In der Staats- und Universitätsbibliothek Bremen wird heute die Ausstellung Friedo Lampe 1899–1945: Zum Leben und Werk eines bedeutenden bremischen Schriftstellers eröffnet. Dr Johann-Günther König, der die Ausstellung kuratiert hat, wird den Eröffnungsvortrag halten. Wahrscheinlich wird er so etwas Ähnliches sagen wie: Dem Werk Lampes wäre es zu wünschen daß es den Status als ewiger Geheimtip hinter sich ließe, um die Beachtung zu finden, die ihm gebührt. Als wichtiges Element auf dem Weg zum polyperspektivischen Roman und fernab aller germanistischer Erörterung, als hinreißendes Lektüreerlebnis. Es sind Sätze, die immer wieder gesagt werden, sozusagen routinemäßig. Hier stammen sie von Tilman Spreckelsen und stehen hinten auf dem Cover der Neuauflage von Septembergewitter. Der Bremer Schriftsteller und Publizist Johann-Günther König ist schon zweimal in diesem Blog erwähnt worden. Zum einen in dem Post Geistiges Bremen, und zum anderen in dem Post Pik Adam. Dort steht auch, dass mir Johann-Günther König die Friedo Lampe Biographie geschenkt hat, die er gerade veröffentlicht hatte (die ersten Kapitel des Buches können Sie →hier lesen). Die könnte ich jetzt lobend besprechen, aber ich lasse das, weil ich im Internet eine sehr ausführliche Besprechung gefunden habe.
Dies ist nicht die erste Friedo Lampe Ausstellung in Bremen, es gab 1995 zum fünfzigsten Todestag des Schriftstellers schon einmal eine Ausstellung mit einem ähnlichen Titel. Der 97-seitige Katalog von Elisabeth Ernter, Johannes Graf und Jürgen Dierking ist antiquarisch noch zu finden. Es werden immer wieder Versuche gemacht, den Bremer Schriftsteller mit dem schmalen Werk bekannter zu machen. Der Satz vom ewigen Geheimtip ist immer wieder wiederholt worden. Gänzlich unbekannt ist er ja nicht, es gab vor zwanzig Jahren sogar schon eine Dissertation von Annette Hoffmann über Lampe, die man hier im →Volltext lesen kann. Und in diesem Blog ist er seit elf Jahren auch kein Unbekannter:
Im Jahre 1933 erschien sein Roman 'Am Rande der Nacht', ich las ihn damals mit großer Anteilnahme, denn es waren auch dann schon deutsche Prosadichtungen von solcher Qualität sehr selten (...). Und was damals (...) so schön und stark ansprach, ist nicht verblaßt und hat standgehalten, es bewährt sich auf schönste und fesselt und entzückt wie einst, man ist dankbar für die Mehrzahl der hinzugekommenen kleineren Dichtungen, und einige davon, vor allem 'Septembergewitter', ergänzen und verstärken den Eindruck (...). Ich werde diesen Band, für den der Verleger gepriesen sei, allen meinen Freunden empfehlen. Das schreibt kein Geringerer als Hermann Hesse über den Bremer Schriftsteller Friedo Lampe. Und Jahre später schrieb Wolfgang Koeppen, der auch zugab, von Friedo Lampe viel gelernt zu haben: er war auf seine stille Art avantgardistisch, und er hätte zugleich auch volkstümlich sein können, denn seine Prosa war, obwohl für die Zukunft geschrieben, in der Form nicht verwirrend und experimentell, sondern strömte sicher aus einer deutschen Überlieferung, die bis zu den ältesten Märchen zurückreicht. Und der Autor von Tauben im Gras urteilte über das Werk: Friedo Lampe schrieb dichterische Prosa, Sätze voller Schwermut, zart und kräftig zugleich in Geschichten, die vom ersten Wort an die Spannung des Unheimlichen hatten, auch wenn sich Unheimliches in ihnen gar nicht ereignete. Sie waren bürgerliche Welt, diese Geschichten, aber auf magische Weise durchschaute bürgerliche Welt (...). Es ist kein umfangreiches, aber ein wichtiges, vollendetes, nobles, noch unausgeschöpftes Oeuvre, voll von Lesefreuden, ein Lehrbuch für junge Schriftsteller, und ich glaube, es zählt zum Bleibenden der deutschen Literatur.
