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Donnerstag, 21. November 2024

Magic Mountain


Thomas Manns Roman Der Zauberberg wird hundert, das Feuilleton hat jetzt etwas über den Jahrhundertroman zu schreiben, der als Kurzgeschichte geplant war und dann ein unförmiges Opus wurde. Viele Journalisten zitieren Susan Sontags Satz No book has been more important in my life than 'The Magic Mountain'. Als sie fünfzehn war, hatte sie ihr Tagebuch a book for all of one’s life eingetragen. Als sie sechzehn war, interviewte sie Thomas Mann in Pacific Palisades und schrieb in ihr Tagebuch: I interrogated God this evening at six. Das ist jugendlicher Enthusiasmus, wir lassen das mal so stehen. Ich habe Susan Sontag nie für eine bedeutende Kritikerin gehalten, ich habe Joan Didion immer höher eingeschätzt. Susan Sontag hat sich immer reichhaltig auf dem französischen Markt der Ideen bedient und das dann in Amerika verkauft. Originell an ihren Ideen war wenig, aber als Teenie hatte sie ein Interview mit Gott.

Es gibt in diesem Blog viel Thomas Mann (der Post mit den meisten Lesern heißt Fickfackerei), aber es gibt keinen Post zum Zauberberg. Es gibt zwar einen Post Zauberberg, aber der handelt von einem italienischen Film mit Michael Caine: Es wird viel geredet in dem mit vielen Stars besetzten Film, aber inhaltlich gesehen, sagt uns eine Seite von Thomas Manns 'Zauberberg' mehr als der ganze Film. Und an Clawdia Chauchat kommen die ganzen exotischen Schönheiten auch nicht heran. Paolo Sorrentino, der den wunderbaren Film 'La Grande Bellazza' (lesen Sie dazu mehr in Felliniesque) gedreht hat, hat Michael Caine einen schönen Urlaub in einem alpinen Wellness Hotel verschafft. Ein Teil der Dreharbeiten wurde in dem Hotel gemacht, in dem Thomas Mann an seinem Zauberberg geschrieben hatte.

Ich habe den Zauberberg zum ersten Mal 1966 in einer Ausgabe von Gottfried Bermann Fischer (der ja die Tochter von S. Fischer geheiratet hatte) als Lizenzausgabe des S. Fischer Verlags gelesen, 657 eng bedruckte Seiten lang. Thomas Manns Verleger Samuel Fischer hat hier schon einen viel gelesenen Post. In der G.B. Fischer Ausgabe ist auch eine Rede abgedruckt, die Thomas Mann im Mai 1939 vor den Studenten von Princeton gehalten hat. Es ist eine Art Gebrauchsanweisung für die Lektüre des Romans. 

Die Rede (die ich hier zusammen mit dem ganzen Roman habe) beginnt mit der sehr arroganten Forderung, dass man den Roman zweimal lesen müsse. Was Mann sogleich relativiert: Diese Forderung wird natürlich sofort zurückgezogen für den Fall, daß man sich das erste Mal dabei gelangweilt hat. Kunst soll keine Schulaufgabe und Mühseligkeit sein, keine Beschäftigung contre coeur, sondern sie will und soll Freude bereiten, unterhalten und beleben, und auf wen ein Werk diese Wirkung nicht übt, der soll es liegen lassen und sich zu andrem wenden. Es lohnt sich immer noch, diese Rede zu lesen, die in vielen deutschen und englischen Ausgaben des Romans als Vorwort abgedruckt ist.

Seinem Roman Doktor Faustus (den ich in der Stockholmer Erstausgabe besitze) hat Thomas Mann das nützliche kleine Buch Die Entstehung des Doktor Faustus folgen lassen, das den Untertitel Roman eines Romans hat. So etwas haben wir für den Zauberberg leider nicht, deshalb sollten wir den Princeton Vortrag von 1939, den Thomas Mann übrigens in englischer Sprache hielt, als ein  wichtiges Hilfsmittel zum Verständnis des Romans nehmen. Ich kann Ihnen hier die originale Rede The Making of 'The Magic Mountain' anbieten.

