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Freitag, 4. März 2022

Tatra 77

Mir fällt nix ein. Nein, mir fällt schon etwas ein, worüber ich schreiben könnte, aber das dauert wieder lange. Da greife ich doch einmal zu dem Mittel der Wiederholung und stelle einen zehn Jahre alten Post hier ein. Mit einer sanften Überarbeitung. Es ist ein Post über Autos, ein Thema, das in diesem Blog immer wieder vorgekommen ist. Also zum Beispiel in dem Post Traumwagen. Oder den Posts Borgward und Borgward; die mussten geschrieben werden, weil ich aus Bremen bin. Meine Lieblingsposts von den ziemlich vielen kleinen Miszellen über Autos (die in dem inzwischen aufgegebenen Blog automobilia gesammelt sind) sind Cutty Sark und Des Königs Jaguar. Heute  am 4. März gibt es etwas zu einem sensationellen Automobil, das man nicht mehr auf den Straßen sehen kann, das kann man nur noch bei YouTube sehen.

Da lese ich in dem Wikipedia Kalender, dass heute vor 88 Jahren der Luxuswagen Tatra 77 in Paris vorgestellt wurde, das erste serienmäßig produzierte stromlinienförmige Automobil der Welt und sein Erscheinen auf dem Automarkt war eine Sensation. Ich will ja gerne zugeben, dass das ein eindrucksvolles Design ist (auch wenn man nach hinten absolut nichts sehen kann), aber ich hätte da doch eine kleine Anmerkung zu machen.

Denn schon im Januar desselben Jahres hatte die amerikanische Firma Chrysler ihr Modell Airflow der Öffentlichkeit vorgestellt. Allerdings waren das erst die Prototypen, die Serienproduktion kam einige Wochen später. Das wird bei Tatra nicht anders gewesen sein. Hauptsache, man kann der Öffentlichkeit etwas zeigen. Als Hamilton seine erste elektrische Uhr auf den Markt brachte (ja, die Ventura, die Elvis auch hatte), rannten die Direktoren bei der Pressekonferenz alle fünf Minuten hinter den Vorhang der Bühne. Nicht wegen Blasenschwäche, sie tauschten schlichtweg die Uhren aus. Weil sie das Problem mit den Batterien noch nicht gelöst hatten.

Man war bei Hamilton schon lange vor der Präsentation der Ventura auf das neue Design gekommen, diese schöne Art Déco Hamilton Spur datiert vom Ende der zwanziger Jahre. Es ist nicht nur das Design, das die Uhr auszeichnet, innen ist auch exzellente Technik. Die Werke, die Hamilton baut, sind besser als neunzig Prozent der Schweizer Uhrenindustrie. Nicht aus Zufall hat man Hamilton auch als Patek Philippe von Amerika bezeichnet. Aber dass Design, Funktionalität und qualitätsvoller Inhalt Hand in Hand gehen, ist nicht immer so. Auch Billiguhren von Waltham und Elgin können ein eindrucksvolles Art Déco Design haben. Und bei vielen amerikanischen Automobilen kaschiert stromlinienförmiges Design nur technische Unzulänglichkeiten. Unsafe at any speed gilt nicht erst, als Ralph Naders Buch 1965 erscheint.

Mir ist schon klar, dass da zwei Jahrzehnte zwischen dem Chrysler Airflow und der Hamilton Ventura liegen. Ich wollte mit diesem Beispiel nur darauf hinaus, dass sich manches im amerikanischen Design sehr lange hält, nachdem man das Art Déco adaptiert und es in etwas wie Depression Modern (wie Martin Greif das genannt hat) verwandelt hat. Ein Design, das immer noch modern, ja geradezu futuristisch wirkt. 

So ein Airflow von 1934 wäre heute schon wieder modern, und der Chrysler PT Cruiser orientiert sich ja auch an dem Design von 1934. Ein Tatra 77 wäre natürlich auch wieder modern, es ist wie bei allen Moden. Man muss nur lange genug warten, dann kommen sie wieder. Es dauert auch nicht lange, und da wird der Chrysler Airflow ganz schlicht und einfach kopiert. Wenn Sie hier klicken, können Sie den Toyota 66 bewundern. Was uns zeigt, dass die Produktpiraterie der Japaner viel früher anfängt, als wir manchmal denken. Sie bauen zu der Zeit mit der Kwanon X auch schon schöne Leica Kopien. Die Chinesen mit der Shanghai 58 II auch. Die Russen kommen mit ihrer Zorki erst 1948 auf den Markt.

Nicht alles, was die amerikanischen Designer entwerfen, kommt auch beim Kunden an. Dieser wunderbare 1948er Tasco, der im Auburn Cord Duesenberg Museum steht, ist ein Prototyp geblieben. Auch der Chrysler Airflow ist kein Publikumsrenner. Amerika muss sich erst an die Stromlinienform gewöhnen - obgleich die Amerikaner schon überall von dem neuen Design umgeben sind. Der Chrysler Airflow ist ja kein Zufall, er passt perfekt zu dem Chrysler Building.

Diese Chrysler Anzeige von 1934 spiegelt die Reaktion der Öffentlichkeit eigentlich gut wider, man bestaunt das Objekt, das aus einer fremden Welt gekommen zu sein scheint, man diskutiert. Aber es ist keine wirkliche Begeisterung in den Gesichtern der Betrachter, man sucht auch nicht die Nähe des Objekts, das eines Tages the mechanical bride (wie Marshall McLuhan das genannt hat) Amerikas werden wird. Man wahrt beinahe ehrfürchtig Distanz.

