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Montag, 28. Februar 2022

Pik Adam


Wer Josef Kastein ist, das weiß ich, weil mir mein Freund Peter vor Jahren den Roman Melchior geschenkt hat. Das steht schon in den Posts Geistiges Bremen und ave atque vale. Was ich nicht wusste war, wer dieser Johann-Günther König war, der den Roman herausgegeben hat. Doch das weiß ich inzwischen, denn er hat mir gerade seine Friedo Lampe Biographie geschickt. Zu meinem Erstaunen habe ich festgestellt, dass ein großer Teil des Werks des beinahe vergessenen Bremer Schriftstellers Josef Kastein beim Projekt Gutenberg zugänglich ist. Wenn Sie wollen, können Sie den hanseatischen Kaufmannsroman Melchior hier lesen. Das ist eine sehr verdienstvolle Sache vom Projekt Gutenberg.

Was man allerdings nicht auf der Gutenberg Seite findet, ist Kasteins Kriminalroman Pik Adam, der im selben Jahr erschien wie Melchior. An dem Krimi hat Kastein als Schriftsteller zum erstenmal richtiges Geld verdient. Johann-Günther König, der antiquarisch ein Exemplar gefunden hatte, hat auch diesen Roman neu herausgegeben, er ist vor fünf Jahren beim Kellner Verlag in Bremen erschienen. Dort war auch Königs Buch Friedrich Engels: Die Bremer Jahre 1838–1841 erschienen. Dass Friedrich Engels mal in Bremen war, das wissen Sie, weil Sie den Post Karl Philipp Moritz gelesen haben. Pik Adam ist kein einfacher Nachdruck (man konnte es auch nicht kopieren, da es noch in Fraktur gesetzt war), es ist eine sorgfältige kritische Ausgabe mit Anmerkungen, einer Lebenstafel und einem Nachwort. Ich besitze die neue Ausgabe, habe aber nach vielem Suchen bei ebay Kleinanzeigen jemanden gefunden, der mir das Original von 1927 verkauft hat. Johann-Günther König hat die Auflage des Krimis auf zehn- bis fünfzehntausend Exemplare geschätzt, ich bin da ein wenig skeptisch.

Dorothy Sayers war in den zwanziger Jahren glücklich, wenn einer ihrer Romane eine Auflage von sechtausend Exemplaren erzielte. Verlage geben in vielen Fällen ungern Auskunft über die Auflagezahlen, es sei denn sie verlegen jemanden wie Henning Mankell. Ich habe in den siebziger Jahren mal Richard K. Flesch interviewt, den man in der Branche den Leichen-Flesch nannte. Der hatte bei Rowohlt 1962 eine Krimireihe ins Leben gerufen: schwarze Buchumschläge, gelbe Seiten und das Shakespeare Zitat a faint cold fear thrills through my veins auf dem Cover. Nach längerem Hin und Her gab er mir eine Liste mit den Auflagezahlen, ich musste aber schwören, die nicht zu veröffentlichen. Das habe ich schon in dem Post Sjöwall/Wahlöö geschrieben, die Auflagen lagen so bei zehn- bis fünfzehntausend. Das änderte sich, als Rowohlt Autoren wie Harry Kemelman mit seinen Rabbi Romanen und die Schweden Sjöwall und Wahlöö bekam. Maj Sjöwall hat aber von dem vielen Geld, das Rowohlt mit ihr machte, kaum etwas gesehen.

Ich springe mal eben von Bremen nach Ceylon. Die berühmten Wolkenmädchen des Bergs Sigiriya kommen in dem Roman Pik Adam nicht vor, aber ein anderer Berg. Der auf Französisch Le pic d'Adam heißt, auf Englisch Adam's Peak und in älteren deutschen Quellen Adamspik. Also, wenn der gerade zum Obersten beförderte Prinz Waldemar von Preußen eine Auslandsreise macht, die ihn bis in den Himalaya und an die Grenze Tibets führt, dann können wir 1852 lesen: Sodann verweilte er eine Woche auf der Insel Ceylon, nahm an Tiger- und Elephantenjagden unerschrocken Antheil und erstieg unter großen Mühseligskeiten Adampik. 
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Nun hätte man den heiligen Berg aus Ceylon auf das Cover von Pik Adam tun können, wo ja ein Teil der Romanhandlung spielt, aber man hat als Bild die alte Weserbrücke genommen. Die habe ich sofort erkannt, ich besitze eine Zeichnung von dem Bremer Maler Emil Mrowetz, die er einmal meinem Vater geschenkt hat. Sie ist signiert mit Zerstörte alte Weserbrücke 1945. Nur das Brückenportal mit den beiden Löwen, die das Bremer Stadtwappen halten, ist unversehrt. Dahinter sind nur noch von den Explosionen der Sprengung im April 1945 aufgebogene Stahlträger zu sehen. Aber die von den Deutschen gesprengte Alte Weserbrücke interessierte den Generalleutnant Brian Horrocks (der in dem Film ✺A Bridge too Far von Edward Fox gespielt wird) im Mai 1945 wenig. Die Engländer sind schon längst in Hoya über die Weser gekommen, also da unten, wo ich mit der Bundeswehr zwanzig Jahre später Weserübergänge üben darf. Seit Karl dem Großen sind Weserübergänge für Armeen nicht aus der Mode gekommen.