Den 'Zauberberg' habe ich nie zu Ende gelesen, das war mir zu langweilig, hat Karl Lagerfeld gesagt. Der Mann, der angeblich 200.000 Bücher besaß, hat auch gesagt, dass er die Buddenbrooks auswendig kenne. Man muss Präferenzen setzen im Leben. Tolstois Krieg und Frieden lese ich jetzt zum dritten Mal, James Joyces Ulysses habe ich zwei Mal gelesen, Prousts Recherche auch. Mindestens. Moby-Dick habe ich sechs Mal gelesen, aber das war auch berufsbedingt. Den Zauberberg habe ich gleich wieder gelesen, als ich die erste Lektüre beendete. Was ich von Thomas Mann nie zu Ende gelesen habe, ist Joseph und seine Brüder. Der fette Band steht so gut wie ungelesen im Regal. Im Originalschuber. Als ich 1966 den Zauberberg las, studierte ich noch Germanistik. Das wissen Sie, wenn Sie den Post Kafka? gelesen haben. Ich habe dieses Studium aufgegeben, weil ich da wenig lernen konnte, ich hatte schon alles gelesen. Auf der 15-seitigen Leseliste, die Karl Otto Conrady 1966 seinem Buch Einführung in die Neuere deutsche Literaturwissenschaft anfügte, konnte ich achtzig Prozent mit einem Häkchen versehen, perlegi. Als ich das Proseminar über Thomas Manns Erzählungen besuchte, stellte ich nach wenigen Wochen fest, dass der Dozent und ich die einzigen in dem Hörsaal Alte Mensa waren, die alle Erzählungen Thomas Manns gelesen hatten.

Germanistikstudenten hatten sich frühzeitig angewöhnt, Thomas Mann ein bisschen liebevoll, aber auch ein bisschen herablassend, den Tommy zu nennen. Ich habe das auch wohl einige Male getan, wenn ich ihn erwähnte. Und er ist häufig in diesem Blog gewesen. Häufig mit Nebensächlichkeiten wie in dem Post Segelboote. Ich bitte zu beachten, dass das einer meiner ersten Posts war. Es geht darin um unser Ruderboot F-47, Mahagoni geklinkert, gebaut bei Abeking und Rasmussen. In solch einem Boot ist Thomas Mann auch gerudert, denn die Familie Pringsheim hatte bei A+R gleich zwei Boote gekauft (Baunummern 369 und 370). Und dann ist da noch eine weitere Segelbootverbindung. A+R baute eine Segelyacht des Typs Concordia, die bei den Millionären der amerikanischen Ostküste sehr beliebt war. Es war die erste Yacht, die sich Elizabeth Meyer kaufte, die später durch ihre Yachtkäufe berühmt wurde. Elizabeth Meyer ist die Enkelin von Agnes Meyer, die als Mäzenin Thomas Mann im amerikanischen Exil durchfütterte. Aus diesem kleinen Post könnte man einen ganzen Roman machen.

Der Zauberberg kommt immer wieder in diesem Blog vor. Wie zum Beispiel in dem Post Blauer Dunst, wo es um eine Bremer Zigarrenmarke geht. Denn die Maria Mancini aus Bremen kommt auch schon im Zauberberg vor: »Wie schmeckt der Krautwickel, Castorp? Lassen Sie mal sehen, ich bin Kenner und Liebhaber. Die Asche ist gut: was ist denn das für eine bräunliche Schöne?« »Maria Mancini, Postre de Banquett aus Bremen, Herr Hofrat. Kostet wenig oder nichts, neunzehn Pfennig in reinen Farben, hat aber ein Bukett, wie es sonst in dieser Preislage nicht vorkommt. Sumatra-Havanna, Sandblattdecker, wie Sie sehen. Ich habe mich sehr an sie gewöhnt. Es ist eine mittelvolle Mischung und sehr würzig, aber leicht auf der Zunge. Sie hat es gern, wenn man ihr lange die Asche läßt, ich streife nur höchstens zweimal ab. Natürlich hat sie ihre kleinen Launen, aber die Kontrolle bei der Herstellung muß besonders genau sein, denn Maria ist sehr zuverlässig in ihren Eigenschaften und luftet vollkommen gleichmäßig. Darf ich Ihnen eine anbieten?« Ich weiß zwar nicht, weshalb in einem Sanatorium für Lungenkranke Zigarren geraucht werden, aber der Schriftsteller, der jeden Tag ein Dutzend Zigaretten und zwei leichte Zigarren rauchte, will das so.