Wer glaubt das heute noch? Denn den so Gelobten kennt heute ja kaum noch einer. Was schade ist. Dabei ist sein schmales Werk durchaus noch lieferbar. Wenn auch der Rowohlt Band Das Gesamtwerk von 1955 nur noch antiquarisch zu finden ist, hat sich doch der rührige Wallstein Verlag in Göttingen (bei dem auch Königs Biographie erschienen ist) daran gemacht, das Wichtigste wieder auf den Buchmarkt zu bringen. Als Taschenbuchausgabe erschienen beim dtv Verlag von 2003 bis 2005 Septembergewitter, Am Rande der Nacht und Von Tür zu Tür. Die Texte sind identisch mit der Ausgabe von Wallstein, sind aber heute nicht mehr im Programm von dtv.
Rowohlt hatte 1955 den Das Gesamtwerk betitelten Band in einer Reihe Erzählungen großer Autoren unserer Zeit in Sonderausgaben mit einem Nachwort von Johannes Pfeiffer auf den Markt gebracht. Diese Ausgabe ist noch Jahrzehnte lieferbar gewesen, auch wenn sie bei Rowohlt geflucht haben, weil sie für die Einzelbestellung eines Buchhändlers in den Keller klettern mussten. Das weiß ich, weil mir mein Buchhändler das erzählt hat, denn ich habe von Zeit zu Zeit diesen Band gekauft, um ihn zu verschenken. Das muss man als Bremer einfach tun, wir haben ja nicht so viele Schriftsteller. Über Konrad Weichberger habe ich ja schon einmal geschrieben, und Rudolf Lorenzen und Karl Lerbs haben auch schon einen Post. Über Marga Berck und Sommer in Lesmona schreibe ich irgendwann gerne noch einmal. Rudolf Alexander Schröder lasse ich lieber aus, ich mag ihn nicht. Und das Gleiche gilt für Manfred Hausmann. Da musste man als Kind immer still sein, wenn man an seinem Haus vorbeiging, weil da der große Dichter dichtete. Über seine Rolle bei den Nazis bewahrte man dann auch lieber Stille.
Mit den Nazis hat Friedo Lampe nun gar nichts zu tun. Sie haben seine schriftstellerische Karriere beendet. Ich habe eben immer Pech mit meinen Büchern, hat er einmal gesagt. Rowohlts Ausgabe des Gesamtwerks erschien genau zehn Jahre nach seinem Tode (1986 haben Jürgen Dierking und Johann-Günther König die Edition von Pfeiffer noch einmal kritisch überarbeitet). Der Band erschien in einer Reihe, in der sich Lampe in der Nachbarschaft von Baldwin, Camus, Hemingway und Thomas Wolfe befand. Und das eigentlich zu Recht. Denn mit dem Südstaatenautor Thomas Wolfe zum Beispiel hat er vieles gemein. Dessen Werk hatte der junge Dr Lampe kennengelernt, als er Lektor bei Rowohlt war. Marcel Proust, mit dem er manches gemein hat, hat er aber erst 1943 für sich entdeckt: Ich habe in diesen Tagen einen Schriftsteller für mich entdeckt, seit langem mal wieder einen Schriftsteller, der für mich eine neue Welt bedeutet: Marcel Proust war früher für mich nur ein berühmter Name, und ich glaubte, ich könnte nichts mit ihm anfangen. Großartig, ein ganz zartes, höchst kunstvolles episches Gewebe, äußerste Delikatesse der Darstellung, äußerste Wahrhaftigkeit und Echtheit. Wunderbare Beobachtung und Psychologie.
