Samstag, 27. Februar 2021

Nudität

Schönheitschirurg Peter Hauptmann (Filip Peeters) stranguliert und peitscht seine Affäre Silvie Stein (Ursina Lardi) in seinem Sex-Appartment aus. Sie stöhnt vor Begierde und lässt sich willig auf das Liebesspiel ein. Als ihre Freundin Julia ihr jedoch erzählt, dass auch sie zu einem heißen Sado-Maso-Spiel von Peter in dessen Wohnung eingeladen wurde, bricht für Silvie eine Welt zusammen. Denn die Rechtsanwältin glaubt fest, dass nur sie die speziellen Phantasien von Peter befriedigen kann. Aus Rache, Eifersucht und Verzweiflung ermordet Silvie schließlich ihre Freundin Julia. Das konnte man 2014 so im web.de Magazin lesen. Da stand auch, dass die Schweizer Schauspielerin Ursina Lardi in vier Jahren in fünf Tatort Sendungen aufgetreten ist. In dem Polizeiruf 110, den die ARD gestern sendete, war sie auch zu sehen.

Warum diese Häufung der Rollen? Weil man sie braucht, als femme fatale und ein bisschen nackt, um so einem todlangweiligen Tatort ein wenig Pep zu geben. Dieser Tatort hieß Frühstück für immer, es gab ihn vor wenigen Tagen im Fernsehen. Habe ich reingeguckt, nur aus Verzweiflung, weil es mal wieder nix im Fernsehen gab. Außer Talkshows zu Corona, wo immer dieselben Leute auftreten. Ich kannte den Film allerdings schon, habe ihn sogar schon hier erwähnt. Für Christian Buß vom Spiegel war das eine ganz tolle Sache: 

‚Fifty Shades of Grey‘ in Leipzig? Saalfeld und Keppler ermitteln im SM-Milieu. Was leicht zum Trendstück über die neue angebliche Lust an der Unterwerfung hätte werden können, ist ein grausamer Krimi über die Grauzonen der Erotik - und der erste starke MDR-Tatort‘ seit Jahren. Seit den Tagen der Gothic Novel und den Phantasien des Marquis de Sade hält sich dieser Sado-Kram ja hartnäckig. Meist in Fantasy Filmen, selten im Leipziger Tatort. Ich fand diese SM Klamotte albern, aber Ursina Lardi rettet jeden Film. Frühstück für immer war übrigens der drittletzte Tatort aus Leipzig, dann wurden die Kommissare Simone Thomalla und Martin Wuttke (hier rechts neben Ursina Lardi) entlassen. Für immer.

Ich habe in dem Post Nackt im Jahre 2019 etwas über die Nackheit im deutschen Tatort geschrieben, offenbar muss Nackheit sein, weil man auf Quoten hofft. In dem Tatort Freddy tanzt war Ursina Lardi wieder dabei, sie spielte eine alleinerziehende Kunstprofessorin, die nebenbei als Prostituierte in einem Schickeria Lokal arbeitet. Das ist ja die typische Nebentätigkeit von Kunstprofessorinnen. Wer kann so etwas glauben?

Im Tatort Dunkelfeld spielte Lardi eine Polizistenwitwe, die mit dem Kommissar Karow (mit dem sie mal ein Verhältnis hatte) entführt wird, aber in Wirklichkeit mit den Entführern zusammenarbeitet. Man hatte ihr dafür Klamotten angezogen, die sie die ganze Zeit nackt aussehen ließen. Das muss offensichtlich sein. Coleridges Wort von der willing suspension of disbelief steht als Motto über den meisten Tatort Produktionen, die mit der Wirklichkeit nichts mehr zu tun haben. Die Tatorte werden ja nicht besser, wie der Kriminalhauptkommissar Melchior Veigl (gespielt von Gustl Bayrhammer) bei seinem Abgang so nett sagte: Des Krimifach, des is doch scho lang a abg’mahte Wies’n. Doa passiert nix mehr. Damals gab es allerdings noch keine Nackheit im Tatort.

Heute vor sechsundachtzig Jahren erhielt der Film It Happened One Night den Oscar in allen fünf Hauptkategorien, der Film war ein Riesenerfolg. Weil da jemand ein bisschen nackt war. Das war nicht Claudette Colbert, das war Clark Gable. Als der im Film sein Oberhemd auszieht, konnte das Publikum sehen, dass er kein Unterhemd trug. Die Verkaufszahlen von Unterhemden sanken in den USA dramatisch. Die romantic comedy kam in die Kinos, als der Motion Picture Code noch nicht griff. Sätze wie: Scenes of passion should not be introduced when not essential to the plot. In general, excessive passion should so be treated that these scenes do not stimulate the lower and baser element und Excessive and lustful kissing, lustful embraces, suggestive postures and gestures, are not to be shown, hatten noch keine Gültigkeit. 

Ein Jahr, bevor man Clark Gables nackten Oberkörper im Kino sehen konnte, war dieser Film der Skandal Amerikas. So ausgezogen-angezogen war die kleine Temple Drake in The Story of Temple Drake (der softcore Version von Faulkners Roman Sanctuary) allerdings nie, das Filmplakat suggeriert nach über achtzig Jahren immer noch Sex. Der Film führte direkt zur Etablierung des Motion Picture Code, Themen wie Kleinstadtbordelle und Vergewaltigungen (Sex perversion or any inference to it is forbidden) sollte es im amerikanischen Kino nie wieder geben. Was haben sich die beiden Katholiken Martin Quigley und Father Daniel Lord, die den Motion Picture Code verfassten, bloß dabei gedacht, als sie schrieben: excessive passion should so be treated that these scenes do not stimulate the lower and baser element? Wer ist das lower and baser element? Ich glaube, das sind wir. Miriam Hopkins landete übrigens noch Jahrzehnte später in Russ Meyers Softporno Fanny Hill.  

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