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Freitag, 23. Juli 2021

This Effing Lady


Die Dame hier auf diesem Photo von Helmut Newton ist die australische Schauspielerin Coral Edith Browne, die am 23. Juli 1913 geboren wurde. Ihren Ehemann im Vordergrund können wir nicht so richtig erkennen. Er ist wahrscheinlich berühmter als seine Gattin, es ist niemand anderer als Vincent Price, den wir aus einer Vielzahl von Horrorfilmen kennen. Es war übrigens eine sehr glückliche Ehe, hatte nichts mit Horror zu tun. Coral Browne sieht hier aus wie eine Lady, warum hat ihre Biographin Rose Collis ihr Buch nur This Effing Lady genannt? Eine wirkliche Lady würde normalerweise nicht mit einem Adjektiv wie effing bedacht werden, aber Coral Browne ist nun einmal outspoken, wie der Engländer das nennt, und gebraucht viele f-words. Bei ihrer Beerdigung hat der australische Schauspieler Barry Humphries ein kleines Gedicht vorgelesen:

She left behind an emptiness
A gap, a void, a trough
The world is quite a good deal less
Since Coral Browne fucked off.

Coral Browne hat auf der Bühne und im Film eine Vielzahl von Rollen gespielt, in John Schlesingers Film An Englishman Abroad spielt sie sich selbst. So etwas kommt in der Karriere eines Schauspielers selten vor. Sie war 1958 mit der Royal Shakespeare Company in Moskau, man gab Shakespeares Hamlet, Coral Browne spielte die Königin Gertrude. Nach der Vorstellung lernt sie einen etwas heruntergekommenen englischen Gentleman kennen, der als erstes sagt: What pleasure, in this day and age, is to hear the language so beautifully spoken! Und der sie bittet, für ihn in London einige Einkäufe zu machen. Er möchte einen neuen Anzug haben, das muss natürlich ein englischer Anzug sein. Und einen neuen Eton Schlips brauchte er auch noch. Er selbst kann nicht zurück nach London. Er heißt Guy Burgess und ist ein Spion und Vaterlandsverräter. Aber der englische Maßanzug und der Eton Schlips, die müssen sein.

Was man in Moskau an Anzügen kaufen kann, das kann ein Gentleman, der in Eton und Cambridge gewesen ist, natürlich nicht tragen: Clothes have never been the comrades' strong point. Besides, I don't want to look like everybody else, do you? Früher haben ihn Anzüge nicht interessiert: I never cared tupppence for clothes before. I was kitted out in the traditional garb of my class. Aber jetzt, in der Einsamkeit von Moskau, da möchte er doch einen neuen englischen Anzug zur Identitätsgewinnung haben. Coral Browne nimmt seine Maße und geht damit in London zu seinem Schneider. Sie versucht, zuerst den Namen des Kunden geheim zuhalten, gibt ihn dann aber doch preis:

Tailor: We have two Mr Burgesses. I take this to be Mr Burgess G. How is Mr Burgess? Fatter I see. One of our more colourful customers. Too little colour in our drab lives these days. Knowing Mr Guy he'll want a pinstripe. But a durable fabric. His suits were meant to take a good deal of punishment. I hope they have stood him in good stead.

Als Coral Browne den Schneider um Diskretion bittet, sagt der: Oh, Madam. Mum is always the word here. Moscow or Maidenhead, mum is always the word. Schneider sind offensichtlich verschwiegener als Spione. Bei einem zweiten Einkauf in einem anderen Geschäft weigert sich der Angestellte, Coral Browne die gewünschten Pyjamas zu verkaufen: The Gentleman is a traitor, Madam. Schließlich beliefere man die königliche Familie. Anzüge kann man bestellen, aber Pyjamas werden nicht an jeden verkauft. An dieser Stelle hat Alan Bennett, der aus seinem Theaterstück das Drehbuch für den Film gemacht hat, für die Australierin Browne eine kleine Hassattacke auf die Verlogenheit der Engländer in das Stück geschrieben. Obgleich die Namen der beiden Firmen nicht genannt werden, hat sich Bennett diese Szenen nicht ausgedacht. Die ganze Geschichte ist wahr, der Anzug erreicht Guy Burgess an seinem Geburtstag 1958 in Moskau.

