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Dienstag, 2. November 2021

Straßenzeitschrift


Diese Straßenzeitungen kennen wir alle. Man kauft sie im Vorbeigehen und hofft, dass man etwas Gutes damit tut. Man schleppt sie für den Rest des Tages mit sich herum, damit andere sehen, dass man etwas Gutes getan hat. Meistens liest man die Zeitung nicht. Ich möchte heute einmal ein paar Zeilen über eine Straßenzeitung schreiben, die in meiner Heimatstadt Bremen erscheint. Und die etwas ganz Besonderes ist. Sie hat sogar einen Wikipedia Artikel, das kann nicht jede Straßenzeitung Deutschlands von sich sagen. Dass sie etwas Besonders ist, kann man schon an diesem Layout sehen, professionell gemacht. Unter anderem wurde sie vom renommierten Type Directors Club (TDC) in New York dreifach prämiert und im TDC Jahrbuch Typography 33 vorgestellt.

Die ZDS wurde 2010 als Medien-, Sozial- und Lernprojekt von der Hochschule Bremerhaven, der Hochschule für Künste Bremen und dem Verein für Innere Mission in Bremen gegründet. Einer ihrer Gründer, Professor Dr Michael Vogel, hat gerade vom Bremer Bürgermeister das Bundesverdienstkreuz bekommen, und die ZDS hatte darüber natürlich einen Artikel. Vogel ist Professor für Tourismusmanagement und Betriebswirtschaftslehre an der Hochschule Bremerhaven, er ist mehrfach als Hochschullehrer ausgezeichnet worden, unter anderem mit dem ars legendi Preis. Im Jahre 2017 hat die Zeitschrift ZDS den Deutschen Bürgerpreis erhalten, sie ist immer wieder ausgezeichnet worden. Dafür hat die Zeitschrift natürlich eine Seite mit dem Presseecho, die Resonanz betitelt ist.

Ich bin stolz darauf, dass ich auch einmal mit einem kleinen Artikel dabei war. Ich bin von einem Mitglied der Redaktion, dem Photographen Dr Jan Zier, angeworben worden. Wahrscheinlich steckte mein Freund Peter in Hamburg dahinter, der Herrn Zier erzählt hat, dass ich in meinem Blog SILVAE immer wieder über Vegesack schreiben würde. Zuletzt kam der Ort in den Posts nach sechzig Jahren und die Villa Fritze vor, das wissen Sie. Man bereitete in der Redaktion gerade eine Ausgabe über die Vegesacker Gerhard Rohlfs Straße vor (diese Straßenzeitschrift wird nicht nur auf der Straße verkauft, sie widmet sich auch einzelnen Bremer Straßen), und da hätte man mich gerne dabei gehabt. Da konnte ich natürlich nicht nein sagen.

Mit dem Namensgeber der Straße kenne ich mich aus, der hat hier schon dem Post Gerhard Rohlfs und kommt mehrfach im Blog vor. Unter anderem in dem Post Emily Ruete, der mehr als sechtausend Mal gelesen worden ist und einige Jahre unter den Top Ten Ergebnissen bei Google stand. Die Gerhard Rohlfs Straße hat ihren Namen erst seit 1910, vorher hieß sie Langenstraße. Heute ist es eine Fußgängerzone, früher war das die B75, und der ganze Verkehr rauschte hier durch. Es ist die Hauptgeschäftsstraße des Orts, keine besonders schöne Straße. Ich hätte lieber über die Strandstraße geschrieben, wo man auf der Weser mal die Bremen sehen konnte, die bei uns umgebaut wurde. Oder ich hätte auch gerne über die Hafenstraße oder die Weserstraße geschrieben, aber die Posts stehen hier schon im Blog.

