Mein Freund Peter schenkte mir vor vielen Jahren ein Buch über das Sammeln. Das Buch enthielt ein Kapitel über die Gefahren des Sammelns, die Gefahren kennt jeder Sammler. Auch der Sammler, der Überraschungseier sammelt. Ich sammle keine Bücher, ich habe nur ganz viele. Büchersammler sammeln nach Erstausgaben, Büchern mit einer Signatur des Autors, streng limitierten Auflagen und solchen Dingen. Ich besitze wenig Bücher mit Widmung. Nein, das mit den Büchern ist kein Sammeln, es sammelt sich nur an.
Das mit den Uhren ist vielleicht schon ein Sammeln. Ich will aber auch immer damit aufhören. Ich habe im letzten Jahr ein halbes Dutzend Uhren an Freunde (und Freundinnen) verschenkt und vier Uhren verkauft. Ich kann mich von den Dingen trennen. Und was die Uhren betrifft, habe ich auch alles, was ich haben wollte. Bis auf diese eine Uhr, die ich nie bekam. Ich wusste auch nicht, ob ich die wirklich haben wollte, weil sie eigentlich potthäßlich war. Es war eine Uhr der Firma →Zenith. Zu der Firma habe ich hier vor zehn Jahren schon einiges in dem Post Precision Class geschrieben.
Meine Zenith Taschenuhr habe ich auch schon erwähnt, und meine Zenith Defy mit dem Gay Frères Band war schon 2010 in dem Post Flohmarkt abgebildet. Meine Zenith AF/P ist bisher noch nicht erwähnt worden, deshalb mache ich das heute mal eben. Das Bild hier oben zeigt die Villa, die der Besitzer der Uhrenfabrik Zenith sich von dem jungen Charles-Édouard Jeanneret aus der Uhrenstadt La Chaux-de-Fonds hat bauen lassen. Der Architekt schreibt im Januar 1920 seinen Eltern, dass er mit dreiundzwanzig Jahren schon die Akropolis gesehen und die Villa Georges Favre gebaut habe. Der junge Mann wird seinen Namen ändern, wir kennen ihn als Le Corbusier.
Angefangen hatte Georges Favre-Jacot mit seiner Fabrique des Billodes mit relativ einfachen Uhren, die Billodes hießen. Ein großer Teil dieser Uhren war für das osmanische Reich bestimmt. Das kann man an den reich verzierten Zifferblättern und den türkischen Ziffern erkennen. Häufig tragen diese Uhren auch den Namen K. Serkisoff & Co Constantinople, das war ein russischer Händler in Konstantinopel, der offenbar der Generalimporteur war. Ich besitze eine silberne Taschenuhr, deren Werk diesem Werk hier sehr ähnlich ist. Sie hat mich auf dem Flohmarkt mal vierzig Mark gekostet, ich habe sie gekauft, weil der Aufbau des Werkes sehr originell ist. Und weil ich wusste, dass es eine frühe Zenith war. Die Uhr läuft nach hundertdreißig Jahren übrigens immer noch.
Das osmanische Reich und Russland sind zum Ende des 19. Jahrhunderts Großabnehmer für Schweizer Uhren. Die Firma von Georges Favre-Jacot produziert um 1900 schon hunderttausend Uhren im Jahr und nennt sich ab 1911
Fabrique des Montres Zenith. Den Namen soll Favre-Jacot folgendermaßen gefunden haben:
Eines Abends vollendete Firmengründer Georges Favre-Jacot ein Uhrwerk, das ihm besser zu sein schien als alle bisherigen. Als er kurz darauf in die sternenklare Nacht hinaus trat und seinen Blick zum Himmel richtete, erschien ihm die Himmelsmechanik wie das Spiel der Räder und Zapfen eines Uhrwerks und er beschloss, sein neues Uhrwerk und auch seine Manufaktur nach dem höchsten Punkt des Universums zu benennen: Zenith. Das sind diese Geschichten, für die der Italiener den Satz
se non è vero, è ben trovato bereithält. Dieses Zenith Werk mit Breguetspirale und Kurvenscheiben Feinregulierung ist Lichtjahre von dem einfachen Billodes Werk entfernt. Zenith wird das Werk jahrzehntelang bauen. Mahatma Gandhi wird eine
Zenith Taschenuhr besitzen, sie war eins seiner wenigen Besitztümer. In den sechziger Jahren, als kaum noch eine Schweizer Firma Taschenuhren herstellt, bringt Zenith noch eine Taschenuhr mit dem Chronometerwerk
5011K auf den Markt.