In dem Post Frauen und Zigarren können Sie lesen: Dem Zigarrenraucher Mark Twain verdanken wir eine Vielzahl von schönen Zitaten zum Thema Zigarren. Wie zum Beispiel: 'Zuerst schuf der liebe Gott den Mann, dann schuf er die Frau. Danach tat ihm der Mann leid, und er gab ihm den Tabak'. Zigarren können den Namen von Frauen tragen wie die Maria Mancini, die Thomas Mann in den 'Zauberberg' hineinschreibt. Da heißt es über den jungen Hans Castorp, dass er die bürgerliche Arbeit nicht liebe, weil sie dem ungetrübten Genuß von Maria Mancini etwas im Wege war. Thomas Mann bezog seine Zigarren von der Bremer Firma Hagedorn und Söhne, die Marke Maria Mancini ist übrigens wiederbelebt worden. Und nicht nur das, ein Jahr nach der Publikation von Der Zauberberg überlegte die Bremer Firma ernsthaft, ob sie nicht eine Zigarre mit dem Markennamen Thomas Mann herausbringen sollte.

1931 rauchte man im Münchener Rotary Club noch Zigarren: Wir hatten beim letzten Lunch, als Ihr Brief vorgelesen wurde, leider keine geeignete Pfeife zur Hand und mussten uns daher mit Zigarren begnügen. Der Brief aus dem amerikanischen Keokuk, der an alle Rotary Clubs der Welt gegangen war, enthielt den Wunsch, dass alle eine Friedenspfeife rauchen sollten. Aus dieser schönen Idee wird nichts werden. Zwei Jahre später stößt der Münchener Rotary Club seinen berühmtesten Zigarrenraucher aus den Reihen aus. Thomas Mann schreibt am 8. April 1933 in seinem Tagebuch, es bliebe ihm nur ein Staunen über den Seelenzustand dieser Menschen, die mich, eben noch die ,Zierde' ihrer Vereinigung, ausstoßen ohne ein Wort des Bedauerns, des Dankes, als sei es ganz selbstverständlich

Neben den Nebensächlichkeiten gibt es auch Substantielleres im Blog. In dem Post Grand Hotel findet sich eine sehr nützliche Literaturempfehlung: Ich muss noch ein Buch erwähnen, dessen Verfasser ebenso detektivisch wie Luzius Keller in seinem Buch 'Proust im Engadin' vorgeht und das auch mit dem Grand Hotel zu tun hat. Es ist von keinem Literaturwissenschaftler, sondern von einem Journalisten. Der Hamburger Günther Schwarberg hat vor Jahren mit 'Es war einmal ein Zauberberg: Eine Reportage aus der Welt des deutschen Zauberers Thomas Mann' ein wirklich nettes Buch (die NZZ fand es nicht so gut, aber die Schweizer haben an Büchern über die Schweiz ja immer etwas zu mäkeln) über Thomas Mann und das Grand Hotel in Davos geschrieben. Günther Schwarberg kommt aus dem gleichen Bremer Vorort wie ich, sein Vater war ein Kollege meines Opas an der Schule. Sie konnten sich nicht leiden, Schwarbergs Vater war Sozialdemokrat, mein Opa hing immer noch an seinem Kaiser. Günter Schwarberg ist nach einer Vielzahl von journalistischen Stationen beim 'Stern' gelandet. Er hat wichtige Bücher geschrieben, wie zum Beispiel 'Der SS-Arzt und die Kinder vom Bullenhuser Damm' oder 'Das Getto: Spaziergang in die Hölle' (über unseren Vegesacker Kriegsverbrecher Többens). Von solcher Bedeutung ist 'Es war einmal ein Zauberberg' nicht. Dies ist der Versuch, die reale Basis von Thomas Manns Roman 'Der Zauberberg' zu finden, vom Bechstein Klavier (Fabrikationsnummer 112629) bis zum Bleistift, den Madame Chauchat dem jungen Hans Castorp leiht. Aber Schwarberg wäre nicht Schwarberg, wenn er nicht auch Politisches in das Buch brächte. Und so fehlt hier auch die Ermordung von Wilhelm Gustloff in Davos und die Vertreibung Thomas Manns aus Deutschland nicht.

In dem Post François Truffaut können wir lesen: Das Schwarzweiß Photo zeigt Truffaut im Smoking an der Seite von Marie-France Pisier. Mit siebzehn war sie in Truffauts Antoine und Colette zu sehen. Da hat sie Truffaut so verzaubert, dass er gleich seine Frau verlassen hat. Aber es hat nicht lange gehalten mit den beiden. Das ist bei Truffaut immer so. Zwanzig Jahre später ist sie Clawdia Chauchat, die Hans Castorp im 'Zauberberg' den Kopf verdreht. Und noch einmal Jahrzehnte später konnten wir sie als Madame Verdurin in Raúl RuizLe Temps retrouvé sehen. Das ist eine Romanverfilmung, die man sich ansehen kann.

Von Geißensdörfers Verfilmung von Der Zauberberg (die ich hier für Sie in der langen TV-Version habe) halte ich nicht so furchtbar viel. Literatur zu verfilmen, ist eine schwierige Sache. Große Literatur zu verfilmen, ist noch schwieriger. Sie können einiges dazu in dem Post The Go-Between lesen, in diesem Blog ist ja viel von Literaturverfilmungen die Rede. Bertrand Tavernier wäre meiner Meinung nach der richtige Regisseur für den Roman von Thomas Mann gewesen. Denn Un dimanche à la campagne nach dem Roman Monsieur Ladmiral Va Bientot Mourir von Pierre Bost, das ist schon richtige Kunst. 

Geißendörfers Film, den es in einer 150-minütigen Kinofassung und einer doppelt so langen Fernsehfassung gibt, ist eher eine Nummernrevue für bekannte Filmschauspieler (mit einer guten Kameraarbeit von Michael Ballhaus) als eine Romanverfilmung. Ich mag den Film trotzdem, weil Marie-France Pisier als kirgisenäugige Clawdia Chauchat, die breite Backenknochen und schmale Augen hat, in dem Film ist. Und weil Hans Christian Blech gut in die Rolle des Hofrats Dr Behrens passt. Und wenn der Film jemanden dazu bringt, den Roman zu lesen, dann ist das ja auch eine gute Sache.

Bei dieser Blütenlese aus Erwähnungen von Der Zauberberg in diesem Blog, muss natürlich ein Post hervorgehoben werden, in dem sehr viel zu dem Roman steht. Dieser Post heißt Gerhart Hauptmann, das hat einen einfachen Grund. Weil Thomas Mann sich einen kleinen literarischen Spaß daraus gemacht hat, den Schriftsteller Gerhart Hauptmann in den Mynheer Peeperkorn zu verwandeln: Kurz: einem Holländer, einem Säufer, einem Giftmischer, einem Selbstmörder, einer intellektuellen Ruine, von einem Luderleben zerstört, behaftet mit Goldsäcken und Quartanfieber, zieht Thomas Mann meine Kleider an. Der Golem lässt Sätze unvollendet, wie es zuweilen meine Unart ist. Wie ich, wiederholt er oft die Worte 'erledigt' und 'absolut'. Ich bin sechzig Jahre alt, er auch. Ich trage, wie Peeperkorn, Wollhemden, Gehrock, eine Weste, die bis zum Halse geschlossen ist. In dem herrlichen Hiddensee'er Klima hatten sich meine Fingernägel beinahe zu Teufelskrallen entwickelt, wie die Peeperkorns. Meine Augen sind klein und blass und werden nicht größer, wenn ich auch, wie Peeperkorn, nach Kräften versuche, die Augenbrauen heraufzuziehen. [...] Thomas Mann hat mich einmal auf seine Verantwortung den "ungekrönten König der Republik" genannt, daraus ist ein Kaffeekönig geworden. Und wenn Peeperkorn eine 'sommersprossige Kapitänshand' zeigt, so ist zu erwägen, dass Kapitän eben auf deutsch Hauptmann heisst. Das schreibt Hauptmann im Januar 1925 an Samuel Fischer, er war ziemlich beleidigt.

Wenn man Thomas Mann Der Zauberberg bei ebay oder booklooker eingibt, findet man erst einmal seitenlang Sekundärliteratur zu dem Roman. Die lässt man am besten weg. Ab fünfzehn Euro bekommt man schon den Roman; nehmen Sie keine Paperbackausgabe, die Geschichte liest sich am besten in einem schönen großen Buch mit einem Leinenrücken. Wer aber mit dem 'Zauberberg' überhaupt einmal zu Ende gekommen ist, dem rate ich, ihn noch einmal zu lesen, denn seine besondere Machart, sein Charakter als Komposition bringt es mit sich, da das Vergnügen des Lesers sich beim zweiten Mal erhöhen und vertiefen wird, sagt uns Thomas Mann. Glauben Sie ihm.


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