Ich nahm mir für meinen kleinen Artikel die Mitte der Straße, da wo der Sedanplatz ist, wo einmal im Jahr Jahrmarkt war. Nicht ganz so  großartig wie der Bremer Freimarkt, aber doch ganz ordentlich. Ich hatte damals viel zu tun und hatte auch noch angefangen, Anna Karenina zu lesen. So machte ich das, was ich in solchen Fällen immer tue: ich beklaute mich selbst. Raymond Chandler nannte das cannibalizing. Ich nahm als Basis für meinen Artikel den Post Sedanplatz und schrieb ihn um. Es gefiel der Redaktion offenbar, die noch dieses schöne Bild spendierte. Hier bin ich jeden Morgen zur Schule gegangen, hier war der einzige Zebrastreifen der Gerhard Rohlfs Straße. Man sieht rechts den Laden von Többens; dass er ein Kriegsverbrecher war, wusste ich damals nicht, Auf der anderen Straßenseite ist die Drogerie Tüscher, wo ich meine erste Kleinbildkamera kaufte, die Werra aus der DDR. Das Photo hier ist aus dem Buch Bremen-Nord in den Fünfzigern, in dem die Photographin Sigrid Hofmann Photos aus dem Bilderarchiv ihres Vaters herausgegeben hat, der der Bildberichterstatter des Weser Kurier und der Norddeutschen Volkszeitung war. Ist ein reiner Nostalgietrip.

Zwanzig Jahre nach dem Photo im oberen Absatz sah der Sedanplatz so aus, die Eiche, die einmal Sedan Eiche hieß und die uns Straßenfußballern als Torpfosten diente, gab es nicht mehr. Dafür war der Platz in der Mitte der Gerhard Rohlfs Straße unterkellert, man brauchte einen Parkplatz für Hertie. Das ist dieser kleine Klotz unten rechts. Hertie war wenige Jahre später pleite. Wie der halbe Ort. Weil auch der Bremer Vulkan, der einst die Pasteur zur Bremen umgebaut hatte (namensgleich mit dem viel berühmteren Schnelldampfer Bremen) pleite war.

Ich schrieb also meinen kleinen Artikel über den Sedanplatz, das war reine Nostalgie, das schrieb sich leicht. Kurz nachdem das Novemberheft der ZDS erschienen war, bekam ich einen Anruf von einem älteren Herren aus meinem Heimatort, der sich bei mir für den Artikel bedanken wollte. Ja, so sei es gewesen. An seine ganze Jugend hätte er sich wieder erinnert, als er das gelesen hatte. Er wollte mir gerne das Buch Bremen-Nord in den Fünfzigern schenken, aber ich sagte ihm, dass ich das schon seit seinem Erscheinen 2003 besitze. Doch dann fiel mir der Peter in Hamburg ein, und ich fragte den Herrn, ob er mir ein Exemplar für einen Freund schicken könne. Das hat er getan, und so ist der Peter auch zu diesem Nostalgiebuch gekommen. Er hat sich natürlich ganz doll bei dem netten Herrn bedankt.

Der Afrikaforscher Gerhard Rohlfs, dessen Geburtshaus in der Gerhard Rohlfs Straße eine Plakette ziert, hat natürlich auch einen Artikel in dem Novemberheft 2019 der ZDS. Seit sechzig Jahren gibt es ein Denkmal für ihn von dem Bremer Bildhauer Paul Halbhuber. Eine beinahe fünf Meter hohe Bronzesäule, auf deren Reliefs Bilder seiner afrikanischen Reiseerlebnisse zu sehen sind. Sie können hier den Künstler bei der Vollendung seines Werks sehen. Vor hundertzehn Jahren wollte man ein Denkmal errichten, das den ehemaligen Konsul von Sansibar als Kamelreiter zeigte, aber den Plan hatte man fallengelassen. Das Londoner Victoria & Albert Museum besitzt ein Photo von dem Entwurf des Bildhauers Kurt Edzard. Es wäre ja ganz schön gewesen, wenn man das Gerhard Rohlfs Denkmal auf der gleichnamigen Straße aufgestellt hätte, aber dafür gab es 1961 in der Geschäftsstraße keinen Platz. So steht es jetzt ein wenig sehr abseits in den Grünanlagen des Fährgrunds.

Die Redaktion der ZDS hat meinen Artikel Drei Ecken, ein Elfer inzwischen ins Internet gestellt hatte.  In der medialen Repräsentation ist die Zeitung nicht zu schlagen. Da sind sie Profis wie in ihrem preisgekrönten Design, in ihrem Archiv kann man alles wiederfinden. Wenn Sie jetzt auf den Geschmack gekommen sind: Sie können die Zeitschrift auch abonnieren. Man braucht kein Bremer oder Butenbremer zu sein.

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