Die Literaturwissenschaft hat eine Vielzahl von Namen ins Spiel gebracht, zu denen sein Werk eine Nähe haben soll, wie zum Beispiel Herman Bang oder Eduard von Keyserling. Mit diesen beiden Namen wurde er schon durch die Verlagswerbung bei seinem ersten Roman verbunden. Und Kurt Kusenberg hat gesagt: Man hat Hermann Bang als Lampes literarischen Lehrmeister bezeichnet. Lampe fühlte sich vor allem dem Balten Eduard von Kyserling verpflichtet. Auch ein anderer, näherer, gleichsam hanseatischer Einfluß ist nicht zu übersehen, der des frühen Thomas Mann. Aber das alles überzeugt mich nicht so sehr, denn ich finde vieles bei ihm ziemlich einzigartig. Er schreibt geradezu filmisch, das tut keiner der angeblichen Vorgänger. In einem Brief vom 14. Februar schrieb er über seinen Roman Am Rande der Nacht, der im Oktober 1933 bei Ernst Rowohlt in Berlin erscheint: Es soll ein kleines Buch werden. Eine ziemlich wunderliche Sache. Wenige Stunden, so abends zwischen 8 und 12 in einer Hafengegend, ich denke dabei an das Bremer Viertel, in dem ich meine Jugend verbracht habe. Lauter kleine, filmartig vorübergleitende, ineinander verwobene Szenen nach dem Hofmannsthalschen Motto: 'Viele Geschicke fühle ich neben dem meinen, Durcheinander spielt sie das Dasein': Alles leicht fließend, nur ganz locker verbunden, malerisch, lyrisch, stark atmosphärisch. Das beschreibt seinen Roman ziemlich genau. Das hier zitierte Hofmannsthalsche Motto hat er auch seinem Roman vorangestellt.
Im Januar 1934 wurde Lampes Roman auf die Liste der Verbotenen Druckschriften gesetzt. Als sich Lampe bei einem Bekannten in der Reichsschrifttumskammer darüber beschwerte, bekam er den guten Rat, doch ein deftiges SA-Buch zu schreiben. In einem verbliebenem Exemplar des Buches notierte er die Zeilen: Mein Kind, bei der Geburt so gesund und rot, / Aber nach vier Wochen, da war es tot. / Es liebte die Lüfte mild, frei und weich, / Es konnte nicht atmen im Dritten Reich. / Aber wir haben Geduld und wollen mal sehn, / Vielleicht wird es noch einmal auferstehn. Der Beschlagnahmte. Zehn Jahre später schrieb der Autor, der über sich gesagt hatte Ja, das möchte ich wirklich: volkstümlich und schlicht und doch neu in der Form sein, in einem Brief: Man sieht die alte Welt aufbrennen. Die Menschen haben selber das Feuer heraufbeschworen, um sich zu verbrennen und zu vernichten. Sie haben Recht und Freiheit nicht mehr zu schätzen gewußt, nun müssen sie es durch diese bitteren Erfahrungen wieder lernen.
Nach dem Krieg ist Am Rande der Nacht 1949 bei Rowohlt unter dem Titel Ratten und Schwäne erschienen, dem Band waren noch kleinere Skizzen und Gedichte beigegeben. Diese Rowohlt Ausgabe ist heute noch antiquarisch zu finden, ebenso wie Das Gesamtwerk. Im Projekt Gutenberg kann man →Ratten und Schwäne (Rowohlt 1949) und →Von Tür zu Tür (Claassen und Goverts 1946) lesen. Die Ausgaben des Wallstein Verlages unterscheiden sich von den Rowohlt Texten dadurch, dass man die Änderungen und Kürzungen, die Lampe während des Krieges und sein Freund Johannes Pfeiffer 1955 vorgenommen hatte, wieder rückgängig gemacht hat. Ich hoffe, ich habe Sie jetzt ein wenig neugierig gemacht auf diesen deutschen Schriftsteller, dem man das Etikett Magischer Realismus verpasst hat. Und eine kleine Textprobe (aus Am Rande der Nacht) habe ich auch:
Einen Augenblick war es ganz still, und dann hob eine dünne Kinderstimme zu singen an, erst schwankend und ungewiß, ein flackerndes Flämmchen, dann immer klarer ansteigend, hell und durchdringend, silbern-reine Tonkreise ziehend, in den Garten in den vollen Nachthimmel hinein. Und die Leute da unten schwiegen und lauschten, mit nach oben gekehrten Gesichtern, befremdet, tonbeglänzt und erheitert, sahen in die Baumkrone in den Nachthimmel, sahen klingend die grausilberne, ein wenig verbeulte Mondscheibe durch Wolken rollen, sahen angeleuchtete, aufgeleuchtete Wolken in schweren, warmen Wind dahinsegeln, fühlten die laue Strömung der Nachtluft, die Kühlung des Gesanges, die Stille des Augenblicks.
Ich lasse hier für einen Augenblick erst einmal das letzte Wort dem Schriftsteller Kurt Kusenberg, den ich sehr mag, weil er die Rowohlts Monographien herausgegeben hat und Jacques Prévert übersetzt hat. Er schrieb in seinem Epitaph für Friedo Lampe im Merkur (1950): Hier soll, mit Worten, ein kleiner Gedenkstein errichtet werden für einen Erzähler, der ein dauerhafteres Monument verdient. Dieses freilich müßte ihm seine Vaterstadt Bremen setzen, doch darf man zweifeln, daß sie dergleichen im Sinne habe. Die hansischen Städte sind spröde, sie feiern ihre verlorenen Söhne nicht oder nur widerstrebend, und ein Künstler ist immer ein verlorener Sohn. Ihn, Friedo Lampe, halb zu vergessen, aber wäre eine Unachtsamkeit, die nicht statthaft ist, und eine Geschichte der neueren deutschen Literatur, die ihn mit drei Zeilen abtut, ermangelt der richtigen Wertsetzung. Und mit seiner Meinung über die Sprödigkeit der Hansestadt Bremen gegenüber ihrem verlorenen Sohn hat Kusenberg schon Recht gehabt. Die haben zwar in Oberneuland eine kleine Sackgasse, die vom Rilkeweg abgeht, die Friedo Lampe Weg heißt, aber das ist auch schon alles.
Zwischen der Friedo Lampe Ausstellung von 1995 und der Ausstellung vom heutigen Tag hat sich in Bremen viel getan, sehr viel. Für zwei der Herausgeber des Katalogs von 1995 war dies nicht das Ende ihrer Beschäftigung mit Friedo Lampe. Johannes Graf, der gerade seine Magisterarbeit über Lampe geschrieben hatte, gab 2003 bei Wallstein Am Rande der Nacht neu heraus. Vor zwei Jahren erschien sein kleines Buch Friedo Lampe (1899-1945): Die letzten Lebensjahre in Grünheide, Berlin und Kleinmachnow. Der zweite Herausgeber des Katalogs, Jürgen Dierking, hat sich um die Bremer Literatur höchst verdient gemacht. Er war der Mitherausgeber und Redakteur der 1987 gegründeten Bremer Literaturzeitschrift Stint und hat Kasteins Roman Melchior herausgegeben (den mir mein Freund Peter, der mich immer mit Bremensien auf dem Laufenden hielt, geschenkt hatte).
