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Mittwoch, 27. April 2022

Michelangelo


Heute vor einhundertvierzig Jahren starb Ralph Waldo Emerson, Philosoph und Schriftsteller, Hauptvertreter des amerikanischen Transzendentalismus. Er hat auch Gedichte geschrieben, aber das sind Gedichte, mit denen ich nicht viel anfangen kann. Wenn man bedenkt, dass zur gleichen Zeit Walt Whitman (dessen Talent Emerson würdigte) und Herman Melville schreiben, dann fallen Emersons Gedichte doch stark ab. Ich bin auch nicht der Einzige, der dieser Meinung ist. In den dreißiger Jahren hat der Dichter und Literaturkritiker Yvor Winters gesagt: Emerson had talent, which was badly damaged by foolish thinking. Bösartiger geht es nicht. Emerson (der hier schon einen Post hat) selbst war natürlich anderer Meinung: I am born a poet, of a low class without doubt yet a poet. This is my nature and vocation, schrieb er an Lydia, die seine zweite Frau wurde.

Ich habe heute Emersons Übersetzung des Sonetts 151 von Michelangelo als Gedicht des Tages. Wie gut er Italienisch konnte, weiß ich nicht, aber er konnte Latein, weil er Theologie studiert hatte. Er ist auch in Italien gewesen, und die Europareise hatte sein Denken verändert, er gab die Kirche auf und wurde Schriftsteller und Redner. Michelangelos Sonett 151 ist von manchen Kritikern als das beste seiner mehr als dreihundert Sonette bezeichnet worden:

Non ha l’ottimo artista alcun concetto 
c’un marmo solo in sé non circonscriva
col suo superchio, e solo a quello arriva
la man che ubbidisce all’intelletto.
Il mal ch’io fuggo, e ’l ben ch’io mi prometto,
in te, donna leggiadra, altera e diva,
tal si nasconde; e perch’io più non viva,
contraria ho l’arte al disïato effetto.
Amor dunque non ha, né tua beltate
o durezza o fortuna o gran disdegno,
del mio mal colpa, o mio destino o sorte;
se dentro del tuo cor morte e pietate
porti in un tempo, e che ’l mio basso ingegno
non sappia, ardendo, trarne altro che morte.


Bei Emerson liest sich das Gedicht so:

Never did sculptor's dream unfold 
A form which marble doth not hold 
In its white block; yet it therein shall find 
Only the hand secure and bold 
Which still obeys the mind. 
So hide in thee, thou heavenly dame, 
The ill I shun, the good I claim; 
I alas! not well alive, 
Miss the aim whereto I strive. 
Not love, nor beauty's pride, 
Nor Fortune, nor thy coldness, can I chide, 
If, whilst within thy heart abide 
Both death and pity, my unequal skill 
Fails of the life, but draws the death and ill. 

Eine andere Übersetzung hat 1877 der englische Schriftsteller John Addington Symonds vorgelegt, die von Emerson ist keineswegs schlechter. Ich kann noch eine deutsche Prosaübersetzung anbieten, die sicherlich nützlich ist. Und ich habe Teile der Übersetzung von Gottlob Regis aus dem Jahre 1842, dieses deutsche Übersetzergenie des 19. Jahrhunderts habe ich schon in dem Post anonymous erwähnt. Rainer Maria Rilke hat viele der Sonette übersetzt, aber dieses leider nicht. Ich kann aber zum Schluss eine deutsche Übersetzung vorstellen:

Nichts kann der beste Künstler denken sich,
Das nicht in einem einz’gen Marmorsteine
Umschrieben wäre, und dies ergreift alleine
Die Hand, die seinem Geist dient williglich.
Das Übel, das ich flieh‘, das Gut, das ich
Ersehn‘, in Dir, Anmut’ge, Hohe, Reine,
Ruht’s eben so; zuwider ist nur meine
Kunst dem erwünschten Zweck, und tötet mich.
So hat nicht Liebe Schuld an meinen Schmerzen,
Nicht Deine Schönheit, Hochmut, große Strenge,
Nicht mein Geschick noch Los darf ich verklagen,
Wenn du trägst Lieb‘ und Tod in Deinem Herzen
Zugleich, und meinem schwachen Geist gelänge
Nur Tod mir glühend d’raus hervorzuschlagen.

Die Übersetzung ist von dem Romanisten Hugo Friedrich aus seinem Buch Epochen der italienischen Lyrik. Rilke als Übersetzer mochte Professor Friedrich überhaupt nicht, seine Michelangelo Übersetzungen hat er als das Abseitigste seiner Dichtung abgetan. Hugo Friedrich hat hier in dem Post Montaigne en allemand einen längeren Absatz, die wunderbare Rabattmarken Anekdote ist auch da drin. Das letzte ist vielleicht nicht so wichtig, aber sein Montaigne Buch aus dem Jahre 1949 (dritte Auflage 1993), das ist wichtig.

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