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Sonntag, 14. Juni 2020

irgendwann muss Schluss sein


Manchmal kommen Dinge zusammen, die vorher nicht zusammengehörten. Ich habe in den letzten Wochen schon mehrfach gesagt, dass ich beim Aufräumen bin was Briefe und CDs betrifft. Ich habe auch mittlerweile einen Meter CDs aussortiert, die mein Hinterhofhöker für null und nichts bekommt, wenn er den Laden endlich wieder aufmacht. Ist ja noch viel zu im Ort. Ich hatte die Aufräumaktionen gerade auf Bücher ausgeweitet, als mir dieses Buch nach Jahren wieder begegnete: Lyndon Johnson and the American Dream. Und just an diesem Tag des Wiederfindens erzählt der jetzige amerikanische Präsident, dass er mehr für die schwarzen Amerikaner getan habe als jeder andere amerikanische Präsident, Abraham Lincoln inklusive. This may well be the president's most audacious claim ever, hat Professor Michael K. Fauntroy in der The New York Times gesagt. Not only has he not done more than anybody else, he's done close to the least.

Irgendwann muss Schluss mit all den Lügen sein, das geht nicht so weiter. Der amerikanische Traum ist unter Trump längst zum amerikanischen Alptraum geworden. Die Nation, die Lyndon B. Johnson mit seinem Great Society Reformprogramm einen wollte, ist tiefer zerstritten als je zuvor. Ich nehme einmal den heutigen Flag Day zum Anlass den Post Bilder: Geschichte noch einmal hier einzustellen. Der ist zwar drei Jahre alt, ist aber irgendwie immer noch aktuell. Und es ist ein Post, der von der Statistik her, zu den Top Ten der letzten zehn Jahre gehört:

Wird dieses Bild demnächst im Weißen Haus hängen? Es ist uns allen klar, dass das Bild eine Fälschung ist. Da ist jemand beigegangen und hat auf das Portrait eines Generals aus der napoleonischen Zeit den Kopf von Donald Trump gesetzt. Photoshop macht's möglich. Ich vermute, dass sich der Fälscher ein Bild von George Dawe, dem Hofmaler des russischen Zaren genommen und den Kopf von Goldilocks draufgesetzt hat. George Dawe kommt schon in dem Post Thomas Lawrences Blücher vor. Sie könnten hier nach einer Vorlage für den Photoshop General suchen. Ich habe das Bild aus diesem nicht uninteressanten Blog gemopst, ich finde es zu schön. Vor allem diese doppelte und dreifache Ironie: ein amerikanischer Präsident, der nie beim Militär war, in einer russischen Uniform. Und ein gefälschtes Bild, das einen echten Fälscher darstellt.

Im Weißen Haus werden jetzt Bilder umgehängt werden. Wahrscheinlich werden Trumps Innenarchitekten es nach dem Vorbild von Trump Tower im goldenen Bordellstil umgestalten. Dieses Bild der kleinen Ruby Bridges (The problem we all live with), das gegenüber vom Obamas Office hängt, wird da auch wohl verschwinden. Das Bild ist von Norman Rockwell, Amerikas beliebtestem Maler des 20. Jahrhunderts. Der hat hier schon einen Post, aber da er heute Geburtstag hat, dachte ich mir, ich schreibe noch ein wenig über ihn.

Über ihn und amerikanische Präsidenten, denn er hat viele von ihnen portraitiert. Ich habe mir überlegt, ob ich nicht mal den ganzen Monat Februar über amerikanische Präsidenten schreiben soll. Ich weiß allerdings nicht, was dann passiert. Im Monat Januar hatte ich, sagt die Google Statistik, beinahe 100.000 Leser. Würden mich auch so viele lesen, wenn ich nur über amerikanische Präsidenten schreibe? Es gibt da ja ein paar interessante Leute. Und interessante Bilder. Diesen Dwight D. Eisenhower von Norman Rockwell muss man einfach mögen.

Im Jahre 1964 malt Norman Rockwell zwei Präsidentschaftskandidaten, Barry Goldwater (dem über tausend amerikanische Psychiater Paranoia, Narzissmus und eine schwere Persönlichkeitsstörung per Ferndiagnose attestiert hatten) und Lyndon B. Johnson. Rockwell mag den Senator Goldwater, der ein Gegner des Civil Rights Act ist, überhaupt nicht: I didn’t vote for him, but he was a very cooperative model. Und so entsteht dieses Bild, das den Mann, den seine Gegner mit Hitler vergleichen, ganz charmant aussehen lässt.

