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Dienstag, 27. Februar 2024

Unterhemden


Heute vor neunundachtzig Jahren erhielt der Film It Happened One Night den Oscar in allen fünf Hauptkategorien, der Film war ein Riesenerfolg. Weil da jemand ein bisschen nackt war. Das war nicht Claudette Colbert, das war Clark Gable. Als der im Film sein Oberhemd auszieht, konnte das Publikum sehen, dass er kein Unterhemd trug. Die Verkaufszahlen von Unterhemden sanken in den USA dramatisch. Die romantic comedy kam in die Kinos, als der Motion Picture Code noch nicht griff. Sätze wie: Scenes of passion should not be introduced when not essential to the plot. In general, excessive passion should so be treated that these scenes do not stimulate the lower and baser element, und Excessive and lustful kissing, lustful embraces, suggestive postures and gestures, are not to be shown, hatten noch keine Gültigkeit.

Das Oberhemd ohne Unterhemd wird sich in der feinen Welt nicht durchsetzen. Clark Gable trägt im normalen Leben normale Kleidung, Also das, was Eddie Smith für ihn schneiderte. Was manchmal ziemlich exzentrisch war, wie man an diesem extrem taillierten Jackett sieht. Die maskuline Variante der →Wespentaille war damals große Mode. Eddie Smith hat auch all das geschneidert, was Clark Gable in Gone With the Wind trägt. Seine Uniform lässt der Captain Clark sich nicht von Eddie Smith schneidern, er kaufte sie sich bei Saks in der Fifth Avenue.

Der erste Absatz hier oben stand schon einmal in dem Post Nudität, aber man kann das immer wieder zitieren. Dass ein Film die big five erhält, kommt ja nicht so häufig vor. Clark Gable hat schon einen Post, er wird häufig in diesem Blog erwähnt. Unter anderem in dem Post Siegfried Schürenberg. Den kennen wir als den etwas vertrottelten Chef von Scotland Yard aus den Edgar Wallace Filmen, aber Schürenberg war auch ein begehrter Synchronsprecher. Er war die deutsche Stimme von Rhett Butler in Gone with the Wind, und er hat Clark Gable auch noch in The Misfits synchronisiert. Frank Capra hat erstaunlicherweise noch keinen Post in diesem Blog; er wird zwar immer wieder erwähnt, aber es gibt leider keinen Post. Sein Film Lost Horizon hat allerdings einen Post. Ist nicht sein bester Film, ist aber sehr interessant.

Das hier rechts auf dem Bild ist der Regisseur Frank Capra. Auf dem linken Bild ist auch Frank Capra, diesmal als Colonel der US Army. Gleich nach Pearl Harbour hatte er sich freiwillig gemeldet und war als Major eingestellt worden. Die Propaganda Serie ✺Why We Fight war Capras Antwort auf Leni Riefenstahls Film Triumph des Willens. Capras Kollege John Ford hat während des Krieges auch für die Regierung gearbeitet, er hat die Schlacht von ✺Midway mit einer Vielzahl von Kamerateams gefilmt, sozusagen im Livestream. Man hat ihn dafür zum Admiral gemacht.

John Ford und Frank Capra haben viel gemeinsam. Nicht nur, dass sie beide hier in Uniform nebeneinander stehen. Für beide ist Amerika ein neues Land. Capra kam aus Sizilien, Ford wurde zwar in den USA geboren, war in seinem Herzen und seinem Kopf immer noch in Irland. Beide werden in ihren Filmen dem Amerika der Great Depression ihre Vision vermitteln, wie die Welt sein soll. Sein könnte. Filmhistoriker haben dafür den Terminus Cinema of Populism gefunden. Wobei wir bedenken sollten, dass Populismus nicht gleich Populismus ist. Frank Capras Populismus ist nicht der Populismus von Donald Trump.

Als ich den Begriff Cinema of Populism bei Google eingab, stieß ich auf eine 2023 erschienene Dissertation von einem Johannes Pause, die Populismus und Kino: Politische Repräsentation im Hollywood der 1930er Jahre hieß (hier im Volltext). Auf der Seite des Transcript Verlages konnte man lesen: Die 1930er-Jahre gelten als das populistische Jahrzehnt Hollywoods. Regisseure wie Frank Capra, Leo McCarey und John Ford entwerfen in ihren Werken Szenarien geglückter oder gescheiterter politischer Repräsentation, in denen sich demokratische Ideale mit politischer Theologie und amerikanischem Exzeptionalismus verbinden. Die Szenographie dieser Filme hat sich tief in das kulturelle Gedächtnis der USA eingeschrieben und prägt die politische Inszenierung von Repräsentation bis heute. Johannes Pause liest die damals entstandene Bildsprache als eine Typologie populistischer Repräsentation neu und nutzt sie als Folie, um aktuelle politische Tendenzen zu analysieren. Das wusste ich allerdings alles schon. Weil es in dem Buch Vísions of Yesterday von Jeffrey Richards steht, das ein halbes Jahrhundert vor Pauses Werk erschienen war. Und Richards hat natürlich auch ein Kapitel Frank Capra and the Cinema of Populism.