Ein Jahr bevor Georges Favre dem jungen Le Corbusier den Auftrag für den Bau seiner Villa gibt, hatte er Konkurs anmelden müssen. Die Firma wird von seinem Neffen (und Schwiegersohn)
Jämes Favre übernommen, der den Firmengründer sofort hinauswirft. In den nächsten Jahrzehnten wird es bei Zenith in Le Locle zahlreiche Besitzerwechsel geben. Aber es gibt ein beruhigendes Element in der Firma, und das ist
Charles-Albert Ziegler. Der war 1912 als Lehrling in die Firma eingetreten und wurde 1942 Technischer Direktor. Das wird er auch unter den neuen Besitzern bleiben. Ziegler hatte den Uhrmacher
Ephrem Jobin beauftragt, ein 30 mm großes Uhrwerk zu konstruieren, mit dem man an den jährlichén Präzisionswettbewerben teilnehmen konnte. Was Jobin liefert, ist das Kaliber 135, das schon in dem Post
Precision Class vorgstellt worden ist. Es gibt hier einen sehr informativen
→Artikel dazu. Jobin konstruiert für Zenith auch die erste Automatikuhr mit dem
Kaliber 133, eine Hammerautomatik. Dazu würde der Engländer
nothing to write home about sagen, aber es ist ein Anfang. Zenith wird auch sehr gute Automatikwerke bauen.
Bei den Wettbewerben in Neuchâtel werden Zenith Chronometer für die nächsten Jahre immer auf den ersten Plätzen sein.
Rolex kommt niemals auf die vorderen Plätze, Hans Wilsdorf ist beleidigt und steigt aus den Wettbewerben aus. Von dem Kaliber 135 sind vielleicht elftausend Stück gebaut worden. In den sechziger Jahren brachte Zenith eine
Zenith 2000 auf den Markt, in der das Kaliber 135 ohne Chronometerzertifikat tickte. Danach hat Zenith alle Unterlagen an die Russen verkauft, die das Werk mit kleinen Änderungen als Wostok Precision und Wolna weitergebaut haben. Es war nicht die Qualität von Zenith, aber es waren die einzigen jemals in Russland gebauten Chronometer.
Auch wenn Zenith das Kaliber 135 nicht weiterbaute, erreichten ihre Handaufzugswerke (hier das Kaliber 126) leicht die Chronometernorm. Eine Variante dieses Werks hier wurde als Kaliber
40T auch als Chronometer angeboten. Ich habe das Kaliber 40 (ohne Chronometerprüfung) in einer Zenith
Sporto, die mich mal hundert Mark gekostet hat. Als ich den Boden abnahm, staunte ich nicht schlecht. Über dem Werk war noch ein durchsichtiger Plastikboden. Verschraubt. Da konnte man sicher sein, dass kein Staubkorn das Werk erreichte. Die sechziger Jahre Werke haben alle eine Glucydurunruhe, ein bewegliches Spiralklötzchen und diesen doppelten Rückerzeiger, mit dem man angeblich die Feinregulierung noch genauer vornehmen konnte.
