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Dienstag, 31. Mai 2011
URL
http://
www.whydidi
getwrappedupintheinformationsuperhigh
way&trapmyselfassurelyasaspi
derspinsawebaroundafly
inaworldofvirtualreality
indetermin@esexuality
andinstantaccessibility
Ibrowsedforimmortality
withaquickdoubleclick
Idownloadedasoul
andforthepriceofalocalcall
upgradedmyhearttodigital
butnowtheyrenolongercomp@ible
withthehopes&dreamsistoredtoncdrom
anditisntpctobeme.com
Ja, dahin wird es kommen. Dies ist ein Gedicht, und es heißt http://. Auf solche Titel wären Leute wie Shelley oder Keats natürlich nie gekommen. Aber Carole Houlston aus Manchester, die ist darauf gekommen. Ich finde das eigentlich wirklich witzig. Vielleicht wird es eines Tages wirklich solche Internetadressen geben. Manche Leute reden und schreiben heute ja schon so ähnlich. Ich habe im Radio gehört, dass Deutschland Weltmeister im Simsen ist. Auch die Kanzlerin simst. Ich nicht, weil ich gar nicht weiß, was das ist. Und weil ich auch kein Mobiltelephon habe.
Wenn ich noch einmal auf das http:// zurückkommen darf, ich habe jetzt 5 (in Worten: fünf) neue URLs. Die sind ein wenig aus der Not geboren. Die erste war eigentlich nur für die Zwischenlagerung von Dingen da, die ich für diesen Blog geschrieben hatte. Weil ich nicht wusste, was das elektronische mene tekel uparsin am Freitag, dem 13., für die Zukunft von Googles Blogger System bedeutete. Alles weg? Also packte ich das zu WordPress (was anderes fiel mir nicht ein), machte einen Blog auf, der ➪fashion & culture heißt. Da sicherte ich erst einmal ➪Royal Flying Corps. Der Zufallsgenerator von WordPress offerierte mir ein Layout, das mir gefiel. Ich hätte mich natürlich mit deren Gebrauchsanweisung vertraut machen können, vor allem, weil die einen ganzen Kurs from zero to hero anbieten. Aber ich lese nie die Gebrauchsanweisungen, mit dieser Haltung bin ich erstaunlicherweise durchs Leben gekommen. Die Lektüre von Beipackzetteln macht krank, und from zero to hero ist eine freche Lüge: man wird damit kein Held. Und ganz nebenbei: das Text Editor System von Google/Blogger ist viel unkomplizierter als das System von WordPress.
Aber die Sache mit dem Thema-Blog war irgendwie zu verführerisch, und so bastelte ich mir einen nach dem anderen: Mode, Film, Krimis, Uhren und Kunst. Schaufelte alles von SILVAE da rüber, leicht überarbeitet, zum Teil neu illustriert und etwas angereichert. Die Adressen sind nicht geheim.
➨FASHION AND CULTURE ist der Mode-Blog. Ein Blog mit dem schönem Namen ➨TICKENDES TEUFELSHERZ handelt von der Welt der Uhren. Und in ➨SILVERSCREEN steht viel über Film. Und dann gibt es da noch ➨THE SIMPLE ART OF MURDER, nix wie Krimi. Die Krönung ist aber mein Kunst Blog mit dem Namen ➨VITA BREVIS; ARS LONGA, der gefällt mir ganz besonders. Natürlich bleibt SILVAE mein Hauptinteresse, so dass Sie als Leser hier gut aufgehoben sind.
Google zählt meine Leser seit einem Jahr. Gerade eben habe ich die stolze Zahl von 194.067 Seitenzugriffe erreicht (meine eigenen Klicks nicht mitgezählt), wäre natürlich witzig gewesen, wenn es 200.000 gewesen wären. Aber ich finde das schon eine ganz beeindruckende Zahl für einen manchmal doch etwas anspruchsvolleren Kultur-Blog, dessen ungeschriebenes Motto prodesse et delectare ist. Über die Bestseller bei den 525 Posts bin ich immer wieder ein wenig überrascht. Dass der Morning Coat in vierzehn Tagen fünfhundert Mal gelesen wurde, hätte ich mir beinahe gedacht, dass aber Somewhere West of Laramie mit über sechstausend Lesern die Bestsellerliste anführt, hätte ich niemals gedacht. Dass es Franz Radziwill auf zweitausend Leser gebracht hat, finde ich sehr schön. Ich wünschte mir, dass mein Artikel über Peter Gutkind mehr Leser finden würde.
Allerdings könnte man aus den meistgelesenen Posts, die von Britt Ekland über Cricket bis Dior reichen, kein Profil der Leser erstellen. Blog-Leser bleiben rätselhafte Wesen. Ich hatte in den ersten Januartagen angekündigt, dass ich langsamer schreiben wollte. Das habe ich noch nicht wahrmachen können, aber wenn nächste Woche der zweihunderttausendste Klick auf diese Seite kommt, dann fange ich vielleicht damit an.
Morgen und übermorgen gibt es hier ganz tolle Artikel, das kann ich schon mal versprechen.
Montag, 30. Mai 2011
Sun Ra
Der Jazzmusiker Sun Ra wurde heute vor 97 Jahren geboren. Mit seiner Musik bin ich nie richtig warm geworden, obgleich ich einige CDs von ihm besitze. Ich weiß auch nicht, ob man unbedingt Sun Ra CDs besitzen muss. Es gibt noch eine Menge CDs von ihm bei Amazon, und YouTube scheint voll von seinem Intergalactic Arkestra zu sein. Ich habe von ihm den Mitschnitt eines Piano Solokonzerts im La Fenice in Venedig 1977. Galt damals als Geheimtip, ich weiß aber nicht, wie geheim dieser Tip noch ist. Als CD gibt es das Konzert auf jeden Fall nicht mehr, als Vinyl LP ist es im letzten Jahr wieder aufgelegt worden. Wenn Sie Keith Jarrett mögen, könnte Ihnen das auch gefallen. Das quietschegelbe Cover sieht auf jeden Fall besser aus als die hässliche braune Verpackung meiner CD.
Aber egal, ob Sie Sun Ra nun mögen oder nicht, einen kleinen Kulturtip hätte ich doch. Und das ist der Film The Cry of Jazz, ein Semi-Dokumentarfilm aus dem Jahre 1959 von Edward O. Bland. In Schwarz-Weiß, ein kleines Gegenprogramm zu Bert Sterns Jazz on a Summer's Day. Der 35-minütige Film erinnert sich in seiner Photographie an Robert Franks berühmtes Photobuch The Americans. Man kann (in vier Teilen) den Film bei YouTube sehen.
Sie schreiben viel zu selten über Jazz, sagte mir unlängst ein Leser leicht vorwurfsvoll. Ja, ist richtig. Ich würde ja gerne mal einen ganzen Monat über Jazz schreiben, aber dann maulen andere Leser. Ich kann's jetzt schon hören. Aber für alle Jazzfreunde habe ich noch ein schönes Gedicht von Raynette Eitel aus ihrem Band Jar. Ich habe Raynette Eitel schon einmal hier vorgestellt, und je mehr ich von ihr lese, desto mehr mag ich sie.
Jazz Tears
Jazz stirred in a cold martini,
staccato beating frozen memories
upon my fragile struggling heart.
Sounds of jazz are twins to twilight,
A soft soothing of indigo grief
great waves crashing over my body:
Warm jazz tears wash down my cheeks
in salty streaks if silver sadness.
Sweet images of the past
done in syncopated notes,
soft and mellow as golden moonlight,
call my ghosts to dance again.
Jazz tears and old fears hum,
blends of sadness and euphoria.
My martini twirls in the glass.
Sonntag, 29. Mai 2011
Winfield Scott
Als der Bürgerkrieg ein halbes Jahr alt ist, schickt man ihn in den Ruhestand. Er ist der älteste General, den die Amerikaner haben. Er war schon General, da hatte Wellington noch nicht Napoleon besiegt. Jetzt ist er 75 und schläft manchmal bei Generalstabsbesprechungen ein. Das ist dem Fürsten Pückler auch passiert, der mit 81 Jahren am so genannten Deutschen Krieg teilgenommen hatte. Vier Jahre später wollte er auch noch gegen Frankreich dabei sein, da hat man ihn nach Hause geschickt. Winfield Scott ist mit den Jahren auch furchtbar fett geworden, man kriegt ihn nicht mehr aufs Pferd. Einige Stunden Verwaltungsarbeit am Schreibtisch in Washington, das kriegt er aber noch hin.
Denn im Gegensatz zu vielen anderen Generälen ist Winfield Scott nicht doof. Er ist ein gebildeter Mann, ist in Europa gewesen, hat Militärhandbücher von Napoleon aus dem Französischen ins Englische übersetzt. Und er hat Mut, nicht nur auf dem Schlachtfeld. Als junger Captain stellt er sich offen gegen James Wilkinson, die wohl kriminellste Type, die die US Army jemals in ihren Reihen hatte. Hat es aber mal für anderthalb Jahre zum Oberkommandierenden der US Army gebracht. Ich hatte ihn schon einmal in diesem Blog erwähnt. Die Auseinandersetzung mit dem kriminellen Vaterlandsverräter Wilkinson bedeutet für den jungen Captain Scott erstmal einen Karriereknick, wird aber seinen Aufstieg zum höchsten militärischen Dienstgrad (Generalleutnant) nach George Washington nicht behindern. Wenn der Kongress nicht 1976 zur Zweihundertjahrfeier durch das Gesetz 94-479 Washington nachträglich zum neu geschaffenen General of the Armies of the United States ernannt hätte (und wenn man nicht eines Tages so viele Vier- und Fünf-Sterne Generäle erfunden hätte), wäre Winfield Scott auf der Rangliste der US Army immer noch ganz oben.
Obgleich Winfield Scott selbst weiß, dass er für die Aufgabe als Oberkommandierender zu alt ist und er von sich aus Lincoln seinen Rücktritt angeboten hat, ist die Art und Weise, wie er sein Amt verliert, nicht schön. Denn da ist der General George McClellan, der sich selbst für einen zweiten Napoleon hält. Extrem eitel, posiert er ständig in eleganten neuen Uniformen für Presse und Photographen. Und er hat jetzt nicht anderes zu tun, als sich durch Ränke und Intrigen das Oberkommando zu sichern. Wir können die Charakterisierung McClellans ganz kurz fassen: er ist der Guttenberg Amerikas. Im August 1861 schreibt er an seine Frau: I am leaving nothing undone to increase our force but that confounded old Gen'l always comes in my way: He is a perfect incubus. He understands nothing, appreciates nothing. I do not know whether he is a dotard or a traitor... If he cannot be taken out of my path, I will resign...The people call upon me to save the country - I must save it and cannot respect anything that is in the way.
Wenige Monate später hat er seinen Willen. Da erläßt Lincoln schweren Herzens folgenden Befehl:
The following order from the President of the United States, announcing the retirement from active command of the honored veteran Lieutenant general Winfield Scott, will be read by the army with profound regret: EXECUTIVE MANSION, WASHINGTON. November 1, 1861
On the 1st day of November, A.D. 1861, upon his own application to the President of the United States, Brevet Lieutenant-General Winfield Scott is ordered to be placed, and hereby is placed, upon the list of retired officers of the army of the United States, without reduction in his current pay, subsistence, or allowances.