Andere Firmen, die konservativ langweilige Autos bauen, möchten aber auch ein wenig von diesem Gedanken des Fortschritts haben. So plaziert Oldsmobile 1933 in einer Anzeige, mit dem Titel Modern as the 'Century of Progress', zwei stinknormale Autos vor der Science Hall der Weltausstellung von Chicago. Und dann hofft man einfach, dass da ein bisschen Modernität abfärbt. So funktioniert Werbung. Oder auch nicht. Aber keine amerikanische Firma lässt in diesen Jahren den Hinweis auf die Modernität in ihrer Werbung aus: Dodge is styled to the minute (Dodge 1934), the new beauty of its extended front and modern, streamlined trunk (De Soto 1936), Streamlining, beautiful to the eye, has a deeper meaning in the Lincoln Zephir (Lincoln 1936).

Be Modern Buy Chrysler! Das klingt angesichts der Verkaufszahlen des Chrysler Airflow schon beinahe verzweifelt. Aber diese Anzeige hat doch einen ironischen Twist, der die Anzeige schon beinahe sophisticated macht. Und der liegt im Kleingedruckten auf der Tafel rechts im Bild. Da wird uns versichert, dass der Hut der Dame natürlich von Madame Suzy ist. Und ihr Kleid (das wir leider nicht sehen können) von Henri Bendel ist. Da muss das Auto natürlich ein Chrysler Royal Sedan von 1939 sein, anders geht das ja gar nicht.

Lassen Sie uns noch einmal zu dem Pariser Automobilsalon im März 1934 und zu diesem wahnsinnig coolen Automobil zurückkehren. Wurde in keinem Batman Film von Designern übertroffen! Laut einer nicht ganz sicheren Quelle, soll Adolf Hitler, gesagt haben, dass der große Tatra 77 sein Wunschauto für die Deutschen Autobahnen sei. Ich weiß jetzt nicht, ob er damit signalisieren wollte, dass auf den Autobahnen nur Tatras verkehren sollten oder ob er jetzt gerne selbst ein Exemplar hätte. Der Feldmarschall Erwin Rommel besaß einen Tatra 87, das Nachfolgemodell des Tatra 77. Als Hitler die Tschechoslowakei überfiel, hat er als erstes die Produktion des Tatra einstellen lassen. 

Was nun kommt, klingt wie ein Witz, ist es aber nicht. Denn die Firma Tatra hatte längst gegen Ferdinand Porsche, der am Volkswagen bastelte, Klage wegen Patentverletzungen am Design eingereicht. Der durch den Krieg unterbrochene Prozess hat sich bis in die sechziger Jahre hingezogen, VW musste dann eine Million Mark zahlen. Ferdinand Porsche hat zugegeben, dass er sich beim Design von seinem Volkswagen ein klein wenig an dem Tatra 97 orientiert hatte, der 1937 auf den Markt kam. Nur ein klein wenig.

Hitler brauchte natürlich längst keinen Tatra mehr, er und seine Satrapen fuhren inzwischen den Mercedes 500 K. Er hätte natürlich auch das Sondermodell Autobahn Kurier fahren können, war 180 km/h schnell. Die Nazis eignen sich das neue Stromliniendesign sofort an - auch wieder in der Hoffnung, dass etwas von diesem metallgewordenen Geist des Fortschritts auf sie abfärben möge. Gert Selle hat das in seinem Buch Die Geschichte des Design in Deutschland von 1870 bis heute: Entwicklung der industriellen Produktkultur sehr schön aufgezeigt.

Der Tatra 77 fährt (mit oder ohne Adolf Hitler) auf den deutschen Autobahnen, sogar 150 km/h schnell (nur der Maybach Zeppelin V12 und die Mercedes 500 K Modelle sind schneller). Man kann ihn damals in Deutschland kaufen. Wie auch viele amerikanische Autos. General Motors und Ford sind längst hier, das Buch Autos in Deutschland 1920-1939 von Hans-Heinrich von Fersen gibt da eine schöne Übersicht.  Es ist die Zeit der Luxusautomobile, in Amerika wie in Deutschland. Man kann von ihnen träumen, wie von diesem Horch Sportwagen aus dem Jahre 1937, aber nur die wenigsten können sich die stromlinienförmigen Schönheiten leisten. Aber ein wenig träumen darf man ja noch. Das ist für viele das Einzige, was vielen in diesen Jahren bleibt. Meine Mutter hat ihren Wanderer W24 bei Kriegsbeginn auf der Bürgerweide in Bremen abstellen müssen, sie bekam dafür eine Empfangsbestätigung. Das Auto hat sie nie wiedergesehen.

Diese Anzeige zeigt die Wahrheit des Satzes, dass ein Bild mehr als tausend Worte sagt. Die Vorteile der Stromlinie werden hier dem potentiellen Käufer vor die Augen geführt. Die Firma Tatra, die sich an den europäischen Markt wandte, konnte diese Anzeige in jedem Land einsetzen. Heute bestimmt nur noch der Strömungswiderstandskoeffizient (vulgo cw-Wert) das Automobildesign. Aber so hübsche absurde Dinge wie dieser Mercedes 500 K mit der Karosserie von Erdmann & Rossi da unten kommen dabei nicht mehr heraus.







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