Freitag, 19. August 2022

die Postbotin


Gott, war das junge Mädchen hübsch. Sie mochte vielleicht zwanzig sein, hatte rote Haare und Sommersprossen. Und trug eine nagelneue Postuniform. Vielleicht war dies ihr erster Tag. Sie war schon mit den Nerven fertig, als sie klingelte, die Hälfte der Post fiel ihr auf den Boden. Wir hoben sie gemeinsam auf. Dann schleppte sie ihre gelbe Plastikkiste voller Post die Treppe rauf. Es war Sonnabend, halb vier. Das war neu, dass die Post um halb vier kam. Dass überhaupt an einem Sonnabend Post kam. Montags kommt ja nie mehr Post. Man gewöhnt sich dran. Das Mädchen brauchte lange, bis sie mit ihrer Plastikkiste durch die vier Stockwerke gekommen war. Ich wartete. Als sie die Treppe wieder herunterkam, reichte ich ihr eine Packung von Walkers Ginger Shortbread. Nervennahrung für unterwegs, sagte ich. Jetzt war sie wirklich am Heulen. Sie bedankte sich. 

Ich gewöhnte mich an die neuen Zeiten, meistens sah ich die Postboten nicht, die schmissen die Post, die nicht durch den Briefschlitz der Tür passte, einfach vor die Tür. Aber nicht die Hübsche, die klingelte immer. Und lächelte mich an. Gestern klingelte um halb zehn ein Postbote. Den kannte ich, er war früher immer unser Postbote. Jetzt ist er Springer, hat er mir erzählt. Wir reden immer miteinander, er kriegt auch manchmal einen Zehner. Jetzt hatte er den ganzen Arm voller Maxibriefe. Sie haben diese Woche keine Post bekommen, sagte er. Das hatte ich gemerkt. Meine Kollegin hat noch Schwierigkeiten, erklärte er mir. Vielleicht ist die Post nicht das Richtige für sie. Wenn ich François Truffaut wäre, dann würde ich ihr eine Hauptrolle in einem Film anbieten, aber leider bin ich nicht François Truffaut, der wusste, dass die ganze Filmkunst daraus bestand de faire de jolies choses à de jolies femmes. Die Kunst des Lebens auch.

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