Jeffrey Richards hatte etwas aufgenommen, was Siegfried Kracauer in seinem Buch  From Caligari to Hitler (hier im Volltext) angedeutet hatte. Dass man Filme als eine Psychoanalyse einer kranken Gesellschaft lesen könne. Der Gedanke findet sich auch in dem Buch von Martha Wolfenstein und Nathan Leites Movies: A Psychological Study (Volltext) und bei Michael Wood in seinem Buch America in the Movies. Jeffrey Richards, der zu Englands bedeutendstem Filmhistoriker wurde, bekam gute Kritiken für sein erstes Buch. Clive James schrieb im Observer: A work of considerable force and considerable wit und in Focus on Film stand: a work that is original, mentally stimulating and most pleasurable to read. Ich glaube nicht, dass man das über die Doktorarbeit von Johannes Pause sagen kann. Der Richards nicht mal im Original gelesen hat, sondern ihn aus zweiter und dritter Quelle zitiert. Der Transcript Verlag ist kein wirklich seriöser Verlag, der druckt alles, was der Autor bezahlt. Das ist so etwas Ähnliches, wie ich es in Print on Demand beschrieben habe.

Nicht alles im Werk Capras hat etwas mit Ideologie, Politik und Populismus zu tun, es wäre unsinnig, Arsen und Spitzenhäubchen so betrachten zu wollen. Und das Unterhemd von Clark Gable in der Screwball Comedy It Happened One Night ist auch ziemlich ideologiefrei. Aber in Mr Deeds Goes to Town und Mr Smith Goes to Washington (hier ein Bild mit James Stewart), da hat Capra seinem Publikum etwas zu sagen. Sein filmisches Amerika ist ein Land von Geld, Betrug, Opportunismus und Niedertracht, ein Land ohne Moral. Aber nun kommen die etwas naiven Helden vom Lande, gespielt von Stars wie Gary Cooper und James Stewart, die sich am Ende gegen Korruption und Intrigen durchsetzen. Auf so etwas hoffen wir ja immer, nicht nur im Kino.

James Stewart und Gary Cooper (und John Wayne und Henry Fonda bei John Ford) werden in den dreißiger Jahren zur perfekten Verkörperung amerikanischer Werte: If ever a country got the film heroes it needed, it was the USA in the decade up to the Second World War, sagt Alexander Walker in Stardom. Die amerikanische Kleinstadt, Small Town, USA, ist jetzt wichtig: das sind Bedford Falls (It's a Wonderful Life), Mandrake Falls (Mr. Deeds Goes to Town) oder Grover's Corners bei Thornton Wilder, eine sentimentale arkadische Vision eines Amerikas jenseits der Großstädte. So hatte sich Thomas Jefferson einst Amerika vorgestellt.

Capras Filme kommen als Komödien daher, aber sie sind oft viel mehr. Meet John Doe war eine Warnung vor dem auch in Amerika grassierenden →Faschismus; und auch Mr Smith goes to Washington hatte eine Botschaft: I doubt if any government in the world today would allow itself to be so freely criticized in the press, in pictures, and on the air, as does the American. And Capra, Italian-born immigrant who once sold newspapers, is exercising every American's privilege in lambasting certain phases of life in the country of his adoption. That doesn't mean, however, that Capra isn't a thoroughly patriotic American. On the contrary. I'd call 'Mr. Smith Goes to Washington' just about the best American patriotic film ever made. There's only one that might equal it, if Frank could ever be persuaded to make it, and that is Mr. Capra Goes to AmericaDer Verfasser dieser Zeilen war kein Gerigerer als James Hilton, dessen Roman Lost Horizon Capra 1937 verfilmt hatte. Als die Nazis 1942 im besetzten Frankreich die Aufführung englischer und amerikanischer Filme verboten, wurde als letzter Film in Paris unter dem Beifall des Publikums Mr Smith goes to Washington gezeigt.

Ein stellungsloser Journalist und eine durchgebrannte Millionenerbin treffen sich, so beginnt der Film ✺It Happened One Night, den sie hier sehen können. Bis dahin hatte Clark Gable, der einen Oscar für seine Rolle erhielt, Gangster und harte Kerle gespielt. Aber Frank Capra hat uns versichert, das Clark Gable in der Wirklichkeit ein ganz anderer war: 'It Happened One Night' is the real Gable. He was never able to play that kind of character except in that one film. They had him playing these big, huff-and-puff he-man lovers, but he was not that kind of guy. He was a down-to-earth guy, he loved everything, he got down with the common people. He didn’t want to play those big lover parts; he just wanted to play Clark Gable, the way he was in 'It Happened One Night', and it’s too bad they didn’t let him keep up with that.

Frank Capra war der wahrgewordene American Dream. Er kam von ganz unten, und er gelangte nach ganz oben. Er war fest davon überzeugt, dass das jederman in Amerika schaffen könnte: My whole philosophy is in my films. People are basically good or can be made good. Sentimental? Of course, but so what ? Let's not be hard-boiled about this. Happy endings - life is full of them. Auch das würden wir gerne glauben, aber wir wissen, dass das Leben anders ist. 

Viele von Capras Filmen sind zu Klassikern geworden, It's a Wonderful Life war jahrzehntelang der Weihnachtsfilm für die ganze Famile in den USA. Auch wenn die Kritiker 1946 die Sentimentalität des Films beklagten. Aber ohne die geht es nicht, sagt Jeffrey Richards: Throughout Capra's work, the tone is unashamedly sentimental, a fact which many critics decry and which calls for some comment. The only comment that one can make is that it is simply not possible to eliminate the sentimentality for it is at the root of his vision. It is this which links him to John Ford. The work of both is permeated by nostalgia for a vanished America, an idealized pre-urban America where a purer, better, freer life was lived. Sentimentality is an integral part of nostalgia and so there is simply no point in decrying it.

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