Nicht in allen Zenith Uhren der späten sechziger Jahre ist ein Zenith Werk. In manchen ist auch ein
Movado Werk (oder umgekehrt), da die beiden Firmen in finanzieller Verzweiflung 1968 eine Kooperation eingegangen waren. In meiner Zenith AF/P (was für
alta frequenza precisione steht) tickt mit 36.000 Halbschwingungen ein Movado
Kaliber 408 mit einer Triovis Feinregulierung. Es ist eine elegante flache Uhr, wahrscheinlich hatte sie diesen italienischen Namen, weil ein großer Teils der Zenith Produktion nach Italien ging. Wo sie häufig als Zenith
Stellina angeboten werden. Die Marke
Stellina hat es nie gegeben, gemeint damit ist nur das Firmensymbol, der Zenithstern.
Mit den Schnellschwingern komme ich zu dem berühmtesten Schnellschwinger Uhrwerk von Zenith, dessen wechselvolle Geschichte aus einem Kriminalroman stammen könnte. 1969 brachte Zenith nach jahrelanger Arbeit mithilfe der
Martel Watch in Ponts-de-Martel einen Chronographen mit automatischem Aufzug auf den Markt, der den Namen
→El Primero bekam. Wenn sie das anklicken, kommen Sie auf eine schöne Seite und können alles dazu lesen. Ob Zenith wirklich die erste Firma war, die so etwas auf dem Markt hatte, ist umstritten, denn gleichzeitig kam
Seiko mit dem
Kaliber 6138/ 6139 heraus. Es war allerdings eine schlechte Zeit für Uhren mit Komplikationen, das merkte man auch in Grenchen mit dem Werk
AS 5008. Denn aus Japan kamen jetzt Quarzuhren, die alles waren: Chronograph, Chronometer, Stoppuhr, Wecker und was Sie wollen.
Bei der Firma Zenith beschloss der damalige Besitzer, die amerikanische
→Zenith Radio Company, nur noch Quarzuhren zu bauen. Charles Vermot (hier im Bild) bekam 1975 den Auftrag, die Fabrik in Ponts-de-Martel zu schließen und alle Rohwerke, Werkzeuge und Konstruktionsunterlagen zu vernichten. Das tat
→Charles Vermot sehr weh. Er schloss das Werk in Ponts-de-Martel, aber er nahm alles mit, was man für die Konstruktion eines El Primero Werks brauchte, und versteckte es auf dem Dachboden. Jahre später erzählte Vermot den neuen Besitzern der Firma, dass man das El Primero ohne Schwierigkeiten weiterbauen könne. Die Firmenleitung schenkte ihm eine Zenith El Primero und spendierte ihm und seiner Gattin ein Abendessen. Sie hätten ihm eine Million Fränkli geben sollen, denn das Uhrwerk wurde wenig später der größte Verkaufserfolg der Firma. Ab 1988 bestellte Rolex für die nächsten dreizehn Jahre hundertausende von Zenith Werken für ihr Modell
Rolex Cosmograph Daytona. Rolex Sammler zahlen heute mindestens 20.000 Euro für diese Uhr, die Zenith Rainbow mit demselben Werk bekommt man schon für ein Fünftel dieses Preises.
1969 brachte Zenith eine Uhr auf den Markt, die in dieser französischen Anzeige als
un coffre fort bezeichnet wird. Ein
coffre fort ist ein Tresor, ein Safe, etwas, das man nicht aufbrechen kann. Und das sollte diese dreihundert Meter wasserdichte Uhr auch sein. Das Glas ist nicht mit einem Sprengring in das Gehäuse gesetzt, es ist gegen das Gehäuse verschraubt. Das Werk ist durch einen Gummiring vom Gehäuse abgefedert, ähnlich wie Certina das mit seinen
DS Modellen gemacht hatte. Das Edelstahlband der Uhr kam von der Firma
Gay Frères. Bis in die achtziger Jahre gab es, dem Zeitgeschmack folgend, verschiedene Modelle der Uhr, die alle den Namen Defy hatten. Den Namen Defi (französisch für Herausferung) hatte sich Favre-Jacot schon im 19. Jahrhudert eintragen lassen, nun kam die Uhr mit dem englischen
defy, was trotzen, widerstehen hetßt. Ein Modell habe ich seit zwanzig Jahren, es war auf dem Flohmarkt ein Risikokauf, weil das Glas kaputt war. Aber wem immer die Firma Zenith damals gehörte, sie lieferte meinem Uhrmacher noch das passende Originalglas und alle originalen Dichtungen. Ich mag die Uhr sehr, aber auf meiner geheimen Wunschliste der Uhren, die ich niemals bekommen würde, stand irgendwie doch das häßliche erste Modell von 1969.
