten. Was Poes Biographie betrifft, haben wir leider mehr Konfabulationen als Fakten.

Es hat Poe auch nicht geholfen, dass sich die neue Wissenschaft der Psychologie seiner angenommen an, dazu forderte sein Werk ja auch geradezu heraus. And much of Madness and more of Sin/And Horror the soul of the plot. Immer wieder madness. Eines der kuriosesten Werke dieser neuen Wissenschaft stammt von einer echten Prinzessin, der Lieblingsschülerin von Freud (auf dem Photo links neben ihm). Man hätte Marie Bonaparte wahrscheinlich vergessen, wenn sie nicht vor kurzem von Catherine Deneuve gespielt worden wäre. Die Prinzessin  hat sicherlich große Verdienste (das größte ist wahrscheinlich, dass sie den Spinner Jacques Lacan aus der Vereinigung der französischen Psychiater geschmissen hat), aber ihr Buch Edgar Poe: Etude psychanalytique von 1933 ist mit Vorsicht zu geniessen. Es gibt seit Rufus Griswold mehr schlechte als gute Biographien über Edgar Allan Poe.

Wobei ich nichts gegen Hervey Allens Buch Israfel sagen will, für das Jahr 1926 war das schon ein Wurf; man muss Romanschriftsteller sein, um sowas zu schreiben. Eine Biographie, wie sie Hershel Parker zu Herman Melville vorgelegt hat, bleibt eigentlich immer noch ein Desiderat. Sicher ist die Biographie der Prinzessin Marie Bonaparte inzwischen ein Klassiker der Wissenschaftsgeschichte, aber sie ist keine ernstzunehmende Biographie. Gerade hat Peter Ackroyd ein 176 Seiten langes Büchlein (Poe: A Life Cut Short) geschrieben, das sicher sehr nett ist, aber auch keine richtige Biographie ist. Am besten gefällt mir da immer noch die Biographie von Kenneth Silverman aus dem Jahre 1992 Edgar Allan Poe: Mournful and Never-ending Remembrance.

Und ich habe sogar eine Empfehlung für eine deutschsprachige Biographie, es ist kaum zu glauben. Der Verfasser heißt Frank T. Zumbach (und er hat auch einen schönen, für einen Edgar Allan Poe Spezialisten passenden ➱Blog - diese Adresse sollten alle Freunde des gepflegten Schauers unbedingt testen). Dafür dass diese Biographie schon beinahe ein Vierteljahrhundert alt ist, hat sie sich erstaunlich gut gehalten. Als sie 1986 im Winkler Verlag erschien, war sie neben Walter Lennigs kleiner Biographie in der Reihe der rowohlts monographien die einzige deutsche Buchpublikation zu Poe die ernst zu nehmen war. Frank T. Zumbachs Biographie ist keine trockene Wissenschaft, Zumbach hat zwar Anglistik studiert, aber er ist freier Schriftsteller und Übersetzer, kein Universitätsprofessor. Gott sei Dank, möchte man sagen. E.A.Poe: Eine Biographie ist nicht nur eine Biographie des Autors, das Buch portraitiert auch eine Epoche der amerikanischen Kultur. Es ist gut geschrieben, so dass jeder es lesen kann (was bei Werken aus professoraler Feder ja nicht immer gegeben ist). Und es gibt dem Leser einen Schlüssel zum Verständnis von Poes Werk. Was kann man sich mehr wünschen? Ja, man kann das Buch auch noch bei Amazon oder Amazon Marketplace finden.

Während die amerikanischen Literaturprofessoren sich mit bewundernswertem Fleiß immer wieder auf Poes ebenso erfolglosen Zeitgenossen Herman Melville gestürzt haben, bleibt Edgar Allan Poes Werk heute immer noch vernachlässigt. Es gibt leider bis heute noch keine zuverlässige Gesamtausgabe der Werke von Edgar Allan Poe. Die ➱Virginia Edition, die schon über hundert Jahre alt ist, ist nicht ganz vollständig. Und Thomas O. Mabbotts Werkausgabe wurde leider durch seinen Tod beendet. Obgleich, die Bände, die er vollendet hat, ein Muster für jede Werkausgabe sein können. In Deutschland gibt es seit seit drei Jahren im Insel Verlag für 248 € eine vierbändige kommentierte Werkausgabe. Mit 4.254 Seiten das Vollständigste von Poe, was es auf Deutsch gibt. Diese Ausgabe ist nicht ganz neu, sie ist - herausgegeben von dem Berliner Anglistikprofessor Kuno Schuhmann und Hans Dieter Müller - 1966 im Walter Verlag erschienen. Es hält sich das Gerücht, dass diese Ausgabe den Walter Verlag ruiniert hätte, aber das ist wohl nicht ganz wahr. 1979 gab es eine zehnbändige Paperback Lizenzausgabe (Pawlak), die allerdings schnell verramscht wurde. Aber die Ausgabe des Walter Verlags wurde dankenswerterweise von Gert Haffmanns 1994 wiederbelebt. Jetzt bringt der Insel Verlag sie noch einmal heraus. Die berühmtesten Übersetzer, die an dieser Werkausgabe mitgearbeitet haben, sind schon lange tot: ➱Arno Schmidt und Hans Wollschläger.

Und dann muss ich noch ein drittes deutschsprachiges Werk nennen, ➱Liliane Weissbergs Edgar Allan Poe. Erschienen 1991 in der Sammlung Metzler als Band 204 dieser Reihe. Der materialreichste Forschungsbericht in Buchform, den es gibt. Und das ist noch die Kurzfassung. Im Vorwort schreibt die Verfasserin, die 1984 in Harvard über Poe promoviert hatte: Die erste Fassung des vorliegenden Textes hatte den traurigen Ruhm, das längste Manuskript zu sein, das jemals für einen 'Sammlung Metzler' Band eingereicht wurde. Aber sie wussten bei Metzler schon, dass sie mit dem Manuskript etwas ganz Besonderes hatten, und man kann der Autorin für dieses Buch nur ewig dankbar sein. Es ist beim Verlag vergriffen, aber es gibt noch Restexemplare im Modernen Antiquariat.

Vielleicht ist mir ja auch der ein oder andere Leser dankbar für diese kleine Literaturübersicht. Aber natürlich kann man Edgar Allan Poe auch ohne alle Sekundärliteratur lesen. Obgleich Kommentare eines Gelehrten manchmal ja sehr schön sind. Ich habe die Modern Library Ausgabe von The Complete Tales and Poems of Edgar Allan Poe, die einmal Newton Arvin gehört hat. Mit seinen Unterstreichungen und Kommentaren. Besser geht es nicht.

Und über Edgar Allan Poe, der die detective story und die short story erfand (von der Science Fiction ganz zu schweigen), schreibe ich gerne noch ein anderes Mal. Die Bilder sind natürlich von ➱Horst Janssen, den Edgar Allan Poe nie losgelassen hat.

3 Kommentare:

  1. Was halten Sie denn von den Übersetzungen von Schmidt und Wollschläger? Schreiben Sie doch auch mal darüber, das würde mich sehr freuen.

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  2. Wozu habe ich mich wohl so vornehm zurückgehalten? Aber ich schreibe noch mal über Poe (und Schmidt).

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  3. Ja, das habe ich mir fast gedacht. Dann freue ich mich schon mal auf Ihren nächsten Beitrag. Und den über Poe (und Schmidt).

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