Dierking hatte zusammen mit Johann-Günther König die Friedo Lampe Gesellschaft gegründet, die 1999 das Buch Ein Autor wird wiederentdeckt: Friedo Lampe 1899-1945 herausbrachte. In dem sich das schöne Zitat von Martin Beheim-Schwarzbach findet: Friedo Lampes Werk ist nicht mehr tot oder halbtot, sondern springlebendig, so lebendig, wie nur etwas sein kann, was aus reinem Geiste, reiner Anschauung, urwüchsiger Gestaltungskraft auf das sauberste gemacht ist. Man dreht es mit einem echten Glücksgefühl in den Händen, durchblättert und beschmökert es, liebkost seine Titel, läßt den Geruch seiner Sinnenfreudigkeit, das Aroma seines warmen, klaren Stils in sich einströmen, jenes Aroma, das einen ... mit derselben Frische anweht, die ihm anhaftete, als Lampe seinen Freunden vorlas. Dierking war dabei, eine Biographie über den Schriftsteller zu schreiben, die Friedo Lampe (1899–1945): Ein kurzes deutsches Schriftstellerleben heißen sollte. Dazu ist er leider nicht mehr gekommen, sein Freund Johann-Günther König hat ihm einen schönen Nachruf geschrieben.
Den Michael Augustin, der seit 1979 Redakteur bei Radio Bremen ist, den kenne ich. Wir haben zusammen studiert. 1999 hat er die CD Am Rande der Nacht, Texte und Materialien herausgegeben, die man hier auf ✺YouTube hören kann. Auch bei YouTube kann man das Hörspiel ✺Am Rande der Nacht hören, das Christiane Ohaus produziert hat. Eine der wichtigsten neuesten Publikationen zu Friedo Lampe habe ich noch hinzuzufügen. Die oben erwähnte Dissertation von Annette Hoffmann und die Biographie von König sind nicht das letzte, was genannt werden muss. Da ist noch eine ungeheure philologische Sammelarbeit zu nennen, die über 1.000-seitige zweibändige Ausgabe der Briefe und Zeugnisse von dem ehemaligen Bibliotheksleiter der Museumsgesellschaft Zürich Thomas Ehrsam.
Auf diesem Familienbild ist Moritz Christian Friedrich Lampe, den seine Familie Friedo nennt, achtzehn Jahre alt. Man ist gerade aus dem Hafenviertel zum feinen Osterdeich umgezogen, schräg gegenüber vom heutigen Weserstadion. Den richtigen Krieg wird er nicht sehen, die Knochentuberkulose seiner Kindheit hatte ihre Spuren hinterlassen. Er leistet von 1917 bis 1918 einen Militärersatzdienst in der Ersatzreserve des Infanterie Regiments Nr. 75. Die Front bleibt ihm erspart, dafür hat er die Langeweile der Küchenverwaltung. Er war noch keine 18 Jahre alt, da hatte er bereits die Werke von mehr als vierzig hochrangigen Schriftstellern aus dem In- und Ausland einschließlich der Klassiker der griechischen, römischen, französischen und englischen Literatur gelesen, heißt es in Königs Biographie über den jungen Lampe. Das könnte ich auch von mir sagen, und das trifft damals wahrscheinlich auf viele Kinder des gebildeten Bürgertums zu.
Lampe studierte von 1920 bis 1928 Literaturwissenschaft, Kunstgeschichte und Philosophie und schreibt 1928 eine Dissertation über Leopold Friedrich Günther von Goeckingks Lieder zweier Liebenden. Die 148-seitige Arbeit wird 1930 gedruckt. Drei Jahre später erscheint sein erster Roman, der nun gar nichts mit dem 18. Jahrhundert zu tun hat, der ganz neu und modern ist. Es ist eine kleine Welt, die er uns beschreibt: Überwirklich aber ist, bei großer Wirklichkeit, die Atmosphäre sämtlicher Erzählungen: ihre morbide Bürgerlichkeit, ihre wohlige Melancholie, ihre Transparenz. Die Menschen leben ihr Leben wie einen Traum. Immer ist Bremen der Schauplatz, und immer liegt im Hafen ein Schiff oder ein Boot, das sich losmacht und davonfährt, in die Ferne, in die Sehnsucht, in den Tod, schreibt Kurt Kusenberg 1950 im Merkur. Über die Technik des Erzählens hat Kusenberg gesagt: Jenes Ineinandergleiten von Räumen und Zeiten, welches man bisweilen Surrealismus zu nennen beliebt, hat Lampe als Kunstmittel angewandt.