The American people will hear with sadness and deep emotion that General Scott has withdrawn from the active control of the army, while the President and a unanimous Cabinet express their own and the nation's sympathy in his personal affliction and their profound sense of the important public services rendered by him to his country during his long and brilliant career, among which will ever be gratefully distinguished his faithful devotion to the Constitution, the Union, and the flag when assailed by parricidal rebellion.
ABRAHAM LINCOLN
George McClellan wird seinen Vorgänger noch auf dem Bahnhof von Washington verabschieden, sorgfältig für die Presse inszeniert. Danach schreibt er seiner Frau: It may be that some distant day I, too, shall totter away from Washington, a worn-out soldier with naught to do but to make my peace with God. The sight of this morning was a lesson to me which I hope not soon to forget. I saw there the end of a long, active and ambitious life, the end of the career of the first soldier of the nation; and it was a feeble old man scarce able to walk; hardly anyone there to see him off but his successor. Should I ever become vainglorious and ambitious, remind me of that spectacle. Wenn irgend jemand vainglorious and ambitious ist, dann ist es George McClellan. Sein Brief klingt in jedem Satz verlogen. Es wird auch nicht lange dauern, dass er er auf dem Bahnsteig des Bahnhofs von Washington steht. Ein Jahr später ist er das Oberkommando los. Lincoln wird ihn niemals zurückholen.
Winfield Scott wußte, dass der Krieg lange dauern würde, McClellan wollte einen schnellen Sieg, hatte aber furchtbaren Schiss vor General Lee. Viele Amerikaner im Norden haben ja geglaubt, dass der Krieg in einer Woche vorbei sei. Einmal von Washington nach Richmond marschieren und fertig. Der berühmte William H. Russell von der Londoner Times (der schon schreckliche Dinge aus dem Krimkrieg berichtet hatte) wird den unrühmlichen Rückzug der Armee der Nordstaaten nach der Schlacht von Bull Run beschreiben. Danach glaubt niemand mehr an einen schnellen Sieg des Nordens. Aber Russell erhält hunderte von Morddrohungen.
Winfield Scott konnte zwischen Strategie und Taktik unterscheiden, er war damals einer der wenigen. Er hatte einen strategischen Plan, der als Anaconda Plan berühmt wurde. Wie eine Riesenschlange sollte der Norden den Süden von der Aussenwelt abschneiden und jeden Handel (und mögliche Waffenlieferungen) unterbinden. Man hat Scott damals ausgelacht. Aber man wird später doch mehr oder weniger reumütig auf diesen Plan zurückgreifen, wenn man sieht, dass man den Krieg nicht durch eine einzige Entscheidungsschlacht in Virginia gewinnen kann. Historische Spekulationen was wäre gewesen, wenn... sind immer ein wenig müßig, aber Scotts Plan hätte viel Leid vermeiden können. Denken wir also heute einen Augenblick an den feeble old man scarce able to walk, der heute vor 145 Jahren gestorben ist.
Samstag, 28. Mai 2011
Thomas Moore
Letzte Rose, wie magst du
so einsam hier blühn?
Deine freundlichen Schwestern
sind längst, schon längst dahin
Keine Blüte haucht Balsam
mit labendem, labendem Duft
keine Blätter mehr flattern
in stürmischer Luft
Warum blühst du so traurig
im Garten allein?
Sollst im Tod mit den Schwestern
mit den Schwestern vereinigt sein
Drum pflück ich, o Rose
vom Stamme, vom Stamme dich ab
Sollst ruhen mir am Herzen
und mit mir, ja mit mir im Grab.
im Garten allein?
Sollst im Tod mit den Schwestern
mit den Schwestern vereinigt sein
Drum pflück ich, o Rose
vom Stamme, vom Stamme dich ab
Sollst ruhen mir am Herzen
und mit mir, ja mit mir im Grab.
Unser Deutschlehrer präsentierte uns das eines schönen Tages zur Interpretation als ein altes deutsches Volkslied. Was sofort meinen Widerspruch provozierte. Loriot hätte an dieser Stelle auch laut protestiert, denn der hat Flotows Oper Martha, aus der die ➱letzte Rose stammt, mal an einem deutschen Opernhaus inszeniert. Ohne Wum und Wendelin, richtig ernsthaft. Na ja, mit typisch Loriotschen Einlagen. Bis zum Februar konnte man seine Martha noch im Theater am Gärtnerplatz in München sehen, und sie ist auch auf der DVD Kassette Loriot und die Musik.
Ich sagte meinem Deutschlehrer damals auch noch, dass die Basis für dieses Lied von Thomas Moore stammte. Stand so über den Noten von Erks Deutscher Notenschatz: Sommers letzte Rose. Thomas Moore. Irische Volksweise. Vor 1789. Das konnte ich sogar auf dem Klavier spielen. Den Erk hatte ich von meinem Opa (ich habe ihn immer noch). War aber nicht seiner, der Name des Pastors und der Kirchenstempel stehen noch drin. Entweder hatte er das Buch gemopst oder sein Exemplar mit dem des Pastors vertauscht. Als er vor hundert Jahren als junger Lehrer anfing, musste er noch die Orgel in der Kirche spielen, gehörte beim Lehrer dazu.
Ich sagte meinem Deutschlehrer damals auch noch, dass die Basis für dieses Lied von Thomas Moore stammte. Stand so über den Noten von Erks Deutscher Notenschatz: Sommers letzte Rose. Thomas Moore. Irische Volksweise. Vor 1789. Das konnte ich sogar auf dem Klavier spielen. Den Erk hatte ich von meinem Opa (ich habe ihn immer noch). War aber nicht seiner, der Name des Pastors und der Kirchenstempel stehen noch drin. Entweder hatte er das Buch gemopst oder sein Exemplar mit dem des Pastors vertauscht. Als er vor hundert Jahren als junger Lehrer anfing, musste er noch die Orgel in der Kirche spielen, gehörte beim Lehrer dazu.
Aber wenn Erks Deutscher Notenschatz aus dem 19. Jahrhundert das wußte, warum wußte mein Deutschlehrer das nicht? Ja, weil er leider keine Ahnung hatte von dem Fach, das er da unterrichte. Diese kleine Geschichte spielte sich in der 11. Klasse ab, wir mussten ihn noch zwei Jahre ertragen. Ich habe in der Zeit sehr viel gelesen. Unter der Bank. Ihm hörte niemand mehr zu. Die Sache mit der letzten Rose fiel mir als erstes ein, als ich in Wikipedias Ereigniskalender vom 28. Mai den Namen Thomas Moore las, der heute vor 232 Jahre geboren wurde.
Das ist so ähnlich wie beim Pawlowschen Hund. Wenn man mir Thomas Moore sagt, fällt mir dieser schlimme Lehrer ein, den ich hier im Blog schon zweimal mit der gebotenen Zurückhaltung erwähnt habe (ja, ich kann's nicht lassen). Das zweite, was mir bei Thomas Moore einfällt, ist eine Dichtung mit dem seltsamen Namen Lalla Rookh, von de la Motte Fouqué ins Deutsche übersetzt. Und da ➱Arno Schmidt ein ganzes Buch über Fouqué geschrieben hat, kennt er natürlich seinen Thomas Moore. Der taucht in seinem Werk mehrfach auf. Kennt' Ihr wenichstns die 'Lalla Rookh'?, lässt der Solipsist aus der Heide eine Romanfigur fragen. Es gibt eine zweite deutsche Übersetzung von einem Namensvetter von Arno, einem Dr. Alexander Schmidt. Ein sicherlich bedeutender Philologe des 19. Jahrhunderts, über den die Allgemeine Deutsche Biographie zu berichten weiß, dass er die Anfangsgründe der englischen Grammatik... einem herabgekommenen, meist betrunkenen Handlungsgehülfen bei regelmäßigem Gespräche und Zusammenlesen ablernte. So kann man auch Englisch lernen.
Das ist so ähnlich wie beim Pawlowschen Hund. Wenn man mir Thomas Moore sagt, fällt mir dieser schlimme Lehrer ein, den ich hier im Blog schon zweimal mit der gebotenen Zurückhaltung erwähnt habe (ja, ich kann's nicht lassen). Das zweite, was mir bei Thomas Moore einfällt, ist eine Dichtung mit dem seltsamen Namen Lalla Rookh, von de la Motte Fouqué ins Deutsche übersetzt. Und da ➱Arno Schmidt ein ganzes Buch über Fouqué geschrieben hat, kennt er natürlich seinen Thomas Moore. Der taucht in seinem Werk mehrfach auf. Kennt' Ihr wenichstns die 'Lalla Rookh'?, lässt der Solipsist aus der Heide eine Romanfigur fragen. Es gibt eine zweite deutsche Übersetzung von einem Namensvetter von Arno, einem Dr. Alexander Schmidt. Ein sicherlich bedeutender Philologe des 19. Jahrhunderts, über den die Allgemeine Deutsche Biographie zu berichten weiß, dass er die Anfangsgründe der englischen Grammatik... einem herabgekommenen, meist betrunkenen Handlungsgehülfen bei regelmäßigem Gespräche und Zusammenlesen ablernte. So kann man auch Englisch lernen.
Lalla Rookh ist von Schumann unter dem ebenso seltsamen Namen Das Paradies und die Peri vertont
worden. Schumann ist ein Komponist, der mich ja nun nicht die Bohne
interessiert, aber das mit dem Oratorium weiß ich, weil eine schöne Frau
meiner Jugend da mal mitsang. Da musste man ja einfach Begeisterung
heucheln und zum Lalla Rookh Groupie werden. Dem Dichter Thomas Moore bin ich dann noch zweimal begegnet. Das erste Mal, als ich im ➱Antiquariat Eschenburg eine Ausgabe der Werke von Thomas Moore kaufte (Leipsic 1833), beinahe tausend Seiten. Der Verlag von Ernest Fleischer war damals sehr rührig mit guten Ausgaben englischer Autoren. Kostete mich acht Mark, man kann diese Ausgabe heute aber noch billig bekommen. Das letzte Mal, dass ich auf Thomas Moore stieß, war an einer für mich ungeahnten Stelle:
My Dear Tom, I must again refer you to those two letters addressed to you at Passy before I read your speech in Galignani, &c., and which you do not seem to have received. [Footnote 1: I was never lucky enough to recover these two letters, though frequent enquiries were made about them at the French post-office.] Of Hunt I see little—once a month or so, and then on his own business, generally. You may easily suppose that I know too little of Hampstead and his satellites to have much communion or community with him. My whole present relation to him arose from Shelley's unexpected wreck. You would not have had me leave him in the street with his family, would you? and as to the other plan you mention, you forget how it would humiliate him—that his writings should be supposed to be dead weight! Think a moment—he is perhaps the vainest man on earth, at least his own friends say so pretty loudly; and if he were in other circumstances, I might be tempted to take him down a peg; but not now,—it would be cruel. It is a cursed business; but neither the motive nor the means rest upon my conscience, and it happens that he and his brother have been so far benefited by the publication in a pecuniary point of view. His brother is a steady, bold fellow, such as Prynne, for example, and full of moral, and, I hear, physical courage. And you are really recanting, or softening to the clergy! It will do little good for you—it is you, not the poem, they are at. They will say they frightened you—forbid it, Ireland!
Yours ever,
N.B.
My Dear Tom, I must again refer you to those two letters addressed to you at Passy before I read your speech in Galignani, &c., and which you do not seem to have received. [Footnote 1: I was never lucky enough to recover these two letters, though frequent enquiries were made about them at the French post-office.] Of Hunt I see little—once a month or so, and then on his own business, generally. You may easily suppose that I know too little of Hampstead and his satellites to have much communion or community with him. My whole present relation to him arose from Shelley's unexpected wreck. You would not have had me leave him in the street with his family, would you? and as to the other plan you mention, you forget how it would humiliate him—that his writings should be supposed to be dead weight! Think a moment—he is perhaps the vainest man on earth, at least his own friends say so pretty loudly; and if he were in other circumstances, I might be tempted to take him down a peg; but not now,—it would be cruel. It is a cursed business; but neither the motive nor the means rest upon my conscience, and it happens that he and his brother have been so far benefited by the publication in a pecuniary point of view. His brother is a steady, bold fellow, such as Prynne, for example, and full of moral, and, I hear, physical courage. And you are really recanting, or softening to the clergy! It will do little good for you—it is you, not the poem, they are at. They will say they frightened you—forbid it, Ireland!
Yours ever,
N.B.
Dieser N.B. ist niemand anderes als ➱Noel Byron, und der Dear Tom ist sein Freund und Briefpartner Thomas Moore (links ein Jugendbild aus der National Gallery London). Der eines Tages Byrons Nachlass verwalten wird und 1830 mit Letters and Journals of Lord Byron, with Notices of his Life eine Biographie schreiben wird, die noch heute von Bedeutung ist. Inzwischen habe ich das natürlich alles gelesen, aber in der Vorlesung über die englische Romantik von Professor X, die sich zäh über vier Semester hinschleppte, spielte Byron keine Rolle. Coleridge, Shelley und Wordsworth ja, aber kein Byron. Professor X hatte die Vorlesung nicht selbst geschrieben, die schrieb ihm sein Assistent, er las sie nur vor. Und wenn das letzte Wort auf der Seite Words- war, dann machte er eine Pause, blätterte um und las dann worth. Ungelogen. Er besaß sicherlich die gleiche fachliche Kompetenz wie mein Deutschlehrer. Vielleicht hätte ich statt vier Semester Professor X über die englische Romantik zu hören, lieber Guinness mit dem ständig besoffenen Engländer trinken sollen, der sich als gescheiterter Schlagersänger Paul Raven nannte. Er hat sich später umbenannt, stieg auf wie Phoenix aus der Asche und hieß dann ➱Gary Glitter. Aber das konnte damals keiner von uns ahnen, dass der versoffene Typ noch Karriere machen würde
Der Ire Thomas Moore kam bei Professor X in der Vorlesung natürlich auch nicht vor, vielleicht kannte er (beziehungsweise sein Ghostwriter) ihn ebenso wenig wie mein Deutschlehrer. Thomas Moore konnte schön singen, alle Iren können das ja, das wissen wir ja. Auch ➱James Joyce war stolz auf seine Stimme. Moore hat seine Lieder, die eigentlich keine Gedichte sondern Lieder sind, singend vorgetragen. Man hörte ihn gerne in den Salon des Londons der Regency Zeit. Wahrscheinlich hat seine Last Rose of Summer bei ihm so geklungen, wie ➱John McDermott das singt. Opernsänger singen die Flotow-Version, andere ziehen das Arrangement von ➱Benjamin Britten vor. Die Grenzen des guten Geschmacks - und ein wenig von rührseligem irischen Kitsch hatte das Lied ja immer - werden überschritten von dem Holländer ➱André Rieu, der damit auch noch in Dublin aufgetreten ist. Dass er damit lebend von der Bühne gekommen ist, wundert mich nun wirklich etwas. Aber wenn es schon sein muss, dann hören Sie doch lieber bei der Neuseeländerin ➱Hayley Westenra rein, die ja von Händels ➱Lascia Ch'io Panga bis ➱Danny Boy alles singen kann. Sie hat natürlich auch irische Vorfahren.
'TIS the last rose of summer,
Left blooming alone;
All her lovely companions
Are faded and gone;
No flower of her kindred,
No rose-bud is nigh,
To reflect back her blushes,
Or give sigh for sigh.
I'll not leave thee, thou lone one!
To pine on the stem;
Since the lovely are sleeping,
Go sleep thou with them.
Thus kindly I scatter
Thy leaves o'er the bed,
Where thy mates of the garden
Lie scentless and dead.
So soon may I follow,
When friendships decay,
And from Love's shining circle
The gems drop away.
When true hearts lie wither'd,
And fond ones are flown,
Oh! who would inhabit
This bleak world alone?
Der Ire Thomas Moore kam bei Professor X in der Vorlesung natürlich auch nicht vor, vielleicht kannte er (beziehungsweise sein Ghostwriter) ihn ebenso wenig wie mein Deutschlehrer. Thomas Moore konnte schön singen, alle Iren können das ja, das wissen wir ja. Auch ➱James Joyce war stolz auf seine Stimme. Moore hat seine Lieder, die eigentlich keine Gedichte sondern Lieder sind, singend vorgetragen. Man hörte ihn gerne in den Salon des Londons der Regency Zeit. Wahrscheinlich hat seine Last Rose of Summer bei ihm so geklungen, wie ➱John McDermott das singt. Opernsänger singen die Flotow-Version, andere ziehen das Arrangement von ➱Benjamin Britten vor. Die Grenzen des guten Geschmacks - und ein wenig von rührseligem irischen Kitsch hatte das Lied ja immer - werden überschritten von dem Holländer ➱André Rieu, der damit auch noch in Dublin aufgetreten ist. Dass er damit lebend von der Bühne gekommen ist, wundert mich nun wirklich etwas. Aber wenn es schon sein muss, dann hören Sie doch lieber bei der Neuseeländerin ➱Hayley Westenra rein, die ja von Händels ➱Lascia Ch'io Panga bis ➱Danny Boy alles singen kann. Sie hat natürlich auch irische Vorfahren.
'TIS the last rose of summer,
Left blooming alone;
All her lovely companions
Are faded and gone;
No flower of her kindred,
No rose-bud is nigh,
To reflect back her blushes,
Or give sigh for sigh.
I'll not leave thee, thou lone one!
To pine on the stem;
Since the lovely are sleeping,
Go sleep thou with them.
Thus kindly I scatter
Thy leaves o'er the bed,
Where thy mates of the garden
Lie scentless and dead.
So soon may I follow,
When friendships decay,
And from Love's shining circle
The gems drop away.
When true hearts lie wither'd,
And fond ones are flown,
Oh! who would inhabit
This bleak world alone?
Freitag, 27. Mai 2011
Louis-Ferdinand Céline
Er hat heute Geburtstag. Ist aber schon ein halbes Jahrhundert tot. Ist nicht verwandt mit der gleichnamigen vornehmen Firma in Paris, auf keinen Fall. Die würden sich in der Avenue Montaigne auch gewaltig schämen, wenn er mit den Firmengründern verwandt wäre. Aber glücklicherweise ist Céline nur ein Künstlername, in Wirklichkeit heißt er Louis-Ferdinand Destouches. Er war ein Arzt und Schriftsteller, hatte ein wildes Leben. War ein Antisemit und Freund der Nazis. Aber irgendwie ein Genie. Wenn man ein Wort sucht, um ihn zu beschreiben, wäre Kotzbrocken wahrscheinlich das beste. Solche Wörter hat er auch gerne verwendet. Célines rüde, entfesselte, krakeelende, unflätige, wortgewaltige Trümmersprache voll Hohn, Haß und galligem Humor schrieb der Spiegel bei seinem Tod. Da war gerade noch bei Rowohlt Norden erschienen, was an Von einem Schloss zum anderen anschließt. Der dritte Band dieser Trilogie, Rigodon, erschien 1969.
Céline im Original zu lesen, bedeutete Wörter zu lernen, die im Französischunterricht nicht vorgekommen waren. Ich weiß das, weil ich Voyage au bout de la nuit im Original gelesen habe (ich habe aber glücklicherweise von der Heike vor ein paar Jahren die neue Übersetzung von Hinrich Schmidt-Henkel geschenkt bekommen). Vor einem halben Jahrhundert war ich sehr stolz auf meine Französischkenntnisse und versuchte alles im Original zu lesen. Kaufte mir in Paris im Gare du Nord für die Fahrt mit dem Nordexpress den Roman L'Auberge de la Jamaique von der bekannten französischen Autorin Daphne du Maurier. Nur um später zu erfahren, dass die Autorin eine Engländerin ist und der Roman im Original Jamaica Inn heißt. Meine sprachliche Kompetenz hatte sich aber ganz gewaltig um das Wortfeld brouillard, brumes und crachin erweitert.
Das Problem mit Céline (links die Céline Büste von Hitlers Lieblingsbildhauer Arno Breker) ist, dass es zwei Célines gibt. Zum einen den Schriftsteller, der in Gespräche mit Professor Y selbstironisch über sich sagt: Die Emotionen in der geschriebenen Sprache!...die geschriebene Sprache war auf dem Trockenen, ich wars, der ihr die Emotionen wiedergegeben hat! Oder: der größte Schriftsteller des Jahrhunderts, der Erfinder des Stils, Revolutionär der französischen Literatur...der Malherbe unserer Tage. Das ist bei aller Ironie ein klein wenig größenwahnsinnig, aber so ist er eben. Ein Kotzbrocken. Kaum dass er nach Frankreich zurückgekehrt ist und dass das Todesurteil wegen Kollaboration mit den Nazis aufgehoben wurde.
Denn das betraf den zweiten Céline, den Céline, der grauenhaften Pamphlete voller Judenhass geschrieben hat. Schlimmer als der Unsinn, den Ezra Pound im italienischen Rundfunk verkündet hatte. Die Céline später nicht mehr veröffentlicht haben wollte, was seine Ehefrau Lucette auch juristisch durchsetzte. Mit der schönen Begründung Ces pamphlets ont existé dans un certain contexte historique, à une époque particulière, et ne nous ont apporté à Louis et à moi que du malheur. Ils n'ont de nos jours plus de raison d'être. Ja, so kann man es auch sagen, dass sie ihre Existenz nur in einem certain contexte historique und einer époque particulière hatten. Wenn die Pamphlete auch in französischen Bibliotheken nicht existieren (und nicht in der Pléiade Ausgabe enthalten sind), im Internet kann man sie lesen. Und sich nur wundern. Was bewegt jemanden, so etwas wie Bagatelles Pour Un Massacre zu schreiben. Als literarischen Surrealismus, wie Gide es getan hat, kann man das nicht mehr verbuchen.
Kann man den Schriftsteller Céline von dem pathologischen Pamphleteschreiber Céline trennen? Den Stilisten von der Ideologie? Große Künstler, so die begütigende Lesart, seien zuweilen Amoralisten, vielleicht sogar (wohliges Schauern) umso größer, desto amoralischer. Eine Prise salonfähiger Antihumanismus gehört vom Marquis de Sade über Michel Houellebecq, Jonathan Littell bis zu Mathias Énard zum Pariser Skandal-Schriftsteller wie die Perlen zum Champagner. Oder so ähnlich. Genauer wollte man sich nicht festlegen, genauer wollte man auch nicht hinsehen, weshalb die skandalösen rassistischen Hetzschriften Célines aus den dreißiger und vierziger Jahren nicht nur in der Pléiade-Ausgabe, sondern überhaupt in der literarischen Öffentlichkeit bis heute fehlen. Der solcherart bereinigte Céline konnte in Frankreich mit seinem bahnbrechenden subtil-vulgären Antiroman 'Reise ans Ende der Nacht' sogar zum nationalen Examensstoff werden. Schreibt die Zeit am Anfang dieses Jahres.