Das war das Modell 3642, von dem es, wenn man Manfred Rösslers
Zenith Buch glauben darf, nur zwanzigtausend Stück gibt. Die Uhr ist achteckig, das war damals neu. Ein paar Jahre später gab es viele achteckige Uhren. Weil der Designer
Gérald Genta für alle
Luxusfirmen achteckige Uhren entwarf. Die werden heute von den Werbefuzzis als
legendär bezeichnet, in der Welt der Werbung geht so etwas schnell. Heute wirbt die Firma mit Sätzen wie: Z
enith vereint die Schönheit zeitgenössischer Designs mit dem Savoir-faire und der Tradition der Schweizer Uhrmacherkunst und erschafft ein Universum ikonischer Zeitmesser. Sie werden mit höchster Präzision gefertigt, um dem Lebensstil und den Ambitionen moderner Träger gerecht zu werden. Ich habe mit meinem Lebensstil und meinen Ambitionen letztens eine 3642 bei
kleinanzeigen gefunden. Sie hatte keinen Preis, der war Verhandlungssache. Es war die Uhr des Vaters des Verkäufers gewesen, und der wünschte sich, dass sie in gute Hände kam. Nachdem er ein wenig von meinem Uhrenblog
Tickendes Teufelsherz gelesen hatte, wusste er, dass die Uhr bei mir in guten Händen sein würde. Wir wurden uns schnell einig, und der Preis war nicht mal vierstellig. Dafür sieht meine aber auch nicht ganz so neu aus wie dieses Modell hier. Aber das macht überhaupt nichts, eine Uhr darf auch ihr Alter zeigen. Der
Barni hat sie sanft poliert, und der
Uhrmacher Petersen hat ihr ein neues Glass verpasst. Jetzt ist sie perfekt. Und jetzt wird nix mehr gekauft, keine Uhren mehr. Schreiben werde ich aber noch über Uhren. Weil Sie das so gerne lesen.
Da dies nun beinahe eine Firmengeschichte von Zenith geworden ist, muss ich zum Schluss noch meine liebste Zenith zeigen, es ist eine Zenith Pilot aus den vierziger Jahren. Den Namen
Pilot hatte sich Georges Favre-Jacot schon im 19. Jahrhundert als Markennamen eintragen lassen. Die Uhr ist klitzeklein, nur 30 mm groß. Der Schraubboden enthält einen halben Roman. Unter dem Schraubboden ist noch ein Weicheisendeckel gegen Magnetismus. Deshalb konnte die Firma auch zu Recht
non-magnetic auf den Boden schreiben. Heute kann man auch noch Uhren mit dem Modellnamen Zenith Pilot kaufen, aber die sind riesig groß. Die
Defy 3642 ist vor Jahren in einer limitierten Auflage von 250 Stück neu wieder aufgelegt worden. Aber von der neuen Firma Zenith, die jetzt
Louis Vuitton gehört und von diesem Herrn
Jean-Claude Biver geleitet wird, interessiert mich gar nichts. Es sind große häßliche Uhren, die furchtbar teuer sind. Angeblich will der asiatische Markt das so haben. Ich würde die nicht mal für geschenkt nehmen.
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