Als ein amerikanischer Drehbuchautor gegenüber Coral Browne etwas gehässig bemerkte, dass das Drehbuch von An Englishman Abroad nicht besonders gelungen sei, erwiderte sie in ihrer typischen Art: Listen, dear, you couldn't write 'fuck' on a dusty venetian blind. Coral Browne liebte den Film, über den Pauline Kael gesagt hatte: probably the finest hour of television I’ve ever seen. Es war auch ihr Film, es war ein Teil von ihrem Leben. Alan Bennett hätte das Drehuch nicht schreiben können, wenn sie ihm nicht das ganze Material überlassen hätte. Coral Browne hatte ihr Treffen mit Burgess im Jahre 1958 geheimgehalten, es wäre wohl nicht gut für ihre Karriere gewesen. Aber Alan Bennett hat sie die ganze Geschichte erzählt:

Some years ago a stage play of mine, 'The Old Country', was running in the West End. The central character, Hilary, played by Alec Guinness, was a Foreign Office defector living in Russia. Hilary was generally identified as Philby, though that had not been my intention, the character having much more in common with a different sort of exile, W. H. Auden. However during the run of 'The Old Country' friends and well-wishers would come round after the performance, often with reminiscences of Philby and his predecessors, Burgess and Maclean. One of these was Coral Browne who told me of her visit to Russia with the Shakespeare Memorial Theatre in 1958 and the particular incidents that make up 'An Englishman Abroad'.

The picture of the elegant actress and the seedy exile sitting in a dingy Moscow flat through a long afternoon listening again and again to Jack Buchanan singing 'Who stole my heart away?' seemed to me funny and sad but it was a few years before I got round to writing it up. It was only when I sent Coral Browne the first draft of the television film that I found she had kept not merely Burgess’s letters, thanking her for running his errands, but also her original notes of his measurements and even his cheque (uncashed and for £6) to treat her and one of her fellow actors to lunch at the Caprice. The original script of the television film was quite close to the version now presented on the stage. It had no exterior shots because I knew no BBC budget would run to filming in Moscow or some foreign substitute. I introduced the exteriors only when a suitable (and a suitably economic) substitute for Moscow was found in Dundee.

I have put some of my own sentiments into Burgess’s mouth. ‘I can say I love London. I can say I love England. I can’t say I love my country, because I don’t know what that means’, is a fair statement of my own, and I imagine many people’s position. The Falklands War helped me to understand how a fastidious stepping-aside from patriotism could be an element in characters as different as Blunt and Burgess. Certainly in the spy fever that followed the unmasking of Professor Blunt I felt more sympathy with the hunted than the hunters.

Ich habe natürlich den Film An Englishman Abroad hier für Sie (und auch die Hörspielfassung der BBC). Die beiden Hauptdarsteller des Films, Coral Browne und Alan Bates (der Guy Burgess spielt), erhielten beide einen BAFTA Award. Der Film rangiert auf der Liste der hundert besten Fernsehproduktion des BFI auf Platz 30. Leider ist der zweite Film, der von englischen Spionen handelt, A Question of Attribution, von der BBC aus dem Netz genommen. Beide Filme von John Schlesinger sind auf DVDs einzeln nicht zu finden, sie sind aber in der 4 DVD Cassette Alan Bennett at the BBC enthalten. Neben den beiden Schlesinger Filmen über englische Spione sind da auch noch drauf: 102 Boulevard Haussmann (1990), A Day Out (1972), A Visit from Miss Protheroe (1978), A Woman of No Importance (1982), The Insurance Man (1986), Our Winnie (1982), Sunset Across the Bay (1975), Dinner at Noon (1988) und Portrait or Bust (1994).

Proust Leser haben natürlich sofort bemerkt, dass 102 Boulevard Haussmann etwas mit Proust zu tun haben muss, denn das ist seine Pariser Adresse. Und es hat etas mit Proust zu tun, und mit Céleste Albaret. Beide in dem kleinen Film von Udayan Prasad brillant verkörpert durch Alan Bates und Janet McTeer.

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