Und resümiert dann: Die Causa Céline ist unlösbar. Die Eingemeindung des großen Autors unter Nichtbeachtung von seinen Nachtseiten ist unmöglich. Die unter Berücksichtigung seines Antisemitismus aber auch. Es gibt keinen genialen Mister Jekyll, der unabhängig vom rassistischen Mister Hyde agierte, wie es die allzu versöhnungstaumelige Nachkriegsrezeption nahelegt. Célines Geistesaristokratismus, sein glühender Avantgardismus, sein antimodernes Ressentiment und sein nackter Rassismus sind nicht in ordentlich voneinander getrennten Bauabschnitten entstanden. Sie sind Teil einer großen Obsession, Motor für viele Tausend Zeilen Hass im Namen des großen Einzelnen gegen den Uniformismus, den Konformismus, den Materialismus, den Internationalismus, den Rationalismus, den sterilen Industrialismus, die mechanische Dressur der Kinder – die seiner Meinung nach übersichtlicherweise alle das Werk der Juden seien. Lassen wir das so stehen, etwas anderes fällt mir auch nicht ein. Aber es bleibt dieser Roman, diese Reise an das Ende der Nacht mit seiner sogartigen Sprachgewalt.
Reisen, das ist mal was Nützliches, da kriegt die Phantasie zu tun. Alles andere bringt nichts als Enttäuschungen und Mühsal. Unsere Reise hier findet ganz und gar in der Phantasie statt. Das ist ihre Stärke, heißt es auf der ersten Seite der Reise ans Ende der Nacht. Gleich nach dem vorangestellten Zitat Notre vie est un voyage Dans l’hiver et dans la Nuit, Nous cherchons notre passage Dans le Ciel où rien ne luit. Das ist aus dem Beresinalied der Schweizergarde. Sie singen es beim Untergang. Dies ist eine Reise ans Ende, de l’autre côté de la vie.
Voyager, c’est bien utile, ça fait travailler l’imagination. Tout le reste n’est que déceptions et fatigues. Notre voyage à nous est entièrement imaginaire. Voilà sa force.
Il va de la vie à la mort. Hommes, bêtes, villes et choses, tout est imaginé. C’est un roman, rien qu’une histoire active. Littré le dit, qui ne se trompe jamais.
Et puis d’abord tout le monde peut en faire autant. Il suffit de fermer les yeux.
C’est de l’autre côté de la vie.
Kann man den Schriftsteller Céline von dem pathologischen Pamphleteschreiber Céline trennen? Den Stilisten von der Ideologie? Große Künstler, so die begütigende Lesart, seien zuweilen Amoralisten, vielleicht sogar (wohliges Schauern) umso größer, desto amoralischer. Eine Prise salonfähiger Antihumanismus gehört vom Marquis de Sade über Michel Houellebecq, Jonathan Littell bis zu Mathias Énard zum Pariser Skandal-Schriftsteller wie die Perlen zum Champagner. Oder so ähnlich. Genauer wollte man sich nicht festlegen, genauer wollte man auch nicht hinsehen, weshalb die skandalösen rassistischen Hetzschriften Célines aus den dreißiger und vierziger Jahren nicht nur in der Pléiade-Ausgabe, sondern überhaupt in der literarischen Öffentlichkeit bis heute fehlen. Der solcherart bereinigte Céline konnte in Frankreich mit seinem bahnbrechenden subtil-vulgären Antiroman 'Reise ans Ende der Nacht' sogar zum nationalen Examensstoff werden. Schreibt die Zeit am Anfang dieses Jahres.
Und resümiert dann: Die Causa Céline ist unlösbar. Die Eingemeindung des großen Autors unter Nichtbeachtung von seinen Nachtseiten ist unmöglich. Die unter Berücksichtigung seines Antisemitismus aber auch. Es gibt keinen genialen Mister Jekyll, der unabhängig vom rassistischen Mister Hyde agierte, wie es die allzu versöhnungstaumelige Nachkriegsrezeption nahelegt. Célines Geistesaristokratismus, sein glühender Avantgardismus, sein antimodernes Ressentiment und sein nackter Rassismus sind nicht in ordentlich voneinander getrennten Bauabschnitten entstanden. Sie sind Teil einer großen Obsession, Motor für viele Tausend Zeilen Hass im Namen des großen Einzelnen gegen den Uniformismus, den Konformismus, den Materialismus, den Internationalismus, den Rationalismus, den sterilen Industrialismus, die mechanische Dressur der Kinder – die seiner Meinung nach übersichtlicherweise alle das Werk der Juden seien. Lassen wir das so stehen, etwas anderes fällt mir auch nicht ein. Aber es bleibt dieser Roman, diese Reise an das Ende der Nacht mit seiner sogartigen Sprachgewalt.
Reisen, das ist mal was Nützliches, da kriegt die Phantasie zu tun. Alles andere bringt nichts als Enttäuschungen und Mühsal. Unsere Reise hier findet ganz und gar in der Phantasie statt. Das ist ihre Stärke, heißt es auf der ersten Seite der Reise ans Ende der Nacht. Gleich nach dem vorangestellten Zitat Notre vie est un voyage Dans l’hiver et dans la Nuit, Nous cherchons notre passage Dans le Ciel où rien ne luit. Das ist aus dem Beresinalied der Schweizergarde. Sie singen es beim Untergang. Dies ist eine Reise ans Ende, de l’autre côté de la vie.
Voyager, c’est bien utile, ça fait travailler l’imagination. Tout le reste n’est que déceptions et fatigues. Notre voyage à nous est entièrement imaginaire. Voilà sa force.
Il va de la vie à la mort. Hommes, bêtes, villes et choses, tout est imaginé. C’est un roman, rien qu’une histoire active. Littré le dit, qui ne se trompe jamais.
Et puis d’abord tout le monde peut en faire autant. Il suffit de fermer les yeux.
C’est de l’autre côté de la vie.
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Donnerstag, 26. Mai 2011
Robert Morley
So kennen wir ihn, so lieben wir ihn. Er hätte heute Geburtstag, aber er ist schon lange tot. Irgendwie fehlen solche Gesichter dem Film. Was wäre der Wachsblumenstrauß, wo er Margaret Rutherford (Miss Marple) den Hof macht, ohne ihn gewesen? Oder die African Queen, wo er der Bruder von Katharine Hepburn ist. Schwergewichtige arrogante Engländer zu spielen, das beherrschte niemand so wie er. Nur mit einem Bewegen der Augenbrauen konnte er mehr aussagen als viele seiner Kollegen.
Er sollte eigentlich Diplomat werden, wandte sich dann aber doch der Bühne zu. Da ist der internationalen Diplomatie etwas entgangen! Natürlich hat er auf den Brettern, die die Welt bedeuten, angefangen. Aber der Film - auch Hollywood - hat ihn schnell geholt. Sein Filmdebüt, Ludwig XVI in Marie Antoinette 1938, brachte ihm gleich eine Oscar Nominierung ein.
Er hat nicht immer diese Rollen gespielt, in denen ihn jeder kennt. 1952 spielte der Almayer in Carol Reeds Outcast of the Islands, einer hervorragenden Joseph Conrad Verfilmung. Die DVD dazu, so sagt Amazon, wird im August in den Handel kommen. Ich habe sie schon vorbestellt. Er hat seine Schauspielerei niemals so furchtbar ernst genommen: Anyone who works is a fool. I don't work: I merely inflict myself on the public. Er hatte noch einen zweiten Beruf (was in Deutschland niemand zur Kenntnis genommen hat), denn ähnlich wie Peter Ustinov - dem er in vielem ähnlich ist - ist er Schriftsteller gewesen. Theaterstücke, Romane, eine Autobiographie. Einen CBE Orden hat er von der Königin angenommen, aber ein Sir Robert wollte er nicht werden.
Sein Sohn Sheridan Morley hat zwar seltener auf den Bühnenbrettern gestanden als der Vater, aber dafür hat er eine Vielzahl ausgezeichneter Bücher über Schauspieler geschrieben (auch eine Biographie über Pappi und Oma). Das war seine Welt. Was wundert es, wenn der Vater Schauspieler ist, die Großmutter Gladys Cooper heißt und Joanna Lumley eine Cousine ist? Ich habe sein Buch David Niven: The Other Side of the Moon gelesen, und sein Buch über Dirk Bogarde Rank Outsider liegt gerade bei mir neben dem Computer. Man kann dafür nur dankbar sein, vor allem seit die Biographie John Coldstreams erschienen ist. 611 Seiten stark, Farbabbildungen und angeblich eine authorised biography (so was klingt immer gut, bedeutet aber meistens gar nichts), so kam diese Biographie mit großem Getöse auf den englischen Markt. Es ist ein Buch, das überflüssig wie ein Kropf ist. 1974 gab es mit The films of Dirk Bogarde von Margaret Hinxman und Susan D'Arcy schon einmal ein Buch, in dem jeder Film von 1947 bis 1973 vorgestellt wurde. War aber nicht so hervorragend gedruckt wie Morleys Dirk Bogarde: Rank Outsider.
Mehr brauchte man eigentlich nicht, weil der Schauspieler inzwischen zu seinem eigenen Biographen geworden war und begonnen hatte, eine mehrbändige Autobiographie zu schreiben. Dazu kam noch die Veröffentlichung eines Bandes von Briefen an eine unbekannte Amerikanerin. Man konnte seine Filme kaufen, man konnte seine Stimme hören (manches aus seiner Autobiographie wie A Short Walk from Harrods hat er selbst gelesen), man konnte seine hervorragend geschriebene Autobiographie lesen. Brauchte man mehr? Bogarde ist neben seinem öffentlichen Image ein anderer gewesen, ein introvertierter Künstler (der mit ersten Gedichten in einer Sammlung von War Poetry vertreten ist), der als Captain den Zweiten Weltkrieg mitgemacht hatte. Der von der Firma Rank in den fünfziger Jahren als schönster Mann Englands verkauft wurde, und der unter Losey und Visconti da ankam, wo er immer hin wollte. Und der sein Privatleben gegen die englische Schmutzpresse verteidigt hat. Man hätte es bei all dem belassen können. Aber nun kommt John Coldstream, der auf dem Photo des Klappentextes aussieht wie ein nerd und der auch so schreibt. Und er muß an der Tür horchen, durchs Schlüsselloch gucken und die schmutzige Wäsche waschen. Und seitenlang auf dem Thema einer möglichen Homosexualität herumharfen. Wen interessiert das außer verklemmten Engländern mit Public School Erziehung? Igitt!
Dirk Bogarde - über den ich hier gerne noch einmal sehr viel länger schreiben möchte [das habe ich inzwischen ➱hier getan] - kann schreiben. So wie Robert Morley (links als Oscar Wilde) schreiben kann. Wir haben in Deutschland nicht so viele Schauspieler, die wirklich schreiben können. Gut, Michael Degen könnte einem einfallen, aber haben wir noch mehr? Morley und Bogarde sind ja nicht die einzigen englischen schreibenden Schauspieler. David Nivens The Moon's a Balloon und Bring on the Empty Horses und Alec Guinness' Blessings in Disguise und My Name Escapes Me: The Diary of a Retiring Actor sind auch wunderbare Autobiographien. Und was wäre die englische Literatur ohne Schauspieler wie William Shakespeare oder ➱Alan Bennett?
