Seiten

Freitag, 12. Juni 2020

Rheinromantik


Am 12. Juni 1816 fuhr als erstes Dampfschiff die englische Defiance den Rhein bis nach Köln herauf. Heute gegen Mittag erblickten wir hier auf unserm schönen Rheinstrome ein wundervolles Schauspiel. Ein ziemlich großes Schiff, ohne Mast, Segel und Ruder, kam mit ungemeiner Schnelle den Rhein herauf gefahren. Die Ufer des Rheines und die hier vor Anker liegenden Schiffe waren in einem Augenblicke von der herbeiströmenden Volksmenge bedeckt. Das die allgemeine Neugierde reizende Schiff war ein von London nach Frankfurt reisendes, englisches Dampfboot, schrieb die Kölnische Zeitung. Bis Frankfurt ist die Defiance nicht gekommen, es gab technische Probleme.

Ein Jahrzehnt später gibt es einen regelmäßigen Schiffsverkehr zwischen Mainz und Köln. Die Schiffe sind voll mit englischen Touristen, denn in England hat Thomas Cook die Pauschalreise erfunden. Im Jahr 1843 sind eine Million Engländer auf dem Rhein gewesen. Sie reisen gern, die Briten, zuerst im 18. Jahrhundert mit ihrer Grand Tour, die der Oberklasse vorbehalten war, jetzt kommen alle anderen, der Massentourismus ist erfunden. Und so dichtet Goethe im Faust II:

Sind Briten hier - sie reisen sonst so viel,
Schlachtfeldern nachzuspüren, Wasserfällen,
Gestürzten Mauern, klassisch dumpfen Stellen,
das wäre hier für sie ein würdig Ziel....

Ein Jahr nach der Fahrt der Defiance wird man auf der Weser auch ein Dampfschiff haben. Das ist aber kein englisches Schiff, sondern ein deutsches Schiff, das auf der Langeschen Werft in Vegesack gebaut worden ist. Fährt stolz mit der Bremer Speckflagge. Zugegeben: die Maschine hat man bei Boulton & Watt in England gekauft, aber alles andere ist Made in Germany. Das Schiff wird Weser heißen, aber es verursacht keinen Massentourismus. An der Weser gibt es nun mal keine mittelalterlichen Schlösser, keine Loreley und keinen Drachenfels. Es gibt eine Rheinromantik (lesen Sie dazu mehr im Goethezeitportal), aber es gibt keine Weserromantik, keine Dichter besingen den Fluß, keine Maler malen ihn. William Turner malt den Rhein, nicht die Weser. Es gibt zwar ein Gedicht auf die Weser von Franz von Dingelstedt:

Hier hab' ich so manches liebe Mal
Mit meiner Laute gesessen,
Hinunterblickend ins weite Tal,
Mein selbst und der Welt vergessen.
Und um mich klang es so froh und so hehr,
Und über mir tagt es so helle
Und unten brauste das ferne Wehr
Und der Weser blitzende Welle. 

Aber das kann sich kaum mit dem messen, was Lord Byron über den Drachenfels geschrieben hat. Oder Heinrich Heine über die Lorelely. Und wenn die bösen Deutschen in Casablanca ein Lied singen, dann singen sie natürlich über den Rhein:

Es braust ein Ruf wie Donnerhall,
Wie Schwertgeklirr und Wogenprall:
Zum Rhein, zum Rhein, zum deutschen Rhein!
Wer will des Stromes Hüter sein?
Lieb’ Vaterland, magst ruhig sein,
Fest steht und treu die Wacht, die Wacht am Rhein!


Ich selbst kann dem Rhein wenig abgewinnen. Ich habe ihn zum erstenmal gesehen, als wir eine Tante in Neuwied besuchten, die eine kleine Villa am Rhein besaß. Es war nicht leicht, Neuwied mit unserem neuen Opel Olympia zu erreichen, weil an diesem Tag das Petersberger Abkommen unterzeichnet wurde, und wir in Massen von englischen und amerikanischen Panzern feststeckten, die die Gegend absicherten.

Was die Flußfahrt auf dem Rhein betrifft, kann ich touristisch mitreden. Unsere Schule spendierte uns ein Jahr vor dem Abitur eine mehrwöchige Studienreise nach Köln, Mainz und Trier, und natürlich stand eine Fahrt mit dem Rheindampfer von Köln nach Mainz auf dem Programm. Wir teilten uns das Schiff mit zwei Busladungen älterer Amerikanerinnen. Alle in sommerlichen Blümchenkleidern. Mit Strohhüten. Als der Kapitän über Lautsprecher verkündete, dass wir gleich die Lorelei passieren würden und dazu eine schauerlich krächzende Version von Ich weiß nicht, was soll es bedeuten auflegte, schesten zwei Busladungen amerikanischer Ommas nach Backbord. Ich hatte damals Angst, die Loreley würde wieder ihre Opfer einfordern. Die Rheinromantik ist lange zuende, Allen Ginsberg hat das in seinem Gedicht Ruhr-Gebiet schon vor Jahren gesagt:

Too much industry
No fish in the Rhine
Lorelei poisoned
Too much embarrassment

Die englische Defiance war nicht das erste Dampfschiff in Deutschland, das muss der historischen Genauigkeit wegen angemerkt werden. Das erste kleine Dampfschiff war das von dem Franzosen Denis Papin, mit dem er am Sonnabend, dem 24. September 1707 auf der Fulda von Kassel nach Münden (heute Hannoversch-Münden) gefahren war. Er wollte am nächsten Tag auf der Weser bis Bremen weiterfahren, aber in der Nacht haben ihm die Mitglieder der Mündener Schiffergilde das Boot zerkloppt. Sie kannten zwar Rilkes Satz Alles Erworbne bedroht die Maschine noch nicht, aber dass dieser kleine Schaufelraddampfer schlecht für ihr Geschäft war, das hatten sie schon gemerkt. Der geniale Erfinder Denis Papin, der auch den Schnellkochtopf erfunden und ein U-Boot gebaut hat, ist heute so gut wie vergessen. Der letzte Brief von Dr Papin aus dem Jahr 1712 an den Sekretär der Royal Society schließt mit den Worten: Ich bin in einer traurigen Lage, selbst wenn ich das Beste leiste, ziehe ich mir nur Feindschaft zu. Doch sei wie ihm wolle, ich fürchte nichts, denn ich vertraue auf Gott, der allmächtig ist.


Lesen Sie auch: DampfschiffahrtDrachenfels, Lorelely, Lurley, RheinnixenDie Weser: ein langer Fluss, ein langer Text18th century: Grand Tour

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen