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Freitag, 25. Februar 2022

Politik und Stil


Der Riss, der durch die englische Gesellschaft geht, ist hier zu sehen. Die Bildmitte trennt zwei Welten, links die jungen Herren mit Zylinder, die zu einer Public School gehen, rechts die Jungens, die zu der sozialen Schicht gehören, die der Engländer working class nennt. Zwanzig der englischen Premierminister seit Robert Walpole waren in Eton, das will schon etwas heißen.

Wenn man in Eton war und Premierminister wird, dann sieht man im Frack mit Seidenstrümpfen neben der Königin so aus wie hier Anthony Eden. Winston Churchill hat auch den Frack mit Seidenstrümpfen getragen, als er die Königin zu seinem Abschied als Premierminister in die Downing Street 10 eingeladen hatte. Die Seidenstrümpfe sind wichtig, weil man dann das blaue Band des Hosenbandordens umbinden kann, mit einer Frackhose ginge das nicht. Anthony Eden hat die Karriere gemacht, die wir von einem Eton Schüler erwarten. Der Sohn eines Baronets war Hauptmann im Ersten Weltkrieg, bekam das Military Cross und studierte danach in Oxford am Christ Church College, sieben englische Premierminister waren da auch.

Aber Eton und Oxford sind keine Garantie, dass sie einen englischen Gentleman mit Stil hervorbringen. Wir haben da im Augenblick ein Gegenbeispiel, der Herr heißt Boris Johnson. Wir können ziemlich sicher sein, dass er niemals in einem Frack mit Seidenstrümpfen neben der Königin stehen wird. Und den Hosenbandorden wird er auch nie bekommen. Eleganz, Stil und gutes Benehmen sind seine Sache nicht. Die finden wir eher bei Sir John Major, dem ersten konservativen Premier, der nicht aus einer wohlhabenden Familie kam, und der nicht Eton und Oxford in seine Biographie schreiben konnte. Er hat für eine classless society geworben, wovon die Engländer immer noch soweit entfernt sind, wie unter dem ersten Premier Robert Walpole im 18. Jahrhundert. John Major hat Boris Johnson in den letzten Jahren immer wieder scharf kritisiert, er kann das tun, er ist ein ehrlicher Mann. Das kann von Johnson niemand sagen.

Politik und Stil, geht das zusammen? Sie können auf dieem Photo sehen, dass diese Dame aus einer anderen Welt kommt als Boris Johnson. Sie heißt Millicent Fenwick und wurde heute vor einhundertzwölf Jahren geboren. Einer ihrer Mitarbeiter hat sie die Katharine Hepburn of politics genannt. Und gesagt: With her dignity and elegance, she could get away with saying things others couldn't. Das sind Wörter, die man in der Politik selten hört, dignity und elegance. Fenwick, die drei Sprachen fließend beherrschte, besuchte eine vornehme Privatschule und die Columbia University. Sie war Model für Harper’s Bazaar und vierzehn Jahre Redakteurin der Zeitschrift Vogue. 1948 erschien ihr Buch Vogue’s Book of Etiquette, das sich mehr als eine Million mal verkaufte. Der Kirkus Review schrieb 1948: 

This is a mammoth -- and with the prestige of the Vogue name, it should roll up a substantial- and permanent- sales record. Taking into consideration the new and more human approach to the subject, the revolutionary changes of the last 20 years, the author presents her work as a new standard, based on what millions now accept. Good taste is a matter of feeling as well as knowing, but an authoritative reference book on established custom and procedure backs up feeling with knowledge. She discusses under Winners in General a wide range of topics, from manners in public places to manners on the job, with table manners, tipping, clubs, personal publicity, word usage as only a few of the things covered. Subsequent sections take up specifically Ceremonies and Events, Weddings, Household Customs, Furnishing a House, Entertaining. There is inevitably some overlapping and repetition. There's a tendency to direct a good deal of the text to the monied classes. But the facts are there, in friendly, readable, practical form.

Nach dem Leben in der Modewelt wurde sie Politikerin und Diplomatin. Bei den Republikanern, weil ihr Vater auch Republikaner gewesen war. Sie passte mit ihrer liberalen Haltung nicht so ganz in die Partei. Walter Cronkite hat sie das Gewissen des amerikanischen Kongresses genannt. Sie setzte sich für die Menschenrechte und für die Rechte der Frauen ein. Sie war eine Bürgerrechtlerin und bewunderte Martin Luther King. Und ja, sie rauchte Pfeife. Auch im Repräsentantenhaus des Bundesstaates New Jersey. Die Republikanische Partei, die heute zu einem Trump Fan Club heruntergekommen ist, würde sie ausstoßen. Haben sie doch letztens ihre Mitglieder Cheney und Kinzinger gerügt, weil dieses eine persecution of ordinary citizens engaged in legitimate political discourse betrieben hätten. Mit legitimate political discourse ist hier der Sturm auf das Capitol gemeint. Ein Spaziergang, sozusagen.

Es wäre schön, wenn es in der Politik mehr Menschen wie Millicent Fenwick geben würde. Und weniger Leute wie Boris Johnson.

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