Mittwoch, 25. Mai 2011
Patti d'Arbanville
My Lady D'Arbanville, why do you sleep so still? sang damals Cat Stevens, und Patti d'Arbanville war in aller Munde. Steven wrote that song "Lady D'Arbanville" when I left for New York hat sie in einem Interview gesagt I left for a month, it wasn't the end of the world was it? But he wrote this whole song about "Lady D'Arbanville, why do you sleep so still." It's about me dead. So while I was in New York, for him it was like I was lying in a coffin... he wrote that because he missed me, because he was down... It's a sad song. Cat Stevens hieß eigentlich Steven Demetriu Georgiu, er hat für seine Sängerkarriere seinen Namen geändert. Patti d'Arbanville hat ihren Namen nie geändert, sie heißt wirklich so.
David Hamilton hat sie berühmt gemacht, mit seinen Photos und seinem Film Bilitis. Geschmäcklerisch fotografierter Softsexfilm, dessen äußerer Schick aber nicht über die Schwächen seines Plots hinwegtäuscht, schrieb das Heyne Filmlexikon. Geschmäcklerisch ist ja wohl das Netteste, was ein Filmkritiker über die Filme von Hamilton sagen konnte. Schleimweichgezeichnete Voyeursklamotte des Erotikspekulanten Hamilton klingt dagegen schon etwas bösartiger.
Aber es ist ein Zeichen der Zeit, die Welt gehört jetzt David Hamilton (also solange, bis Helmut Newton, Jeff Dunas und Roy Stuart kommen). Die englischen quality papers wie Observer und Sunday Times haben jetzt colour magazines (lange bevor die Zeit so etwas erfindet) und überall schießen glamour magazines aus dem Boden. Da will man doch ein wenig erotische Photographie, ein wenig mehr als David Bailey das bietet. Also mit massenhaftem Weichzeichner, weil man ja ein quality paper ist und kein Pornomagazin. Auch der Twen hat in Deutschland Photos von David Hamilton abgedruckt.
David Hamilton, the British photographer, made a name in the 1970’s with his misty depictions of young women drifting through traffic dressed in nothing but their skivvies. Those pictures sent a message, both lurid and demure, of decadence decorously drenched in lace. A similar mood has reemerged this spring, expressed through lacy lingerie flaunting itself as streetworthy style, schrieb Ruth la Ferla, die Modekritikerin der New York Times. Mode, Photographie, Film - man konnte David Hamilton nicht mehr entkommen. Selbst der Playboy, sonst eher auf marzipanhafte dralle Schönheiten, the girl next door, spezialisiert, hatte ganze Photostrecken vom englischen Meister des soft porn.
In Deutschland photographiert Karin Szekessy so ähnlich, aber das ist natürlich kein soft porn sondern Kunst. Auch deshalb, weil sie mit Paul Wunderlich verheiratet ist, der die gleichen Modelle malt, die seine Frau photographiert. Damit ist offensichtlich damals gutes Geld zu machen, bei Wunderlich reicht es immerhin zu einem weinroten Rolls-Royce. Das mit dem Rolls weiß ich, weil er mich mal voll eingeparkt hatte. War ihm hinterher sehr peinlich.
David Hamilton hatte gesehen, dass man mit pubertierenden Lolitas Geld machen konnte, waren plötzlich alle Männer pädophil geworden? Jetzt produzierte er einen Bildband nach dem anderen. Gleichzeitig begann übrigens in Skandinavien die Produktion von Sexheften und Sexfilmen, aber das würde er nicht so gerne hören wollen. Und gleichzeitig mit seinen Photobüchern (in Millionenauflage) entstanden seine Filme: Bilitis, Die Geschichte der Laura M, Zärtliche Cousinen, Erste Sehnsucht, Ein Sommer in St. Tropez. Alles mit Weichzeichner und slow-motion, klebrig-süßlicher Musik und bedeutungsvoller Poesie.
Wahrscheinlich hat sich Hamilton die Zutaten bei Bo Widerbergs Elvira Madigan (Bild). der die Zuschauer zu massenhaften Käufen von Mozarts Klavierkonzert No. 21 verleitete, geklaut. Der Filmkritiker Wolfgang Limmer vom Spiegel (der ja auch für die Süddeutsche und die Zeit schrieb) mochte Bilitis ganz und gar nicht: David Hamiltons Nymphchen-Photographien sind weltberühmt. Sie gelten in der Ästhetik der Herrenmagazine als erotische Kunst, weil dem voyeuristischen Kameraauge, Distanz heuchelnd, ein Chiffon vorgespannt ist. Die photomechanische Wiedergabe renoirhafter Lichtfluten ergänzt sich hier ganz im Sinne des gehobenen Woolworth-Geschmacks harmonisch mit der Vorstellung frühpubertärer Unschuld mädchenhafter Liebesspiele.
Man kann ihm heute noch für diesen Verriß dankbar sein, der mit dem Absatz endete: Durch den heftig verwendeten Weichzeichner dringt das diffuse Licht der Werbewelt. Der Strahl der Wirklichkeit bleibt sorgsam ausgefiltert aus einer mondänen Atmosphäre, in der das höchste Glück offensichtlich in taktiler Zärtlichkeit, mal ein bißchen lesbisch, mal ein bißchen hetero, besteht. Leidenschaft kennt sie nicht, diese Boutiquen-Erotik, die Gefühle präsentiert wie Mannequins prêt-â-porter-Kreationen auf dem Laufsteg. Ich hätte das ja nicht schöner sagen können, deshalb zitiere ich es in dieser Länge.
Patti d' Arbanville wird heute sechzig, auf den Photos sieht sie aus wie eine dralle amerikanische Hausfrau. Bilitis scheint sie ohne Schäden überstanden zu haben. Ob ihr heute Cat Stevens, der jetzt neuerdings Yusuf heißt, My Lady D'Arbanville, why do you sleep so still? durchs Telephon vorsingt, weiß ich nicht.
Was David Hamilton damals inszeniert hat, und was viele für Kunst hielten, ist Teil eines größeren Phänomens. Eine Nostalgiesucht, die die Vergangenheit durch den Weichzeichner sieht, ist epidemisch ausgebrochen. Begleitet natürlich durch die hidden persudaders der kommerziellen Interessen. Die Verfilmung von The Great Gatsby zum Beispiel löst einen ungeahnten Werberummel aus. You have turned 'The Great Gatsby' into pots and pans, klagte Fitzgeralds Tochter angesichts dessen, dass du Pont Millionen dafür bezahlt hatte, um Gatsby-weißes Tafelgeschirr herauszubringen. The idea is to Gatsbyize the entire country, hatte der Werbechef von Paramount gesagt. Und dann hingen selbst in deutschen Provinzstädten Gatsby-weiße Anzüge bei C&A im Schaufenster. Selbst der Bayernkurier stellte fest: Man kleidet sich fortan im Gatsby-Look, trägt wieder Loden und zarte, romantische weite Kleider: man tanzt in Gatsby-Diskotheken bei psychedelischem Licht. Das neue Konzept ist so total, so romantisch und der industriellen Wirklichkeit so fern wie die Sage von Blut und Boden deutscher Lesebücher von gestern. Der Supermarkt des kleinen Glücks nunmehr für alle (lesen Sie ➱hier mehr dazu).
Während die USA sich in ihren Filmen hauptsächlich auf die Roaring Twenties in Amerika zurückbesannen, hatte diese Retrowelle in Europa eine Variante, die genau so pervers war wie das Idyll der Landhäuser, in dem sich Hamiltons pubertäre Lesben tummeln. Nämlich die Ästhetisierung des Faschismus in italienischen Filmen wie Luchino Viscontis La caduta degli dei (Die Verdammten) und Liliana Cavanis Il portiere di notte (Der Nachtportier).
Es ist eine Ironie der Geschichte, dass es in diesen beiden Filmen die gleichen Schauspieler sind, die sich an diese Rollen gewagt haben. Es sind Engländer (wie David Hamilton), nämlich ➱Charlotte Rampling und ➱Dirk Bogarde. Nazi Ästhetisierung und Lolita Voyeurismus, was ist bloß mit den seventies los? Ich hätte einige Überlegungen dazu, aber das wird mir jetzt zu lang, darüber schreibe ich ein anderes Mal mehr (also zum Beispiel ➱hier).
Und bevor ich das vergesse: natürlich herzliche Glückwünsche an Patti d'Arbanville. Und falls Sie zuhause noch Bildbände von David Hamilton haben sollten, entsorgen Sie sie doch einfach! Nicht auf dem Flohmarkt, die passen auch in die blaue Tonne.
Wahrscheinlich hat sich Hamilton die Zutaten bei Bo Widerbergs Elvira Madigan (Bild). der die Zuschauer zu massenhaften Käufen von Mozarts Klavierkonzert No. 21 verleitete, geklaut. Der Filmkritiker Wolfgang Limmer vom Spiegel (der ja auch für die Süddeutsche und die Zeit schrieb) mochte Bilitis ganz und gar nicht: David Hamiltons Nymphchen-Photographien sind weltberühmt. Sie gelten in der Ästhetik der Herrenmagazine als erotische Kunst, weil dem voyeuristischen Kameraauge, Distanz heuchelnd, ein Chiffon vorgespannt ist. Die photomechanische Wiedergabe renoirhafter Lichtfluten ergänzt sich hier ganz im Sinne des gehobenen Woolworth-Geschmacks harmonisch mit der Vorstellung frühpubertärer Unschuld mädchenhafter Liebesspiele.
Man kann ihm heute noch für diesen Verriß dankbar sein, der mit dem Absatz endete: Durch den heftig verwendeten Weichzeichner dringt das diffuse Licht der Werbewelt. Der Strahl der Wirklichkeit bleibt sorgsam ausgefiltert aus einer mondänen Atmosphäre, in der das höchste Glück offensichtlich in taktiler Zärtlichkeit, mal ein bißchen lesbisch, mal ein bißchen hetero, besteht. Leidenschaft kennt sie nicht, diese Boutiquen-Erotik, die Gefühle präsentiert wie Mannequins prêt-â-porter-Kreationen auf dem Laufsteg. Ich hätte das ja nicht schöner sagen können, deshalb zitiere ich es in dieser Länge.
Patti d' Arbanville wird heute sechzig, auf den Photos sieht sie aus wie eine dralle amerikanische Hausfrau. Bilitis scheint sie ohne Schäden überstanden zu haben. Ob ihr heute Cat Stevens, der jetzt neuerdings Yusuf heißt, My Lady D'Arbanville, why do you sleep so still? durchs Telephon vorsingt, weiß ich nicht.
Was David Hamilton damals inszeniert hat, und was viele für Kunst hielten, ist Teil eines größeren Phänomens. Eine Nostalgiesucht, die die Vergangenheit durch den Weichzeichner sieht, ist epidemisch ausgebrochen. Begleitet natürlich durch die hidden persudaders der kommerziellen Interessen. Die Verfilmung von The Great Gatsby zum Beispiel löst einen ungeahnten Werberummel aus. You have turned 'The Great Gatsby' into pots and pans, klagte Fitzgeralds Tochter angesichts dessen, dass du Pont Millionen dafür bezahlt hatte, um Gatsby-weißes Tafelgeschirr herauszubringen. The idea is to Gatsbyize the entire country, hatte der Werbechef von Paramount gesagt. Und dann hingen selbst in deutschen Provinzstädten Gatsby-weiße Anzüge bei C&A im Schaufenster. Selbst der Bayernkurier stellte fest: Man kleidet sich fortan im Gatsby-Look, trägt wieder Loden und zarte, romantische weite Kleider: man tanzt in Gatsby-Diskotheken bei psychedelischem Licht. Das neue Konzept ist so total, so romantisch und der industriellen Wirklichkeit so fern wie die Sage von Blut und Boden deutscher Lesebücher von gestern. Der Supermarkt des kleinen Glücks nunmehr für alle (lesen Sie ➱hier mehr dazu).
Während die USA sich in ihren Filmen hauptsächlich auf die Roaring Twenties in Amerika zurückbesannen, hatte diese Retrowelle in Europa eine Variante, die genau so pervers war wie das Idyll der Landhäuser, in dem sich Hamiltons pubertäre Lesben tummeln. Nämlich die Ästhetisierung des Faschismus in italienischen Filmen wie Luchino Viscontis La caduta degli dei (Die Verdammten) und Liliana Cavanis Il portiere di notte (Der Nachtportier).
Und bevor ich das vergesse: natürlich herzliche Glückwünsche an Patti d'Arbanville. Und falls Sie zuhause noch Bildbände von David Hamilton haben sollten, entsorgen Sie sie doch einfach! Nicht auf dem Flohmarkt, die passen auch in die blaue Tonne.
Dienstag, 24. Mai 2011
Bob Dylan
Well it ain't no use to sit and wonder why, babe
And it ain't no use to sit and wonder why, babe
It'll never do somehow
When your rooster crows at the break of dawn
Look out your window and I'll be gone
You're the reason I'm a travelling on
But don't think twice, it's all right.
Robert Allen Zimmermann, Maler, Dichter und Sänger wird heute siebzig. Happy Birthday! A song is anything that can walk by itself.
Montag, 23. Mai 2011
Hannover 96
Ich kann mich noch gut daran erinnern, ich war damals dabei. Mein Vater hatte für mich extra einen kleinen hölzernen Klappstuhl mitgenommen, damit ich auch etwas vom Spiel sehen konnte. Mein Vater kriegte immer gute Karten, weil der Vater einer seiner Sprechstundengehilfinnen DFB-Funktionär war. Vier Wochen nach dem Endspiel gab es die erste Ausgabe der Bild Zeitung, die sich dann prompt fragte, weshalb Sepp Herberger nur die Verlierer dieses Tages in die Schweiz mitnahm. Denn vom Deutschen Meister Hannover 96 war niemand beim Gewinn der Weltmeisterschaft dabei.
Meine Jugend gehörte dem Fußball, ich war Straßenfußballer wie wir alle im Nachkriegsdeutschland. Aus Gründen, die ich bis heute nicht verstehe, durfte ich nicht in den Fußballverein. Dabei hatte mein Vater vor dem Krieg in einer Mannschaft des Bremer Sport Vereins gespielt, aber ich durfte nicht in einen Fußballverein! Doch mein Vater nahm mich - und das ist jetzt ein wenig schizophren - an beinahe jedem Wochenende mit, wenn er zum Fußball ging. Später, als wir ein Auto hatten, bestand meine Mutter darauf, dass es am Wochenende auch mal einen Ausflug gibt. Aber mein Vater schafft es immer wieder, rechtzeitig zum Spielschluss in Bremen in der Nähe des Weserstadions zu sein. Und dann fährt er neben einer Straßenbahn her und lässt sich von den Leuten auf dem offenen Perron der Straßenbahn das Spiel erzählen, Autoradios gab es noch nicht.
Da er beim BSV gespielt hatte, gehen wir eigentlich immer zum BSV, selten zu Werder. Außer natürlich Weihnachten 1949, wenn der BSV gegen Werder spielt. Und 2:4 verliert. Und was habe ich damals gefroren! Die kleinen Schnürstiefel für Kinder taugen für die kalten Winter in dieser Zeit wenig, ich friere immer an den Füßen. Die von Oma selbstgestrickten Socken sind kratzig. Jahrzehnte später wird mir ein Buchhändler erzählen, dass er von den Socken der Nachkriegszeit eine richtige Sockenphobie bekommen hätte und heute nur noch Seidensocken tragen könne. Ist wahrscheinlich die kleinste Macke, die man aus der Nachkriegszeit davontragen kann. Es ist im Stadion schweinekalt, hier fegt der Wind nur so durch. Das Weserstadion ist damals viel kleiner als heute, ringsherum ist nichts, hier sagen sich Fuchs und Hase Gute Nacht. Amerikaner, die sonst überall auf Bremens Straßen sind, weil wir eine amerikanisch besetzte Zone sind, sind hier nie zu sehen. Die verstehen diese Sportart nicht. Das Stadion ist selten voll, außer wenn der Erzfeind aus Hamburg kommt. Egal, ob die in der Oberliga Nord gegen den BSV oder Werder spielen, jetzt geht da jeder Bremer hin. Da ist dann auch schon mal so voll wie 1955, wo der HSV Spieler Herbert Wojtkowiak nur mit Hilfe des Schiedsrichter und der Polizei den Eckstoß ausführen kann. Werder hat an dem Tag gewonnen. In meiner Erinnerung hat Werder sowieso immer gegen den HSV gewonnen, aber das stimmt wohl nicht ganz.
Ich verdanke dem Weserstadion viele schöne Stunden, ich verdanke dem Fußball sowieso viel, nicht nur wegen der zehn Jahre, die ich jeden Freitag in einer Unimannschaft gespielt habe. Vielleicht nicht soviel wie ➱Albert Camus, der einmal gesagt hat Alles, was ich schließlich am sichersten über Moral und menschliche Verpflichtung weiß, verdanke ich dem Fußball. Man muss dabei bedenken, dass Albert Camus in seiner Jugend ein hervorragender Fußballtorwart gewesen war. Mein Torwartheld hieß damals nicht Camus sondern ➱Dragomir Ilic, der die ganzen fünfziger Jahre für Werder spielte.
So aufregend das Spiel um die Deutsche Meisterschaft am 24. Mai war und so toll es war, den Franzosen Ben Barek im Oktober 1954 beim Länderspiel Deutschland gegen Frankreich in Hannover zu sehen, es gibt zwei Spiele im Weserstadion, die ich nie vergessen werde. Das erste war ein Freundschaftsspiel von Werder gegen den englischen Klub Bolton Wanderers. Da gab es ein Vorspiel, Schüler Bremen gegen Schüler Hamburg. Bei den Hamburgern war so ein kleiner Dicker, der phänomenal spielte. Schoß den Ball gegen die Latte, holte ihn sich wieder. Schoß ihn dann in die Mauer von Abwehrspielern, holte sich den Ball wieder und beim dritten Versuch war er dann drin. Und alle sagten aus dem wird noch mal was! Keiner kannte seinen Namen. Aus ihm ist noch etwas geworden, denn ein Jahr später kannte ihn jeder. Es war Uwe Seeler.
Und uns Uwe, wie er wenig später heißen wird, war auch der Held am zweiten Weihnachtstag 1957, als der HSV zu einem irregulären Gastspiel gegen Braunschweig in Bremen ist. Das ist ein Spiel gewesen, das Uwe nie vergessen hat. Er wird das Spiel als das denkwürdigste Spiel seiner Karriere bezeichnen. Der HSV hat für ein Spiel Platzverbot am Rothenbaum, es hat Ausschreitungen gegeben, nachdem Uwe Seeler im Spiel des HSV gegen Bremerhaven zum ersten Mal in einer Karriere vom Platz geflogen ist. Es wird das einzige Mal in seiner langen Karriere sein. Der Platzverweis war eine glatte Fehlentscheidung gewesen, und nach dem Spiel wollten die Zuschauer dem Schiedsrichter an den Kragen. Nun müssen die Hamburger zur Strafe hier in Bremen gegen die Blau-Gelben spielen. Das Weserstadion ist voll, und alle sind auf der Seite der Braunschweiger Löwen. Bremer sind nun mal keine Fans der Hamburger.
Zwei Jahre zuvor, nach dem Gewinn der ➱Weltmeisterschaft, die ganz Fußballdeutschland verändert hatte, ist mein Vater mit uns nach Hamburg gefahren. Stadtbummel und Eis im Alsterpavillion essen. Aber vorher müssen wir noch etwas Wichtiges erledigen. Geradezu verschwörerisch führt uns Vaddi in ein großes Möbelgeschäft, lässt zahlreiche Verkäufer stehen, sucht zielsicher einen bestimmten Mann und tut dann so, als wolle er einen Teppich kaufen. Wir brauchen bestimmt keinen Teppich, und es wäre Unsinn, dafür ganz nach Hamburg zu Betten-Holm zu fahren. Bis mir plötzlich klar wird, wer das ist, mit dem Vaddi das redet. Jupp Posipal. Einer der Helden von Bern, im letzten Jahr der einzige deutsche Spieler, der in der Weltauswahl im Wembley Stadion gegen England gespielt hat. Der sich mit seinem ungarischen Gegenspieler Zoltan Czibor während des Endspiels auf Ungarisch unterhält. Wenn wir Glück gehabt hätten, hätten wir auch noch Dieter Seeler hier sehen können, der steht nämlich auch auf der Lohnliste bei Albert Götz. ➱Albert Götz mit seiner Firma Betten-Holm ist die Verkörperung des Wirtschaftswunders: ein dutzend Läden in Hamburg, ein eigener Fußballverein, dicke Autos, schöne Frauen. Wenig später ist er pleite.
Aber an diesem nassen und dunklen Nachmittag humpelt Posipal nach einer Viertelstunde verletzt auf dem Platz rum. Und was wäre die Hamburger Abwehr ohne Jupp Posipal? Jetzt, wo Posipal nicht mehr so richtig laufen kann, geht in der HSV Abwehr gar nichts mehr. Zur Pause ist der Ball viermal im Tor von Horst Schnoor gewesen. 4:0 für Braunschweig (oben), zum großen Vergnügen der Bremer Zuschauer. Das Spiel ist gelaufen. Es ist ein nasser, kalter Tag, ich überlege, ob ich jetzt gehen soll. Noch mal in die Innenstadt rein, die Nase an den Schaufensterscheiben plattdrücken und dann mit dem Zug zurück. Aber ich bleibe, wie alle anderen Zuschauer, doch noch.
