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Sonntag, 21. April 2024

sinkender Himmel


Den französischen Literatur- und Kunsthistoriker Hippolyte Taine habe ich durch eine Vorlesung im Philosophenturm der Uni Hamburg kennengelernt. Es war die beste Vorlesung, die ich im Fach Anglistik in meinem Studium gehört habe. Der Dozent war noch ein junger Mann, frisch habilitiert. Es war seine erste Vorlesung, er hatte alles hineingepackt, was er wusste. Und er wusste viel. Ich habe den Dozenten Jahrzehnte später bei einem Kongress getroffen und ihm meine Hochachtung ausgesprochen. Das steht schon in dem Post Studienberatung. Und Hippolyte Taine, der heute vor hundertsechsundneunzig Jahren geboren wurde, hat hier natürlich auch schon einen Post. Er hat furchtbar viel geschrieben, nicht nur eine vierbändige Geschichte der englischen Literatur, die damals in der Vorlesung erwähnt wurde. Er hat aber keine Gedichte geschrieben.

Dafür habe ich jemand anderen, einen Dichter, der auch etwas mit Hippolyte Taine zu tun hat. Es ist Stefan Zweig. 1936 beschrieb er im englischen Exil sein Leben und seinen Werdegang: I was born in Vienna on November 28, 1881, and later I studied philosophy. But my real studies began with my extensive travels throughout Europe, America, and India, and my inner education through friendship with important leaders of my generation - Verhaeren, Romain Rolland, Freud, and Rilke. Kein Wort hat er für Hippolyte Taine übrig, das ist erstaunlich, denn er hatte 1904 mit einer 138-seitigen Arbeit über Taine promoviert. Den er offenbar nicht als wichtigen Einfluss auf sein Leben betrachtete. Es ist dies wohl die einzige Sache, die ich meinen Eltern zuliebe tue und dem eigenen Ich zum Trotz, hatte er im März 1903 an Hermann Hesse geschrieben. Zweigs erste Ehefrau Friderike schrieb 1948: Es ist bedauerlich, daß diese ausgezeichnete Arbeit nie veröffentlicht wurde. Andere, denen die Themen nicht so reich zuflossen wie ihm, hätten sie zu einem Buch gemacht. Alles, was wir über Stefan Zweig und Hippolyte Taine wissen können, steht 1992 in der Magisterarbeit von Natascha Weschenbach, die bei Fischer auch die Briefe Zweigs herausgegeben hat. Meiner Meinung nach hätte sie für ihre Arbeit einen Doktortitel bekommen müssen, ich kenne Dissertationen, in denen weniger drin steht. 

Stefan Zweig ist in diesem Blog schon in den Posts Stendhal BiographienPaul Hazard, immortel, John Quincy Adams und Born to be bad erwähnt worden, aber ein Gedicht von ihm gab es noch nicht. Aber heute gibt es eins, das schöne Sinkender Himmel aus dem Gedichtband Die frühen Kränze:

Du Herz, das immer die Sterne begehrte,
Für jeden Wunsch verschenkt sich ein Traum.
Sieh, schon neigt sich der abendverklärte
Himmel zu dir, und du faßt es kaum.

Neigt sich und neigt sich. Und in sein Sinken
Hebt die Erde verschreckt ihr Gesicht,
Und wie mit purpurnen Lippen trinken
Die Höhen das letzte löschende Licht.

Alle Bäume schon müssen ihn fühlen,
Steil greift ihr Schmerz in den Abend empor,
Und mit den zitternden Armen wühlen
Sie sich in den samtenen Sternenflor.

Und tiefer rauschen die Wolkenfernen.
Schon streifen sie dich, wie ein Kuß, wie ein Kleid,
Und wiegen nun sanft mit den silbernen Sternen
Dein Herz in die nahe Unendlichkeit.


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