Die bei der Sprengung verloren gegangenen Löwenköpfe links und rechts von der Brücke hat man 1998 in der Weser gefunden, sie stehen jetzt auf Stahlstelen am Weserufer. Die Löwen sind den Bremern wichtig, weil sie das Bremer Stadtwappen zieren. Man kann sie jede Woche auf der ersten Seite der Zeit sehen. Die wollte das Hamburger Wappen als Logo haben, aber das erlaubte der Hamburger Senat nicht, da haben sie sich nach Bremen gewandt, wo ihnen Wilhelm Kaisen kurz und knapp den Abdruck des Bremer Stadtwappens auf der Hamburger Zeitung gestattet. Sie können die ganze Geschichte in dem Post Bremer Schlüssel lesen.

Josef Kastein war 1927 von Bremen nach Ascona gezogen, er hatte seine Anwaltspraxis in Bremen aufgegeben, er suchte ein neues Leben, seine Ehe war gerade zu Ende gegangen. Durch einen Zufall lernte er in Ascona einen Verleger kennen, der Autoren für Kriminalromane suchte. Kastein bot sich als Autor an. Als er nach dem Manuskript gefragt wurde, sagte er, der Roman sei noch im Stenogramm. Er war nicht im Stenogramm, er war in seinem Kopf, er musste ihn nur schreiben. In dem Lebensbild von Alfred Dreyer Joseph Kastein, ein jüdischer Schriftsteller (1890–1946). Die Bremer Jahre wird der Roman Pik Adam nicht erwähnt. Aber es hat ihn gegeben, und mit dem Honorar konnte Kastein jetzt beginnen, das zu schreiben, was er wollte. Er schrieb Sabbatai Zewi: Der Messias von Ismir, ein Buch, das Rowohlt 1930 verlegte. Johann-Günther König, der den Roman Pik Adam aus der Vergessenheit geholt hat, hat in einem Interview gesagt: Kasteins Literatur war ab 1934 in Deutschland verboten, viele Bücher jüdischer Autoren wurden zerstört. So kam es, dass dieser Kriminalroman als verschollen galt.

Die Gattin von Gustav Pauli, die unter dem Namen Marga Berck den Roman Sommer in Lesmona geschrieben hat, wollte mit ihrem Klub von Künstlern und Schriftstellern, der Die goldene Wolke hieß, das geistige Niveau der Gesellschaft heben. Johann-Günther König macht das ganz alleine. Er hat viel für die Bremer Literatur getan: die Edition der Werke von Kastein, die erste vollständige Ausgabe der Erzählungen und Gedichte von Friedo Lampe, die Friedo Lampe Biographie und der Roman Ich war Pierre, Peter, Pjotr von Yves Bertho. Das ist die Geschichte eines zwangsrekrutierten französischen Fremdarbeiters in Bremen, der sich in eine Frau namens Ingrid verliebt. Ich glaube, ich muss den Roman mal der Frau schenken, die als Ingrid immer wieder in diesem Blog vorkommt.

Sein neuestes Buch, das am 1. März erscheint, scheint nichts mit Bremen zu tun zu haben. Aber es ist der Bremer Johann Carl Friedrich Gildemeister, der das Gut Klein-Siemen bei Kröpelin erwarb und die Ansätze für eine moderne und rationelle Agrikultur legte. Gildemeister war ein Freund des Bürgermeisters Johann Smidt, aber wichtger ist seine Freundschaft mit Wilhelm Olbers, mit dem er zu den Gründern der Astronomischen Gesellschaft gehört. 1812, als sein Sohn Johann Gustav geboren wird, der ein bedeutender Orientalist werden wird, zieht er nach Bremen zurück. Johann Gildemeister ist nicht nur der Vater des Orientalisten, er ist auch der Vater von Otto Gildemeister, des gebildetsten Mannes, den Bremen im 19. Jahrhundert hatte. Johann-Günther König hat jetzt die Chronik von Klein Siemen geschrieben, mit erhellenden Berichten des Bremer Gutsherrn Johann Gildemeister. Also ist es doch wieder ein Buch über Bremen. 
 

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