In der gleichen Woche hat Rockwell einen Termin mit dem Präsidenten Lyndon B. Johnson, dem Mann, der zwei Wochen zuvor den Civil Rights Act  unterzeichnet hat. Sodass die kleine Ruby Bridges auf dem Bild da oben zu einer weißen Schule gehen konnte, zehn Jahre nachdem Earl Warren das Urteil im Fall Brown vs. Board of Education verkündet hat. Der Präsident hat schlechte Laune, zwanzig Minuten will er dem Maler zugestehen, auf keinen Fall eine Stunde. Get cracking, sagt er, er hält Rockwell für einen billigen Schnellmaler. Rockwell versucht die Stimmung aufzulockern, aber nichts hilft. Da sagt er: Mr. President I have just done Barry Goldwater’s portrait and he gave me a wonderful grin. I wish you would do the same. Und da bekommt Johnson wirklich ein kleines Lächeln ins Gesicht, like he was competing for the Miss America title, wie Rockwell später sagt. Das Bild erscheint als Titelbild von Look im Oktober 1964, zwei Wochen vor der Wahl.

Die Lyndon B. Johnson gewinnt. Er hätte sie auch ohne Norman Rockwells Bild für Look gewonnen, das ist uns klar. Rockwell arbeitete zuvor für die Saturday Evening Post, aber die wollte keine politischen Aussagen auf dem Titelblatt. Solange er die typische glückliche amerikanische Familie malte, mochte man ihn. Doch das Bild von der kleinen Ruby Bridges mit Polizeischutz, Murder in Mississippi oder dies hier (New Kids in the Neighbourhood), das wollte man in der Vorstandsetage der Saturday Evening Post nicht. Ein halbes Jahrhundert hatte Rockwell für das Magazin gearbeitet, hatte es groß gemacht, jetzt geht er zu Look. Die drucken The problem we all live with.

Ruby Bridges (hier begleitet von US Marshals), die heute im Vorstand des Norman Rockwell Museums ist, hatte Präsident Obama dazu gebracht, das Bild von Rockwell als Leihgabe in das Weiße Haus zu nehmen: I was about 18 or 19 years old the first time that I actually saw it. It confirmed what I had been thinking all along –  this was very important and you did this, and it should be talked about… At that point in time that’s what the country was going through, and here was a man who had been doing lots of work – painting family images –  all of the sudden decided this is what I am going to do… it’s wrong and I’m going to say that it’s wrong.

Es ist viel Hass in diesem Bild. Diese jungen Damen sind weiße Schülerinnen, die ihren Hass auf das kleine schwarze Mädchen in die Welt hinausbrüllen. Die William Frantz Elementary School war leer, als Ruby ankam, die Eltern hatten die Kinder zu Hause behalten. Auch die ganze Straße war leer, da war nur dieser weiße Mob. Wenn sie nicht diesen Haß in den Gesichtern hätten, könnten sie hübsche amerikanische Teenager der Mittelschicht sein. Die Lehrer weigern sich, das kleine Mädchen zu unterrichten. Nur die Lehrerin Barbara Henry schließt sich diesem Protest nicht an, sie wird die Lehrerin von Ruby Bridges: I had never seen a white teacher before, but Mrs. Henry was the nicest teacher I ever had. She tried very hard to keep my mind off what was going on outside. But I couldn't forget that there were no other kids.

Was Abraham Lincoln begonnen hatte, das hat Lyndon B. Johnson mit seinem Great Society Programm zu Ende gebracht: der farbigen Bevölkerung Amerikas Freiheit und Gleichheit zu geben. Der Satz der Declaration of Independence that all men are created equal war wahr geworden. Die Antrittsreden von Abraham Lincoln und Lyndon B. Johnson sind allerdings bedeutungslos gegen die Rede von Trump gewesen. Sagt Donald Trump. Auf den auch alles zutrifft, was die Psychiater an Barry Goldwater diagnostizierten. Und auf den auch der Titel des Bildes von Norman Rockwell zutrifft: The problem we all live with.

