Samstag, 6. August 2022

in vino veritas


Die Dame am Telephon hörte nicht auf zu reden. Sie hatte mich mit meinem Doktortitel angeredet und als langjährigen und geschätzten Kunden ihres Hauses begrüßt, dem sie einige italienische Spitzenweine anbieten könne. Es brachte sie ein klein wenig aus der Fassung, dass ich ihr sagte, dass ich noch nie etwas von ihrer Firma gehört hätte. Und dass ich überhaupt keinen Wein tränke. Aber sie redete weiter und zählte, mit gekonnter Aussprache, eine Reihe von italienischen und französischen Weinen auf, die offenbar ganz besondere Okkasionen darstellten. Nur für mich. Ich wiederholte meinen Satz mit der Weinabstinenz, sagte ihr aber, dass ich gerade in meinem Blog über eine Bremer Weinhandlung geschrieben hätte. Den Wein, den meine Gäste bei der Geburtstagsfeier trinken, bekomme ich von Tiemann bei mir um die Ecke. Den Wein der Fremdenlegionäre, den mir Hans Fander geschenkt hat, habe ich noch nicht angerührt. Wenn ich Wein im Versandhandel bestellen wollte, dann würde ich ihn bei der Bremer Firma Reidemeister und Ulrichs bestellen, wo schon mein Vater kaufte. Nach fünfzehn Minuten des Anpreisens allermöglichen Weine, gab die Dame auf. Ich empfahl ihr die Lektüre meines Blogs, sie gab mir die Adresse ihrer Firma.

Wein, egal ob weiß oder rot, ist nicht mein Ding. Den in den fünfziger Jahren in der Bourgeoisie ausgebrochenen Kult mit den angeblichen Weinkenntnissen, wo erstmal bei jeder gesellschaftlichen Zusammenkunft eine Stunde pseudo-fachmännisch über den Wein geredet wurde, machte ich nicht mit. Denn die da so fachmännisch redeten, kauften doch alle ihren Wein im Bremer Ratskeller und vertrauten darauf, dass die Qualität stimmte. Denn zum Ratskeller, den ein Freund von mir letztens als Frittenbude im Tiefparterre bezeichnete, gehört eine Weinhandlung. Da dufte man mit dem Auto hinten, wo die Plastik mit den Stadtmusikanten steht, ans Rathaus heranfahren und aus dem Kontor die Kartons mit den Weinflaschen einladen.

Im 19. Jahrhundert mag es in Bremen richtige Weinkenner gegeben haben, aber jetzt? Niemand, der seinen Karl Lerbs gelesen hat (und damit wächst man in Bremen auf) wird die wunderbare Anekdote vergessen, wo zwei gewichtige alte Herren nach einem männermordenden Festessen (und da fügt Lerbs ein ach, es ist lange her ein) mit einer Brasil im Mund jene sachte Anhöhe am Stadttheater hinuntertrudeln die der Bremer mit überschwenglicher Selbstironie Theaterberg nennt. Und dann folgt dieser Monolog:

Essen – war dscha gut; will ich nix gegen sagen. Weine – waren dscha tadellos. Aber dass er uns zu’n Käse den 78er Latour gibt, wo ich doch ganz genau weiß, dass er den 81er Lafitte in’n Keller hat – nu bitt ich Sie, was soll das?!

Das findet sich in der Geschichte Kritik, und zu meiner großen Überraschung habe ich im Projekt Gutenberg gefunden, dass dort die beiden Bände von Der lachende Roland  und der Roman Manuel im Volltext zu lesen sind. Und der Lebenslauf von Karl Lerbs findet sich dort auch: Geboren am 22. April 1893 in Bremen als Sohn des Großkaufmanns Johann Friedrich Lerbs und Frau Hedwig, geborenen Grimm, einer Nachfahrin der »Märchen-Grimms«, war mein Leben immer bestimmt durch zwei entscheidende Dinge: Die hanseatische Haltung und einen schweren Körperschaden, der mich von jeher auf einen rein geistigen Beruf und Ehrgeiz festlegte. 1912 Abitur am Alten Gymnasium in Bremen; es folgten zwei Jahre Lehrzeit im Ladenbuchhandel; 1914 redaktionelle Schulung durch Theodor Etzel, den unvergeßlichen Freund, bei der Volkszeitschrift »Die Lese« in Stuttgart. 1915–1917 Redakteur an der »Wochenschau« in Essen; sodann Feuilletonist und Theaterkritiker am »Bremer Tageblatt« und der »Weser-Zeitung«. Seit 1925 freier Schriftsteller mit einer Unterbrechung: 1933–1935 Dramaturg am Bremer Schauspielhaus. Seit 1917 durch Eintritt in die Loge »Herder« in Bremen Freimaurer, auch nach der gewaltsamen Auflösung der Logen; daher keine ideelle und praktische Verbindung mit dem Nationalsozialismus. 1936 verheiratet mit der Schauspielerin und Schriftstellerin Renate Lienau; zwei Kinder. 1941 Übersiedlung nach Untertiefenbach bei Sonthofen.
     Arbeitsgebiete: Kurzerzählung (besonders Anekdote); Roman; Dramatisches; Film und Funk; Sammelbücher; Übersetzungen und Bearbeitungen, besonders aus dem Englischen und Französischen; Theater- und allgemeine Kulturpolitik, Glosse.

Jeder kennt Karl Lerbs als den Autor von Der lachende Roland und dem Völkerspiegel, aber nur wenige kennen Karl Lerbs als Übersetzer, dabei ist seine Leistung erstaunlich. 1913, kurz nach dem Abitur und dem gerade begonnenen Volontariat in einer Bremer Buchhandlung, hatte er sich beim Leipziger Insel Verlag beworben. Er bekam eine Absage, aber zwei Jahre später nahm man ihn doch als Übersetzer. In zwanzig Jahren hat er für den Insel Verlag siebzehn Bücher übersetzt. Das meiste davon waren Erstübersetzungen. Ein Würdigung seiner Tätigkeit findet sich in STiNT: Zeitschrift für Literatur 1987-2006. Der Verfasser ist Jan Osmers, der auch schon Konrad Weichberger und Carl Jonas Love Almqvist vor dem Vergessen bewahrt hatte.

Lerbs hat Herman Melville übersetzt (Bartleby der Schreiber), D.H. Lawrence und Virginia Woolf (Orlando und Die Fahrt zum Leuchtturm), seine Übersetzung von Duff Coopers Talleyrand steht bei mir im Regal. Im Wikipedia Artikel zu Lerbs findet sich eine Auswahl seiner Übersetzungen. Was nicht erwähnt wird, ist die Tatsache, dass Lerbs der erste deutsche Übersetzer von Sherwood Anderson gewesen ist. Das ist jener amerikanische Schriftsteller, den William Faulkner am Anfang seiner Karriere um Rat gefragt hatte. Und der hatte ihm gesagt: You have to have somewhere to start from: then you begin to learn. It dont matter where it was, just so you remember it and aint ashamed of it. Because one place to start from is just as important as any other. You’re a country boy; all you know is that little patch up there in Mississippi where you started from. Und das wird Faulkner tun, er wird that little patch up there in Mississippi auf die Landkarte der Weltliteratur schreiben. 

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