Der Hamburger Trainer Martin Wilke (links) würde ja gerne Posipal auswechseln, aber das kann er nicht. Das mit dem Auswechseln ist in der Oberliga noch nicht erfunden. Hier wird man entweder vom Platz getragen oder man spielt weiter. Das würde den fußballspielenden Millionären heute, die sich bei jeder Muskelverhärtung auswechseln lassen, sicherlich wehtun. Von einer Winterpause ist auch nicht die Rede, dieses Spiel findet am zweiten Weihnachtsfeiertag statt. Die Spieler bleiben auch meistens ihr Fußballerleben lang bei einem Verein, der moderne Menschenhandel ist noch nicht erfunden. Es gibt auch noch keine Spielerberater, die Spieler verdienen eh nix, wenn sie nicht wie Posipal oder Dieter Seeler einen Job bei Betten-Holm hätten. Da denkt noch niemand daran, mit einem Porsche oder einem Ferrari zum Spiel zu kommen. Wenn man damals den Osterdeich entlang zum Weserstadion ging, konnte es einem passieren, dass Spieler von Werder Bremen auf dem Fahrrad an einem vorbei radelten. Das von der Ehefrau frisch gewaschene Trikot und die selbst geputzten Fußballschuhe hinten auf dem Gepäckträger. Die ist noch wirklicher Fußball, der nicht verleugnet, dass er mal ein Arbeitersport war. Fußball für Männer, kein Nutella Werbespot.
In der Halbzeitpause hat Martin Wilke einen genialen Einfall, er stellt Posipal jetzt als Mittelstürmer auf. Der läuft da nicht mehr viel, aber er ist eine Anspielstation und verteilt die Bälle mit Übersicht. Die Übersicht ist heute ja ein wenig aus dem Fußball verschwunden, wo alle nur noch wild und sinnlos hin und her rennen. Fußball in den fünfziger Jahren war langsamer, ein wenig wie Frauenfußball heute, aber dafür mit mehr Übersicht. Tempo ist nicht alles. Ich habe mal die alten Herren der legendären ➱HSV Mannschaft (Uwe war leider nicht gekommen) gegen eine Landesauswahl von Schleswig Holstein spielen sehen. Die waren alle viel jünger und viel, viel schneller, aber sie haben trotzdem verloren.
Mit Posipal als beinahe unbewegliches Sturmzentrum kommt der HSV jetzt ins Laufen. Plötzlich fallen Tore, Uwe schießt das erste. Und dann geht es los, selbst Posipal gelingt in der 60. Minute ein Treffer. Zwei Minuten vor dem Abpfiff schießt Uwe das sechste Tor für den HSV. 6:4. Da mussten selbst die Bremer Zuschauer widerwillig Beifall spenden. Am Ende der Saison steht der HSV zwei Punkte vor Braunschweig und ist Norddeutscher Meister. ➱Werder landet auf Platz sieben. Vaddis BSV ist da schon nicht mehr dabei, der war schon 1955 abgestiegen.
Sonntag, 22. Mai 2011
Rosenkrieg
Das Wort steht in jedem der bunten Schmutzblätter, die beim Friseur rumliegen, wenn sich mal wieder irgendwelche B-Promis während der Scheidung kloppen. Bei Frau Ludowig kommt das Wort auch überdurchschnittlich häufig vor. Rosenkrieg. Ja, wo kommt es her? Noch nie hat sich ein Wort in der deutschen Sprache so schnell eingebürgert wie der Rosenkrieg. Ich nehme jetzt mal die völlig falsche Verwendung von vor Ort aus, was ein Terminus aus dem Bergbau ist. Weiß ja jeder, was das ist, Rosenkrieg. Oder? Wenn man nachfragt, ist da plötzlich bei den Wortverwendern Ruhe. Manchen fällt der Film mit Michael Douglas und Kathleen Turner ein, der Der Rosenkrieg hieß. Im Englischen hatte er den Titel The War of the Roses, es war die Verfilmung eines Romans, und in beiden Werken hieß das sich befehdende Ehepaar Rose, Plural im Englischen: the Roses. Dieser Romantitel hatte nun eine doppelte Bedeutung (jedes abgegriffene Wortspiel fand man damals in der Postmoderne ja ungeheuer geistreich), denn es gibt einen anderen War of the Roses als den des Ehepaar Rose.
Am 22. Mai 1455 hat der Rosenkrieg angefangen und er dauerte dreißig Jahre lang. Das da links sind nicht die Börsenkurse vom Tag des Weltuntergangs gestern, das ist eine farbliche Darstellung der sich befehdenden Partein. Jetzt kämpft York gegen Lancaster, beide führen eine Rose im Wappen. Und wenn Richard in Shakespeares Richard III auf die Bühne gehumpelt kommt und sagt Now is the winter of our discontent Made glorious summer by this sun of York; And all the clouds that lour'd upon our house In the deep bosom of the ocean buried dann wissen wir, dass gerade das House of York gewonnen hat. Richard hat keine weiße Rose getragen, diese ganze Rosensymbolik und auch der Name war of the roses kommt aus einer späteren Zeit. Einer sehr viel späteren Zeit. Sir Walter Scott ist wieder mal Schuld daran mit seinem Roman Anne of Geierstein, or The Maiden of the Mist. Sir Walter ist ja an vielem schuld, diesem ganzen ☞Ritterunsinn im viktorianischen England. Und auch am amerikanischen Bürgerkrieg, hat Mark Twain gesagt.
Richard soll seine beiden Neffen (links auf dem kitschigen Bild von John Everett Millais) umgebracht haben, um auf den Thron zu kommen. Hat er es wirklich getan? Die Mitglieder der Richard III Society würden an dieser Stelle energisch widersprechen. Denn es spricht eine Menge dafür, dass das tradierte Bild Richards (der sicherlich genau so böse oder gut war wie andere englische Könige) eine gigantische Geschichtsfälschung ist. Wir nennen das heute den Tudor Myth, und die vom Hause Tudor bezahlten Historiker haben ganze Arbeit geleistet, um das Haus York zu verleumden und das Haus Lancaster (zu dem die Tudors gehören) als mustergültig zu propagieren.
In ihrem letzten Detektivroman, The Daughter of Time, plaziert Josephine Tey (die in Wirklichkeit Elizabeth Mackintosh heißt) ihren Inspektor Alan Grant nicht in seinem Dienstzimmer im Scotland Yard, sondern legt ihn mit einem gebrochenen Bein in ein Krankenhausbett. Der sich langweilende Detektiv beginnt mit Hilfe von Freunden, die ihm Bücher anschleppen, das große Rätsel des Todes der Prinzen im Tower zu lösen. Ein junger Amerikaner namens Brent Carradine recherchiert für ihn im Britischen Museum. Wir als Leser können dabei Schritt für Schritt der Aufklärung eines historischen Kriminalfalls beiwohnen. Die Ricardians in der Richard III Society lieben diesen Roman, weil er einmal mehr die Darstellungen der Tudor Historiker als Lügen entlarvt. Davon abgesehen ist der Roman natürlich auch eine kleine Geschichtsstunde.
Und es ist ein hervorragender Detektivroman. Autor und Kritiker Anthony Boucher (Mitbegründer der Mystery Writers of America), der siebzehn Jahre lang die Kolumne Criminals at Large in der New York Times schrieb, hielt ihn für den besten aller Detektivromane (Astonishingly different...intense dramatic excitement...no superlatives are adequate...one of the permanent classics in the detective field). Dennoch ist es ihm erstaunlicherweise nicht gelungen, dem amerikanischen Verlag, für den er als Berater tätig war (Mercury Publications), diesen Roman anzudienen. Ihren ersten Roman The Man in the Queue, den sie unter dem Pseudonym Gordon Daviot 1929 geschrieben hatte, brachte Mercury dann 1954 in gekürzter Fasssung als Killer in the Cloud heraus. Ein solches Meisterwerk der Gattung Detektivroman wie The Daughter of Time schreit natürlich danach, irgendwie recycelt zu werden, und so haben wir die gleiche Geschichte noch einmal von der Amerikanerin Barbara Mertz (Murders of Richard III) unter dem Namen Jacqueline Kirby, einem der vielen Pseudonyme dieser Vielschreiberin.
Josephine Teys Hauptquelle für ihre (beziehungsweise Inspector Alan Grants) Verteidigung von Richard III war das 1906 erschienene Buch Richard III: His life and character von Sir Clements Markham. Der war zwar kein Historiker, aber als Wissenschaftler sollte man ihn nicht unterschätzen. Er ist der bedeutendste Entdecker und Geograph des viktorianischen Zeitalters. Markham hatte ein Vierteljahrhundert an dem Buch gearbeitet und in den 1890er Jahren schon erste Ergebnisse aus dieser Arbeit veröffentlicht. Das kam bei denen, die Richard III als den bösesten Bösewicht der englischen Geschichte lieb gewonnen hatten, nicht so gut an. Eine Zeit, die ein kitschiges Bild wie das der beiden Prinzen von Millais bewundert, wird eine kritische Revision der englischen Geschichte nicht so recht goutieren.
Man hat ihn ja lieber so wie er auf dem Bild oben aussieht, als Hogarth den befreundeten Schauspieler David Garrick in der Rolle von Richard III gemalt hat. Diese Szene, wo Richard in der Nacht vor der entscheidenden Schlacht (die, in der er angeblich A horse, a horse, my kingdom for a horse! ausruft) die Geister der Prinzen erschienen sind: Dream on thy cousins smother'd in the Tower: Let us be led within thy bosom, Richard, And weigh thee down to ruin, shame, and death! Thy nephews' souls bid thee despair and die!
Wir wissen nicht, wie er ausgesehen hat. So wie Ian McKellan in dem Film von 1995 bestimmt nicht, denn der ist beinahe doppelt so alt wie der wirkliche Richard, der letzte englische König, der auf einem Schlachtfeld stirbt. Alle Bilder, die wir von Richard haben, stammen erst aus dem nächsten Jahrhundert. Das ist bei Heinrich VIII und Elisabeth I schon anders, von denen haben wir Bilder, die von Zeitgenossen gemalt wurden. Und so wird Richard auf der Bühne oder im Film derjenige bleiben, der ihn gerade spielt, Sir Laurence Olivier oder Peter Cook in der Serie Blackadder. Oder Al Pacino.
Auf den wären Sie jetzt nicht gerade gekommen? Dann haben Sie Looking for Richard nicht gesehen. Das lohnt sich auf jeden Fall, fangen Sie doch mal mit ➱diesem Häppchen an. Man kommt Richard III nahe, auf jedem Fall dem von William Shakespeare. Sir Thomas More, dessen History of King Richard III Shakespeare benutzt hat, hat sein Werk Jahrzehnte nach Richards Tod geschrieben. Und er ist wohl kein unabhängiger Autor (den es zu dieser Zeit eh kaum geben kann), da steht er Heinrich VIII aus dem Hause Tudor zu nahe. Die ganze Sache liest sich romanhaft wie bei Sir Walter Scott, Belege für all das sucht man vergebens. Dafür finden sich aber immer wieder so verräterische Floskeln wie wherupon thei say, very trouthe is it & well knowen, as I have heard, and thus as I haue learned. Solche Beweise würde heute kein Historiker akzeptieren (vielleicht höchstens in Bayreuth), und Richard hat eben das Pech, dass er keine bezahlten Historiker zu seinen Lebzeiten hat, die etwas Nettes über ihn schreiben. Wir müssen bedenken, dass er nur zwei Jahre lang König ist.