Donald Trump ist schon mehrfach vor dem Lincolm Memorial aufgetreten, das ist schon ein wenig pathologisch. Mark Twain hat einmal gesagt: The difference between the right word and the almost right word is really a large matter — it’s the difference between lightning and a lightning bug. Und zu dieser theatralischen Inszenierung Trumps kann man nur sagen, dass es einen kleinen  Unterschied zwischen Größe und Größenwahn gibt. Ciceros rhetorische Frage Quo usque tandem abutere, Catilina, patientia nostra? ist in Amerika jeden Tag wieder aktuell.

Wenn wir an Lyndon B. Johnson denken, fällt uns zuerst der Vietnamkrieg ein. Das haben wir nicht vergessen. Und wir haben auch Tom Paxton Lied nicht vergessen:

Lyndon Johnson told the nation
Have no fear of escalation
I am trying everyone to please
Though it isn't really war
We're sending fifty thousand more
To help save Vietnam from the Vietnamese.


Aber es gibt einen anderen Johnson, den Johnson, der hier Armenviertel besucht. Der den Voting Rights Act, den Civil Rights Act und (eine Woche nach der Ermordung von Martin Luther King) den Fair Housing Act durchsetzt. Alles Teilstücke des Great Society Reformprogramms. Und nun kommt Trump daher und twittert: My Admin has done more for the Black Community than any President since Abraham Lincoln. 

Doris Kearns Goodwin (hier mit dem Blümchenkleid neben Lyndon B. Johnson) kannte den Mann, über den sie ihre Biographie schrieb. Das Buch, das ich gerade wiederfand, ist die zweite Auflage von 1991 mit einem neuen Vorwort. Das Buch hatte 1977 großes Aufsehen erregt und war sofort ein Bestseller geworden. Die Autorin wurde noch Harvard Professorin und bekam für ihr Buch über die Roosevelts einen Pulitzerpreis. Wenn Donald Trump etwas über die Leistungen des Präsidenten Johnson wissen wollte, dann sollte er dieses Buch lesen. Aber da haben wir ein Problem, er liest keine Bücher. Er habe mehr Bücher geschrieben als gelesen, hat er einmal Journalisten gesagt. Das wird stimmen, er hat kein Buch selbst geschrieben, die sind alle von Ghostwritern geschrieben.

Er kann wahrscheinlich nicht einmal richtig lesen, viele seiner (inzwischen gefeuerten) Mitarbeiter haben gesagt, dass er ein funktionaler Analphabet ist. Sprachwissenschaftler versichern uns, dass er den Wortschatz eines neunjährigen Kindes hat. Er liebt Wörter, die nicht mehr als zwei Silben haben. Als er bei einer Veranstaltung des Kongresses im Jahre 2017 zusammen mit Senatoren und ehemaligen Präsidenten eine Seite aus der Declaration of Independence vorlesen sollte, hatte der Mann, der sich in biblischer Sprache als der Auserwählte (I am the chosen one) bezeichnet hat, große Schwierigkeiten: It’s very hard to get through that whole thing without a stumble. It’s like a different language, right?

Noch einmal das Bild The problem we all live with, das Problem geht nicht weg. Ob da das N-Wort an der Wand steht oder nicht. George Washington, der erste amerikanische Präsident, ist kein Intellektueller wie Thomas Jefferson gewesen. John Adams hat über ihn gesagt: That Washington is not a scholar is certain. That he is too illiterate, unlearned, unread for his station is equally beyond dispute. Wir lassen das mal so stehen, Washington ist nicht Adams und nicht Jefferson. Aber so dumm wie Trump ist der erste Präsident nie gewesen, sein Französisch war zwar schwach, aber er war ein guter Lateiner, auch wenn er Senecas Morals by Way of Abstract auf Englisch liest.

Washington hat das Amt des Präsidenten nicht gewollt, Trump, der nicht weiß, wer Seneca ist, wollte es unbedingt. Doch Trump kann reden und twittern wie er will, niemand wird ihm je glauben. Alles was er kann, ist herumpöbeln und politische Gegner beleidigen und angreifen. Das hat er von Roy Cohn gelernt, der in der dunkelsten Stunde Amerikas der Henkersknecht von Senator McCarthy war. Cohn war der Rechtsanwalt und Berater des jungen Trump (der Link führt zu dem Dokumentarfilm Where's my Roy Cohn). Das sind Freunde, auf die man stolz sein kann.

Wir können nur hoffen, dass Abraham Lincoln mit dem Satz recht hat: You can fool all the people some of the time, and some of the people all the time, but you cannot fool all the people all the time.

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