Friedo Lampe hat einen guten Wikipedia Artikel bekommen, das ist bei diesem Internet Lexikon nicht die Regel. Dort kann man über seinen Stil lesen: Lampe ordnete sich dem magischen Realismus zu (den er selbst bei Goethe aufzuspüren meinte). Lyrisch dichte, rhythmisierte und atmosphärisch angereicherte Prosa und regional eingefärbte umgangssprachliche Dialoge wechseln sich ab. Er verwendete in seinen Werken häufig eine an den Film angelehnte Darstellungstechnik: Schnitte, Schwenks, Überblendungen. Die Beziehung zu Goethe findet sich 1944 in dem Nachwort zur Novelle, die Lampe herausgegeben hatte: Hier ist etwas in hoher Vollendung erreicht, was wir heute als 'magischen Realismus' bezeichnen würden. Die Welt in einen Geheimniszustand gehoben.
Den magischen Realismus finden wir in den dreißiger Jahren ja eher in der Malerei, bei Oelze und Radziwill zum Beispiel (ich zitiere diese beiden Maler gerne, weil ihre Posts über 12.000 Leser haben). Das schöne Bild in dem Absatz oben ist von dem Amerikaner John Rogers Cox, dies Gewitterbild aus dem Jahre 1930 ist von Franz Radziwill, der ebenso wie Lampe im Hafenviertel Walle aufwuchs. Doch neben der Kunst gibt es den magischen Realismus auch in der Literatur. Ich zitiere einmal ein Stückchen aus dem Septembergewitter, und da haben wir es: Da sind sie: Lauter kleine, filmartig vorübergleitende, ineinander verwobene Szenen nach dem Hofmannsthalschen Motto: 'Viele Geschicke fühle ich neben dem meinen, Durcheinander spielt sie das Dasein', das macht den magischen Text:
Und das Gewitter rauschte über die Stadt dahin, über Stadt und Wiesen und Fluß. Die schweren hängenden Wolkenbäuche platzten, und der Regen strömte in die Gärten und auf die Dächer, und die Blitze umzuckten den Ägidienkirchturm, und die Blumen auf den Gräbern lagen zerquetscht an der Erde, und der Großvater stand am Fenster und schaute mit Sorgen auf sie hin. Und der Wind schüttelte die Segel auf dem Fluß und füllte sie prall und riß den Dampfern den Qualm vom Schornstein und fuhr in die Straßen, daß der Staub wirbelte, und schlug die offenen Fensterscheiben zu und das Glas klirrte. Schwül war es gewesen und dumpf und still in der Stadt, und traurig war das Leben geflossen, aber nun rauschte und knatterte das Gewitter, und es war ein Lachen und Schreien und Jubeln ausgebrochen in den Lüften und ein Pauken und Beckenschlagen, und Trude Olfers stand auf dem Balkon mit fliegendem Haar und sang und fühlte die große Vermischung, und der Schwan in dem Graben unter ihr auf dem wogenden dunklen Wasser hob sich weit aus der Flut und schlug mit den Flügeln und reckte den Hals und schrie.
Am 28. März 1945 schrieb Friedo Lampe an Johannes Pfeiffer: Wir müssen in einer andern Richtung zu denken lernen, aber das ist sehr schmerzlich und schwer, besonders für Sinnenmenschen wie mich. Ganz am Ende winkt da eine Freiheit und Heiterkeit, ein Losgelöstsein von allem Irdischen und eine Einsicht in die Hinfälligkeit und Vergänglichkeit alles Irdischen, die frühere Zeiten nur in seltenen ähnlichen Momenten erlebt haben. Mit solchen Gedanken quäle ich mich nun rum, um einen Sinn für mich in allem Geschehen zu finden. Wenig später war er tot, erschossen von einem russischen Soldaten, der ihn für einen SS Mann hielt.
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