Kaum hat uns Richard bei Shakespeare in der ersten Szene die Neuigkeiten über die gewonnene Schlacht mitgeteilt, da muss er uns unbedingt erzählen, wie hässlich er ist:
But I,--that am not shap'd for sportive tricks,
Nor made to court an amorous looking-glass;
I, that am rudely stamp'd, and want love's majesty
To strut before a wanton ambling nymph;
I, that am curtail'd of this fair proportion,
Cheated of feature by dissembling nature,
Deform'd, unfinish'd, sent before my time
Into this breathing world scarce half made up,
And that so lamely and unfashionable
That dogs bark at me as I halt by them
Woher weiß Shakespeare das alles? Die Antwort ist natürlich, er weiß es von Sir Thomas More. Denn das ist die einzige von all den Quellen, die sich über Richards Aussehen (und die Umstände seiner Geburt) auslässt: Richarde the third sonne, of whom we nowe entreate, was in witte and courage egall with either of them, in bodye and prowesse farre vnder them bot, little of stature, ill fetured of limmes, croke backed, his left shoulder much higher then his right, hard fauoured of visage, and suche as is in states called warlye, in other menne otherwise, he was malicious, wrathfull, enuious, and from afore his birth, euer frowarde. Gegen solche Aussagen kommt man schwer an. Denn every tongue brings in a several tale, And every tale condemns me for a villain.
Samstag, 21. Mai 2011
Weltuntergang
Ich fasse mich heute kurz, weil ja bekanntlich heute der Weltuntergang ist. Sagen die Zeugen Jehovas, und die müssen das wissen. Wehe es taucht noch mal einer von denen vor meiner Tür auf, falls heute die Welt nicht untergehen sollte. Auf dieser Internetseite der ebiblefellowship wird es schlüssig bewiesen, dass heute der Tag des Gerichts ist. Der 89-jährige amerikanische Rundfunkprediger Harold Camping hat den Weltuntergang auch für heute terminiert. Der Maya Kalender, der sich nie irrt, sagt auch, dass heute Weltuntergang ist. Allerdings erst 2012. Und dann gibt es noch den guten alten Karnevalsschlager, der uns versichert: Am dreißigsten Mai ist der Weltuntergang, wir leben nicht mehr lang, wir leben nicht mehr lang. Am dreißigsten Mai ist der Weltuntergang, wir leben nicht, wir leben nicht mehr lang.
Vor hundert Jahren hat Jakob van Hoddis das Gedicht Weltende geschrieben:
Dem Bürger fliegt vom spitzen Kopf der Hut,
In allen Lüften hallt es wie Geschrei. Dachdecker stürzen ab und gehn entzwei
Und an den Küsten - liest man - steigt die Flut.
Der Sturm ist da, die wilden Meere hupfen
An Land, um dicke Dämme zu zerdrücken.
Die meisten Menschen haben einen Schnupfen.
Die Eisenbahnen fallen von den Brücken.
Der Sturm ist da, die wilden Meere hupfen
An Land, um dicke Dämme zu zerdrücken.
Die meisten Menschen haben einen Schnupfen.
Die Eisenbahnen fallen von den Brücken.
Da wollen wir mal hoffen, dass uns nur die Hüte vom Kopf fliegen.
Morgen wissen wir mehr.
Freitag, 20. Mai 2011
Margery Allingham
Wenn von weiblichen englischen Detektivromanautoren die Rede ist, dann fallen immer wieder die Namen Agatha Christie und Dorothy Sayers. Von Margery Allingham redet hierzulande niemand. Dass John Strachey 1939 im Saturday Review of Literature sie zusammen mit Michael Innes und Nicholas Blake zu den drei white hopes des englischen Detektivromans gezählt hat, ist in Vergessenheit geraten. Er hatte damals auch gesagt: Miss Sayers has now almost ceased to be a first-rate detective writer and has become an exceedingly snobbish popular novelist.
Es wird wohl niemanden verwundern, dass man Margery Allingham (heute vor 107 Jahren geboren) in England heute immer noch kennt. Margery Allingham stands out like a shining light, hat Agatha Christie nach dem Tode von Allingham 1966 gesagt. Allinghams Detektiv Albert Campion hat einen Wikipedia Eintrag und es gibt natürlich eine Margery Allingham Society. Und sie kommt in einer Vielzahl von Blogs vor, von denen mir dieser ➱hier gut gefällt. Sie sollten da auch im Archiv die anderen Margery Allingham Post anklicken. Und an dieser ➱Stelle gibt es den Abdruck des Lexikonartikels aus dem Dictionary of Literary Biography, Volume 77: British Mystery and Thriller Writers 1920-1939.
Detektivromane leben von der Figur des Detektivs. Das ist eine Binsenweisheit, dafür braucht man kein studierter Literaturwissenschaftler zu sein. Aber nachdem die ersten Rollen des Detektivs mit Exzentrikern wie Edgar Allan Poes Chevalier C. Auguste Dupin und Arthur Conan Doyles Sherlock Holmes (geschickt bei Poe geklaut) besetzt worden waren, mussten die Krimiautoren feststellen, dass das Rollenreservoir der Detektivfigur nicht ganz so riesig ist. Wir kennen das aus dem Fernsehen: heute klaut ja jeder Krimi bei Simenon, bei ➱Sjöwall Wahlöö oder bei Raymond Chandler.
Aber Margery Allingham hatte etwas Neues. Ihr Detektiv Albert Campion (links in der BBC Version), der in dem Roman The Crime at Black Dudley 1929 das Licht der Welt entdeckte, war ein wenig anders. Er war adlig wie Dorothy Sayers' Lord Peter Wimsey, allerdings gehörte er, und das war eine ironische Spitze von Allingham, dem Hochadel an. Margery Allingham hat einmal einer Freundin anvertraut, dass Campion der Bruder des englischen Königs sei. Bei seinem ersten Auftritt ist er ein fresh-faced young man with tow-coloured hair and foolish, pale blue eyes behind tortoiseshell-rimmed spectacles. Vom Aussehen ein adliger nerd, der genau so von P.G. Wodehouse erfunden sein könnte. Aber er ist blitzgescheit, und er hat als eine Art Watson-Figur einen Gehilfen, den Cockney sprechenden ehemaligen Einbrecher Magersfontein Lugg.
Als Margery Allingham The Crime at Black Dudley schreibt, ist sie fünfundzwanzig Jahre alt, ihr Detektiv ist vier Jahre älter. In The Puritan Pleasures of the Detective Story hat Erik Routley die Formel aufgestellt, dass Detektive immer so alt (plusminus fünf Jahre) wie ihre Schöpfer sind. Der Autor muss sich nur entscheiden, ob er seinen Helden im Laufe der Jahre älter werden lässt (diesen Weg geht Allingham) oder ihn wie Wildes Dorian Gray in ewiger Jugend erhält. James Bond wäre jetzt eigentlich 91, sieht aber erstaunlicherweise aus wie der 43-jährige Daniel Craig. Im Laufe seines literarischen Lebens wird unser Albert Campion auch die karikaturhaften Züge aus den ersten Romanen verlieren. Und im Spätwerk von Allingham tritt er in den Hintergrund und macht einem sympathischen Cockney Inspector namens Charles Luke Platz. The Allingham-Campion 'method' is an admirable blend of good story-telling, delicate, yet sharp delineation of character, and puzzles that hinge primarily on mental rather than physical means -- the whole presented in the fluid prose of a thoroughly adept and sophisticated craftsman, hat der Amerikaner Howard Haycraft in seinem Buch Murder for Pleasure (einem der ersten Bücher über dies Genre) gesagt.
Allingham beginnt ihre Karriere in einer Zeit, die wir heute The Golden Age of the Detective Novel nennen, die Zeit, als die Morde noch auf dem Eisbärenfell vor dem Kamin in dem Landhaus in einem kleinen beschaulichen Dorf stattfinden. Mayhem Parva hat Colin Watson in seinem Buch Snobbery With Violence diesen Ort getauft: The setting for the crime stories by what we might call the Mayhem Parva school would be a cross between a village and commuters' dormitory in the South of England, self-contained and largely self-sufficient. It would have a well-attended church, an inn with reasonable accommodation for itinerant detective-inspectors, a village institute, library and shop — including a chemist's where weed killer and hair dye might conveniently be bought. The district would be rural, but not uncompromisingly so — there would be a good bus service for the keeping of suspicious appointments in the nearby town, for instance — but its general character would be sufficiently picturesque to chime with the English suburb dweller's sadly uninformed hankering after retirement to `the country.'
Es gibt ihn leicht modifiziert immer noch, er heißt heute Midsomer und ➱Inspector Barnaby arbeitet dort. Erfolgreiche Formeln sind nicht totzukriegen. Hammett took murder out of the Venetian vase and dropped it into the alley, hat Raymond Chandler über seinen Kollegen gesagt, der die hardboiled detective story erfunden hat. Aber in der Welt von Mayhem Parva sind wir noch nicht bei diesem Realismus angekommen, die Romane des Golden Age of the Detective Novel haben noch keinen Realitätsanspruch. Die ist England, nicht die Welt von Mickey Spillane. Und deshalb lieben wir diese Romane, auch wenn es uns klar ist, dass dies ein eingefrorenes Idyll einer englischen Gesellschaft ist, die mehr mit der spätviktorianischen und edwardianischen Gesellschaft zu tun hat als mit dem England von David Cameron.
In beinahe zwanzig Romanen hat Margery Allingham in drei Jahrzehnten ihre Märchenwelt behutsam modifiziert. The Tiger in the Smoke (auch verfilmt) wird von vielen Kritikern als ihr bester Roman gerühmt. Julian Symons (Verfasser der Studie Bloody Murder) hat ihren Roman Death of a Ghost unter die hundert besten englischen Detektivromane gewählt. Her work attains classic status and will not be forgotten; not for nothing was she compared to Charles Dickens and Robert Louis Stevenson, hat Barry Pike gesagt, der muss so übertreiben, weil er der Vorsitzende der Margery Allingham Society ist. Aber es ist etwas dran, Margery Allingham, die aus einer Schrifstellerfamilie stammt, kann erzählen.
Ich will mich auf der Suche nach dem besten Campion-Roman nicht festlegen. Seit mir vor Jahrzehnten eine alte Tauchnitz Ausgabe von Sweet Danger in die Hände gefallen ist, habe ich alle Romane gelesen. Ich mag sie eigentlich alle. Bei Amazon Marketplace gibt es diese Tauchnitz Ausgabe von 1934 noch, allerdings kostet sie 326 Dollar, weil sie von Margery Allingham signiert ist. Die BBC hat acht Romane verfilmt und vor einigen Jahren hat Random House mit einer Neuauflage der Romane begonnen. Viele ihrer Romane sind auch in deutscher Übersetzung erhältlich, weil der Diogenes Verlag seit den 1980er Jahren ihr Werk in einer sorgfältigen Neuübersetzung herausgebracht hat. Bevor man Elizabeth George liest, die schamlos alle Versatzstücke der englischen Romane des Golden Age of the Detective Story plagiiert, sollte man die Originale lesen.
Die englische Schriftstellerin und Literaturprofessorin Jane Stevenson hat Margery Allingham in einer schönen Würdigung im ➪Guardian das Kompliment gemacht, dass ihre Romane zu den meistgeklauten Büchern im Haus gehörten: At least twice in my life I have owned the complete works of Margery Allingham, but I keep finding that some have gone astray. The detective-story collection is stockpiled in the spare bedroom, and over the years I have found that the Allinghams effortlessly top the list of Books Most Often Nicked (I stole half of them from my mother in the first place; thin wartime Penguins with brittle, browning paper and advertisements for Kolynos toothpaste or Craven "A"s in the back). Quite a few people pass through this house, and I can only think that guests pick up an Allingham to read in bed, get hooked and take it away. I can't think of any other writer who has quite this effect, certainly not among the interwar queens of crime.